Carsten Roemheld: Wir leben im Zeitalter der Maschinen. Technologiekonzerne dominieren das Geschehen am Kapitalmarkt, und die sogenannte Künstliche Intelligenz bricht immer mehr in unseren Alltag herein. Daten gelten als der wichtigste Rohstoff der Zukunft, Roboter übernehmen immer mehr Alltagsarbeit: Sie backen unser Brot, pflegen unsere Alten, bauen unsere Häuser. Welchen Platz hat der Mensch in dieser neuen Welt eigentlich noch als Arbeitskraft? Fragen nach den künftigen Voraussetzungen für Erwerbsarbeit und nach der Gestaltung unserer Sozialsysteme gehören zu den großen Zukunftsfragen dieser neuen Zeit.
Und dabei ist zu unterscheiden zwischen der Lage und den Aussichten, zwischen Gegenwart und Zukunft. Während die einen noch über die Bewältigung des Fachkräftemangels debattieren, fragen andere, ob uns irgendwann die Arbeit ausgeht, wenn Maschinen immer größere Teile der Aufgaben übernehmen. Derweil befeuert dann auch noch eine junge Generation mit wachsenden Ansprüchen an einen Ausgleich zwischen Berufs- und Privatleben Debatten um New Work. Manche träumen vom bedingungslosen Grundeinkommen, von einem Auskommen ohne Arbeitseinkommen. Für andere ist das Ende der Arbeit, wie wir sie kennen, eher ein Alptraum. Müssen wir nun also mehr und länger arbeiten oder kürzer und weniger? Wie wirkt das alles auf unsere sozialen Sicherungssysteme? Kostet es uns Wohlstand? Und wie entwickeln sich schließlich die Kapitaleinkünfte, wenn Arbeitseinkommen einen immer geringeren Teil ausmachen?
Über all diese großen Fragen spreche ich heute mit Frau Professorin Melanie Arntz. Sie ist eine der profiliertesten Arbeitsmarktforscherinnen unseres Landes und Expertin für die Folgen der Digitalisierung auf die Arbeitswelt. Melanie Arntz ist Geographin und Ökonomin. Sie forscht an der Uni Heidelberg und am Zentrum für Europäische Wirtschaftsforschung in Mannheim. Ihre Forschungsfelder sind Arbeitsmärkte und Sozialversicherungen im Wandel. Sie interessiert sich besonders für die Auswirkung der Digitalisierung auf regionale Arbeitsmärkte, auf Beschäftigung und Löhne. Melanie Arntz ist auch in der Politikberatung aktiv: Seit Juni 2022 gehört sie dem Rat der Arbeitswelt an, einem Expertengremium, das Arbeitsminister Hubertus Heil vor drei Jahren ins Leben gerufen hat.
Im zweiten Arbeitswelt-Bericht, den der Rat im Mai veröffentlicht hat und an dem Frau Professorin Arntz federführend beteiligt war, geht es im Kern um ihre Themen: Nämlich darum, wie sich die digitale und ökologische Transformation auf unsere Arbeitswelt auswirkt. Darüber wird sie uns gleich berichten und - so viel vorweggenommen - sie ist überzeugt davon, dass uns die Arbeit nicht ausgeht. Im Gegenteil.
Heute ist Donnerstag, der 7. September 2023. Mein Name ist Carsten Roemheld, ich bin Kapitalmarktstratege bei Fidelity, und ich freue mich sehr auf das kommende Gespräch mit Melanie Arntz im Kapitalmarkt Podcast von Fidelity.
Herzlich willkommen, Frau Arntz.
Melanie Arntz: Vielen Dank, Herr Roemheld, für die nette Einleitung.
Carsten Roemheld: Liebe Frau Arntz, vor einigen Wochen hatte ich eine Studie des Stanford Institutes auf dem Tisch. Die Forscherinnen und Forscher haben im Auftrag der Investmentbank Goldman Sachs berechnet, dass zwei Drittel der Berufe in irgendeiner Form von künstlicher Intelligenz betroffen sind, und ein Viertel bis zur Hälfte ihrer Arbeit soll durch KI ersetzt werden können. Weltweit seien es bis zu 300 Millionen Jobs, die dann ersetzbar wären. Das ist eine gewaltige Zahl. Auch in Deutschland gibt es immer wieder Warnungen, dass Computer den Arbeitnehmern ihren Platz wegnehmen. Jetzt habe ich schon erwähnt, Sie sind überzeugt: Die Arbeit wird uns nicht ausgehen. Wie passen diese beiden Dinge zusammen?
Melanie Arntz: Ja, die Zahlen, die sie gerade genannt haben, oder die Zahlen, die immer wieder kursieren, sind oft sehr alarmistisch und sorgen dann für genau die Schlagzahlen, die Sie ja auch nannten. Ich glaube, das Problem liegt oftmals daran, diese Zahl richtig einzuordnen. Auch in der Studie von Goldman Sachs wird das eigentlich getan. Aber natürlich bleibt dann immer diese Zahl, die verfängt, und die dann so ein bisschen diese Angst schürt, die Arbeit könnte uns ausgehen. Der Faktor ist aber: Der technologische Wandel hat sehr viele komplexe Anpassungsprozesse zur Folge, immer schon und auch heute wieder. Ich glaube, die künstliche Intelligenz ist da nicht viel anders; über die Unterschiede werden wir sicher noch sprechen. Aber im Grunde ist es eben nicht damit getan zu sagen, was kann eine Technologie, eine neue Maschine an Tätigkeiten übernehmen. Sondern wir müssen auch immer über weitere Aspekte reden, die Technologie bewirkt. Etwa das Schaffen neuer Jobs: Es entstehen neue Berufsfelder. Es gibt dazu eine sehr interessante Studie von David H. Autor und Co-Autoren, die zeigt, dass ein großer Teil der Berufe, in denen Menschen heute arbeiten, vor 50 oder 60 Jahren noch überhaupt nicht existiert haben. Und das ist eine starke Evidenz dafür, dass wir einfach immer einem ständigen Wandel unterliegen, was Arbeit ist und womit wir uns beschäftigen, womit wir unser Einkommen verdienen. Das unterlag immer schon einem Wandel, zu jeder Zeit. Und das ist insofern jetzt auch nicht anders.
