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14. Villa Mumm Konferenz
Nachbericht
Von BIPs, sich anhäufenden Cash-Beständen …
… und praktischen Neuordnungen: Der übliche Tagungsherbst im Pensionswesen nimmt Fahrt auf, läuft trotz Corona und deswegen meist digital. Zum mittlerweile 14. Mal hat nun die Villa Mumm Konferenz stattgefunden. Es ging um Volkswirtschaft, um Kapitalanlage und um zwei konkrete Praxisberichte aus der bAV.
Von Kronberg im Taunus aus eröffnet Christof Quiring, Leiter des Bereichs Workplace Investing von Fidelity International, die diesjährige Villa Mumm Konferenz, die wie die meisten Konferenzen derzeit im virtuellen Raum stattfindet.
Eingestimmt werden die virtuellen Gäste von Ferdinand Alexander Leisten, Sprecher der Geschäftsleitung Deutschland, Fidelity International: Finanzmärkte sind zwar Krisen gewohnt, doch Covid19 bezeichnet Leisten als einzigartigen exogenen Schock. Aber auch wenn Auswirkungen und Dauer noch schwer einschätzbar sind, haben sich die Märkte erholt. Somit bleiben für die bAV regelmäßige Investitionen die richtige Antwort. Denn: Ihre langfristige Ausrichtung gleicht vorübergehende Volatilitäten aus.
Zudem sieht Leisten aktuell den Staat doppelt gefordert: Er muss unterstützend eingreifen, ohne operativ engagiert zu sein. Und er muss weiterhin den allgemeinen Ordnungsrahmen sicherstellen. Im Hinblick auf die bAV sieht Leisten drei Aufgaben. Erstens, das BRSG sollte weiter ausgebaut und animiert werden. Zweitens: die Aktie als langfristig überlegene Anlageklasse sollte gestärkt statt stigmatisiert werden, um mehr Menschen für diese Vorsorgeform zu erreichen. Drittens, die digitale Rentenübersicht muss Priorität behalten.
Auf der Agenda stehen als Referenten ein Wirtschaftswissenschaftler, ein Kapitalmarkt-Experte sowie drei Unternehmensvertreterinnen, die Einblicke in den Um- oder Aufbau ihrer Vorsorgelösungen geben.
Verlustverrechnung ja – Staatsbeteiligung nein – Clemens Fuest, ifo-Institut
Clemens Fuest macht den Auftakt: Sein Vortag dokumentiert den makro-ökonomischen Status Quo angesichts der Corona-Pandemie, liefert ausgewählte OECD-Zahlen und verknüpft diese mit Prognosen für die deutsche Wirtschaft. Der Professor für Volkswirtschaftslehre an der Ludwig-Maximilians-Universität München und Präsident des ifo Instituts startet mit einem branchenübergreifenden Vergleich der hiesigen Wirtschaftsleistung vor und nach dem Lockdown:
38 Branchen, so führt Fuest auf, sind vom wirtschaftlichen Einbruch betroffen: vor allem Reisebüros und -veranstalter (-84% Wirtschaftsleistung gegenüber der Leistung vor Ausbruch der Coronakrise), Luftfahrt (-76%), Gastgewerbe (-68%), Kunst, Unterhaltung und Erholung (-43%) sowie der Fahrzeugbau (-41%).
Unter den ausgewählten OECD-Staaten verzeichnen insgesamt Großbritannien, Spanien und Frankreich prozentual die negativste BIP-Entwicklung gegenüber dem Vorjahr. Die USA und Deutschland liegen etwa gleichauf und nahe am OECD-Schnitt. Einzig China schaffte im Q II 2020 ein ca. 3%iges BIP-Wachstum gegenüber dem Vorquartal.
