Steigende Preise erzeugen in Deutschland häufig einen Angstreflex. Die Erfahrungen der Hyperinflation in den 1920er Jahren sind so tief in der kollektiven Wahrnehmung verankert, dass Ökonomen wie Kapitalmarktstrategen sicher sein können: Prognosen über höhere Teuerungsraten machen Schlagzeilen, selbst wenn sie sich anschließend nicht bewahrheiten. Die aktuelle Diskussion um eine baldige Rückkehr der Inflation macht da keine Ausnahme.  

Oder doch? Dieses Mal könnten sich die Prognosen tatsächlich erfüllen. Der Grund ist einmal mehr die Covid-19-Pandemie. Das Virus hat eine neue Normalität geschaffen, die gleich mehrere preistreibende Faktoren bereithält. Kurzfristig ist da vor allem die aufgestaute Nachfrage durch den langen Stillstand der Wirtschaft und des gesellschaftlichen Lebens, die sich mit den Lockerungen schwallartig auflösen könnte. Gerade Covid-Verliererbranchen wie Reiseveranstalter, Hotellerie und Gastronomie dürften in den kommenden Monaten ihre Preise deutlich erhöhen, zum Teil haben sie es bereits getan. Solche Nachholeffekte sind freilich nicht von Dauer. Sobald sich das Verhalten der Menschen wieder „normalisiert“, dürfte auch der Preisanstieg abflauen.

Neben Nachfrageeffekten spielen aber auch Angebotsveränderungen in die Preisentwicklung hinein. Und diese dürften deutlich langfristiger wirken: Während die Regierungen noch mit allen Mitteln versuchen, die Folgen der Pandemie in den Griff zu bekommen, hat die Produktion schon wieder an Fahrt aufgenommen. Industriekonzerne berichten von einem Nachfrageboom, der aktuell zu Lieferengpässen bei wichtigen Vorprodukten wie Halbleitern, Öl und Holz führt. Das knappe Angebot an Chips hat beispielsweise bereits die Autoproduktion ausgebremst. In den USA sind daraufhin die Preise für Gebrauchtwagen im April 2021 um fast zehn Prozent gestiegen1 Entspannung ist nicht in Sicht.

Kapital kommt in der Realwirtschaft an

Treiber der Nachfrage sind auch die Staaten mit ihrer Fiskalpolitik, die diesmal weit zielgerichteter zu funktionieren scheint als in früheren Krisen. Besonders deutlich wird das beim billionenschweren Konjunkturpaket „Build Back Better“ von US-Präsident Joe Biden. Es konzentriert sich auf die Felder Infrastruktur, Klimaschutz und nachhaltige Energie – und fließt so weitgehend direkt den Unternehmen zu. Auch andere Industrienationen stehen in der Spätphase der Pandemie vor einem Investitionsboom, der durch das beispiellose Zusammenspiel von Geld- und Fiskalpolitik befeuert wird. Mit diesem Investitionshoch dürfte das aufgestaute Kapital nun endlich zu großen Teilen in der Realwirtschaft ankommen. Dort wird es auch inflationäre Wirkung entfalten.

Dennoch bedeutet das natürlich nicht, dass die anfangs beschriebenen Ängste einer Hyperinflation ihre Berechtigung haben. Denn es gibt nach wie vor anhaltend disinflationäre Effekte wie zum Beispiel die Digitalisierung der Wirtschaft oder die Automatisierung, die dafür sorgen, dass die zu erwartenden Inflationsraten nicht ausufern werden. Daher ist es wichtig, darauf hinzuweisen, dass wir uns voraussichtlich auf ein neues Inflationsniveau begeben werden - ganz so, wie es sich die Zentralbanken schon länger gewünscht haben -, die Gefahren einer massiv steigenden Inflationsrate oder gar einer Hyperinflation aber nicht zu erkennen sind. Darauf sollten sich die Marktteilnehmer einstellen, denn es hat großen Einfluss auf die Ausrichtung der Portfolios.

Langsam aber sicher dürfte dann auch die mehr als ein Jahrzehnt andauernde Phase der Null- und Niedrigzinsen ein Ende finden. Das wiederum bringt hoch verschuldete Nationen in Bedrängnis, die bei steigenden Zinsen Gefahr laufen, ihre Verbindlichkeiten nicht mehr zurückzahlen zu können. Zu den Gewinnern dieser Entwicklung gehören hingegen all jene, die ihr Vermögen langfristig festverzinslich anlegen wollen. Und Institutionen, die das müssen, weil sie an entsprechende Regularien gebunden sind: Banken, Versicherungen und andere Finanzdienstleister können in einem Umfeld steigender Preise und Zinsen endlich wieder höhere Erträge erzielen. Sie könnten so zu den Gewinnern einer anziehenden Teuerungsrate zählen.

Quellen:
1 https://www.reuters.com/business/us-consumer-prices-surge-april-2021-05-12/

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