Insofern wird auch die Künstliche Intelligenz uns zum Teil Aufgaben abnehmen. Das wird an anderen Stellen aber neue Berufsfelder schaffen. Und selbst wenn wir uns jetzt auf die Berufe fokussieren, die tatsächlich von diesem Ersetzen betroffen sind, also Berufe, wo potenziell, sagen wir mal, ein Viertel oder vielleicht 50 Prozent der Aufgaben von KI zum Teil übernommen, oder ich würde eher sagen: unterstützt werden können, dann bedeutet das eigentlich oftmals, dass sich diese Berufe wandeln. Aber nicht, dass die Berufe per se verschwinden. Insofern finde ich dieses in den Raum stellen, dieses Berechnen von: 300.000 Jobs stehen auf der Abschussliste oder 300 Millionen, je nachdem, ob man das global skizziert oder für ein einzelnes Land – das ist eine problematische Zahl. Weil es all diese Effekte nicht mit einkalkuliert, die das wieder in Relation setzen und dazu führen, dass wir eben dann doch sehr viel mehr Arbeit am Ende haben, als wir denken. Also de facto unterm Strich: Die Leute werden anders arbeiten, die Berufe ändern sich. Deswegen werden sie aber noch lange nicht entlassen, sondern die meisten werden von ihren Arbeitgebern weitergeschult, vielleicht auch an andere Tätigkeiten gesetzt, bleiben aber sehr wohl weiterhin beschäftigt. Zum anderen: Selbst, wenn zum Teil Entlassungen passieren sollten, entstehen an anderer Stelle neue Berufe. Unterm Strich ist uns die Arbeit in der Vergangenheit nicht ausgegangen, und ich sehe auch keinen Grund zu denken, dass das jetzt der Fall sein sollte, nur weil KI jetzt plötzlich andere Berufe betrifft, als das vielleicht vorher der Fall war.
Carsten Roemheld: Das stimmt absolut. Man geht immer davon aus, dass das ein großer Schlag ist und nicht so eine graduelle Änderung, sondern man irgendwie auf einmal unheimliche Produktivitätsfortschritte verbuchen kann. Aber sie haben natürlich völlig Recht, und das ist fairerweise auch in der Studie enthalten: Die Studie geht nicht von Massenarbeitslosigkeit aus, sondern davon, dass eben neue Berufsfelder entstehen.
Aber warum ist dann dieses Phänomen, diese Angst vor der Automation, wie sie das selbst in ihrer Forschungsarbeit beschreiben, warum ist diese Angst so groß und so besonders ausgeprägt?
Melanie Arntz: Ich glaube, das ist gar nicht bei diesem Thema besonders ausgeprägt. Wenn wir in die Vergangenheit schauen, dann hat es das immer wieder gegeben. Im 19. Jahrhundert haben die Ludditen schon versucht, die eine oder andere Maschine zu zerstören, von der sie glaubten, dass sie davon ersetzt würden. Also es gab immer wieder Aufstände und Streiks gegen neue Technologien, weil man die Befürchtung hatte, dass dadurch die eigene Arbeit gefährdet wird. Also das ist insofern ein wiederkehrendes Phänomen seit der ersten Industrialisierung. Insofern würde ich sagen, ist das gar nichts Neues, sondern ein altes Narrativ, das einfach immer wieder mit neuen technologischen Wellen befeuert wird.
Und wenn Sie mich fragen, warum das so ist, dann glaube ich, hat das viel damit zu tun, dass wir, wenn wir das historisch betrachten, immer sagen würden, wir haben von jeder industriellen Welle sehr profitiert, auch im Hinblick auf Wohlstand. Produktivität ist gewachsen, irgendwann ist auch Wohlstand in der Breite gewachsen. Wir haben als Gesellschaft sehr davon profitiert. Aber was die Leute am Anfang sehen, ist zunächst mal die Gefahr für ihren eigenen Beruf, ihr eigenes Einkommen, weil die anderen Effekte zum Teil einen anderen Zeitrahmen brauchen. Wir wissen zum Beispiel, dass neue technologische Innovationen eine ganze Weile brauchen, bevor wir wirklich starke gesamtwirtschaftliche Produktivitätseffekte finden. Dieser Verzögerungseffekt ist ein Problem: Ich habe sozusagen jetzt den Nachteil und den Vorteil erst irgendwann in der Zukunft. Und es ist nicht mal ganz klar, ob ich dann immer noch derjenige bin, der von diesem Vorteil profitiert. Das sind aus meiner Sicht die Ursachen für diese Ängste, die dann immer wieder neu geschürt werden.
Carsten Roemheld: Was sind denn aus Ihrer Sicht Berufe, die besonders stark betroffen sind? Ich meine, es betrifft ja, wie Sie schon gesagt haben, andere Berufe als es vielleicht früher der Fall war. Wo würden Sie die Haupteffekte im Arbeitsleben sehen?
Melanie Arntz: Ich glaube, das ist tatsächlich der interessante Aspekt an der neuen KI-Welle, dass sich da möglicherweise verschiebt, wer oder welche Berufe besonders betroffen sind. Wenn wir kurz zurückschauen auf das, was in den 70er, 80er Jahren des letzten Jahrhunderts begann und was wir als Computerisierung bezeichnen, dann hat das damals vor allem manuelle Routineberufe betroffen, typische Fertigungsberufe. Wenn wir uns angucken, was seitdem passiert ist, dann ist der Anteil derjenigen in unserer Arbeitswelt, die in diesen Berufen arbeiten, stark gesunken in diesen letzten 30 Jahren, weil einfach viel ersetzt wurden, ohne Frage. Gleichzeitig waren zunehmend Berufe betroffen, die stärker mit routine-kognitiven Aufgaben beschäftigt sind, also zum Beispiel Sacharbeiter. Allerdings war die Zahl der Beschäftigten in diesem Bereich noch relativ stabil in der Vergangenheit.
