Der starke Anstieg der Energiepreise hat die Inflation mächtig angeheizt. Dabei überdeckt der aktuelle Preisschock tieferliegende Gründe für eine dauerhaft erhöhte Teuerungsrate.

Die Inflation ist zurück, und nach und nach frisst sich der Preisanstieg in die Geldbörsen und Konten der Bürger. So meldete das Statistische Bundesamt1 jüngst für Deutschland einen Reallohnverlust von 5,7 Prozent für das dritte Quartal 2022 – so viel wie noch nie seit Beginn der entsprechenden Berechnungen im Jahr 2008. Anders gesagt: Die Inflation macht die Menschen ärmer. Zugleich steigen auch die Zinsen – die Folge des Kampfes der Notenbanken gegen den Preisauftrieb. Während die Guthaben schrumpfen, werden also auch noch die Kredite teurer.

Die Gründe für den außergewöhnlichen Preisschub der vergangenen Monate sind schnell gefunden. Zum einen fließt wegen des Einmarschs der Russen in der Ukraine nur noch wenig Öl und Gas in den Westen – und fast niemand geht davon aus, dass man hier so schnell (oder jemals) wieder in Russland fossile Energie einkaufen wird. Ersatz ist knapp und teuer – und so sind die Preise für Strom, Heizung, Benzin und die industrielle Produktion massiv gestiegen. Zum anderen wird der Preisschock im Supermarkt dadurch befeuert, dass viele Produkte, Vorprodukte und Rohstoffe seit Ausbruch der Covid-19-Pandemie nur noch schwer zu bekommen sind. Lieferketten sind zusammengebrochen, Ersatz ist auch hier nur wesentlich teurer zu haben. Das Angebot bleibt knapp. Und was knapp ist, ist auf einem freien Markt nun einmal teuer. 

So weit, so offensichtlich. Wer nun aber glaubt, dass die Preise bei einem möglichen Ende des Krieges in der Ukraine oder einem Ende der Pandemie wieder ins Lot kommen, der dürfte sich gewaltig irren. Denn hinter den akuten Krisen haben sich weitere Inflationstreiber aufgebaut, die so schnell nicht verschwinden werden – und die Kapitalmärkte, Notenbanken, Regierungen, Sparer und Schuldner in den kommenden Jahren stark beschäftigen dürften. Kurz gesagt zeichnen sich mindestens drei strukturelle Veränderungen ab, die für eine dauerhaft erhöhte Inflation sprechen. 

Drei Gründe für den strukturellen Preisauftrieb 

Erstens ist das die Dekarbonisierung, also das Ende der Nutzung klimaschädlicher fossiler Energieträger. Denn der klimapolitisch notwendige Verzicht auf die aktuell wichtigsten Rohstoffe für Strom und Wärme ist für Unternehmen mit gewaltigen Investitionen verbunden, die zunächst einmal die Kosten steigern werden – und so auch die Preise. 

Zweitens sehen wir Tendenzen zur Deglobalisierung2, also der offensichtliche Rückzug des Westens wie des Ostens aus dem Handel miteinander. Die Zeichen stehen momentan auf regionaler Kooperation, kurzen Lieferwegen und lokaler Produktion – und Märkte wie Russland oder auch China erweisen sich für Unternehmen aus dem Westen zunehmend als „toxisch“, wie es die Expertin für russische Technologiepolitik Alena Epifanova bereits Ende März im Kapitalmarkt-Podcast3 eindrücklich beschrieb. Ein schrumpfender Welthandel und ein Rückzug aus Absatzmärkten bedeutet aber insbesondere für die Unternehmen in den Industriestaaten neben geringeren Wachstumsmöglichkeiten auch teurere Rahmenbedingungen für die Produktion – und höhere Preise. 

Drittens sind die Staaten weltweit so hoch verschuldet wie nie seit dem zweiten Weltkrieg4. Und wer hohe Schulden hat, der hat Interesse an einem etwas höheren Inflationsniveau. Denn damit lässt sich die reale Schuldenlast aus Sicht der Staaten vergleichsweise elegant senken. Der politische Druck auf die Notenbanken, den Preisanstieg drastisch einzudämmen, dürfte damit aus dieser Perspektive nicht besonders hoch sein. Im Gegenteil: Hohe Leitzinsen mit dem Ziel, die Inflation zu bekämpfen, sind Gift für den Schuldendienst. Sie könnten so manchen Staat auf Dauer in ernsthafte Zahlungsschwierigkeiten bringen. Dieser Umstand dürfte die Europäische Zentralbank schon jetzt davon abhalten, die Zinsen noch aggressiver anzuheben. Auch damit stehen die Zeichen tendenziell auf höherer Inflation. 

Fazit: Eine Prognose mit zwei Fragezeichen 

Wie hoch die Inflation nun in der Normalität kommender Jahre steigen wird, ist schwer zu prognostizieren. Wir bei Fidelity stellen uns aktuell für die kommenden zehn Jahre auf drei Prozent und mehr ein. Ich will nicht verschweigen, dass dieses Basisszenario mit Unsicherheiten behaftet ist. Zunächst ist offensichtlich für niemanden vorhersagbar, ob nach Pandemie und Krieg weitere externe Preisschocks hinzukommen. 

Eines wird allerdings immer wieder als Gegenargument genannt: der Fortschritt. Klar ist, dass technologisch bedingte Effizienz- und Produktivitätssteigerungen in der Vergangenheit immer wieder deflationäre Kräfte entfalten konnten – man denke nur daran, wie preiswert inzwischen die neueste Computertechnik ist. Diese Tendenz wird sich zwar fortsetzen, dabei werden aber keine signifikanten Zuwächse im Vergleich zur Historie erwartet. Die Inflation dagegen könnte sich einnisten. Jedenfalls für dieses Jahrzehnt.

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