Carsten Roemheld: Die Ingenieurskunst hierzulande genoss über ein Jahrhundert lang weltweit einen exzellenten Ruf. Deutsche Autos waren jahrzehntelang begehrt und galten im Ausland als Statussymbol. Die Automobilbranche wurde zu einem der wichtigsten Wirtschaftszweige des Landes. Doch die letzten Jahre haben die Autobauer schwer gebeutelt. Wenn es um Elektromobilität geht, scheinen sie der Konkurrenz aus China hinterherzufahren. Und eine zunehmend protektionistische Handelspolitik vieler Staaten erschwert das internationale Geschäft. Die Konsequenzen davon sind jetzt spürbar: VW denkt über Lohnkürzungen und Werksschließungen nach. Ford schickte seine Angestellten in Kurzarbeit. Der Zulieferer Bosch plant Stellenabbau. Und auch bei Continental läuft es nicht mehr rund. Doch wie dramatisch ist die Lage wirklich? Was hat uns eigentlich in die Krise geführt und wie kann sich die Branche wiederbeleben? Darüber spreche ich mit Heike Proff. Sie ist Professorin und Lehrstuhlinhaberin für Allgemeine Betriebswirtschaftslehre und Internationales Automobilmanagement an der Universität Duisburg-Essen. Dort beschäftigt sie sich vor allem mit den Konflikten und Herausforderungen, die die aktuelle Transformation zur E-Mobilität mit sich bringt.
Heute ist der 11. März 2025. Mein Name ist Carsten Roemheld, ich bin Kapitalmarktstratege bei Fidelity und Sie hören den Fidelity Kapitalmarkt Podcast. Und ich freue mich sehr auf Antworten auf diese und weitere spannende Fragen in den kommenden 45 Minuten mit Heike Proff. Herzlich willkommen und guten Morgen!
Heike Proff: Guten Morgen und vielen Dank für die Anmoderation.
Carsten Roemheld: Sehr gerne. Bevor wir uns anschauen, wie die aktuelle Lage ist, gehen wir noch mal ein paar Schritte zurück. Was haben denn die deutschen Automobilbauer eigentlich falsch gemacht? Oder haben sie den Anschluss irgendwo verpasst? Haben sie irgendwelche Trends und Entwicklungen nicht gesehen, die uns aktuell so ein bisschen verfolgen?
Heike Proff: Tja, wie lange haben wir Zeit…? Ich glaube, das ist eine Geschichte eines sehr späten Starts der deutschen Automobilindustrie. Die Elektromobilität wurde sehr lange negiert und dann wurde sehr langsam gestartet. Also keinesfalls haben sie früh begonnen. Und die erste Generation der deutschen Elektrofahrzeuge ist auch keinesfalls auf dem qualitativen Niveau gewesen, auf dem das die Verbrenner sind, die die deutschen Hersteller normalerweise hinbekommen. Und dann ist es so, dass sie Elektrofahrzeuge entwickelt haben, die sehr groß sind: große, teure Fahrzeuge. Das ist verständlich, weil sie da die größten Margen haben. Aber damit ist die Gruppe der Käufer, die sie ansprechen, nicht besonders groß. BMW hat zum Beispiel als Premiumanbieter in seinem Absatzportfolio etwa 25 Prozent Elektrofahrzeuge bisher, also Hybridfahrzeuge und EVs. VW sogar nur 12 Prozent. Und dann ist das eben spät gestartet, langsam gestartet, mit einer falschen Modellpolitik – und jetzt suchen sie die Schuldigen woanders: Die Ladeinfrastruktur kommt nicht hinterher oder die Politik unterstützt nicht genug. Aber ich glaube, es liegt eher daran, dass sie einfach ein bisschen träge in das Thema gekommen sind.
Carsten Roemheld: Jetzt haben wir zum Beispiel von Porsche zuletzt gesehen, dass sie wieder etwas zurückgetreten sind von der Strategie, allein Elektromodelle anzubieten. War es denn aus Ihrer Sicht ein Fehler, sich grundsätzlich so auf Elektromobilität zu versteifen? Oder halten Sie das nach wie vor für den richtigen Ansatz?
Heike Proff: Na ja, auf die Elektromobilität hat sich ja die deutsche Autoindustrie gar nicht versteift. Aber dass es einen Wandel hin zu der Elektromobilität geben muss, allein wenn wir unser Klima sehen, das ist schon klar. Von daher: Nein, es war kein Fehler. Es hätte eher konsequenter gemacht werden müssen.
Carsten Roemheld: Sie halten also den teilweisen Rückzug von E-Auto-Weg für nicht ganz richtig, wie ihn Porsche jetzt zum Beispiel macht.
Heike Proff: Also eigentlich wäre es sinnvoller, es konsequenter weiterzuführen, ja.
Carsten Roemheld: Schauen wir auf China, denn China ist ja einer der härtesten Wettbewerber und sicherlich dominant im Bereich der Elektromobilität. Dort steht vor allem VW auch im harten Wettbewerb mit der chinesischen Konkurrenz. BYD zum Beispiel hat bei Elektro- und Hybridfahrzeugen zuletzt einen Marktanteil von fast 35 Prozent im chinesischen Markt, VW liegt deutlich unter 3 Prozent, Tendenz weiter rückläufig. Warum tun sich die deutschen Autobauer dort so besonders schwer?
