In China begleiten Technologie-Unternehmen die Menschen in ihrem Alltag, die hierzulande kaum jemand kennt. Die Fidelity-Analystin Sherry Qin zeigt in einem Video, welche Apps sie über den Tag verteilt nutzt. Dazu: Die wichtigsten chinesischen Online-Anwendungen im Porträt.

Chinesen können ihren kompletten Tagesablauf übers Smartphone organisieren. „Die Chinesen leben immer mehr online“, bestätigt auch der Fidelity-Analyst Jonathan Tseng im Interview. Konsequenz: Bereits heute ist beispielsweise die E-Commerce-Durchdringung in der chinesischen Bevölkerung doppelt so groß wie in den USA1. Bemerkenswert: Viele der Anwendungen und Unternehmen, mit denen Chinesen jeden Tag zu tun haben, sind hierzulande völlig unbekannt. Und im Gegensatz zu den großen Anbietern der High-Tech-Branche aus den USA konzentrieren sich die chinesischen Technologie-Unternehmen nicht auf wenige spezielle Anwendungen, etwa Social Media oder die Internet-Suche. Der chinesische Technologiekonzern Tencent betreibt beispielsweise mit QQ.com das größte Instant-Messaging-Netzwerk Asiens, mit WeChat Chinas wichtigsten Chat-Dienst, die Suchmaschine SoSo, die Bezahldienste PaiPai und Tenpay sowie den Webbrowser Tencent Traveller. Der Konzern ist damit noch breiter aufgestellt als die US-Giganten Facebook oder Google. Ein ähnlich umfassendes Ökosystem an Dienstleistungen für das Netz betreibt die Alibaba Group. Und so surfen Chinesen völlig anders als Konsumenten im Westen. Einige der wichtigsten Portale und Unternehmen im Porträt:

WeChat – Eine App für alles

Fast eine Milliarde Chinesen nutzen den Dienst, den Zhang Xiaolong 2011 als WhatsApp-Kopie ins Leben gerufen hat. WeChat gehört zum Internetriesen Tencent. Mit 540 Milliarden US-Dollar2 hatte WeChat im Januar 2018 kurzzeitig einen höheren Börsenwert als Facebook. Anfang Februar 2019 lag die Marktkapitalisierung von Tencent bei umgerechnet 422 Milliarden US-Dollar gegenüber 475 Milliarden US-Dollar bei Facebook.3 Inzwischen können Nutzer mit WeChat weitaus mehr als nur chatten: In der App sind 580.000 Miniprogramme von Drittanbietern installiert, mit denen Anwender alles tun können, was im Internet möglich ist. Zum Beispiel bargeldlos bezahlen, Nachrichten lesen oder ein Taxi buchen. Eine App für alles – das ist natürlich bequem.

Allerdings können die chinesischen Behörden auf alle Daten der WeChat-Nutzer zugreifen. Regierungsfeindliche Nachrichten kommen bestenfalls nicht beim Empfänger an, schlimmstenfalls bringen sie den Sender ins Gefängnis. Neu im Repertoire ist die „Deadbeat“ Map“ – eine Anwendung, die jedem Nutzer zeigt, wer in seiner direkten Umgebung seine Schulden nicht bezahlt hat. Die Idee: Druck durch das soziale Umfeld soll die Schuldner zum Zahlen bewegen. Da wundert es nicht, dass die App beim Test von Amnesty International in puncto Datensicherheit mit 0 von 100 Punkten4 durchgefallen ist. Dennoch probt das Unternehmen seine Expansion gerade auf deutschem Boden. Am Münchener Flughafen können Kunden bereits mit WeChat bezahlen. Vorerst richte sich das Angebot primär an chinesische Touristen, schrieb die Frankfurter Allgemeine Zeitung zum Marktstart vor rund einem Jahr.