Ich glaube, dass sich das jetzt nochmal stärker ändern wird. In der Studie von Goldman Sachs, aber auch in anderen Studien, die sich mit der Frage beschäftigen, welche Tätigkeiten durch KI ersetzt werden können, zeigt sich, dass gerade administrative Aufgaben, die ganzen Backoffice-Aufgaben, dass da sehr viel von KI übernommen werden kann. Also glaube ich, dass wir da jetzt noch mal einen stärkeren Einfluss sehen. Was darüber hinaus interessant ist: Jetzt gewinnen auch komplexere Tätigkeiten einen gewissen Routinecharakter. Also früher hieß es immer, alle Dinge, die nicht Routine sind, die komplex sind, die Entscheidungen brauchen und so weiter und so fort, die sind relativ sicher vor technologischen Wandel, dafür braucht es immer noch menschlichen Grips. Das ändert sich jetzt, denke ich, durch die KI. Das heißt, das wird zum Beispiel auch im Bereich von Managemententscheidungen, bei Finanzdienstleistungen, aber auch, um meinen eigenen Beruf zu nennen, in der Wissenschaft ein Thema. Der ganze Bereich der Professionals wird davon betroffen sein: Informationszusammenstellung und Verarbeitung, also daraus in irgendeiner Form etwas zu kondensieren, das sind ja die Tätigkeiten, die einen Großteil dieser Berufe ausmachen. Und das ist eben etwas, wo KI uns auf jeden Fall abhängen wird, wo wir also einfach diese Dinge zum Teil ersetzen werden.
Carsten Roemheld: Was wird denn dann aus diesen akademischen Tätigkeiten, die früher, wie Sie selbst sagen, einigermaßen sicher waren? Weil man gedacht hat, durch eine gute Ausbildung und durch komplexe Erfahrung hat man einen gewissen Erfahrungsschatz aufgebaut, den eine KI so schnell nicht ersetzen kann. Wenn das jetzt tatsächlich der Fall ist, wenn also KI komplexe Zusammenhänge analytisch erfassen und vielleicht auch Entscheidungen treffen kann, dann trifft es ja schon auch eine andere Bevölkerungsschicht. Und bei der ist möglicherweise diese Angst dann auch erstmalig so stark ausgeprägt. Teilen Sie das?
Melanie Arntz: Also, ich teile auf jeden Fall, dass diese Berufsgruppen davon betroffen sein werden. Ich teile aber nicht, dass das ein Riesenproblem für diese Berufe ist. Weil ich davon ausgehe, dass es gerade für diese Berufsgruppen am Ende des Tages primär komplementär sein wird und nicht ersetzend. Wir müssen ja alle nur mal an unseren Arbeitsalltag denken, und ich denke jetzt mal an meinen eigenen: Wie viel Zeit ich mit administrativen Aufgaben, mit E-Mails und Informationsverarbeitung verbringe, die ich sehr gerne in Forschung stecken würde. Also, da würde ich mir manchmal eine kluge KI wünschen, die mir das ein oder andere abnimmt. Und ich glaube, dass das durchaus in vielen Berufen der Fall ist, also dass wir da wirklich Potenziale haben.
Wir denken halt immer, das ist unser Job. Wir sehen ja immer nur das, was wir bislang in unserem Beruf gemacht haben, und können uns vielleicht manchmal auch nicht richtig vorstellen, wie eine neue Arbeitsteilung zwischen Maschine und Mensch aussehen kann, und das ist eben auch ein Anpassungsprozess. Wir müssen eben lernen, was kann mir denn sowas wie ChatGPT abnehmen? Und wie kann ich diese freigewordene Zahlt vielleicht in Dinge investieren, die vorher zu kurz gekommen sind? Daraus wird dann ein Schuh, und das ist am Ende das, was wir als Produktivitätsschub finden können, weil wir uns den Dingen widmen können, die produktiver sind und einen größeren Mehrwert bringen.
Carsten Roemheld: Ich habe jetzt auch von verschiedenen Bereichen gehört, dass ChatGPT zum Beispiel gar nicht erlaubt ist am Arbeitsplatz, dass man sich davor schützen möchte, dass Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter Tätigkeiten auslagern an die KI. Glauben Sie, dass da noch eine größere Bereitschaft entstehen muss? Oder werden wir uns noch eine Zeitlang darüber unterhalten müssen, ob man jetzt zulassen soll, dass ChatGPT zum Beispiel einige Tätigkeiten uns abnimmt oder nicht?
Melanie Arntz: Ja, neben der Debatte, was macht KI mit dem Arbeitsmarkt, gibt es auch diese Debatte: Was müssen wir jetzt eigentlich institutionell gesetzlich und wie regeln für den Umgang mit solchen Technologien? Natürlich sind diese beiden Dinge nicht unabhängig. Wir müssen schon auch klären, wie sieht das mit dem Datenschutz aus? Was darf also eine KI wissen und verarbeiten? Das ist alles nicht trivial. Es wird insofern schon eine gewisse Zeit brauchen, Wege zu etablieren, wie man so eine Technologie wirklich nutzbar machen kann. Vielleicht kann man so eine Technologie auch für bestimmte Kontexte nochmal anpassen und Rahmenbedingungen vorgeben, in denen so eine Technologie auch nutzbar gemacht werden kann. Ich glaube, das wird auch noch dauern. Es ist auch wieder einer der Gründe, warum wir nicht von heute auf morgen überall KI sehen werden. Diese Prozesse brauchen am Ende des Tages immer viel länger als wir denken.
