Trumps erratische Zollpolitik verunsichert die Märkte, US-Anleger suchen Alternativen. Europa lockt in dieser Lage mit fiskalischen Impulsen, Zinssenkungen und günstigen Bewertungen. Wenn die Kapitalströme drehen, könnte Europa ein unerwartetes Börsen-Comeback erleben.
Seit rund einem Jahrzehnt dominieren US-Aktien die globalen Kapitalmärkte. Wer attraktive Renditen suchte, setzte in den Vorjahren am besten auf den US-Leitaktienindex S&P 500. Die europäischen Märkte galten dagegen als träge und wachstumsschwach. Und so übertraf der S&P den Euro Stoxx 600 in den vergangenen zehn Jahren gleich acht Mal – im Schnitt um satte acht Prozentpunkte¹ pro Jahr.
Doch nun zeichnet sich ein Wandel ab. Während der US-Aktienmarkt ins Stocken gerät, erlebt Europa eine Renaissance. Seit Jahresbeginn haben sich die Kräfteverhältnisse verschoben: Der S&P 500 ist starken Schwankungen unterworfen, während der Euro Stoxx 600 deutlich zulegen konnte. Der DAX knackte kurzfristig sogar die Rekordmarke von 23.000 Punkten². Vor allem bei Investorinnen und Investoren außerhalb Europas ist das Interesse groß: Fondsmanagerinnen und -manager weltweit haben in den vergangenen zwei Monaten die Gewichtung europäischer Aktien in ihren Portfolios erhöht und ihre US-Engagements reduziert¹.
Europas eigene Investmentstory
Unter US-Anlegerinnen und Anlegern wächst die Nervosität. Trumps erratische Handelspolitik sorgte zuletzt für enorme Turbulenzen an den Märkten. Binnen weniger Wochen verhängte er neue Strafzölle gegen China, Mexiko und Kanada, um sie teilweise gleich wieder auszusetzen. Chinas Exporte in die USA wurden mit zusätzlichen Zöllen von zehn Prozent belegt, auf mexikanische und kanadische Waren sollen künftig 25 Prozent Zoll fällig werden. Gegen die EU wurden Zölle auf Stahl- und Aluminiumimporte in die USA³ verhängt.
Für Unternehmen bedeutet dieses Hin und Her vor allem, dass sie kaum noch planen können. Das gilt besonders für die Technologiebranche. Der KI-Boom, der die Märkte bis 2024 angetrieben hat, könnte durch Trumps Protektionismus ausgebremst werden. Strafzölle gegen China belasten die Halbleiterindustrie und verteuern essenzielle Komponenten. Wer auf sichere KI-Gewinne gesetzt hat, sieht sich mit neuen Unsicherheiten konfrontiert. Gleichzeitig bleibt der US-Aktienmarkt hoch bewertet. Der S&P 500 notiert bei einem Kurs-Gewinn-Verhältnis (KGV) von 22,9. Im Vergleich dazu sind die Index-Titel des Euro Stoxx 600, der auch Großbritannien und die Schweiz umfasst, mit einem KGV von 15 ein Schnäppchen. Der DAX weist derzeit ein KGV von 17 auf⁴. Solange die Gewinnerwartungen hoch waren, rechtfertigte das die hohen Preise – doch nun könnte die Bewertung zur Belastung werden.
Gleichzeitig rücken Zinssenkungen in den USA in weite Ferne, während die Europäische Zentralbank (EZB) ihren Lockerungskurs mit möglicherweise zwei Senkungen im Jahr 2025⁴ fortsetzen dürfte. Günstigere Finanzierungsbedingungen könnten hierzulande Konsum und Investitionen ankurbeln, während in den USA mit anhaltendem Inflationsdruck gerechnet wird, der weitere Zinssenkungen unwahrscheinlicher macht. Ohne geldpolitische Unterstützung droht das US-Wachstum jedoch an Dynamik zu verlieren.
Beim europäischen Comeback geht es auch um die Neubewertung von Chancen. Nach der Bundestagswahl will die designierte Große Koalition einen Verschuldungsspielraum von bis zu 1,7 Billionen Euro eröffnen⁵, um unter anderem Verteidigung und Infrastruktur zu stärken. Auch für die Länder wäre künftig eine strukturelle Neuverschuldung⁶ in gleicher Höhe möglich, wie laut Schuldenbremse für den Bund. Das Vorhaben könnte Deutschland und Europa wirtschaftlich stabilisieren, Wachstumsimpulse setzen und neue Investitionschancen eröffnen.
Natürlich würden höhere US-Zölle auch europäische Waren treffen. Das Exportgeschäft könnte hierzulande heftige Rückschläge erleiden. Gleichzeitig hat sich in den vergangenen Monaten aber auch eine neue, überzeugende Investmentstory für Europa herauskristallisiert: Günstige Bewertungen, geldpolitische Unterstützung durch die EZB und fiskalische Stimuli ziehen Kapital an. Infrastruktur-, Verteidigungs- und Finanzwerte profitieren bereits von den erwarteten staatlichen Ausgaben.
Fazit
Aktuelle Kapitalströme zeigen: Europa ist zurück. Während die USA mit handelspolitischem Chaos, hoch bewerteten Tech-Titeln und geopolitischen Risiken kämpfen, entwickelt sich Europa zu einer attraktiven Alternative. „Buy Europe“ ist mehr als eine Reaktion auf Unsicherheit – es bietet die Gelegenheit zur strategischen Neuorientierung. Der Rückgang des US-Übergewichts ist daher nicht nur eine Frage der Diversifikation, sondern bietet auch Chancen auf Outperformance.
Quellen:
¹ https://www.handelsblatt.com/finanzen/anlagestrategie/trends/geldanlage-us-anleger-treiben-europas-boersen-an/100107688.html
² https://www.capital.de/geld-versicherungen/dax-bei-23-000-zaehlern--meilensteine-des-boersenindex-seit-start-1988-35282112.html
³ https://www.ifw-kiel.de/de/publikationen/aktuelles/trumps-stahl-und-aluminiumzoelle-usa-schaden-sich-selbst-fast-keine-direkten-folgen-fuer-eu/
⁴ Bloomberg
⁵ https://www.handelsblatt.com/politik/deutschland/finanzpaket-bis-zu-17-billionen-euro-schuldenspielraum-wird-noch-groesser/100114078.html
⁶ https://www.br.de/nachrichten/deutschland-welt/haushaltsausschuss-macht-weg-frei-fuer-milliarden-schuldenpaket,Ufc1o1P
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