Carsten Roemheld: Energiepreise und Inflation sind explodiert, Wirtschaftsforscher rechnen inzwischen mit weiter steigenden Preisen und zugleich mit einer schrumpfenden Wirtschaftsleistung im kommenden Jahr. In einer solchen Situation könnte eine Insolvenzwelle rollen und die Arbeitslosigkeit deutlich steigen. Parallel dazu haben die Notenbanken ihre jahrelange expansive Geldpolitik beendet und versuchen jetzt, mit starken Zinserhöhungen die Inflation auszubremsen. Bislang erfolglos. Die Lage ist vertrackt. Gefragt sind nun also Wirtschaftskompetenz und womöglich auch kreative Ideen.
Beides vereint mein heutiger Gast, der Ökonom und Theoretiker Dr. Dirk Ehnts. Er gilt als einer der bekanntesten deutschen Vertreter der ‚Modern Monetary Theory‘ (MMT). Diese recht junge ökonomische Schule, die inzwischen in den USA im Mainstream angekommen scheint, geht davon aus, dass Staaten über die staatliche Zentralbank und ihr Währungsmonopol letztlich unbegrenzt Schulden machen können. Mit höheren Ausgaben kann der Staat wiederum Vollbeschäftigung, Preisstabilität und zum Beispiel auch nachhaltige Ressourcenbewirtschaftung – Stichwort ‚Green New Deal‘ – erreichen, wenn er denn will. Und zudem können die Staaten über Steuererhöhungen die Inflation bekämpfen, postuliert die MMT.
Darüber wollen wir sprechen: über die macht- und fiskalpolitischen Instrumente der Staaten in dieser akuten Krise, und, ob man eine angebotsseitige Inflation tatsächlich mit Geld- und Steuerpolitik bekämpfen kann. Müssen Staaten eigentlich die extrem gestiegenen Schulden, die sie in den vergangenen Jahren aufgenommen haben, irgendwann zurückzahlen?
Heute ist Freitag, der 21. Oktober 2022, mein Name ist Carsten Roemheld, ich bin Kapitalmarkt-Stratege bei Fidelity International und ich freue mich sehr auf das Gespräch mit Dr. Dirk Ehnts.
Herzlich willkommen beim Kapitalmarkt-Podcast von Fidelity.
Dirk Ehnts: Ja, vielen Dank für die Einladung, Herr Roemheld.
Carsten Roemheld: Herr Ehnts, gerade erst war diese Prognose in aller Munde: Im Jahre 2023 wird die deutsche Wirtschaftsleistung stark sinken. Gleichzeitig steigen die Preise massiv, wir haben rund 10 % Inflation, so viel wie seit den 50er Jahren nicht mehr. Die Kombination aus stagnierendem Wachstum und Inflation würden einige Beobachter als ‚Stagflation‘ bezeichnen. Droht uns dieses Szenario oder glauben Sie, dass sich Wirtschaft und Währung bald wieder erholen können?
Dirk Ehnts: Nee, ich halte das für ein sehr realistisches Szenario, dass wir Stagflation bekommen und vielleicht sogar auch schon drin sind. Das heißt, das BMWK hat ja gerade noch mal eine Schätzung veröffentlicht und hat gesagt, dass das BIP wahrscheinlich nächstes Jahr um 0,4 % fallen wird, und die Inflationsrate sehen die bei 7 %. Da wäre ich sozusagen auch mit an Bord und würde halt sagen, es kommt jetzt nicht auf 0,1 % hier oder dort an, aber das ist auch meine Einschätzung. Wahrscheinlich werden wir in der Stagflation enden 2023.
Carsten Roemheld: Ich würde noch mal gerne eine kurze definitorische Sache für Stagflation verwenden: Manche Leute sagen ja, Stagflation ist nicht unbedingt nur die Stagnation der Wirtschaft, sondern auch, dass Arbeitslosenquoten deutlich nach oben gehen müssen. Ist das für Sie auch Teil der Definition? Oder anders gefragt: Werden wir auch eine deutlich höhere Arbeitslosigkeit dann im nächsten Jahr sehen?