Baidu: Chinas Antwort auf Google

Google und alle dazugehörigen Dienste sind in China seit Jahren gesperrt. Wenn Chinesen etwas im Internet suchen wollen, nutzen sie stattdessen die Suchmaschine Baidu. Vor 19 Jahren gründete Robin Li das Unternehmen als kleines Start-up. Heute ist Li in China ein Star und Baidu stand Anfang Februar 2019 mit einem Börsenwert von über 60 Milliarden US-Dollar hinter Alibaba und Tencent auf Platz drei der chinesischen High-Tech-Unternehmen5. Baidu ist auch längst mehr als eine Suchmaschine. Der Internetriese versorgt beispielsweise deutsche Automobilhersteller wie Daimler mit der Technik für selbstfahrende Autos und investiert stark in künstliche Intelligenz, ganz nach Googles Vorbild. Indes wurde 2018 gemunkelt, dass Google mit einer zensierten Version zurück ins Reich der Mitte wolle. Immerhin entgeht dem Online-Giganten dort mit 800 Millionen Internetnutzern ein enorm großer Markt. Zum Jahresende 2018 wies Google-Chef Sundar Pichai solche Spekulationen zurück. Somit bleibt Baidus Stellung als chinesischer Marktführer für Internetsuchen vorerst unangefochten. Weltweit betrachtet hat Google mit fast 90 Prozent Suchmaschinen-Marktanteil aber immer noch die Nase vorn.

Meituan Dianping – der Lieferservice plus

Wer in China Essen bestellt, ein Hotel sucht oder einen Reisegutschein ergattern will, bucht oft über Meituan Dianping. Die Dienstleistungs-App gehört zu den Top Vier der wertvollsten Start-ups der Welt und hat in China 350.000 regelmäßige Nutzer. In Deutschland ist das Unternehmen nahezu unbekannt. Einst konzentrierte sich Dianping auf Essenslieferungen und Restaurantbewertungen, war also eine Art chinesisches Yelp. 2015 kaufte Meituan die Website auf, so entstand Meituan Dianping. Meituan hat als Discount-Plattform angefangen, ähnlich wie Groupon. Dann entwickelte sich die Website zu einem Rundum-Ökosystem. Im vergangenen Jahr ging der Online-Riese Meituan Dianping an die Börse. Anfang Februar 2019 hatte das Unternehmen einen Börsenwert von umgerechnet 41 Milliarden US-Dollar6 und mit Tencent einen chinesischen Online-Giganten als Investor im Rücken. Doch muss sich das Unternehmen warm anziehen: Alibaba, der im Westen bekannteste Internetgigant aus China, hat den Großteil seiner früheren Anteile an Meituan verkauft und baut gerade mit Ele.me die Konkurrenz auf. Indes erweitert Meituan Dianping sein Angebots-Spektrum – im vergangenen Jahr zum Beispiel durch den Fahrraddienstleister Mobike:

Bikesharing mit Mobike

Über den chinesischen Dienst Mobike können Nutzer Fahrräder ausleihen und per App bargeldlos bezahlen. Kostenpunkt: Ein Euro für 20 Minuten Fahrt. Lange steckte das Unternehmen in der Krise. Nutzer stellten Fahrräder nicht ordnungsgemäß ab und so häuften sich Beschwerden über Chaos durch Fahrradtürme. Außerdem konnte das Unternehmen seine Schulden nicht begleichen. Doch Meituan Dianping übernahm Mobike im April 2018 für 2,7 Milliarden US-Dollar und half dem Unternehmen damit aus der Krise. Darum wird Mobike bald seinen Namen in Meituan Bike ändern. Die orange-silbernen Leihräder sind auch in Deutschland unterwegs – in Berlin, Köln, Hannover und Düsseldorf gehören sie inzwischen zum Stadtbild. Berliner Datenschützer haben das chinesische Unternehmen jedoch im Visier. Die Beauftragten verdächtigen Mobike, unzulässig Nutzerdaten an China weiterzusenden. Auch ein Punkte-System in der App, die das Nutzerverhalten bewertet, sehen die Datenschützer kritisch.