Es gibt jetzt schon einen Schub, alle reden darüber durch die Veröffentlichung von ChatGPT und ähnlichen Tools. Trotzdem: Um das in der Breite der betrieblichen Praxis zu etablieren, auch mit der betrieblichen Mitbestimmung auszuhandeln, für was wollen wir das nutzen – das sind alles Dinge, die Zeit brauchen. Trotzdem bin ich davon überzeugt, in der mittleren Frist wird das eine Technologie sein, die in der Breite verfängt, ähnlich dem Personal Computer, man spricht ja auch immer von der General-Purpose-Technologie. Ich glaube, dass die Bedingungen dafür hier in jedem Fall gegeben sind. Insofern wird sich das in der Breite durchsetzen. Aber es ist ein Prozess, der Zeit braucht.
Carsten Roemheld: Das würde mich genau nochmal interessieren, wie Sie den zeitlichen Rahmen sehen. Bei früheren Übergängen wie der industriellen Revolution hat es auch eine lange Zeit gedauert, bis die Dinge wirklich voll etabliert waren, und in der Zwischenzeit sind doch einige soziale Härten entstanden, gab es große Arbeitsplatzverluste und so weiter. Langfristig sind Sie also optimistisch. Aber kann diese Übergangsphase schmerzlich werden?
Melanie Arntz: Wenn Sie das so fragen, gehen Sie schon wieder so ein bisschen von diesem Bild aus, da kommt die Technologie, dann werden die Leute vor die Tür gesetzt und die neuen Jobs, die entstehen aber wegen der Produktivität erst in zehn Jahren, also haben wir ein Problem. Das sehe ich ehrlich gesagt so gar nicht, und zwar aus verschiedenen Gründen. Zum einen: Wir haben in Deutschland trotz aller Bildungsprobleme nach wie vor ein hohes Bildungsniveau. Das heißt, Arbeitgeber haben jeden Grund, gerade auch vor dem Hintergrund des Fachkräftemangels, die gut ausgebildeten Leute mitzunehmen und nicht vor die Tür zu setzen. Sondern sich eher zu überlegen, da kommt jetzt eine neue Technologie, und für einen bestimmten Mitarbeiter werden da Zeiten frei oder der Beruf, der Arbeitsplatz verändert sich. Wie also kann ich das Tätigkeitsfeld so verändern, dass es am Ende wieder für alle Seiten gewinnbringend ist? Das heißt, ich glaube, ganz viele Anpassungsprozesse passieren letztlich in den Betrieben und in den Firmen. Wir wissen zudem, dass Betriebe, die solche Technologien etablieren, auch mehr weiterbilden, weil sie versuchen, dann auch ihre Leute genau an diese Technologien und an die Nutzung heranzuführen. Da mache ich mir wesentlich weniger Sorgen als in einer ersten industriellen Revolution, wo wir über Weiterbildungsprogramme und all das überhaupt noch nicht gesprochen haben und wo Arbeit auch so vielfach vorhanden war, dass gar keine Notwendigkeit bestand, den Einzelnen zu fördern. Ich glaube, da sind wir einer anderen gesamtgesellschaftlichen Situation. Deswegen glaube ich, wird es diese starken sozialen Härten, von denen sie sprachen, in der Form nicht geben.
Carsten Roemheld: Okay, also ein gradueller Prozess, der Schritt für Schritt Fahrt aufnimmt? Das könnte sich wunderbar fügen an die Ansprüche der neuen Generation, die ein bisschen mehr Ausgleich sucht zwischen Beruf und Privatleben. Und wenn dann KI tatsächlich Teile dessen übernehmen kann, was wir an Zeit einsparen können, dann wäre das natürlich eine sogenannte Win-Win-Situation.
Kommen wir zum zweiten Themenblock: Da geht es um Vorsorge und Kapitaleinkünfte. Wir haben jetzt viel gesprochen über Maschinen, KI, Robotik und so weiter, und darüber, dass Technik größere Teile der Wertschöpfung in den Wohlfahrtsstaaten übernehmen kann. Wie aber wirkt sich das aus? Denn Maschinen erwirtschaften ja kein Arbeitseinkommen, sondern Kapitaleinkünfte. Jetzt könnte man argumentieren, dass das zu einer noch größeren Spaltung führen kann, weil das Kapital jetzt schon viel Geld verdient und die Arbeitnehmer in den letzten Jahren eigentlich immer mehr den Kürzeren gezogen haben. Wird das nicht die Balance noch mehr zugunsten von Kapitaleinkünften verschieben, auf globaler Basis betrachtet?
Melanie Arntz: Grundsätzlich sehen wir seit etwa 20, 30 Jahren, dass der Anteil des Arbeitseinkommens an der Gesamtwertschöpfung sinkt. Das hat sicher was mit Technologieeinsatz zu tun, und dass durch den steigenden Kapitaleinsatz immer mehr der Einkünfte Kapitaleinkünfte sind. Die Frage ist dann am Ende: Wie werden die Gewinne aus diesen neuen Technologien verteilt? Also inwiefern wird Arbeit daran beteiligt? Das ist wichtig für den sozialen Frieden. Es ist aber auch wichtig für die Rentenperspektive, denn eine Lohnsteigerung, die ich nicht bekomme, kann ich auch in der Rente später nicht mehr haben. Das heißt, es ist schon eine sehr entscheidende Frage, inwiefern es gelingt, einen Ausgleich zu schaffen und die Beschäftigten an diesen Gewinnen zu beteiligen.