Heike Proff: Eigentlich weil alles, was ich gerade gesagt habe, was die Deutschen ein bisschen langsam gemacht haben, die Chinesen halt sehr viel schneller machen. Und es gehört auch zur Wahrheit, dass die Deutschen einfach die Kundenbedürfnisse in China nicht richtig gesehen haben. Sie waren eigentlich ziemlich gut auf dem chinesischen Markt mit den traditionellen Fahrzeugen. Die wurden dort gekauft, „Benzi“ etwa heißt auf Chinesisch auch immer noch: schönes Fahrzeug. Nur sind die ersten Elektrofahrzeuge dort halt vollkommen gefloppt, wenn man beispielsweise den EQE oder EQS von Mercedes sieht, die finden dort einfach keinen Absatz. Und die Chinesen setzen sehr viel stärker auf die Elektromobilität. Da sind jetzt schon über 40 % der Neuwagen Elektrofahrzeuge, damit richten die sich viel mehr darauf aus. Der ganze Markt in China hat da voll Geschwindigkeit aufgenommen. Die Deutschen sind einfach da noch nicht richtig angekommen.
Carsten Roemheld: Das liegt sicherlich auch daran, wo das Autofahren herkommt. Hierzulande ist man eher an einem schnellen und guten Transport von A nach B interessiert, in China ist das Konzept ein völlig anderes. Es ist eher so ein Smartphone auf Rädern. Man konstruiert das ganze Auto um den Faktor der Bequemlichkeit herum, der Nützlichkeit. Ist auch das ein Grundproblem, dass die deutschen Automobilbauer dieses Elektroauto einfach nicht strukturell anders gedacht haben, sondern vielmehr versucht haben, das traditionelle Auto elektrisch zu machen?
Heike Proff: Ja, auf jeden Fall. Die ganze Kultur ist anders in China. Und Hochleistungsfahrzeuge, die Spitzengeschwindigkeiten erreichen, braucht man nicht, wenn man da nur 120 fahren kann. Und es ist schon erstaunlich zu sehen, wie die Chinesen ihr Auto nutzen, vielleicht, weil sie so viele Menschen sind, so wurde es mir jedenfalls erklärt, in der Mittagspause sich in ihr Fahrzeug zurückziehen und dort dann spielen. Oder Serien gucken oder chatten oder was auch immer. Damit betrachten sie das Auto eigentlich, wie Sie sagen, als Smartphone auf Rädern und nutzen es auch genauso. Und das haben die Deutschen noch nicht richtig begriffen. Sie haben das traditionelle Segment in China gut bedient, aber jetzt gibt es eine neue Generation von Chinesen, und die wünschen sich eben dieses Smartphone auf Rädern. Der durchschnittliche Erstkäufer in China ist 34 Jahre alt, in Deutschland ist er 54. Das ist einfach eine neue Generation. Die können sich viel früher die Autos leisten und wollen andere Fahrzeuge, haben andere Ansprüche. Und das haben die deutschen Hersteller so einfach noch nicht erfüllt, diese Wünsche. Es ist auch schwierig, weil der deutsche Kunde sie so nicht haben will.
Carsten Roemheld: Das finde ich jetzt schon eine spannende Idee - das Auto als Rückzugsort, als Ort der Ruhe, wo man sich zurückziehen kann, seine eigenen vier Wände hat und vielleicht sich ein bisschen entspannen kann. Das ist natürlich ein völlig anderes Konzept.
Heike Proff: Leder und Wurzelholz zieht in China jedenfalls überhaupt nicht mehr. Oder höchstens vielleicht bei alten Chinesen noch.
Carsten Roemheld: Jetzt drängen ja auch immer mehr chinesische Hersteller auf den europäischen Markt. Und wir haben den kompletten Übergang noch gar nicht gesehen. Die Chinesen machen das ja noch mit relativ gedämpftem Schaum. Wo die Zollpolitik aus den USA den Chinesen immer weniger Möglichkeiten bietet, nach USA zu exportieren, sucht man da jetzt andere Absatzgebiete? Da ist Europa natürlich sehr geeignet als möglicher Absatzmarkt für die Autos aktuell.
Heike Proff: Ja, es gibt natürlich auch in der EU-Zölle, vielleicht jetzt nicht so hohe wie in den USA, aber die werden jetzt auch andiskutiert. Ich glaube, es ist eher so: Es gab im letzten Jahr fast 100 verschiedene Automarken in China, und die meisten davon gibt es noch immer, aber sie sind alle nicht ausgelastet. Also die chinesischen Automarken sind im Schnitt nur bis zu 60 Prozent ausgelastet, und daher suchen sie natürlich neue Absatzmöglichkeiten. Das heißt: Die Chinesen, die vor der Pandemie gar kein Nettoexporteur waren, eigentlich kaum exportiert haben, haben im letzten Jahr schon fünf Millionen Fahrzeuge exportiert, einfach um ihre großen Kapazitäten zu nutzen. Ja, ich weiß, sie drängen nach Europa, aber so richtig dramatisch ist es natürlich noch nicht. Sie haben hier in Europa gerade mal den Marktanteil von im letzten Jahr 3 Prozent. Sie gehen auch in andere Märkte. Sie sind zum Beispiel Gewinner des Ukraine-Kriegs, also dort, wo sich die Europäer und die Amerikaner zurückgezogen haben, in Russland nämlich, da sind sie eingesprungen und setzen fast 1 Million Fahrzeuge ab. Und sie drängen in die anderen dieser sogenannten BRIC-Märkte, nach Brasilien vor allem.
