Im Wahlkampf diskutieren Parteien hitzig über die sogenannte Schuldenbremse. Kritiker bemängeln den Investitionsstau und die Wachstumsschwäche, Verfechter fordern Haushaltsdisziplin zugunsten künftiger Generationen. Was für mehr Schulden spricht – und was dagegen.

Die Schuldenbremse ist seit 2009 im deutschen Grundgesetz verankert. Sie wurde als Reaktion auf die globale Finanzkrise ins Grundgesetz aufgenommen und soll die Staatsfinanzen langfristig stabilisieren. Der Weg: Die jährliche Neuverschuldung des Bundes darf maximal 0,35 Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP) betragen – die Bundesländer dürfen seit 2020 gar keine neuen Schulden mehr aufnehmen.¹ Ausnahmen gibt es nur in Krisensituationen wie der Corona-Pandemie. Das Regelwerk soll künftige Generationen vor übermäßiger Verschuldung schützen. Kritiker bemängeln jedoch, dass die Schuldenbremse dringend notwendige Investitionen blockiert. 

Was ist dran? Eine Studie der Schweizer Privatbank J. Safra Sarasin kommt² zu dem Schluss, dass Deutschlands strikte Ausgabenpolitik das Wirtschaftswachstum gebremst hat. Seit 2019 wächst die Wirtschaft hierzulande jährlich nur noch um 0,5 Prozent, das Pro-Kopf-Einkommen ist auf 80 Prozent des US-Niveaus gesunken. Ohne Steuerreformen, so die Bank, könnte Deutschland weiter hinter andere Industrienationen zurückfallen. Kaum ein anderes Land hat ein so striktes Neuverschuldungsverbot. Im Gegenteil: In den USA findet die ökonomische Denkschule Modern Monetary Theorie (MMT) immer mehr Anhänger. Sie besagt, dass sich ein Staat beliebig hoch verschulden kann, ohne seine finanzielle Stabilität zu gefährden. Darüber habe ich mit Dirk Ehnts, einem deutschen MMT-Vertreter, im Kapitalmarkt-Podcast gesprochen.

Die Reform der Schuldenbremse war einer der Streitpunkte, an denen die Ampelkoalition im November zerbrochen ist. Selbst der frühere Finanzminister Peer Steinbrück³, einer der Architekten des Instruments, und die damalige Kanzlerin Angela Merkel⁴ sprechen sich inzwischen für vorsichtige Anpassungen aus. Und auch CDU-Kanzlerkandidat Friedrich Merz, einst ein strikter Reformgegner, zeigte sich zuletzt ebenfalls gesprächsbereit⁵. Er betont zwar, dass die aktuellen Herausforderungen auch ohne Grundgesetzänderung lösbar seien, würde aber mit Blick auf die technischen Fragen, die er bei der Schuldenbremse sieht, „niemals nie“ sagen. 

Investitionen an der richtigen Stelle

Tatsächlich bewegen sich die genannten (Ex-)Politiker damit auf Höhe des wirtschaftswissenschaftlichen Zeitgeistes. Eine Gruppe führender deutscher Wirtschaftsforschungsinstitute vom Ifo-Institut bis zum Kieler Institut für Weltwirtschaft schlägt inzwischen vor⁶, die deutsche Schuldenbremse an die flexibleren EU-Regeln anzupassen. Diese erlauben ein Defizit von bis zu einem Prozent des BIP, sofern die Gesamtverschuldung unter 60 Prozent bleibt. Damit würde sich den Spielraum für die Neuverschuldung in Deutschland fast verdreifachen. 

Ebenfalls diskutiert: Investitionen aus der Schuldenbremse auszuklammern. Zuletzt hatte der Wissenschaftliche Beirat beim Bundeswirtschaftsministerium dafür⁷ plädiert, Zukunftsausgaben für Klimaschutz oder Infrastrukturprojekte von der Regelung auszunehmen. Die Idee orientiert sich am Prinzip der „Goldenen Regel“, die bis zum Jahr 2009 galt und eine Kreditaufnahme in Höhe solcher Investitionen erlaubte. Ein Gutachten zeigt aber auch: Das führte in der Vergangenheit nicht nur zu einer Verdreifachung der Schuldenquote, sondern auch zu einem Rückgang der öffentlichen Investitionsquote⁶. Denn der Begriff „Investition“ erweist sich als Auslegungssache. Ohne klare Kontrollmechanismen birgt der Ansatz daher die Gefahr, dass Gelder nicht in nachhaltiges Wachstum fließen, sondern auch im kurzfristigen Konsum versickern.

Entscheidend ist daher, wie die zusätzlichen Mittel verwendet werden. Vor der Pandemie flossen laut dem Leibniz-Zentrum für Europäische Wirtschaftsforschung (ZEW) rund 75 Prozent⁸ der erzielten Haushaltsüberschüsse in konsumtive Ausgaben wie Renten; investive Ausgaben für Infrastruktur, Bildung oder Digitalisierung wurden vernachlässigt. Auch ohne neue Kredite hätte es hier finanziellen Spielraum gegeben, heißt es beim ZEW.

Eine Lockerung der Schuldenbremse müsste daher mit strengen Regelungen einhergehen, die sicherstellen, dass die Kredite auch in wachstumsfördernde Projekte fließen. Ein Beispiel wäre der Ausbau digitaler Netze, ein anderes die Förderung klimaneutraler Technologien, auch die Sanierung der Verkehrsinfrastruktur oder die Modernisierung von Schulen wären solche klaren Investitionsfälle. Ohne Zweckbindung droht dagegen die Gefahr, dass gelockerte Schuldenregeln nur kurzfristige Bedürfnisse befriedigen oder Haushaltslöcher stopfen, statt langfristig das Wachstum zu fördern. Der Kern der Debatte liegt also voraussichtlich bald nicht mehr beim „Ob“, sondern dem „Wie“ einer Reform.

Fazit

Deutschlands Schuldenbremse ist grundsätzlich ein sinnvolles Instrument – aber auch eines mit Reformbedarf. Dabei ist Fingerspitzengefühl gefragt. Eine generelle Lockerung oder gar eine Abschaffung würden womöglich altbekannte Probleme zurückbringen. Gezielte Anpassungen hingegen könnten den Staat handlungsfähiger machen, ohne das Gebot der Sparsamkeit aufzugeben. Entscheidend ist, dass zusätzliche Mittel tatsächlich in zukunftsgerichtete Investitionen fließen, die die Wettbewerbsfähigkeit Deutschlands langfristig sichern.

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