Ich glaube, dass wir da im internationalen Vergleich in Deutschland eigentlich relativ gut aufgestellt sind, weil wir nach wie vor ein starkes Tarifsystem haben, wo wir genau auf dieser Ebene versuchen, Ausgleich zu schaffen zwischen der Arbeitgeber- und der Arbeitnehmerseite. Wenn wir jetzt etwa an die Lohnverhandlungen aktuell denken, die natürlich je nach Industrie unterschiedliche Motivationslagen haben, da geht es auch darum, für die Beschäftigten einen Teil zu sichern. Ich glaube auch da, dass die Tatsache, dass Arbeitskräfte eher knapp sind vor dem Hintergrund des demografischen Wandels, sich die Verhandlungssituation für die Arbeitnehmerseite eher verbessern wird in den nächsten Jahren. Gerade auch, wenn wir an klassische, ich sag jetzt mal, eher schlecht entlohnte Bereiche denken, die gar nichts mit Technologie zu tun haben. Nehmen wir etwa den ganzen Bereich des Tourismus, die seit der Coronasituation über einen Arbeitskräftemangel in starker Form klagen. Dann kann das auch die Löhne in diesen Sektoren anheben und möglicherweise auch so wieder zu einem Ausgleich führen.
Carsten Roemheld: Es ist schon erstaunlich, da haben wir eben noch gehört, dass wir vor einer massiven Umgestaltung unserer Arbeitswelt stehen. Und dass Kapitaleinkünfte für die Produktivität immer wichtiger werden als menschliche Arbeitskraft. Und trotzdem sind Sie optimistisch, liebe Frau Arntz, dass die Arbeit uns nicht ausgeht. Und dass sie so schnell auch nicht schlechter bezahlt werden wird.
Ich danke Ihnen ganz herzlich für diese Perspektive. Bis hierher nehme ich schon mal mit: Sorgen darum, dass die Maschinen den Menschen die Arbeit und ihr Einkommen wegnehmen, sind unnötig. Vielmehr dürfen wir uns darauf freuen, dass Künstliche Intelligenz uns bei unserer Arbeit immer stärker unterstützt.
Im zweiten Teil unseres Gesprächs werden wir noch genauer auf den Standort Deutschland schauen: Wo hapert es bei der Digitalisierung in unserem Land? Wie sind die Voraussetzungen für künftiges Wachstum durch neue Technologien? Und: Was können Unternehmen, was kann aber auch der Staat tun, damit wir zukunftsfähig bleiben?
Liebe Frau Arntz, ich freue mich schon auf die Fortsetzung.
TEIL II
Carsten Roemheld: Herzlich willkommen zum zweiten Teil unseres Podcasts, Frau Arntz. Zum Einstieg knüpfen wir an beim Stichwort Produktivität von Menschen und Maschinen. Sie haben skizziert, dass der Anteil der Kapitaleinkünfte an der Gesamtwertschöpfung seit langem zunimmt – und mit neuer Technologie dürfte es ja damit weitergehen. Wie aber wirkt sich das auf unsere Sozialsysteme aus und auf den Staatshaushalt? Wir stehen ja vor gewaltigen Investitionen in die öffentliche Infrastruktur. Wir haben eine Energiewende zu stemmen. Und eine alternde Bevölkerung zu versorgen. Nun zahlt eine KI wie ChatGPT aber keine Steuern. Wie kann die öffentliche Hand da weiter finanziert werden – und wie gelingt eine Altersvorsorge für die Bevölkerung?
Melanie Arntz: Ja, also, der eine Hebel ist, die Beschäftigten zu beteiligen. Der andere Hebel ist, die Besteuerung der Unternehmen in den Blick zu nehmen, also die Gewinne zu besteuern. Jetzt sind wir aber natürlich bei dem schwierigen Thema internationale Wettbewerbsfähigkeit des Steuersystems. Man will nicht riskieren, dass Unternehmen abwandern oder sich hier nicht ansiedeln. Das ist ein großes Problem. Insofern sind diese Dinge auch aus meiner Sicht nicht rein national zu lösen. Da gibt es auch auf EU-Ebene immer wieder Initiativen, das zu verbessern, einem Steuerwettbewerb entgegenzuwirken, der sich am Ende auch negativ auswirken würde. Grundsätzlich glaube ich, dass das der Hebel sein müsste, also diese Besteuerung nicht zu niedrig anzusetzen, sie vielleicht sogar perspektivisch zu erhöhen, und dann auf diesem Wege dafür zu sorgen, dass die Sozialversicherungssysteme gut finanziert dastehen. Insofern stehen uns definitiv viele Verteilungsfragen ins Haus in den nächsten Jahren.
Carsten Roemheld: Was glauben Sie eigentlich, wer dann die größten Gewinner sind? Glauben Sie, dass die Technologiekonzerne, die federführend sind bei der Entwicklung der Technologie letzten Endes die größten Profiteure sind? Oder glauben Sie, dass die Nutzer von KI, die Unternehmen, die das produktivitätsfördernd einsetzen, die Nutznießer sein werden? Oder wird es einfach ein Produktivitätsfortschritt auf breiter Front geben? Das ist ja auch eine entscheidende Frage dafür, wie man Unternehmen künftig besteuert, wer die größten Nutznießer sind in der Wertschöpfungskette.
Melanie Arntz: Ich glaube, wenn wir jetzt über die aktuelle Situation sprechen, reden wir über eine Phase, wo wir im Grunde noch in den Kinderschuhen stecken. Der wirkliche Rollout von KI fängt ja gerade erst an. Das heißt, momentan sind aus meiner Sicht die Tech-Konzerne, die diese Technologien anbieten, ganz sicherlich die Gewinner dieser Entwicklung und werden das auch eine Weile bleiben. Aber je mehr diese Technologie General-Purpose-Charakter gewinnt, umso mehr werden die potenziellen Gewinnsteigerungen auch in die Breite getragen und erfassen dann sicherlich auch andere Sektoren. Das ist einer der Gründe, warum wir damit rechnen können, dass wir vielleicht erst in 10 oder 20 Jahren den wirklichen Produktivitätseffekt dieser neuen technologischen Welle sehen. Insofern glaube ich, wird das schon in der Breite verfangen. Aber natürlich vor allen in den Bereichen, in denen Technologie eingesetzt wird. Es gibt ja auch Bereiche, in denen das weniger der Fall ist, im Handwerksbereich etwa oder bei persönlichen Dienstleistungen. Das ist ja nochmal ein etwas anderes Gebiet.
