Die indische Wirtschaft wächst so rasant wie keine andere große Volkswirtschaft. Der alte und neue Premierminister Narendra Modi hat dafür die politischen Weichen gestellt. Seine Wirtschaftspolitik zeigt aber auch Schwächen.

Nach sechswöchiger Wahl steht Indiens nächster Premierminister fest: Narendra Modi wird seine dritte Amtszeit an der Spitze der National Democratic Alliance (NDA) antreten. Nachdem 642 Millionen Inderinnen und Inder ihre Stimme abgegeben haben, hat Modi allerdings die absolute Mehrheit im Parlament verloren. Bisher konnte er durchregieren, nun ist Modi auf eine breite Koalition angewiesen.¹

Indiens wichtigster Aktienindex, der Nifty 50, brach nach der Wahl kurzzeitig ein.² Nachdem Modi ein Bündnis aus 15 verschiedenen Parteien geschmiedet hatte, beruhigte sich die Stimmung am Markt zwar wieder, doch einige Investor:innen bleiben nervös.³ Sie befürchten offenbar, dass Modis bisher so erfolgreicher wirtschaftspolitischer Kurs durch Kompromisse mit seinen zahlreichen Koalitionspartnern an Schwung verlieren könnte.

Das Vertrauen in Modis wirtschaftspolitischen Fahrplan wird von starken Zahlen untermauert. So wuchs die indische Wirtschaft unter seiner Regierung zuletzt im Jahr 2023 um mehr als acht Prozent.⁴ Damit setzte sich der Subkontinent an die Weltspitze der großen Volkswirtschaften. An Indiens Börsen löste die boomende Wirtschaft ein Kursfeuerwerk aus: Der MSCI India konnte seit 2019 sogar den performancestarken US-amerikanischen Tech-Index NASDAQ übertreffen.⁵ 

Die Ungleichheit wächst mit 

Nach außen hin demonstriert Indien also große ökonomische Stärke. Doch im Inneren ist das Land in vielerlei Hinsicht gespalten, sagt der Indologe und Journalist Oliver Schulz, mit dem ich kurz nach der Wahl im Kapitalmarkt-Podcast über den aufstrebenden Staat sprechen konnte. So kommt Indiens wirtschaftlicher Aufschwung nicht bei jedem Teil der Bevölkerung gleichermaßen gut an. Trotz expandierender Wirtschaft entstehen nicht genügend Arbeitsplätze.⁶ Das gilt insbesondere für Regionen jenseits urbaner Ballungszentren, in denen die hohe Jugendarbeitslosigkeit weiter zunimmt. Darüber hinaus ist fast die Hälfte der Inderinnen und Inder aus ländlichen Regionen vom strauchelnden Agrarsektor abhängig.⁷ Die Landwirtschaft gilt als wichtiger Stützpfeiler der indischen Wirtschaft, war im vergangenen Jahr aber von einer deutlichen Wachstumsschwäche⁸ gekennzeichnet.

Massenarbeitslosigkeit könnte zur realen Herausforderung für das Wachstumsmodell werden. Mehr als die Hälfte der 1,4 Milliarden Inderinnen und Inder ist jünger als 25 Jahre. Die sogenannte demografische Dividende gilt als Treibstoff für den heiß gelaufenen Konjunkturmotor. Um diese Dividende nutzen zu können, müssen aber nicht nur genügend Arbeitsplätze vorhanden sein, auch das Bildungsniveau der jungen Bevölkerung muss auf Dauer steigen. 

In den vergangenen beiden Amtszeiten hat die Regierung Modi zudem enorme Summen in den Auf- und Ausbau der inländischen Infrastruktur gesteckt. Öffentliche Kapitalausgaben sind weiterhin ein maßgeblicher Wachstumstreiber, während private Investitionen und der Binnenkonsum zurückgehen. Bis März 2025 will die Regierung die Kapitalausgaben erneut um elf Prozent steigern, nachdem bereits im Vorjahr eine Erhöhung um 33 Prozent beschlossen wurde.⁹ Eine Herausforderung für Modis dritte Amtszeit wird sein, Investorinnen und Investoren zu überzeugen, mehr privates Kapital für die indische Wachstumsstory zu akquirieren. 

Fazit

Mit ihrer investitions- und reformfreudigen Politik hat die Regierung Modi für glänzende Wachstumszahlen gesorgt. Unter der Oberfläche ist die Lage komplizierter. Die neu gebildete Koalition hat eine Menge zu tun, um das indische Wachstumsmodell nachhaltig aufrechtzuerhalten.

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