Carsten Roemheld: Heißt das, dass die Lage für die deutschen Automobilhersteller noch viel dramatischer werden könnte, wenn nämlich die Chinesen mit größerer Dynamik versuchen, hier in den Markt einzudringen? Weil sie ja offensichtlich ein ganz gutes Konzept für günstige Elektroautos haben?
Heike Proff: Also im Moment tun sich die Chinesen noch ziemlich schwer. Sie haben noch nicht richtig verstanden, wie unser Markt hier tickt. Sie haben auch versucht, die deutschen Hersteller da anzugreifen, wo sie stärker stark sind, nämlich in den oberen Marktsegmenten, aber noch nicht begriffen, dass es bei uns auch um Dinge wie Leasing geht, um Wiederverkaufswert, um Gebrauchtwagen, weil all das in China keine Rolle spielt. Auch mit ihrem Agenturmodell, also dass man praktisch ein Fahrzeug konfiguriert, dann ausgeliefert bekommt und gesagt kriegt: steuer das über dein Smartphone, damit kommen sie beim deutschen Kunden auch nicht so gut an. Nun gut, wir haben ja eben auch gesehen, der deutsche Kunde ist 20 Jahre älter als der durchschnittliche chinesische Kunde. Aber die Chinesen können natürlich lernen und darauf zielte ja ihre Frage: Also, kann das auch noch dramatischer werden? Das kann es natürlich schon. Im Moment ist es noch nicht so schlimm, 3 Prozent Marktanteil ist noch nicht viel und sie haben noch gewaltige Probleme. Aber wenn sie das gelernt haben, kommen sie natürlich hier schon deutlich mit Macht nach Deutschland und Europa.
Carsten Roemheld: Wir stellen das fest in der Beobachtung von China, dass dort im Moment eine enorme Zurückhaltung besteht, was den Konsum betrifft. Weil die Chinesen im Moment durch Immobilienkrise und so weiter bei den privaten Finanzen relativ stark gebeutelt sind. Sieht man das auch am Automobilmarkt? Sprich: Haben die Chinesen auch im Automobilbereich im Moment ein bisschen Absatzprobleme im heimischen Markt? Können Sie das auch dort feststellen?
Heike Proff: Die chinesische Wirtschaft krankt. Der geht es gerade nicht gut, auch gerade den jungen Leuten, also den Erstkäufern. Die Jugendarbeitslosigkeit von Akademikern ist sehr hoch, denn die, die von der Uni kommen, werden nicht mehr so gebraucht, weil die KI schon so weit ist, dass man eigentlich nur Menschen mit Berufserfahrung braucht. So haben es mir meine Kollegen erklärt, die sich Gedanken darüber machen, was sie mit ihren Hochschulabsolventen machen. Und sie haben dann natürlich auch Probleme, Autos zu kaufen. Also im Moment ist die Lage in China nicht so gut.
Carsten Roemheld: Kommen wir mal auf die aktuelle Lage hierzulande zu sprechen. Die Stimmung ist relativ schlecht, gerade heute Morgen habe ich gelesen, VW hat einen Gewinneinbruch bekannt gegeben. Wahrscheinlich müssen auch Einschnitte bei der Dividende verzeichnet werden. Heute ist der 11. März, noch mal zur Information, falls das später irgendwann gehört wird. Viele Unternehmen kündigen Stellenabbau an oder Lohnkürzungen. Das Ifo-Institut hat gesagt, das Geschäftsklima der Branche zum Jahresanfang hat ein neues Tief erreicht. Die Industrie sorgt sich um die Wettbewerbsfähigkeit. Das haben wir jetzt alles schon besprochen. Der Ökonom Moritz Schularick vom Kieler Institut für Weltwirtschaft hat neulich in einem Interview davon gesprochen, dass möglicherweise nicht alle deutschen Automarken bis zum Ende des Jahrzehnts durchhalten werden. Halten Sie seine Prognose für realistisch?
Heike Proff: Die Lage ist schlecht. Krieg und Zölle, kein Haushalt, im Moment haben wir keine Regierung. Es herrscht insgesamt große Unsicherheit, das sind natürlich schon große Probleme. Dazu kommt der Druck zur Dekarbonisierung und dazu verstärkt mit Software für autonomes Fahren umzugehen. Deswegen sind diese ganzen Restrukturierungsprogramme, die Sie gerade genannt haben, auch der Stellenabbau, im Moment unumgänglich. Das ist sicherlich so. Und die Hersteller investieren eben mehr im Ausland als im Inland, wo die wachsenden Märkte sind, aber auch aufgrund der neuen Zölle, die es zum Beispiel jetzt aus den USA gibt. Aber wenn man auf Ihre Frage zurückkommt, ob es jetzt weniger Marken geben wird: Ich meine, es gibt immer die Diskussion, ob vielleicht BMW und Mercedes sich zum Beispiel irgendwie zusammentun. Aber so richtig sieht man das ja noch nicht. Da, wo sie es bisher versucht haben, beim Carsharing zum Beispiel oder auch beim autonomen Fahren, klappt das nicht so richtig gut. Das sind einfach unterschiedliche Unternehmenskulturen, die da aufeinandertreffen. BMW ist ein bisschen konsensualer, da wird alles x-mal abgestimmt. Bei Mercedes herrscht mehr so eine Hero-Culture vor, wo einzelne entscheiden. Das geht nicht so gut zusammen. Also: Ja, das wird immer wieder diskutiert. Es ist nicht auszuschließen. Aber ich sehe es sich im Moment noch nicht wirklich andeuten.