Carsten Roemheld: Ja, der Handwerksbereich scheint einer zu sein, der so ein bisschen isoliert davon ist, und die Handwerkerinnen und Handwerker haben ja in den vergangenen Jahren schon einige positive Effekte gesehen. Das könnte sich nochmal weiter fortsetzen, dass die vielleicht insgesamt am wenigsten betroffen sind. Mich interessiert noch eine andere Frage, nämlich die Standortfrage: Neue Jobs, die im Bereich KI vielleicht eine Rolle spielen, scheinen weniger ortsgebunden zu sein, man kann sie wahrscheinlich von überall machen, der Faktor Arbeit wird dadurch sehr variabel. Kann das auf Dauer zu einem Problem werden? Dass wir eine Art Wettbewerb bekommen für Standortfragen, also: Wo sitzen die Leute, wo sind vielleicht dann doch auch die niedrigsten Steuern? Und dass einige dieser Arbeitsplätze sich einfach verabschieden aus unseren Regionen? Ist das eine Gefahr?
Melanie Arntz: Also, ich sehe nicht so sehr die Gefahr, dass ein größerer oder ein relevanter Anteil Leute jetzt tatsächlich als digitale Nomaden Deutschland verlassen, weil ihnen das nicht mehr attraktiv genug ist. Natürlich steht man im größten Wettbewerb, und vereinzelt mag es das geben. Ich glaube aber nicht, dass das die Breite der Menschen betrifft. Nichtsdestotrotz: Was natürlich richtig ist, ist, dass die Möglichkeiten, Tätigkeiten auch über Kontinente hinweg zu vergeben, bedeutet, dass wir eine ganz andere globale Konkurrenz für bestimmte Berufe oder bestimmte Tätigkeiten bekommen.
Ich glaube aber – und der Datenwissenschaftler ist so das typische Beispiel dafür – dass das auch Grenzen hat. Nehmen Sie mal die Debatten ums Homeoffice. Es gibt gute Gründe, warum Unternehmen jetzt sagen, wir finden das eine super Sache, aber wir brauchen auch immer noch Bindung, wir brauchen auch immer noch die Präsenz. Und ich glaube, sobald wir über komplexere Dinge reden, die tatsächlich auch betriebliches Wissen, Prozess-Knowhow und alles voraussetzen, dann ist es eben nicht damit getan, eine Tätigkeit vielleicht zu einem Programmierer nach Indien auszulagern. Insofern: Für bestimmte stärker standardisierte Teilbereiche mag das so sein. Aber das ist im Prinzip nur eine neue Form der Auslagerung von Teiltätigkeiten, die es auch vorher schon gegeben hat. Insofern sehe ich das jetzt in der Breite nicht als Gefahr, ehrlich gesagt.
Carsten Roemheld: Wie sehen Sie denn grundsätzlich den Standort Deutschland in der ganzen komplexen Gemengelage, die Sie gerade beschrieben haben? Sind wir gut gerüstet für die Entwicklungen, die wir vor uns haben?
Melanie Arntz: Da könnten wir jetzt noch mal eine Stunde drüber reden. Aber um es kurz auf den Punkt zu bringen: Ich glaube, grundsätzlich sind die Basisvoraussetzung in Deutschland nicht so schlecht. Aber wir haben in den letzten zehn guten Jahren einiges liegen lassen. Das Thema Digitalisierung ist das Thema schlechthin, wo wir hinterherhinken, was wir ja in der Infrastruktur merken. Auch die physische Infrastruktur lässt zum Teil zu wünschen übrig. Ich glaube, dass wir leider ganz viele Investitionsausgaben verschoben und nicht gut umgesetzt haben. Das ist jetzt ein Nachteil, den wir dringend aufholen müssen. Das ist sicher das eine. Das Bildungssystem ist das andere: Auch da müssen wir was tun. Wir müssen sowohl bei der Grundausbildung, aber auch bei der Frage, wie können wir Leute langfristig produktiv halten und an die neuen Aufgaben heranführen, da müssen wir über ein effektiveres Weiterbildungssystem nachdenken. Es gibt die nationale Weiterbildungsstrategie, da wird auch schon viel getan. Aber ich glaube, dass man da immer noch mehr erreichen und noch effektiver sein könnte.
Carsten Roemheld: Ich komme im letzten Themenblock noch mal zu Ihrer Forschungsarbeit rund um die neue Arbeitswelt. Sie beschreiben auch einige Gefahren, und darauf möchte ich gern noch mal ein bisschen näher eingehen. Wir hatten vorhin schon über die mögliche weitere Spaltung der Gesellschaft gesprochen. Es gibt ja schon eine Spaltung in Arm und Reich, die Schere hat sich auseinanderentwickelt, denn Kapitaleinkünfte haben in den letzten Jahren profitiert gegenüber Arbeitseinkünften. Kann es sein, dass nun eine Art digitale Spaltung dazukommt? Dass es künftig auf der einen Seite eine Elite gibt, die anspruchsvollere Berufe ausübt, die nicht so sehr betroffen sind, und die Gewinner, die das Kapital bereitstellen können und dann Renditen auf die Investitionen einfahren können? Und auf der anderen Seite die abgehängten Leute, die nicht mitkommen, die der Transformation nicht folgen können?
Melanie Arntz: Ja, die Gefahr ist tatsächlich gegeben. Ich würde das aber noch in der Perspektive geraderücken, denn ich glaube, dass diese Spaltung ganz viel mit der betrieblichen Dimension zu tun hat. Es spielt einfach eine entscheidende Rolle, wo ich beschäftigt bin, ob ich in einem Betrieb beschäftigt bin, der investiert, der nicht nur in Technologie investiert, sondern auch in seine Beschäftigten durch Weiterbildung und so weiter, sodass die Erwerbspersonen wirklich eine Chance haben, dranzubleiben und fit zu bleiben, und dann alle Chancen haben, wenn sie dieses Unternehmen verlassen, eine gute Anschlussposition zu finden.
