Die EU und die USA wollen die heimische Wirtschaft mit Schutzzöllen international abschirmen. Doch wenn der Freihandel schrumpft, steigen die Preise. Das kostet Wohlstand.
So schnell kann es gehen: Nachdem die EU-Kommission Anfang Oktober den Weg für Zölle von bis zu 45 Prozent auf chinesische E-Autos1 freigemacht hatte – übrigens gegen den Widerstand Deutschlands – kündigte China an, Weinbrand-Importe2 aus Europa mit Zöllen bis zu 39 Prozent zu belegen. Nun kämpfen Automobilhersteller und Spirituosenproduzenten in einer kuriosen Allianz gegen eine weitere Eskalation des Handelsstreits. Die EU bezeichnet den neuen Alkoholzoll als Willkürakt und will ihn von der Welthandelsorganisation stoppen lassen. China wiederum beklagt den wachsenden Protektionismus im Westen und weist den Vorwurf zurück, mit allzu großzügigen Subventionen für die heimische Industrie den internationalen Wettbewerb zu verzerren.
Mit dem neuen Strafzoll folgt die EU dem Beispiel der USA, die schon seit Längerem auf Konfrontationskurs mit der Volksrepublik gehen. Und es spricht einiges dafür, dass sich die Zollspirale nach den Präsidentschaftswahlen im November weiter drehen wird. Donald Trump plädiert für Zollerhöhungen auf alle ausländischen Importe, Kamala Harris hat angekündigt, bestimmte Branchen und Regionen mit Zöllen vor allzu billigen Importen zu schützen.3 Im Klartext: Der Trend zu protektionistischer Wirtschaftspolitik dürfte sich fortsetzen.
Dabei sind die USA mit früheren Protektionismusversuchen schlecht gefahren. Besonders in Erinnerung sind die verheerenden Folgen des Smoot-Hawley Tariff4 Acts von 1930, der die Erhöhung von Zöllen auf mehr als 20.000 importierte Waren festlegte. Damit wollte die US-Regierung in Zeiten der Großen Depression die heimische Industrie und Landwirtschaft vor ausländischer Konkurrenz schützen. Viele Länder reagierten wiederum mit Vergeltungszöllen, was den Welthandel um 65 Prozent5 einbrechen ließ. Das verschärfte die Weltwirtschaftskrise noch – und nützte letztlich niemandem.
Kosten trägt der Verbraucher
Nun kommen die neuen protektionistischen Vorstöße aus Europa und den USA zu einer Zeit, in der die Globalisierung ohnehin auf dem Rückzug ist.6 Zu diesem Ergebnis kommt etwa der Deloitte Geoeconomic Dynamics Index, der die globalen Handelsverflechtungen von 249 Ländern, Regionen und Territorien7 misst. Er ist in diesem Jahr gesunken, während gleichzeitig regionale Verflechtungen zunehmen und sich neue, voneinander abgeschottete Handelsblöcke bilden. Neben der Zollpolitik der Staaten sind daran auch Unternehmen beteiligt, die weltweite Lieferketten aufgelöst haben, nachdem sich diese im Zuge der Covid-Pandemie und der geopolitischen Krisen in den vergangenen Jahren teilweise als instabil erwiesen hatten.
Unter Ökonominnen8 und Ökonomen gelten Globalisierung und Freihandel ganz klar als weltweite Wohlstandsquellen. Denn mehr Wettbewerb beschränkt nicht nur die Preissetzungsmacht heimischer Unternehmen – er verbessert auch die Arbeitsteilung und schafft Möglichkeiten, beispielsweise günstige Rohstoffe zu importieren, vom niedrigeren Lohnniveau in anderen Regionen zu profitieren und Wertschöpfungsketten effizient über den Globus zu verteilen. Lösen Staaten und Unternehmen nun weitreichende Verflechtungen auf oder errichten neue Zollbarrieren, führt das fast zwangsläufig zu steigenden Preisen – also zu höherer Inflation. Selbst der technische Fortschritt dürfte kaum ausreichen, die Wohlstandsverluste der „Deglobalisierung“ auszugleichen.
Derweil nutzt China die globale Neuausrichtung, um Handelsbarrieren zu umschiffen. So produzieren viele chinesische Unternehmen beispielsweise verstärkt in Mexiko9 – einem Land, das enge Wirtschaftsbeziehungen zu den USA unterhält. Trotz aller protektionistischen Eingriffe der US-Regierung müssen die heimischen Autobauer über Umwege dann trotzdem mit Chinas günstigen E-Fahrzeugen konkurrieren. Und das ist nicht unbedingt eine schlechte Nachricht – zumindest aus Verbrauchersicht.
Fazit
Mit ihrem protektionistischen Kurs setzen die USA und die EU den globalen Freihandel unter Druck. Ob der gewünschte Effekt eintritt und Zölle die heimische Wirtschaft voranbringen, ist angesichts der eng verflochtenen Wirtschaftswelt fraglich. Eine Konsequenz scheint hingegen sicher: strukturell höhere Inflationsraten, die die Wohlstandseffekte aus der Hochzeit der Globalisierung deutlich schmälern dürften.
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