Carsten Roemheld: Weil Sie es auch gerade angesprochen hatten: Wir haben keine Regierung momentan, aber es sind natürlich schon sehr viele Pläne im Umlauf, wie stark hier bald investiert werden soll. Verteidigung war eine Sache, aber Infrastruktur eine andere. Sehen Sie eine Möglichkeit, wie die Automobilbauer von einem Investitionsboom beim Thema Infrastruktur nachhaltig profitieren könnten?
Heike Proff: Grundsätzlich die Infrastruktur auszubauen, das ist schon mal gut. Noch besser wäre es aber, auch die Forschung noch stärker zu fördern, in der Mobilität, in der Transformation, vor allem natürlich auch hin zum hochautomatisierten und dann autonomen Fahren. Weil ja überall Fahrer fehlen, die fehlen in unseren Bussen, die fehlen in unseren On-Demand-Fahrzeugen. Da die Forschung stärker zu fördern, das wäre schon sehr gut.
Carsten Roemheld: Dann wollen wir mal hoffen, dass da ein gewisser Impuls kommt von einer neuen Bundesregierung, der auch die Automobilbranche positiv mitnimmt.
Heike Proff: Auch bei der Batterieforschung übrigens.
Carsten Roemheld: Genau, bei alle möglichen Zukunftstechnologien. Nun diskutiert die EU-Kommission darüber, ob man den Herstellern vielleicht etwas mehr Flexibilität bei der Umsetzung des Green Deals einräumen sollte. Etwa durch die Erlassung von Strafen, die man normalerweise zahlen müsste, wenn Grenzwerte überschritten werden bei den Flottenemissionen. Hilft auch das? Oder bremsen solche Vorschläge die Transformation und die Wettbewerbsfähigkeit eher aus?
Heike Proff: Das ist natürlich ein zweischneidiges Schwert. Eigentlich hat man sich ja 2019, also vor sechs Jahren, darauf verständigt, dass das verschärft wird - die CO2-Grenzwerte jetzt 2025 und dann noch mal 2030. Und dass es da diese Strafzahlungen geben wird. Seit letztem Jahr fordern nun einige Hersteller, dass man das aufhebt, andere aber nicht. Und genau das ist ein bisschen das Problem: Die EU-Kommission hat jetzt gesagt, wir machen das, also wir halten die Grenzwerte aufrecht, aber wir schieben sie um drei Jahre. Das heißt, dann ist eine gewisse Flexibilität da, die Strafzahlungen werden auch nicht in diesem Jahr fällig, sondern man kann noch bis zum übernächsten Jahr, wo neue Modelle kommen, warten.
Das ist natürlich so eine Sache: Sind das jetzt Managementfehler, die da korrigiert werden? Ich habe ja schon gesagt: Es haben einige Hersteller sich dafür eingesetzt, aber nicht alle. BMW zum Beispiel und Stellantis, wo Opel auch dazu gehört, die waren auf einem guten Weg, dieses Jahr die CO2-Grenzwerte einzuhalten. Die brauchen das also gar nicht. Während VW und Ford, die da noch über 20 Prozent drüber liegen, das selbst bei großen Anstrengungen wohl nicht geschafft hätten – die waren natürlich sehr dafür. Jetzt kann man sagen, das ist seit sechs Jahren bekannt, das waren bindende Verpflichtungen, und wenn das Management das nicht hingekriegt hat, dann kann doch nicht die Allgemeinheit dafür einstehen, dass die das nicht geschafft haben. Man kann umgekehrt auch sagen: Es waren halt auch nur sechs Jahre Zeit. Es ist eine neue Technologie. Und wenn die erste Generation der Fahrzeuge nicht richtig gut ankommt, dann hat man natürlich ein Riesenproblem, wie das ja einige deutsche Hersteller auch haben. Ob das die VW-Fahrzeuge sind oder die Mercedes-Fahrzeuge, die dann nicht wirklich ankommen. Eigentlich, das als kleinen Einschub, sind das leider die Fahrzeuge, bei denen die Hersteller besonders mutig waren, wo sie nämlich ganz neue Elektrofahrzeuge konzipiert haben – während etwa BMW mit einer etwas traditionelleren Politik nur E-Motoren in die traditionellen Modelle eingesetzt hat und damit viel besser gefahren ist.
Carsten Roemheld: Da ist schon was dran: Jetzt als Europäische Union einfach hinzugehen und zu sagen, die CO2-Grenzwerte für Flotten zählen erst mal nicht. Ihr könnt also weiter straffrei massenhaft Autos mit Verbrenner-Motoren verkaufen; das würde vermutlich genau die falschen Anreize setzen. Und letztlich der deutschen Autoindustrie vielleicht sogar mehr schaden als nutzen. Denn deren künftige Wettbewerbsfähigkeit hängt nun einmal daran, den Übergang in die Elektromobilität jetzt so schnell wie möglich zu schaffen – ohne dass die EU auf einmal eine Verzögerung zulässt. Andererseits: Auch wenn der Verkauf umweltschädlicher Autos nun erst mal keine Strafen nach sich zieht, ist es deshalb ja nicht verboten, trotzdem auf neue, umweltfreundlichere Technologie umzusteigen. So ließe sich dann womöglich auch der Vorsprung aufholen, den Hersteller aus China weltweit herausgefahren haben. Kein Autohersteller muss dafür auf Regulierungsschritte aus der EU warten.