Ein Blick auf Deutschland: Nach dem Tiefpunkt, der etwa im April zu verzeichnen war, erholten sich wichtige Konjunktur-Indikatoren bis Ende Juli wieder, erläutert Fuest. Als sich verbessernde Parameter identifiziert der Wissenschaftler Beschäftigungsbarometer, Geschäftsklima-Index, Exporterwartungen der Industrie sowie Rückgang an Kurzarbeit – wenngleich die Aussichten von manchen Unsicherheiten geprägt bleiben.
Wie am Jahresende das Fazit für das wirtschaftliche Wachstum ausfällt, wird laut ifo maßgeblich davon beeinflusst, ob es eine „zweite (Infektions-)Welle“ und ggf. einen erneuten Lockdown oder anderweitige Beeinträchtigungen geben wird. Für Deutschland lauten die entsprechenden OECD-Prognosen für die wirtschaftliche Entwicklung: -6,6% (1. Welle) und -8,8% (2. Welle) des BIP.
Interessant waren auch die abschließenden Zahlen Fuests, die aus Unternehmenssicht den Maßnahmenkatalog der Bundesregierung (Stichwort „Bazooka“) beurteilten. Präferiert wurden eine großzügigere Verlustverrechnung, Gewinnsteuersenkung und Investitionsprogramme. Eindeutig ablehnend hingegen standen die Unternehmen staatlichen Beteiligungen gegenüber.
„Ist die Welt flach?“ – Covid-19 und die Auswirkungen auf die Kapitalanlage – Luc Froehlich, Fidelity International
Zweiter Vortrag, Luc Froehlich. Der Global Head of Investment Directing Fixed Income von Fidelity International stellt ausgewählte Perspektiven für die Kapitalanlage in den Mittelpunkt. Diese haben oft mit Quantensprüngen und neuen Technologien zu tun. Damit verbunden geht Fröhlich auf eine derzeit häufige Frage von institutionellen Investoren ein und fragt mit Blick auf Zeiten, als unsere Vorfahren die geographische Welt für eine flache Scheibe hielten: „Muss ich in einer ‘flachen’ Anlage-Welt näher an der Klippe navigieren und so mehr Risiko akzeptieren?“ Seine Antwort „Nein.“; seine Empfehlung: Man sollte (nur) mehr über die Risiken erfahren, um dadurch besser gewappnet zu sein. Das gilt insbesondere für die von ihm so bezeichnete Post-Covid-Welt und drei von ihm definierte Opportunitäten für die zukünftige Kapitalanlage: Income, Digital Adoption, Sustainability.
In punkto Income wird Covid-19 riesige Fiskal-Defizite verursachen. Zugleich altert die Welt-Bevölkerung weiter. Die Folgen: Staatliche Altersvorsorge kann immer weniger gewährleistet werden, Anleihen tendieren weiter ins Negative. Fehlen diese Returns, häufen sich – insbesondere in Deutschland – bei Investoren die Cash-Bestände, so Froehlich. Das gilt vor allem, weil aus Investorensicht Aktienanlagen im gegenwärtigen Covid-Szenario mit Unsicherheiten behaftet bleiben.
Doch es gibt Alternativen: Firmen mit starkem Balance Sheet und geringerem Kreditrisiko. Darunter fallen die Technologieführer – womit der Redner zum zweiten großen Zukunftsthema überleitete: Digital Adoption.
Dass IT-Firmen besser performen, hat mit Tempo, Reichweite, Abkehr von traditionellen Sichtweisen und einem immensen Innovationsdruck zu tun. Ein Beispiel: Es hat 75 Jahre gedauert, bis 50 Millionen Menschen ein Telefon benutzten. Im Falle der Tele-Conferencing Software Zoom waren es weniger als 2 Monate. 5G und kommende Standards werden diesen Prozess und die digitale Akzeptanz nochmals beschleunigen.
Dritter Punkt ist ESG (Enviroment, Social, Governance): Laut Einschätzungen von Fidelity-Analysten entwickelt sich Nachhaltigkeit von einem Trend hin zu einer Überzeugung in den Unternehmen und deren Belegschaften selbst. Und das rechnet sich, selbst in Krisenzeiten: So fielen in den beiden Extremmonaten der Pandemie (März/April 2020) Aktien von Unternehmen mit einem besseren ESG-Rating lediglich um etwa 23%, Aktien mit schwächeren ESG Rating um ungefähr 34%.
