Im Windschatten der US-Zinswende hat China ein multimilliardenschweres Paket aus Zinssenkungen, neuen Krediten und Stützungskäufen am Aktienmarkt verkündet. Die neue Entschlossenheit verdient Respekt.

Zu den bemerkenswertesten Eigenschaften des Aktienmarktes gehört die hohe Geschwindigkeit, mit der sich dort neue Nachrichten in Kursbewegungen niederschlagen. Ein Blick auf die Entwicklung des chinesischen Leitindex CSI 300¹ zeigte dies jüngst in aller Deutlichkeit: Der Index, der die Kursentwicklung der 300 größten Unternehmen an den Börsen in Shanghai und Shenzhen abbildet, legte Ende September um fast 1000 Punkte auf über 4000 Punkte zu. Dies war der höchste Wochengewinn seit mehr als 15 Jahren². 

Der Grund für die Euphorie führt über die US-Notenbank Fed zum chinesischen Pendant, der People’s Bank of China und schließlich ins Herz des Politbüros der kommunistischen Staatsführung. Was war passiert? Nur eine Woche, nachdem die Fed mit ihrem Doppelschritt die Zinswende eingeläutet hatte, zog China nach³. Und wie: Die Notenbank senkte den maßgeblichen 7-Tages-Referenzzins für sogenannte Reverse-Repo-Geschäfte von 1,7 auf 1,5 Prozent. Gleichzeitig lockerte der Staat die Auflage für Kapitalrücklagen für Banken: Weil sie weniger Reservekapital vorhalten müssen, können sie umgerechnet etwa 125 Milliarden Euro mehr an Krediten an Privatleute und Unternehmen vergeben. Als zusätzlichen Hebel zur Wirtschaftsbelebung senkte das Politbüro die Hypothekenzinsen um einen halben Prozentpunkt und lockerte die Kapitalanforderungen für Kredite zum Zweitwohnungskauf. Schließlich kündigte die Notenbank dann auch noch eine Kapitalspritze von umgerechnet 50 Milliarden Euro für die Banken an, damit diese mit Stützungskäufen den Aktienmarkt stabilisieren können.

Big Bang fürs Fünf-Prozent-Ziel

Es war das größte Konjunkturpaket seit der Corona-Pandemie – und ein klarer politischer Schwenk hin zu einer Neuausrichtung und Stabilisierung des Immobiliensektors und der Binnenwirtschaft. Letztere soll so schnell wie möglich wieder das jährliche Wachstumsziel von fünf Prozent erreichen, das die aufstrebende Volkswirtschaft für ihr Funktionieren und ihre Entwicklung dringend benötigt. Neben den üblichen geldpolitischen Maßnahmen wurden überraschenderweise auch fiskalpolitische Impulse gesetzt, um das schwache Konsumentenvertrauen zu stärken. Damit macht die Regierung deutlich, dass sie sich der schwierigen konjunkturellen Lage durchaus bewusst ist. 

Investorinnen und Investoren können also auf eine Bodenbildung hoffen. Bei Fidelity nennen wir das große Ziel der Chinesen auch die „kontrollierte Stabilisierung“. Und auch wenn unsere Analystinnen und Analysten die Wahrscheinlichkeit für dieses Szenario zuletzt etwas gesenkt haben, halten sie es weiterhin für die wahrscheinlichste Option. Damit würde es den Chinesen gelingen, sich aus der Bilanzrezession zu befreien, die die Volkswirtschaft zuletzt lähmte. In unserem neuen Quartalsausblick gehen wir näher auf die möglichen Folgen ein. 

Fazit

An den Finanzmärkten wurde das Paket mit großer Freude und Erleichterung aufgenommen. Die große Frage ist nun, inwieweit es weiter ergänzt wird und wann und wie stark es in der Realwirtschaft ankommt. Letztlich ist die „kontrollierte Stabilität“ lediglich ein Zwischenziel, denn die chinesische Wirtschaft steckt in einer viel größeren Umstrukturierung; die Wachstumsmuster werden sich in Zukunft ändern. Das weiß auch das Politbüro – und wird den Umbau weiter vorantreiben. Ein solcher Prozess eröffnet immer auch neue Chancen für Anlegerinnen und Anleger. Mit Blick auf die jüngste Kursrally sollte aber auch klar sein: Langfristig bestimmen fundamentale Entwicklungen über die Aktienperformance, nicht die Aktivitäten der Notenbanken. Wenn sich also die Aussichten für Unternehmensgewinne längerfristig nicht nachhaltig verbessern, dürften auch starke Kursgewinne nicht von langer Dauer sein.

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