Im zweiten Teil dieser Podcast-Folge spreche ich mit internationalen Automarkt-Kennerin Heike Proff weiter darüber, welche Stärken die Deutschen Autobauer noch zu bieten haben, über die Tradition vom schönen Benz mit Leder und Wurzelholz hinaus. Wir reden über die Zukunft der hiesigen Batterieentwicklung. Über den Schaden, den die US-Zölle anzurichten drohen. Und darüber, warum brasilianische Taxifahrer neuerdings für BYD schwärmen. Bis hierher schon mal ganz herzlichen Dank, liebe Frau Proff, für die kenntnisreiche und differenzierte Einordnung der Lage unserer Autoindustrie. Und an Sie, liebe Zuhörerinnen und Zuhörer, geht die Bitte: Mailen Sie mir gern Ihre Anregungen und Kommentare dazu. Den Kontakt finden Sie wie immer in der Podcast-Beschreibung. Wenn Ihnen unser Podcast gefällt, abonnieren Sie ihn und empfehlen Sie uns weiter. Das geht auch über Likes und positive Bewertungen bei Ihrem Podcast-Programm. Wir hören uns im zweiten Teil.
Teil II:
Carsten Roemheld: Die deutsche Autoindustrie steckt in der wohl größten Krise ihrer Geschichte. Die Gewinne sind eingebrochen, der Absatz schwächelt, Zölle bedrohen den Export. Wie kommen wir da raus? Welche Chancen haben wir noch gegenüber den neuen Wettbewerbern aus Fernost? Wie geht es in den USA weiter, wenn Trump seinen protektionistischen Kurs fortsetzt? Und was sagt uns der Trend zu chinesischen Taxis in Brasilien über die Lage der Autowelt? Über all das spreche ich im Fidelity Kapitalmarkt Podcast mit Heike Proff. Sie ist Professorin für Internationales Automobilmanagement an der Universität Duisburg-Essen und, wie Sie hören werden, eine exzellente Kennerin der weltweiten Produktions- und Absatzmärkte im Automobilsektor. Im ersten Teil unseres Gespräches haben wir bereits darüber gesprochen, warum die traditionelle Premiumstrategie von Mercedes, BMW und Co. in China so wenig verfängt. Und was umgekehrt den chinesischen Herstellern noch fehlt, um in Europa vorn mitzufahren.
Zum zweiten Teil dieser Podcast-Folge komme ich noch einmal auf die berühmten EU-Flottenemissionsziele zurück, über die wir zuletzt gesprochen haben. Sie sagten, es waren gar nicht alle Hersteller so begeistert, als die EU-Kommission anfing, laut darüber nachzudenken, die eigentlich beschlossenen Strafzahlungen für Hersteller, die die CO2-Ziele nicht erreichen, doch noch mal auszusetzen. Also noch mal: Was ist daran so problematisch, wenn die EU den Autoherstellern Strafen erlässt?
Heike Proff: Also es ist eigentlich schon ein Ausgleich von Managementfehlern. Zugleich ist es so: Die CO2-Grenzwerte jetzt wieder aufzuweichen hat fatale Signale fürs Klima, denn E-Autos sind halt einfach die emissionsärmeren Fahrzeuge im Betrieb, auf jeden Fall in den Innenstädten. Und das hat natürlich auch Einfluss auf den Absatz. Als Kunde höre ich schon wieder: Ja, das kommt doch vielleicht doch nicht so schnell, dann überlege ich, ob ich wirklich ein neues E-Fahrzeug fahre oder ob ich nicht doch noch mal einen Verbrenner kaufe. Auch aus Wettbewerbssicht: Hinter so etwas kann man sich ja auch immer ein bisschen verstecken. Klar, die Ziele sind nicht ausgesetzt. Aber es ist nicht gerade das, was Anstrengungen so richtig pusht. Eigentlich sind es in jedem Entwicklungsprozess immer die strikten Vorgaben, die neue Technologien und neue Entwicklungen treiben. Und wenn man den Start-of-Production eines Fahrzeugs verschiebt, bedeutet das auch immer immense Anpassungskosten. Das ist auf jeden Fall ein Problem. Harte Vorgaben als Fixpunkt sind also eigentlich sehr wichtig.
Andererseits muss man vielleicht sehen, und deswegen ist es wahrscheinlich auch passiert, dass es in China einen Staat mit einer missionsorientierten Wirtschaftspolitik gibt, der stützt. Und bei uns gibt es Strafen. Wenn man das so sieht, kann man sagen, ein bisschen rauszuzögern ist vielleicht doch notwendig. Ich will damit nur sagen: Es ist ein zweischneidiges Schwert. Es ist verständlich, dass sie es gemacht haben. Es hilft nur einigen, anderen weniger. Und es sollte wirklich nur begrenzt sein. Denn sonst sendet das fatale Signale für Klima, Absatz und Wettbewerb.
Carsten Roemheld: Sie haben meine nächste Frage schon vorweggenommen: Dass die Chinesen ihre Industrie stark subventionieren und bei uns das Gegenteil passiert – wie man da wohl mithalten kann. Ich habe Sie so verstanden: Sie plädieren ganz klar für eine weitere strikte und klare Zielvorgabe in diesen Bereichen. Auch nicht dafür, das Verbrenner-Verbot zu verschieben oder sonstige Dinge. Sondern einfach konsequent weiterzugehen auf dem Weg, weil sonst keine Transformation nachhaltiger Art stattfinden kann.
