Pandemie und Ukraine-Krieg haben offenbart, wie fragil unser Wirtschaftssystem ist. Seitdem verstärken viele Staaten ihre Bemühungen, globale Abhängigkeiten zu reduzieren. Doch die Deglobalisierung ist schon viel länger im Gange.  

Über viele Jahre haben Wirtschaft und Verbraucher von den Vorzügen der Globalisierung profitiert. Die internationale Verflechtung von Produktions- und Wertschöpfungsketten hat den globalen Wohlstand insgesamt deutlich erhöht und Unternehmen Rekordgewinne eingebracht. Die Corona-Pandemie legte dann die Schattenseiten dieser Abhängigkeiten offen. Viele Staaten machten ihre Grenzen dicht, Lieferketten wurden unterbrochen, Läger nicht aufgefüllt, viele Produkte waren plötzlich knapp und die Preise stiegen. Durch den Krieg in der Ukraine und die Wirtschaftssanktionen gegen Russland hat sich die Lage noch einmal dramatisch verschärft. Seitdem prophezeien einige Experten den Anfang vom Ende der Globalisierung.

Tatsächlich befindet sich die Globalisierung aber schon seit einiger Zeit auf dem Rückzug. Zu diesem Ergebnis kommt das Kieler Institut für Weltwirtschaft. Seit den 1970ern erfassen die Ökonomen die wirtschaftliche, soziale und politische Dimension der Globalisierung anhand des KOF Globalisierungsindex. Nach jahrzehntelangem Anstieg bewegt sich der Index seit 2008 seitwärts mit Tendenz nach unten1. Grund ist die Finanzkrise, die das Vertrauen in die Stabilität des globalen Wirtschaftssystems erschütterte. Der internationale Handel ging zurück und die globalen Kapitalströme verringerten sich.

Viele Menschen fragten sich damals, ob der Nationalstaat überhaupt noch in der Lage war, sie vor den negativen Folgen der Globalisierung zu schützen. Auch Unternehmen stellten plötzlich fest, wie krisenanfällig die Märkte durch wirtschaftliche Verflechtungen geworden waren und welche Gefahren sich dadurch für ihren Geschäftsbetrieb ergaben.  

Der Wunsch nach Autarkie 

Es folgten politische Anstrengungen, die eigenen Volkswirtschaften gegen äußere Einflüsse und Krisen zu immunisieren. Die protektionistische Handelspolitik von Donald Trump, der Brexit und Chinas Abnabelung vom amerikanischen Technologiesektor sind nur einige Beispiele einer langjährigen Entwicklung. 

Spätestens der Krieg in der Ukraine hat das Thema „Decoupling“ dann auch in Deutschland und Europa ganz oben auf die politische Agenda gesetzt. Im Gegensatz zu den rohstoffreichen USA ist Deutschland stark auf Energie aus dem Ausland angewiesen. Versorgungsengpässe und astronomisch hohe Energiepreise bremsen hierzulande nicht nur die Konjunktur, sondern könnten das Land sogar in eine tiefe Rezession stürzen. Um uns aus der Abhängigkeit von russischem Öl und Erdgas zu befreien, müssen erneuerbare Energien ausgebaut werden. Die Ampel-Regierung hat die Energiewende deshalb zur Top-Priorität erklärt, zu einem Generationenprojekt, bei dem alle gesellschaftlichen Kräfte an einem Strang ziehen sollen.

Eine fortschreitende Deglobalisierung könnte für Anleger jedoch schwerwiegende Konsequenzen haben. Denn damit verändert sich der gesamte makroökonomische Rahmen, der bisher das Fundament der Investmentstrategie bildete. Daher wird es Aufgabe der Investmentindustrie sein, die laufenden Entwicklungen zu analysieren und einzuordnen sowie verschiedene Zukunftsszenarien zu entwerfen. Die Risiken und Chancen einer sich verändernden Weltwirtschaftsordnung beim Portfoliobau zu berücksichtigen, dürfte eine der größten aktuellen Prioritäten sein.

Fazit

Deglobalisierung ist aktuell in aller Munde, aber kein neues Phänomen. Vielmehr ist diese Gegenbewegung im Welthandel still und leise schon seit über zehn Jahren im Gange. Die Entflechtung der Weltwirtschaft kann Effizienz kosten, macht einzelne Regionen aber auch widerstandsfähiger. Krisen, wie wir sie aktuell erleben, könnten so in Zukunft leichter eingegrenzt werden und global an Relevanz verlieren. Für Anleger entstehen daraus neue Herausforderungen – aber auch neue Chancen für alle, die die Spielregeln der deglobalisierten Welt jetzt erlernen und nutzen.

Quellenangaben:

1 "vbw: Globaler Handel sichert deutschen Wohlstand" - nue-news.de

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