Dirk Ehnts: Ja, ich meine, es kommt halt darauf an. Bei der der Stagflation würde ich jetzt erst mal auf das Bruttoinlandsprodukt abzielen und halt sagen: Na ja, Stagflation ist eine Rezession oder eine Stagnation, also Rezession plus halt entsprechende Inflationsraten, die erhöht sind. Aber ich glaube natürlich, dass bei einem relativ geringen Wachstum oder bei einem geringen negativen Wachstum wahrscheinlich die Arbeitslosigkeit dann nicht stark ansteigen wird. Das halte ich für relativ wahrscheinlich, dass wir nur einen leichten Anstieg der Arbeitslosigkeit haben, zumindest in Deutschland.
Carsten Roemheld: Das wäre ja ein relativ positives Szenario, dass zumindest von der Seite aus nicht so viel Ungemach droht. Jetzt haben wir ja in der letzten Zeit eine Menge an verschiedenen Regimewechseln gesehen: also Notenbankpolitik, Inflationsraten, Wachstum, ähnliche Dinge, natürlich auch über den Krieg in der Ukraine. Jetzt haben viele Leute von ‚Schwarzen Schwänen‘ gesprochen, die ja in der Natur normalerweise selten vorkommen. Haben wir es gerade mit einer Kolonie von Schwarzen Schwänen zu tun oder droht uns in den nächsten Jahren eine deutliche Häufung von Krisen dieser Art?
Dirk Ehnts: Na ja, ich würde mal sagen, das Bild des Schwarzen Schwans hinkt so ein bisschen. Das heißt, der Schwarze Schwan, da war uns ja wenigstens bekannt, dass es sowas geben könnte. Das heißt also, die Wahrscheinlichkeit war sehr, sehr gering, dass wir einen Schwarzen Schwan noch entdecken. Das war damals halt so, dass man in Europa nur weiße Schwäne kannte. Aber es gab nachher die Entdeckung in Australien, da gab‘s schwarze Schwäne. Aber wir hatten jetzt quasi Ereignisse, die wir eigentlich nicht vorhersagen konnten. Das heißt, ich würde da eher unterscheiden zwischen stochastischer Wahrscheinlichkeit und nicht-stochastischer Wahrscheinlichkeit. Also stochastische Wahrscheinlichkeit ist wie im Kasino: Ich kenne quasi die Events, ich kenne die Wahrscheinlichkeiten ungefähr und dann kann ich auch aus der Vergangenheit lernen. Aber wir bewegen uns in vielen Gebieten heute auf Neuland. Wir haben eine ganz andere Situation im Bereich auch der Stagflation als zum Beispiel in den 70er Jahren.
Das heißt also, ich finde, dass wir wahrscheinlich eher so eine Art neue Problematik haben. Das heißt also, angefangen hat alles mit den steigenden Energiepreisen und das ging ja auch schon vor dem Ukrainekonflikt los. Das heißt also, wir sehen eigentlich auch eine andere geopolitische Lage, das heißt also, Länder wie Iran, Saudi-Arabien, Russland, China arbeiten weitestgehend zusammen, sicherlich auch zusammengeschweißt durch die US-Regierung Trump. Und dadurch haben wir sozusagen jetzt das Problem, dass wir die Energiepreise nicht mehr eingefangen bekommen als Westen. Das heißt also auch, Joe Biden appelliert andauernd an die Saudis, sie mögen doch die Produktion ausweiten, aber die wollen halt nicht. Und die wollen halt nicht, weil die halt sagen, wir vertrauen dem Westen nicht mehr, wir machen unseren eigenen Club auf.
Und dadurch sind wir tatsächlich jetzt im Bereich einer Zeitenwende sozusagen. Und die Sachen im Hintergrund sind, glaube ich, viel komplexer, als wir das so diskutieren. Also die Inflation zum Beispiel ist ein reines Symptom von steigenden Energiepreisen. Die Inflation selber ist nicht das Problem. Aber da sind wir noch nicht und ich hoffe, dass wir da hinkommen spätestens nächstes Jahr, noch mal auch die geopolitischen Ursachen zu diskutieren.