Heike Proff: Was Sie gerade sagen ist ja, dass die Chinesen auf der anderen Seite natürlich konsequent weitergehen und somit irgendwann Wettbewerber, die sowieso schon vorn dran sind, dann noch viel weiter voran sind. Sie beherrschen die ganze Lieferkette, sind ja zum Beispiel bei der Batterie voll und ganz dabei, und haben damit Tausende von Euro Vorteile gegenüber deutschen Herstellern. Die können Skalenvorteile nutzen. Wir haben einen Markt an Elektrofahrzeugen in China, der ist so groß wie unser europäischer Markt, nur dass bei uns vor allem Verbrenner abgesetzt werden. Und auch in der Entwicklung: Sie werden halt wirklich massiv gestützt. Diese missionsorientierte Politik, die sagt: Das ist jetzt hier ein Technologiefeld, das wir fördern wollen, da geben wir jetzt sehr viel Geld hinein und dann gucken wir mal, was rauskommt. Und dann ziehen sie sich hoffentlich irgendwann auch wieder raus. Aber das ist natürlich eine ganz andere Art der Förderung.
Damit haben die Chinesen auch die Patenthoheit inzwischen. Das haben wir uns jetzt in einem Forschungsprojekt noch mal genauer angeguckt, wie weit sie eigentlich bei vielen Patenten schon sind. Wer die Patente beherrscht, der beherrscht nämlich nicht nur die neuen Technologien, der setzt das dominante Design, die Standards und all das und treibt es voran. Das zeigt sich jetzt schon sehr deutlich. Nun kann man natürlich fragen, ist es in China denn wirklich so toll? Eben habe ich ja selbst gesagt: Hohe Jugendarbeitslosigkeit, dem Land geht es nicht so gut, sie kennen den europäischen Markt noch nicht… Das hatten wir alles gerade. Ich will die Chinesen jetzt nicht in den Himmel jubeln, aber trotzdem darf hier in Europa jetzt nicht alles wieder angehalten oder verzögert werden. Das hilft sicher gar nicht.
Carsten Roemheld: Sie haben schon recht. Was die Chinesen einfach anders machen, ist: Wenn sie einen Weg einschlagen, gehen sie den konsequent, sehr massiv und mit großer Dynamik. Und wir haben immer dieses Zögerliche und überlegen noch mal, war das jetzt richtig, ziehen auch wieder zurück. Das können die Chinesen in anderer Art und Weise durchziehen. Das bringt mich noch zu einer anderen Frage, auch weil Sie gerade von den Batterien sprachen. Die sind ja mit Abstand der wichtigste Faktor bei der Elektromobilität, sicherlich auch der teuerste, nachdem Getriebe und alle möglichen anderen Dinge keine große Rolle mehr spielen. Haben wir in Europa oder Deutschland überhaupt eine Chance, bei der Batterietechnologie wieder mitzuspielen? Haben wir die Rohstoffe? Haben wir die Kapazitäten? Die Möglichkeiten, im Batteriebereich wieder auf Augenhöhe zu spielen? Oder ist das schwierig? Sie sagten ja auch schon, mehr Forschungsgelder müssen für die Batterieforschung locker gemacht werden. Gibt es da eine Chance, den Anschluss zu finden?
Heike Proff: Na ja, wenn die Batterieforschung in Deutschland, zum Beispiel große Batteriecluster auch mit VW, konsequent weitergemacht wird, vielleicht auch aus der Rohstoffrückgewinnung, also aus der Kreislaufwirtschaft heraus – das sind schon große Anstrengungen. Und die Chinesen sind da schon sehr weit. Also wenn, dann geht das nur konsequent und nicht zögerlich.
Carsten Roemheld: Lassen Sie uns noch mal auf die Handelspolitik kommen. Wir haben viel über China gesprochen, aber USA ist natürlich auch ein ganz wichtiger Faktor für die Automobilindustrie. Trump hat jetzt seine Zollpolitik eingeführt. Europa war bisher noch nicht dran, scheint aber als nächstes dran zu sein. Es wird von 25 Prozent Zöllen gesprochen, die ab April gelten sollten. Wie stark würde das die deutschen Unternehmen treffen? Und sind sie nicht jetzt auch schon durch Mexiko als ein Hauptziel betroffen, wo wir ja auch schon Autos produzieren? Wie stark also würde das noch mal zusätzlich die Automobilhersteller belasten?
Heike Proff: Na ja, schon stark. Sie haben zwar Werke in den USA, also zum Beispiel BMW in Spartanburg, Mercedes in Tuscaloosa und VW in Chattanooga. Aber die Teile für diese Werke kommen aus Europa, also die Motoren von Mercedes und BMW kommen zum Beispiel von hier, so wie viele andere Komponenten und auch ganze Fahrzeuge. Die ganzen größeren Limousinen zum Beispiel, Nischenfahrzeuge sowieso, Porsche hatten sie eben gesagt – die kommen direkt aus Deutschland. Und da ist es einfach so: Bei Zöllen werden diese Fahrzeuge teurer. Der Endkunde müsste also höhere Preise zahlen und kauft dann, was Trump damit ja auch vorhat, vielleicht America first, also amerikanische Produkte. Das gleiche gilt in Mexiko oder auch Kanada. Wenn dort jetzt neue Zölle innerhalb der NAFTA-Freihandelszone kommen, ist das natürlich ebenso ein Problem, weil die deutschen Hersteller auch von dort ihre Komponenten beziehen. Es gibt da traditionell so eine Arbeitsteilung: Die arbeitsintensiven Produkte kommen aus Mexiko, die energieintensiven kommen mehr aus Kanada, weil die viel Energie haben, und in den USA wird zusammenmontiert. Und wenn jetzt Zölle dazwischen sind, ist das ein großes Problem, auch für Zulieferer. Continental hat zum Beispiel 23.000 Mitarbeiter in Mexiko für Teile für die USA. Das trifft natürlich auch die Amerikaner selbst. Jim Farley, CEO von Ford, hat schon gesagt, auch für ihn ist das ein Riesenproblem, weil Ford auch in Nord-Mexiko sehr günstig Zulieferteile produziert. Es sind also nicht nur die Europäer betroffen, aber schon ziemlich stark.