Wir wissen nämlich, dass es auf der betrieblichen Ebene eine große Spaltung gibt zwischen Unternehmen, die vorangehen, die viel tun und viel investieren in ihre Beschäftigten und solchen, die das gar nicht tun, oder die zwar in Technologie investieren, aber vielleicht nicht genug in die komplementären Investitionen, die notwendig wären, um ihre Beschäftigten wirklich fit zu machen. Ich glaube, dass das ein wichtiger Teil der Spaltung ist. Wenn wir uns die Lohnentwicklung der letzten Jahre angucken, dann ist ein wichtiges Thema, das diskutiert wird in der Wissenschaft, dass die Löhne sich zwischen Betrieben auseinanderentwickeln. Das hat am Ende auch eine gesamtgesellschaftliche Dimension. Aber es hängt sehr stark am betrieblichen Kontext, ob ich mitgenommen werde oder ob ich in der Tendenz abgehängt werde.
Insofern muss aus meiner Sicht auch der Fokus der Politik stärker darauf liegen, dass wir es schaffen, Unternehmen in die Lage zu versetzen, Investitionshürden zu nehmen und dann diese Technologien auch für sich nutzbar zu machen. Ich glaube, gerade für kleinere und mittlere Firmen ist das schwierig. Das braucht oft große Investitionsanstrengungen. Es ist so, dass diese Technologien zum Teil auch das Geschäftsmodell verändern, die Organisation muss neu gedacht werden. Es ist eben nicht damit getan, einfach eine neue Maschine dahinzustellen. Und da sind gerade kleinere und mittlere Unternehmen schnell überfordert. Da muss, glaube ich, mehr getan werden, um diese Spaltung zu vermeiden, jeden Beschäftigten mitzunehmen und die besten Chancen in die Breite zu tragen.
Carsten Roemheld: Sie haben meine nächste Frage schon vorweggenommen. Genau das war auch mein Ansatzpunkt, die Frage nach den Unternehmen, und wie stark die Landschaft aufgeteilt wird in digitalisierte Unternehmen und Betriebe und in weniger digitalisierte, die auf Dauer Anschlussprobleme bekommen. Das hat wahrscheinlich auch etwas mit der Zinspolitik zu tun. Wir hatten in den letzten Jahren niedrige Zinsen, und einige Unternehmen, die vielleicht gar nicht mehr hätten mithalten können unter normalen Umständen, haben es trotzdem geschafft durch eine Kapitalisierung, die sonst gar nicht möglich gewesen wäre. Das heißt, der normale Zyklus von Unternehmen, die ausscheiden aus dem Produktivgeschehen, weil ihre Dienstleistungen oder Produkte nicht mehr gefragt sind, ist unterbrochen worden. Das dürfte sich dann jetzt auch im Zeitalter höherer Zinsen auswirken, wenn jetzt neue Investitionen ausbleiben und man vielleicht nicht mit der Zeit geht und investiert hat. Können Sie pauschal unterscheiden, ob es Branchen gibt, die hier besonders betroffen sind, die besonders zurückhängen. Oder ist das quer durch alle Branchen zu beobachten?
Melanie Arntz: Also in der Tendenz glaube ich, dass es nicht so sehr bestimmte Branchen sind, die hinterherhinken, sondern dass wir eher innerhalb aller Branchen zum Teil Vorreiter und Nachzügler sehen. Interessanterweise gibt es eine große Heterogenität innerhalb der Branchen, und das hat viel mit Betriebsgröße zu tun oder Unternehmensgröße, tatsächlich ist die Größe da sehr entscheidend, neben individuellen Faktoren. Wir haben in einer aktuellen Studie zum Beispiel auch festgestellt, dass die Wahrscheinlichkeit, in neueste Technologie zu investieren, nach wie vor stark vom Internetzugang abhängt, also von der Geschwindigkeit des Internets. Da sind wir wieder beim Infrastrukturthema. Auch da könnte der Staat nach wie vor mehr tun, um die Chancen in die Breite zu tragen.
Aber ich wollte noch einen Satz zu dem sagen, was sie davor sagten. Denn da schließt sich ein bisschen der Kreis, weil wir ja am Anfang viel darüber gesprochen haben, dass Technologie irgendwie Arbeit ersetzt und irgendwie ein Problem ist. Nun haben wir ja gerade festgestellt: Die Jobs gehen vielleicht mehr verloren in den Betrieben und Unternehmen, die nicht investieren. Natürlich ist das ein Stück weit ein normaler Prozess, das hat ja schon Schumpeter gesagt: Manche Betriebe entstehen neu, andere gehen zugrunde, weil sie nicht mit der Zeit gehen. Das bedeutet aber, dass, wenn wir über die Herausforderungen nachdenken, wir vor allen Dingen die Beschäftigten dieser Betriebe im Blick behalten müssen. Denn wenn es so ist, dass diese Betriebe nicht mehr wettbewerbsfähig waren, vielleicht deswegen jetzt verstärkt Insolvenzen anstehen, dann werden tatsächlich Leute freigesetzt, die wir durch kluges Weiterbildungssystem und mögliche Transformationspfade, die wir ihnen aufzeigen, fit machen müssen für die moderne Arbeitswelt. Da stehen wir vor Herausforderungen.