Carsten Roemheld: Dann können wir natürlich nicht auf die Erfahrung sozusagen mit vergangenen Krisen zurückblicken, sondern müssen uns auf eine völlig neue Situation einstellen, wie Sie gerade sagen. Was glauben Sie denn, war der hauptsächliche Grund eben für diese aktuelle Situation der Stagflation? Fing das schon bei Corona an? Natürlich die Lockdowns und die entsprechenden Reaktionen in der Wirtschaft haben sicherlich einen Teil dazu beigetragen, aber wenn Sie einen Faktor nennen müssten, der hauptschuldig ist dafür: Ist es die veränderte geopolitische Lage mit den Energiepreisen oder was, glauben Sie, ist der Hauptauslöser gewesen?
Dirk Ehnts: Ja, nein, es sind die Energiepreise. Es ist einfach ein andere Preissetzung jetzt. Saudi-Arabien erhöht auch quasi jeden Monat wieder die Preise für Asien, die auch maßgeblich sind für die Weltwirtschaft. Das haben die vorher nicht gemacht. Das heißt also, wir können nicht davon sprechen, dass der Energiemarkt irgendwie von Nachfrage und Angebot geprägt ist, sondern wir haben ja mit OPEC-plus hier ganz klar ein Kartell.
Und wenn die Nachfrage einbricht – so wie jetzt so ein bisschen –, dann fangen wir halt an und senken das Angebot. Insofern: Die halten den Preis konstant. Und da können wir nicht dann sagen, dass die höhere Nachfrage dazu geführt hat, dass jetzt die Energiepreise wieder hochgekommen sind. Insofern: Wir haben das ja fast schon vergessen, aber im April 2020 war der Erdölpreis negativ. Da gab es ja so viel Erdöl, da waren sogar die ganzen Supertanker alle voll und lagen auf Reede und da gab es einen negativen Preis.
Natürlich hat sich das wieder „erholt“, aber wir sind ja auf 2007er-Preise, 2008er-Preise hoch dann. Und das ist etwas, was einen politischen Hintergrund hat, viel mehr als einen ökonomischen. Und wir sind natürlich angewiesen auf diese Energie, gerade in Deutschland als Industrieland. Insofern müssen wir halt überlegen, wie wir zukünftig halt an andere Energie kommen.
Carsten Roemheld: Und das ist genau der Punkt. Also das ist wahrscheinlich der Auslöser und auch der Grund, warum wir diese Energiewende brauchen, um uns mehr und mehr unabhängig zu machen von diesen fossilen Brennstoffen, und deswegen mittel bis langfristig natürlich auf andere Energieformen umschwenken müssen, um diesen Aspekt zumindest auszuklammern.
Kommen wir noch mal auf einen anderen Aspekt zurück; und zwar gibt es ja einige prominente deutsche Ökonomen und auch einige Institute, die argumentieren, dass die Regierungen und die Zentralbanken mit der expansiven Fiskal- und Geldpolitik in der Coronakrise schon die Grundlage für diese Inflation gelegt haben. Darunter sind einige führende deutsche Wirtschaftsinstitute in einer Gemeinschaftsdiagnose und auch der ehemalige Wirtschaftsweise Volker Wieland. Was sagen Sie zu dieser These?
Dirk Ehnts: Na ja, das ist ja eine empirische Frage letztendlich. Wenn man halt sehen würde, dass die Länder, die einen ‚fiscal stimulus‘ gemacht haben, jetzt höhere Inflationsraten haben als die Länder, die keinen ‚fiscal stimulus‘ gemacht haben, also die nicht die Staatsausgaben erhöht haben, dann können wir mal sagen, da ist ein Grund. Aber wir sehen halt, dass wir eigentlich weltweit in allen Ländern einen Anstieg der Inflation haben, weil‘s ja klar ist: Die Energiepreise sind weltweit.