Carsten Roemheld: Jetzt will Trump gerne erreichen, dass viele ihren Standort in die USA verlagern. Er macht große Werbung für den Standort USA mit günstigen Energiepreisen, mit guten Arbeitskräften und so weiter. Das klingt in dem Moment, wo Zölle drohen, besonders interessant. Glauben Sie, dass sich internationale Automobilhersteller, auch die Deutschen, sich darauf einlassen und Werke in den USA errichten könnten?
Heike Proff: Ja, das überlegen sie ja schon und das sieht man auch schon. Das haben sie auch mit der Batterieproduktion schon gemacht, noch unter Biden, wo man sieht, wie viel mehr an Batterieproduktion auch aus China in die USA gewandert ist. Also ja, das passiert.
Carsten Roemheld: Dann hätte Trump mit dieser Politik ja durchaus seine Ziele in greifbarer Nähe erreicht.
Heike Proff: Naja, aber zu Lasten der amerikanischen Konsumenten. Also Freihandelsabbau ist nicht gut. Das klang jetzt gerade so, als wäre das ein schönes Ergebnis.
Carsten Roemheld: Nein, absolut nicht. Alles, was die globale Handelspolitik so unterminiert, ist natürlich für alle insgesamt ein schlechtes Ergebnis. Trump hat jetzt natürlich Amerika im Kopf und versucht, dort das beste Ergebnis zu erzielen. Das gelingt auch nicht unbedingt, wie man gerade sieht. Aber wie sieht es dann zum Beispiel in anderen Märkten aus? Brasilien ist ja auch ein sehr bekanntes Land für Autoabsatz. Wie ist da die aktuelle Lage der deutschen Automobilhersteller?
Heike Proff: Brasilien ist ein Land ohne eigene Autoindustrie. Deswegen sind diejenigen, die dort produzieren, für die Brasilianer praktisch ihre Heimathersteller. Und die Deutschen waren da eigentlich traditionell immer sehr, sehr stark. Sie sind es noch. Aber die Chinesen sind auch dort auf dem Vormarsch. Ford zum Beispiel hat sich zurückgezogen, die haben ja eine andere Politik, gehen jetzt mehr auf die SUVs, mehr auf den nordamerikanischen Markt. Und die Fabrik von denen dort in Bahia hat BYD übernommen. Und eigentlich, ich habe selbst ein paar Monate in Brasilien gelebt und kenn dort noch viele, sagten die dort immer, die Chinesen wollen wir eigentlich hier gar nicht kaufen in Brasilien, mit unserer doch eher europäischen Vergangenheit, die taugen sowieso nichts, so ungefähr. Das ist noch nicht so lange her, ein bisschen über ein Jahr vielleicht, da habe ich das durchweg so gehört. Und Uber-Fahrer, Taxifahrer, die würden auch keine Chinesen kaufen, die hatten gar keine Chance. Und was ist passiert? Die haben das Werk übernommen, damit sind sie jetzt schon mal ein Heimatanbieter, und sie machen ganz konsequent Werbung überall. Wenn man dort jetzt zum Beispiel durch die Einkaufszentren geht, stehen da überall BYD-Fahrzeuge, ein bisschen so, wie sie es hier auch versucht haben während der Europameisterschaft. In Brasilien hat das dazu geführt, dass jetzt eben die Taxi- und die Uber-Fahrer, die schon ein bisschen Multiplikatoren sind, die Fahrzeuge gar nicht mehr so schlecht finden. Das heißt, da kommt der Wettbewerb relativ stark auf. Das machen die Chinesen jetzt in vielen Auslandsmärkten sehr konsequent. Eben auch in Brasilien.
Carsten Roemheld: Interessant, die Strategie Chinas scheint da ganz gut zu funktionieren. Jetzt gehen wir mal zur Frage, wie wir uns in der Autobranche in Zukunft sehen. Wo sehen Sie denn aktuell die Stärken der deutschen Autoindustrie, auf denen man vielleicht weiter aufbauen kann?
Heike Proff: Sie beherrschen immer noch die zentrale Wertschöpfungskette, von Entwicklung, Einkauf, Produktion, Vertrieb bis hin zur Finanzierung, den Captives, dem Gebrauchtwagenhandel, all das. Das ist aber auch eine Schwäche. Weil sie immer noch stark die Hardware, die Systemintegration beherrschen, aber bei allem, was mit Software zusammenhängt, noch Aufholbedarf haben. Und dazwischen liegt einfach ein großer Gegensatz: Software ist ja viel agiler, während die traditionelle Autoindustrie, wie die Deutschen sie immer noch richtig gut beherrschen, eben alles so lange entwickelt, bis es perfekt ist und erst dann auf den Markt bringt. Das ist ein ganz anderer Ansatz. Das heißt, die Deutschen haben noch Stärken, die aber auch in Schwächen umkippen können. Sie müssen aufpassen, dass sie diese Schwächen wieder zu Stärken machen und da ansetzen.