Die Modernisierung der betrieblichen Versorgungssysteme der AviAlliance – ein Erfahrungsbericht – Ursula Toelke, AviAlliance
Danach geht es direkt in die bAV-Praxis. Wie auch in den letzten Jahren werden im zweiten Teil der Konferenz Beispiele der bAV-Praxis präsentiert. Ursula Tölke, Executive Director der AviAlliance GmbH, stellt die Neuordnung der bAV in ihrem Unternehmen vor, deren Etablierung in 2017 erfolgte.
AviAlliance, ein 1997 von der Hochtief AG gegründeter internationaler Flughafeninvestor mit Sitz in Düsseldorf befindet sich seit 2013 im Eigentum des kanadischen PSP Investment Board. Mit weniger als 100 Mitarbeitern gehört AviAlliance hinsichtlich Fragen der bAV zu den eher kleineren Unternehmen. Gleichwohl bilden insbesondere hier die Mitarbeiter eine zentrale Säule des Unternehmenserfolgs.
Der Anstoß zur Neuordnung kam aus dem Management und basierte auf zwei Überzeugungen:
- Erstens: Die bAV sollte als ein attraktives Element der Gesamtvergütung wahrgenommen werden.
- Zweitens: Sie sollte für Unternehmen und Mitarbeiter planbar und in ihrer Struktur transparent sein.
Für die Neuordnung wurden Ziele festgelegt: Modernisierung und Angleichung an den Markt, eine höhere Flexibilität sowie eine planbare Kostenbelastung und effiziente Administration. Hierzu galt es, die historisch und baubranchentypisch anders geprägte bAV-Landschaft des Unternehmens deutlich zu verändern.
Die Herausforderungen für die Strukturierung lagen zum einen in der Bestandsaufnahme aber auch in einer modellbasierten Bewertung der geplanten bAV-Neuordnung als Investition in Mitarbeiter und Unternehmen. Zum anderen war ein fester Zeitrahmen für die Umsetzung einzuhalten, um das Kerngeschäft des Unternehmens nicht zu vernachlässigen.
Ergebnis der Neuordnung
Mit der „Versorgungsordnung 2017“ erfolgte die Einführung monatlicher Versorgungsbeiträge mit Kapitalgarantie, deren Höhe sich transparent nach Gehalt und Dauer der Betriebszugehörigkeit bestimmen. Monatliche Kontoauszüge zeigen dem Mitarbeiter den Entwicklungsverlauf zeitnah auf. Das Versorgungsniveau wurde angehoben, jedoch die spätere Leistungsphase für das Unternehmen zeitlich begrenzt.
Parallel bildet das Unternehmen Planvermögen durch fortlaufende Investition der ermittelten Versorgungsbeiträge in fondsbasierte Anlagen. Das gewählte Life-Cycle-Anlagekonzept mindert das Risiko von Wertschwankungen vor Fälligkeit der späteren Versorgungsleistung. Damit bleiben Bilanzrisiken des Unternehmens auf substanzielle Marktverwerfungen beschränkt, so die Referentin.
Für eine effiziente Administration wurde eine datenbankbasierte Portallösung gewählt. Mit Hilfe dieser erfolgen ein monatlicher Depotabgleich zur Bestimmung der Fondsanlage, ein regelmäßiges Reporting für das Management sowie die monatliche Bereitstellung der Mitarbeiter-Kontoauszüge. Ein ALM-Reporting dokumentiert fortlaufend für das Management den Verpflichtungsstatus des Unternehmens.