Onlinehandel mit Alibaba

Von Möbeln bis Make-up: Wenn es um Onlineshopping geht, ist Alibaba mit seinem breit aufgestellten Warenangebot häufig die erste Anlaufstelle der Chinesen. Mit drei verschiedenen E-Commerce-Plattformen deckt die Alibaba Group unterschiedliche Bedürfnisse ab: Alibaba ist der chinesische Marktplatz für Business-to-Business-Handel. Bei Ali-Express, dem chinesischen Pendant zu Amazon, finden Endkunden Produkte von Händlern. Für den Privathandel à la Ebay bietet Alibaba die Website Taobao. Alibaba wurde vor 20 Jahren vom früheren Englischlehrer Jack Ma gegründet. Heute ist er der reichste Mann Chinas, sein Unternehmen war Anfang Februar an der Börse umgerechnet 433 Milliarden US-Dollar7 wert. Mit über einer halben Milliarde aktiven Nutzern weltweit erreicht Alibaba mehr Menschen als Amazon mit seinen gut 300 Millionen aktiven Nutzern.

Ant Financial: Finanzmanagement to go

Während die Deutschen noch hartnäckig am Bargeld festhalten, hat sich in China das Bezahlen mit Smartphone längst durchgesetzt . Meist nutzen die Chinesen Alipay, den mobilen Bezahldienst der Alibaba Group. 700 Millionen Nutzer hat die Website, sie ist damit der weltweit größte Anbieter. Zum Vergleich: Paypal zählt knapp 270 Millionen Nutzer, Apple Pay 250 Millionen. Alipay ist Teil von Ant Financial, einer Tochtergesellschaft der Alibaba Group. Das Unternehmen wurde 2004 gegründet, um das Bezahlen auf den Handelsplattformen Alibaba und Taobao zu erleichtern. Heute bietet es mehrere Dienste im Fintech-Bereich an. Neben dem mobilen Bezahlen können Nutzer beispielsweise über die App Ant Fortune von unterwegs aus in Aktien investieren, mit der Anwendung Sesame Credit freiwillig ihre Bonität berechnen lassen. Alipay wird bereits in 20 europäischen Ländern als Bezahlmethode akzeptiert. Allerdings ist die Nutzung bisher Chinesen vorbehalten. Das könnte sich bald ändern: Experten spekulieren, dass es in Luxemburg Verhandlungen um eine neue Lizenz gibt, die es bald auch Europäern erlauben könnte, Ant Financial zu nutzen.

Uber-Rivale Didi Chuxing

25 Millionen Mal am Tag bringt Didi Chuxing Chinesen von A nach B. Damit ist das Unternehmen Chinas Marktführer in Sachen Fahrdienstleistungen. Per App können Nutzer einen Mitfahrdienst bestellen und den Fahrer bargeldlos bezahlen. 2016 konnte das Start-up den Konkurrenten Uber China kaufen. Ähnlich wie andere chinesische High-Tech-Unternehmen setzt Didi auf ein Potpourri an Dienstleistungen. Kunden können mit dem Anbieter auch Taxis rufen oder einen Mietwagen reservieren. Doch damit nicht genug: Didi Chuxing entwickelt auch eigene Elektroautos. Hierbei arbeitet das Unternehmen unter anderem mit Volkswagen und dem großen chinesischen Fahrzeughersteller BAIC zusammen. Ziel ist es, autonom fahrende E-Autos für Didis eigenen Gebrauch zu produzieren.8 Damit trägt der Dienst seinen Teil zum aktuellen Regierungsplan für die weitere Entwicklung des Staates bei: Bis zum Jahr 2020 soll in China die Hälfte aller Neuwagen autonom fahren.9


Die im Beitrag genannten Unternehmen dienen lediglich der Illustration des Themas und sind nicht als Anlageempfehlung gedacht. Ihre Nennung bedeutet nicht, dass sie als Position für unsere Portfolios in Frage kommen.

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