Carsten Roemheld: Das ist ein sehr guter Punkt, den Sie da erwähnen, weil es den Fokus auf Bildung und Weiterbildung noch mal deutlich macht, den die Politik klar verfolgen muss und bei dem ich persönlich den Eindruck habe, dass insgesamt nicht genug getan wird. Das führt dazu, dass Unternehmen zurückfallen und nicht mehr mithalten können. Deswegen bin ich vollkommen bei ihnen. Die Frage ist: Was kann die Politik eigentlich noch mehr tun? Mein Eindruck ist, dass das Thema nicht schnell oder nicht fokussiert genug angegangen wird. Klar, wir hatten einige Krisen in der letzten Zeit, das kann man nicht verhehlen. Aber dieses Thema wird nicht ernst genug angegangen. Was wäre Ihre Empfehlung an die Politik? Andere Prioritäten zu setzen, weil letzten Endes die Standortfrage mitentscheidet über das Prosperieren unseres Staates?
Melanie Arntz: Also ich glaube, dass Wichtigste ist tatsächlich, schnellstens die Infrastruktur-Investitionen nachzuholen. Und dann Möglichkeiten zu schaffen, wie kleine und mittlere Unternehmen möglichst gut an Wissen kommen können, um diese Technologien zu etablieren. Die andere Ebene ist in gewisser Hinsicht ein New Educational Deal oder wie auch immer man es nennt. Die Botschaft, die an die Menschen da draußen geht, muss eigentlich sein: Gerade aufgrund der Demografie und des Fachkräftemangels werden eigentlich alle gebraucht. Und ich glaube, dass Menschen immer sehr viel mehr können, als sie vielleicht formal nachweisen können. Wir müssen mehr auf die Kompetenzen von Menschen gucken, und überlegen: Gegeben das, was jemand an Erfahrung schon mitbringt, und gegeben, was gesucht wird – wie können wir jemanden auf einem tragbaren Weg dahin entwickeln und neue Chancen eröffnen? Ich bin fest davon überzeugt: So viele Programme es auch gibt und so viel grundsätzlich versucht wird in unserem Weiterbildungssystem, sind wir noch nicht gut genug darin, vernünftige Transformationspfade zu entwickeln und Leute in diesem Prozess zu begleiten. Die Welt ist wahnsinnig kompliziert. Selbst wir sogenannten Experten können oftmals nicht genau sagen, was wirklich gebraucht wird. Da braucht es Beratung. Da braucht es das Entwickeln von Ideen. Wie kann jemand sich von hier nach dort entwickeln? Und dieses „dort“ muss dann auch eine klare Perspektive für eine berufliche Basis bieten. Da gibt's viel zu tun.
Carsten Roemheld: Es gibt definitiv viel zu tun. In der letzten Zeit ist der Ruf nach dem Staat immer größer geworden, nach Programmen, Unterstützung. Man hat das Gefühl, dass die Staatsquoten überall auf der Welt steigen. Was ist Ihr Eindruck, wenn wir jetzt von dieser Bildungsfrage sprechen und von der Frage, wie sich die Arbeitswelt entwickeln wird: Muss der Staat insgesamt mehr tun? Oder ist die Last auf der Privatwirtschaftsseite ausgeprägter? Wer also trägt die größeren Lasten in Zukunft, und wer hat die größere Verantwortung? Gerade wenn wir von unserem Land sprechen: Was wäre ihre Einschätzung, wie die Lasten verteilt werden sollten?
Melanie Arntz: Das ist eine gute und auch schwierige Frage. Grundsätzlich liegen in Deutschland relativ viele wichtige Anpassungsprozesse auf der betrieblichen Ebene. Die betriebliche Weiterbildung zum Beispiel hat einen hohen Stellenwert, und ich denke, dass das weitgehend gut funktioniert. Betriebe haben auch ein Interesse daran, es gibt Fördermittel für die eine oder andere Konstellation, da wird relativ viel getan. Aber natürlich gibt es in Umbruchsituationen, über die wir jetzt gerade sprechen, gerade Stichwort steigende Insolvenzen von abgehängten Unternehmen, auch die Notwendigkeit, dass der Staat Möglichkeiten schafft. Ich glaube allerdings, der Staat tut gut daran, mehr in investive Dinge zu stecken als in das Verteilen von Möglichkeiten, um das abzufedern. Je mehr wir investieren in Infrastruktur, in Bildung und all diese Dinge, umso mehr haben wir eine Chance, dass sich das auch wieder von allein trägt. Also dass der Staat temporär mal was tun muss, ist in Ordnung, aber das darf kein Dauerzustand sein, sondern der Staat muss sich auch wieder zurücknehmen können. Dafür muss er aber erst mal seine Hausaufgaben machen. Ich glaube, aktuell sind wir uns alle einig, dass die leider noch nicht erledigt sind.
Carsten Roemheld: Es muss ja auch ein Kapitalstock erhalten bleiben, damit wir künftig davon leben können. Deshalb sind Investitionen sicherlich wichtiger als Umverteilung oder das Verteilen irgendwelcher Wohltaten. Liebe Frau Arntz, das war ein extrem spannendes Gespräch mit vielen wichtigen Fragen. Ich habe einiges gelernt. Vor allem nehme ich einigen Optimismus mit. Denn es klingt doch sehr positiv, dass uns die KI am Ende eher helfen kann, neue Arbeitsfelder zu erschließen, Produktivitätsfortschritte zu erzielen und längerfristig klar zu profitieren. Insofern sollten wir diesen Umschwung positiv sehen und nicht mit Kritik drauf schauen. Auch in der Vergangenheit haben große Umbrüche am Ende positive Wirkungen entfaltet. Und das, denke ich, sollten wir auch in diesem Falle annehmen.
Frau Arntz, vielen Dank nochmal für ihre Zeit und ihre Botschaften.
Das soll es für heute gewesen sein, liebe Zuhörer, ihnen herzlichen Dank für ihr Interesse. Wir hoffen, dass wir ihnen ein paar spannende Einblicke und interessante Insights heute gebracht haben. Wir sehen uns sicherlich beim nächsten Mal oder bei einem der vielen anderen Formate, die wir für sie bereitstellen, wieder.
Vielen Dank und viele Grüße, Ihr Carsten Roemheld