Über die bAV-Neuordnung lässt sich laut Tölke eine positive Bilanz ziehen. Der Prozess konnte trotz der anspruchsvollen Zielsetzung in der vorgesehenen Zeit abgeschlossen werden. Alle übertragungsfähigen Ansprüche wurden in die neue Versorgungsordnung überführt. Die durchweg positive Resonanz der Mitarbeiter aber auch von Bewerbern zeigt, dass die richtigen Schwerpunkte gesetzt wurden. Die so neu geordnete bAV-Landschaft des Unternehmens bietet damit eine attraktive und zugleich solide Basis für künftige strukturelle Weiterentwicklungen, so das Fazit der Direktorin.
„Mehr Zeit für mich“ – das neue Lebensarbeitszeitkonto von Essity – Aysel Oektem und Melanie Luksch
Gelebte bAV-Praxis auf der Villa Mumm Konferenz zum Zweiten: die Essity GmbH, ein weltweit operierendes Hygiene-und Gesundheitsunternehmen mit Sitz in Mannheim, hierzulande bekannt durch Marken wie Zewa, Tork und Tempo sowie Tena, ca. 3.500 Mitarbeiter. HR-Managerin Melanie Luksch und Betriebsrätin Aysel Öktem präsentieren das Lebensarbeitszeitkonto (LAZK) für die deutsche Belegschaft des globalen Konzerns.
„Das Motiv für die LAZK-Implementierung lag in veränderten Erwerbsbiografien der Essity-Mitarbeiter und dem entsprechenden Wunsch nach mehr Flexibilität – zum Beispiel Teilzeitarbeiten, Sabbatical, Vorruhestand Lebensarbeitszeit nach ATZ“, so die Referentinnen.
Zudem kommen bereits im Recruitment optionale bAV-Angebote oder Work-Life-Balance-Themen zur Sprache. Auch wenn bereits bAV-Angebote existierten, wollte das Unternehmen noch neben Betriebsrentensystem und Tarifvertragsrente eine weitere Alternative bieten. Unter dem Motto „Geld ist Zeit“ wird Mitarbeitern nun ermöglicht, eine bezahlte Freistellung von der Arbeit zu finanzieren: für Erziehung oder Pflege, teilweisen oder vorzeitigen Ruhestand bzw. für ein Sabbatical, bspw. um sich einen Lebenstraum zu erfüllen… Das Unternehmen verbindet mit dem Lebensarbeitszeitkonto vor allem drei Ziele:
- Freiheit der Mitarbeiter, selbst zu entscheiden
- Flexibilität für Mitarbeiter in der Gestaltung
- Langfristige Planbarkeit für das Unternehmen
Das Angebot steht allen Mitarbeitern der Essity GmbH und ihrer Tochtergesellschaften in Deutschland nach der Probezeit offen, sofern sie in einem ungekündigten und unbefristeten Arbeitsverhältnis stehen.
Neben fest definierten Bedingungen gehören individuelle Optionen zum LAZK. Generell muss neben einer definierten Ankündigungs- bzw. Antragsfrist eine gewisse Einzahlungsdauer gegeben sein. Für ein Sabbatical sind das drei Jahre, für eine Ruhestandsregelung drei Jahre. Vorausgesetzt wird auch ein monatliches Mindestvolumen von 50 Euro bzw. 600 Euro insgesamt im ersten bzw. zweiten Jahr, um mit dem LAZK starten zu dürfen. Zusätzlich profitieren Arbeitnehmer von einem gestaffelten AG-Zuschuss und einer Start-Prämie. Maximal können bis zu 20% des jährlichen Tarifgehalts für Tarifmitarbeiter (bzw. 20% des Jahresgehalts für außertarifliche Mitarbeiter) in das LAZK fließen, allerdings zählt nur bereits erworbenes Einkommen.
Reine Zeiteinheiten sind nur in Ausnahmefällen gestattet. Berücksichtigt werden können unter bestimmten Voraussetzungen auch zusätzliche Monatseinkommen oder Sonderzahlungen, wenn derartige (anteilige) Zahlungen eingebracht werden.
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