Jahrelang litten Japans Märkte unter Deflation und stagnierender Wirtschaft. Investoren machten einen großen Bogen um die Region. Nun notiert der japanische Aktienindex plötzlich Höchststände. Zeit, einen Blick auf die Hintergründe zu werfen.

Im Mai sorgte Japans Aktienmarkt für eine kleine Sensation. Der japanische Nikkei 225 überholte die großen globalen Börsenindizes und verzeichnete damit in diesem Jahr die bisher beste Wertentwicklung unter den Industrieländern.¹ So hoch wie jetzt notierte der japanische Leitindex seit über 30 Jahren nicht mehr. Ausschlaggebend für diesen Schub waren unter anderem positive Einschätzungen des Internationalen Währungsfonds², der seine jüngsten Wachstumsprognosen für die drittgrößte Volkswirtschaft der Welt nach oben korrigierte.

Für das Jahr 2023 wird nun ein Wirtschaftswachstum von rund 1,3 Prozent erwartet. Im Jahr 2024 soll das Bruttoinlandsprodukt Japans laut IWF noch mal um 1,0 Prozent zulegen.³ Damit liegt die japanische Wirtschaft in den kommenden zwei Jahren vor Europa und fast gleichauf mit den USA.

Diese Entwicklung ist insofern bemerkenswert, als das Land seit den frühen 1990ern unter einer stagnierenden Wirtschaft als Folge einer zähen Deflation litt. Unter Ökonomen gelten die vergangenen drei Jahrzehnte als verlorene Dekaden. Auch Investoren machten einen großen Bogen um die japanischen Aktienmärkte. Statt Deflationsschüben sind nun aber auch in Japan die Verbraucherpreise gestiegen – was langfristig das Ende des japanischen Sonderwegs und eine Rückkehr zu normalen wirtschaftlichen Verhältnissen bedeuten könnte.

Viel Bewegung nach langem Stillstand

Während die Inflation wie ein Schreckgespenst durch die Welt geistert, birgt die Teuerung in Japan auch Chancen. Sinkende Verbraucherpreise führten zum Nachfrageeinbruch – zumal Waren und Dienstleistungen zu einem späteren Zeitpunkt günstiger erworben werden konnten. Genau umgekehrt verhält es sich bei einer moderaten Inflation. Hier gilt: Lieber heute kaufen, als morgen draufzahlen. Japans Teuerung geht darüber hinaus mit bevorstehenden Reallohnerhöhungen und einem erstarkenden Arbeitsmarkt einher. Der langjährige Sparkurs der Bevölkerung könnte einer neuen Konsumlust weichen.

Neben wirtschaftlichen Wachstumsaussichten ziehen auch die relativ niedrigen Bewertungen japanischer Unternehmen derzeit globales Kapital an. Durch verschärfte Corporate-Governance-Auflagen versucht die Regierung unterdessen, das Bewertungslevel zu heben, und zwingt inländische Unternehmen, ihre Aktionärsrenditen zu verbessern – zum Beispiel durch großzügige Dividendenausschüttungen, die im Vorjahr ein Rekordhoch erreichten⁴.

Statt in den breiten Markt zu investieren, legen viele Japan-Anleger aktuell den Fokus auf einzelne Sektoren. Die jüngste Kursrallye des Nikkei 225 ist zum Beispiel vor allem auf die Wertentwicklung von Unternehmen im Halbleiterbereich zurückzuführen.⁵ In den 1980er-Jahren dominierten Japans Mikrochipfirmen den Weltmarkt. Dann mussten sie das Zepter an Taiwan und Südkorea abgeben. Mit Förderungen in Milliardenhöhe will das japanische Wirtschaftsministerium der Branche den Weg zurück an die Spitze der Halbleiterwelt ebnen.⁶ Globale Anleger wittern derweil ihre Chance, bei dieser Aufholjagd satte Renditen einzustreichen.

Zu guter Letzt lockt eine schwächelnde Währung, die aufgrund der anhaltend niedrigen Zinsen der japanischen Notenbank einen Sonderweg Japans darstellt, der möglicherweise bald enden könnte. Mit steigender Inflation dürfte der Druck zunehmen, die Zinsen anzupassen und damit über einen stärkeren Yen die Attraktivität japanischer Wertpapiere weiter erhöhen.

Fazit

Japan ist zurück auf dem Anlegerradar. Das Ende der Stagnation und die mögliche Rückkehr eines florierenden Tech-Sektors beflügeln die Fantasie vieler Investoren. Bleibt jedoch die Frage, wie lange die Hausse anhält und wie nachhaltig sie ist. Denn die hohe Nachfrage nach Aktientiteln aus der drittgrößten Volkswirtschaft der Welt könnte auch lediglich auf ein mangelndes Vertrauen in die Stabilität der beiden Spitzenreiter USA und China hindeuten.

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