Hohe Inflation bei konjunkturellem Stillstand — dieses Schreckensszenario hat der Krieg in der Ukraine noch wahrscheinlicher gemacht. Damit steigt das Risiko geldpolitischer Fehlentscheidungen.

Nach dem Einmarsch Russlands in die Ukraine präsentiert sich die Europäische Union geschlossen wie nie. Harte Wirtschaftssanktionen wurden verhängt, um Russlands Präsident Wladimir Putin zum Rückzug zu bewegen. Die langfristigen Folgen dieser Sanktionen lassen sich aktuell noch nicht ermessen. Fest steht allerdings: Sie werden nicht nur Russlands Wirtschaft empfindlich treffen. Auch Europas Märkte sind belastet. 

Beispielsweise könnte der Ausschluss russischer Finanzinstitute aus dem Zahlungsnetzwerk SWIFT die Inflation weltweit weiter befeuern. Über SWIFT wickeln internationale Banken unter anderem den Zahlungsverkehr für Öl und Erdgas ab. Die hohen Energiepreise sind jetzt schon die größten Inflationstreiber. Fallen russische Energielieferungen ganz oder zum großen Teil weg, dürften die Preise noch stärker anziehen. Auf die Wirtschaft wirken sie wie eine Zusatzsteuer, die den Kostendruck erhöht und das Leben verteuert. Die Gefahr: Wird daraufhin weniger investiert und konsumiert, gerät das Wirtschaftswachstum ins Stocken. Die Unsicherheit dürfte Unternehmen ohnehin Zukunftspläne verhageln. So rückt die Gefahr einer Stagflation in greifbare Nähe — also einem Inflationshoch bei sehr schwacher Konjunktur.

Das ließ sich zuletzt während der Ölpreiskrise 1973 beobachten. Damals drehten arabische Erdölexporteure den Ölhahn zu — ebenfalls als direkte Konsequenz eines Kriegs. Der enorme Preisanstieg im Energiesektor schwappte über und stürzte die Industrieländer in eine tiefe Rezession. Als zweitgrößter Energieexporteur der Welt liefert Russland etwa 40 Prozent des europäischen Erdgases und rund 25 Prozent des Öls1. Obwohl ein Exportstopp Russlands einer Selbstsanktionierung gleichkäme, könnte sich die Geschichte wiederholen.

Zinswende als Drahtseilakt

Ein Folgeproblem: Die Notenbanken beobachten diese Entwicklung mit größter Sorge. Denn um die steigende Inflation zu bekämpfen, vollzogen die Währungshüter ausgerechnet vor wenigen Wochen eine geldpolitische Wende. Die US-Notenbank Fed plante bereits eine rasche Zinsanhebung in vier Schritten — der erste Schritt sollte bereits im März erfolgen. Relevante Marktindikatoren ergeben nun schon ein anderes Bild: Noch im Februar lag die Chance einer Leitzinserhöhung um 50 Basispunkte bei 80 Prozent. Nach der Invasion sank die Wahrscheinlichkeit auf zehn Prozent. Inzwischen hat sogar FED-Notenbankchef Jerome Powell selbst seinen Wunsch nach einem Zinsschritt in Höhe von 25 Basispunkten in seltener Offenheit geäußert.

Für die Wirtschaft ist ein höherer Leitzins Gift, wirkt als Wachstumsbremse. Während einer Stagflation, in der der Konjunkturmotor ohnehin schwächelt, könnte sich ein allzu hartes Durchgreifen der Notenbanker als fatal erweisen.

Das führt zu einer kurios anmutenden Gegenwartsdiagose: Stagflation ist laut Lehrbüchern normalerweise das Ergebnis von „policy errors“ — also fehlgeleiteter Fiskal- und Geldpolitik durch Staaten und Notenbanken. Im aktuellen makroökonomischen Umfeld lässt sich das genaue Gegenteil beobachten. Die äußeren geopolitischen Faktoren entziehen sich dem direkten Einflussbereich der Notenbanken, die eigentlich auf dem richtigen Kurs waren. Das Risiko folgenschwerer Fehlentscheidungen ist nun größer als zuvor. Zinswende und qualitative Straffung werden ein Drahtseilakt. Die Geldpolitik braucht in der Krise Maß und Mitte.

Fazit

Es ist unwahrscheinlich, dass die Notenbanken im Angesicht einer Stagflation an ihrer neuen Rhetorik festhalten. Stattdessen dürften sie nun wieder bedächtigere Töne anschlagen. Der Krieg in der Ukraine mit all seinen Implikationen hat den makroökonomischen Rahmen grundlegend verändert. Ein allzu hartes Durchgreifen der Notenbanken könnte sich als folgenschwere geldpolitische Fehlentscheidung erweisen. Für Anleger heißt das: Der Ehrgeiz der Notenbanken zur schnellen Zinswende schrumpft. Die konjunkturellen Aussichten aber auch.

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