Die Evergrande-Krise könne sich zum Systemrisiko ausweiten, fürchten einige Marktbeobachter. Tatsächlich unterscheiden sich die aktuellen Probleme des größten chinesischen Immobilienentwicklers in zentralen Punkten von früheren Krisen-Auslösern.

Die Krise des größten chinesischen Immobilienentwicklers Evergrande verunsichert nach wie vor die globalen Kapitalmärkte. Derzeit werden Stimmen lauter, die gar ein Systemrisiko ähnlich dem der "Lehman-Brothers"-Pleite im Jahr 2008 ausmachen wollen, was seinerzeit die Finanzkrise auslöste. Meiner Meinung nach wird die Tragweite des Vorfalls damit überschätzt. Bei Evergrande handelt es sich vornehmlich um ein begrenztes Problem, das allerdings gewisse Ausstrahleffekte innerhalb Chinas haben kann. 

Strengere Regulierung als Auslöser

Was bei Evergrande deutlich wird, ist zumindest auch das Ergebnis einer strengeren Regulierung des Immobiliensektors, die sich in China im Laufe des vergangenen Jahres deutlich verschärft hat. Peking bemüht sich seit einigen Monaten erkennbar darum, die Wirtschaft des Landes nachhaltiger zu entwickeln und strafft seine geldpolitischen, fiskalischen und regulatorischen Zügel. Ganz praktisch verabschieden sich die Entscheidungsträger vom Ziel eines hohen nominalen BIP-Wachstums und orientieren sich stattdessen an einer nachhaltigen Wachstumsagenda, die gesellschaftliche und systemische Risiken berücksichtigt. Dabei zieht die Politik offenbar Lehren aus früheren Krisen anderswo in der Welt.  

Diese Politik trifft Unternehmen mit einer hohen Verschuldung naturgemäß besonders stark. Gleichzeitig sind bestimmte Sektoren und die darin tätigen Unternehmen von der schärferen Regulierung besonders betroffen. Dazu zählt auch der Immobilienmarkt mit einer Reihe sektorspezifischer Maßnahmen. So wollen die politischen Entscheidungsträger ausufernde Spekulationen verhindern; zudem sollen inflationäre Preiserhöhungen und eine übermäßige Fremdfinanzierung vermieden werden. 

Bei systemrelevanten Krisen hat Peking eingegriffen

Peking vollzieht dabei einen heiklen Balanceakt. Einerseits will man marktwirtschaftliche Kräfte walten lassen und andererseits die Systemrisiken im Auge behalten, die sich aus Unternehmens-Pleiten ergeben können. So haben wir in der Vergangenheit erlebt, dass kleinere Bauträger in China in Konkurs gegangen sind, und im vergangenen Jahr sind einige private und staatliche Unternehmen zahlungsunfähig geworden. Bei systemrelevanten Firmen hingegen greift Peking ein und gewährt finanzielle Unterstützung, wie wir kürzlich beim angeschlagenen Vermögensverwalter China Huarong Asset Management gesehen haben. 

In der überwiegenden Mehrheit der Fälle, in denen einzelne Firmen-Pleiten die Stabilität des globalen Finanzsystems gefährdet haben, waren bestimmte Teile der Wirtschaft übermäßig verschuldet, ohne dass politische Entscheidungsträger und Kapitalmarktteilnehmer dies auf dem Schirm hatten. Darüber hinaus waren die betroffenen Papiere international weit verbreitet und konnten damit maximalen Schaden anrichten. Wenn sich Peking nun vordringlich auf Bereiche wie das Schattenbankwesen, die Verschuldung im Immobiliensektor und die Kreditvergabe über Zahlungs-Apps konzentriert und damit präventiv genau eben solche potentiellen Problembereiche angeht, lässt sich schwerlich nachvollziehen, dass den Märkten ein umfassenderer "Reset" bevorstehen soll. Und obwohl die Zahl der betroffenen Gläubiger und Geschäftspartner von Evergrande hoch ist, spielen sich die Probleme fast ausschließlich auf chinesischem Boden ab. 

Selbst wenn wir also von einem gewissen Ausstrahleffekt der Kreditprobleme auf andere Bereiche (Bautätigkeit, Infrastruktur, Rohstoffe) ausgehen können, bewegen wir uns noch immer in deutlicher Entfernung von einer systemischen Krise. Was allerdings eingeräumt werden muss, ist eine große Abhängigkeit der chinesischen Wirtschaft vom Immobiliensektor. Von daher dürften negative Wachstumseffekte für die kommenden Jahre keine Überraschung darstellen.

Fazit:

Die chinesische Regierung treibt ihre Strategie einer strafferen Regulierung voran, um Chinas Märkte auf langfristig stabiles Wachstum zu trimmen. Natürlich kann es dabei zu Wachstumseinbußen und politischen Fehlentscheidungen kommen. Aber nach meinem Eindruck schießen Kommentare, die die Ereignisse um Evergrande als Chinas "Lehman-Brothers“-Moment beschreiben, weit übers Ziel hinaus. 

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Carsten Roemheld

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