Carsten Roemheld: Und beim Thema Innovation: Sehen Sie die Unternehmen in der Pflicht, noch mehr für Innovation zu tun und vielleicht anders zu denken, als sie es bisher getan haben?
Heike Proff: Auf jeden Fall. Innovationen sind sehr wichtig. Genau da, wo ich eben ansetzte. Wir müssen viel stärker in den ganzen Softwarebereich hinein und dort bei Elektrofahrzeugen aufholen. Die Deutschen müssen auch mal endlich das entwickeln, was der Kunde will. Die ersten Elektrofahrzeuge waren halt nicht das, was die Kunden reißend abgenommen haben. Gerade bei dem Thema Batterie, auch bei KI, bei all diesen Dingen müssen sie aufholen. Ja, das müssen sie unbedingt. Und da kann auch der Staat mit Förderung helfen.
Carsten Roemheld: Die Handelspolitik hatten wir gerade mehrfach beschrieben, sie deutet darauf hin, dass wir ein bisschen mehr Protektionismus sehen, ein bisschen mehr das Zerfallen in geografische Blöcke. Die Wertschöpfungsketten werden damit wieder ein bisschen lokaler statt globaler. Was glauben Sie, welchen Einfluss dieser Umschwung auf das Geschäftsmodell der Autohersteller hat? Brauchen wir hier auch ein großes Umdenken? Oder sehen Sie das nur als vorübergehend an?
Heike Proff: Also dieser Protektionismus ist schon katastrophal. Ich hatte eben schon gesagt, das zahlt am Ende der Konsument. Wenn man mal sieht, wie der durchschnittliche Preis eines Neuwagens angestiegen ist: Der lag 2018 noch bei 31.000 Euro und im letzten Jahr, nur fünf Jahre später, schon bei 44.630 Euro. Also ein Anstieg im Preis eines durchschnittlichen Neuwagens um ein Drittel in fünf Jahren. Das ist schon massiv. Irgendwann können wir uns überhaupt keine Autos mehr leisten. Und da darf es jetzt natürlich nicht hinkommen. Hinter Zollschutz träge werden, das geht auch nicht. Natürlich braucht es da ein massives Umdenken. Die Hersteller dürfen die Preise nicht immer mehr nach oben treiben. Sie müssen alle Marktsegmente im Blick haben, das ist ganz wichtig. Wir haben einen Studiengang bei uns, der heißt Automotive Engineering and Mobility Management, wo wir all das mit unseren Studierenden im Master immer wieder drüber diskutieren: Was kann man da eigentlich machen?
Carsten Roemheld: Also die Innovation ist nach wie vor der Weg nach vorne, das Umdenken. Vor allem traditionelle Automobilhersteller, die jetzt nicht mehr in den alten Kategorien denken, sondern in neuen Kategorien denken müssen, sind wichtig. Die Forschung an Batterien und andere Innovationen ist extrem wichtig, neue Investitionen. Wir hoffen, dass auch von den großen Paketen, die jetzt gerade diskutiert werden, ein bisschen was dafür übrigbleibt, damit der Innovationsstandort Deutschland ausgebaut werden kann. Und dann kann man auch die Schwierigkeiten, die wir momentan sehen, also geopolitische, handelspolitische Schwierigkeiten, die große Marktführerschaft Chinas und so weiter – all das kann man dann vielleicht überwinden. Und dann, wie Sie sagen, besteht vielleicht auch nicht die Gefahr, dass wir am Ende des Jahrzehnts doch ein paar Automobilhersteller weniger haben in Deutschland. Sondern vielleicht haben wir dann eine stärkere und bessere Automobilindustrie, die mehr auf die Bedürfnisse der Kunden eingeht. Vielleicht ist das die abschließende Zusammenfassung. Und: Ihr Wort noch mal ganz klar, dynamisch den Weg in Richtung Elektromobilität weitergehen, sich nicht zurückdrängen lassen und wieder alles einfangen. Denn der Weg führt auch dazu, dass die Dynamik verstärkt wird und alle klar wissen, in welchen Bandbreiten sie sich bewegen müssen und damit einen klaren Weg vorgegeben haben. Vielleicht ist auch das eine abschließenden Zusammenfassung für dieses Gespräch.
Heike Proff: Unbedingt.
Carsten Roemheld: Frau Proff, ich danke Ihnen vielmals für dieses spannende Gespräch. Hat mir sehr viel Spaß gemacht. Ich habe wieder einiges an neuen Dingen gelernt. Also vielen Dank, dass Sie uns zur Verfügung gestanden haben.
Heike Proff: Sehr gerne.
Carsten Roemheld: Auch Ihnen, liebe Zuhörerinnen und Zuhörer, herzlichen Dank für Ihr Interesse. Ich hoffe, Sie konnten wieder ein paar Gedanken mitnehmen und ein paar Dinge erfahren, die Sie vielleicht vorher noch nicht wussten. Ich würde mich jedenfalls sehr freuen, wenn wir uns bei der nächsten Ausgabe oder bei einem der vielen anderen Fidelity Formate wiedersehen.
Vielen Dank und Herzliche Grüße.
Ihr Carsten Roemheld