Die US-Notenbank hat ihre Zinsen schneller und entschlossener angehoben als die Europäische Zentralbank. Bei Zinssenkungen macht nun die EZB den ersten Schritt. Der Führungswechsel kommt nicht von ungefähr.

Vor mehr als zwei Jahren mussten die Währungshüter aus aller Welt einsehen: Die Inflation war gekommen, um zu bleiben. Die Verbraucherpreise kletterten in den USA im März 2022 auf 8,5 Prozent1, den höchsten Stand seit 40 Jahren. Fed-Chef Jerome Powell machte Nägel mit Köpfen, erhöhte den Leitzins um 25 Basispunkte – und leitete die Zinswende ein, um die Geldentwertung auszubremsen. Obwohl die Lage in Europa ähnlich düster aussah, zögerte die Europäische Zentralbank damals ihre Entscheidung hinaus. Der erste vorsichtige Zinsschritt kam erst im Juli 2022.

Nach dem geldpolitischen Kurswechsel der Fed folgte die EZB wie ein Schatten. Nach elf Zinserhöhungen hatte sich der Leitzins in den USA im Juli 2023 zwischen 5,25 und 5,5 Prozent2 eingependelt, in Europa erreichte das Zinsniveau im September seinen Höhepunkt. Seit diesem Wendepunkt warteten Anlegerinnen und Anleger gespannt auf neue Signale der Währungshüter.

Und dieses Mal haben die Europäer  den entschlosseneren Eindruck gemacht. Bereits im April wollten die EZB-Mitglieder die Zinsschraube lockern. In der Juni-Sitzung war es dann endlich so weit:  Die EZB hat den Leitzins im Euroraum um 0,25 Prozentpunkte auf 4,25 Prozent gesenkt³. Derweil lässt Fed-Chef Jerome Powell den zeitlichen Rahmen einer Zinswende vollkommen offen4.

Gleiche Methode, anderes Ergebnis

Für das Zögern der US-Notenbank gibt es gute Gründe. Um die Zinsen zu senken, braucht es zunächst ein gewisses Vertrauen darin, dass ein solcher Schritt überhaupt zum gewünschten Ergebnis führt. In der Theorie hätten bereits die gestiegenen Kapitalkosten die Konjunktur deutlich abkühlen und den Preisauftrieb bremsen müssen.

Statt sich der Zielinflation von zwei Prozent zu nähern, hat sich der Abwärtstrend in den USA hingegen deutlich verlangsamt. Im März stiegen die Verbraucherpreise im Vergleich zum Vorjahresmonat schon wieder um 3,5 Prozent, im April immerhin noch um 3,4 Prozent5. Zu viel, um Lockerungen zu rechtfertigen. Hinzu kommt, dass die Wirtschaftslage Kopfzerbrechen bereitet. Das BIP ist im ersten Quartal 2024 schwächer als erwartet ausgefallen. Die Kombination aus zäher Inflation und ersten Anzeichen einer stagnierenden Wirtschaft lässt bei den Notenbanken alle Alarmglocken läuten. Denn eine sogenannte Stagflation gilt als besonders schwer zu bekämpfen, sie erfordert viel Fingerspitzengefühl und lässt wenig Raum für Zinssenkungen.

In Europa dagegen ist der Plan der Zentralbank besser aufgegangen. Die Wirtschaft im Euroraum wächst nach wie vor eher schwach. Die Inflation nähert sich der 2%-Marke. Mit 2,6 Prozent im Mai3 ist sie zwar noch nicht gebändigt, doch das Ziel ist in Sichtweite. Der Weg für eine Zinssenkung war damit geebnet .

Fazit

Die US-Notenbank hatte die Inflationsgefahr vor zwei Jahren zuerst erkannt und ist entschlossen dagegen vorgegangen. Nun aber schraubt die EZB als erste ihre Gegenmaßnahmen zurück. In Anbetracht aktueller Konjunkturdaten sind diese Entscheidungen wenig überraschend. Erst wenn die Inflation in den USA einen klaren Abwärtstrend zeigt, ist auch dort mit Zinssenkungen zu rechnen. Angesichts der bevorstehenden US-Präsidentschaftswahlen im November dürfte sich der Kurswechsel sogar bis ins nächste Jahr hineinziehen. Somit folgen die USA geldpolitisch einmal den Europäern statt wie üblich umgekehrt.

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