Insofern würde ich behaupten, dass es quasi losgelöst ist von der Frage, ob die Staatsausgaben gestiegen sind oder nicht. Die Inflationsraten sind überall halt gestiegen, natürlich mit einigen Ausnahmen: Also in Japan nicht so stark und in Brasilien fallen sie vielleicht gerade wieder, aber in der Türkei auch gerade momentan. Aber generell „den Westen“ hat es komplett erwischt. Da würde ich jetzt nicht differenzieren.
Und wir haben ganz klar auch ein angebotsseitiges Problem, was ja auch in den Lehrbüchern auch so diskutiert wird. Insofern also: Wenn ich halt sage, ich passe sozusagen die Nachfrageseite auf die Angebotsseite dann nachher an, dann gebe ich ja quasi auf. Das ist eine Aufgabe der Wirtschaftspolitik. Ich muss natürlich sehen, dass sich das Angebot wieder hochziehe auf das Niveau, wie es vorher halt war. Aber dass die Nachfrage schuld ist … Also ich sehe auch, wenn man sich das BIP anguckt, man sieht jetzt nicht irgendwie, dass das BIP 2022 deutlich über dem von 2019 wäre oder Ähnliches. Insofern: Die Kapazitäten müssten eigentlich da sein.
Carsten Roemheld: Aber wenn man sich mal die ‚Inflations-Baskets‘ anschaut, dann sind die ja in Europa natürlich deutlich mehr von Energie bestimmt als zum Beispiel in den USA, wo ja die letzten, sagen wir mal, Inflationsraten auch von anderen, von breiteren Gründen getrieben waren. Sehen Sie das nicht, dass da auch durchaus andere Komponenten – Häusermarkt und ähnliche Dinge – dazu beitragen, dass die Inflation stark gestiegen ist?
Dirk Ehnts: Ja klar, Inflation ist immer so ein multidimensionales Phänomen. Die Inflation ist auch immer wieder verschieden. Man muss da genau hingucken, wie Sie das ja schon richtig beschrieben haben, klar. In den USA zum Beispiel haben wir steigende Löhne. Insofern: Das haben wir ja in der EU nicht. Bei uns sinken die Reallöhne, ziemlich heftig sogar. In den USA ist das nicht der Fall und sicherlich hat auch das Paket von Biden, das Konjunkturpaket, dazu beigetragen, dass vielleicht der Arbeitsmarkt da ein bisschen dichter ist als vorher.
Aber das ist sehr schwer abzuschätzen. Ich würde aber jetzt sozusagen nicht die Inflationsrate in den USA nur auf ‚die Nachfrageseite steuern‘ schieben. Das heißt also, es ist ein bisschen mechanistisch gedacht, wenn man halt sagt, die Veränderung der Staatsausgaben senkt immer die Arbeitslosigkeit und erhöht immer die Inflation. So einfach ist das nicht. Wenn‘s so einfach wäre, dann könnten wir einfach einen Roboter da hinsetzen. Aber diese sogenannte Phillips-Kurve: Wir haben ja auch in den 2010er Jahren gesehen, dass das, was wir als ‚expansive Geldpolitik‘ bezeichnet haben, nämlich der Nullzins, der war ja gar nicht expansiv. Wir sind 2019, vor der Coronakrise, schon wieder in die Rezession gegangen. Das heißt also: Der 2010er-Jahre-Boom, da hatten wir Investitionsquoten als Anteil vom BIP, die waren unterdurchschnittlich.
Das heißt also: Wir müssen unsere komplette Geldpolitik neu überdenken, weil wir schon gesehen haben, dass der Nullzins nicht funktioniert unten. Und wahrscheinlich werden wir jetzt auch noch entdecken, dass steigende Zinsen auch nicht funktionieren, um die Wirtschaft deutlich aufzuhalten. Auch das ist eine empirische Frage sozusagen. Ich beziehe mich sozusagen da natürlich auf die jüngere Vergangenheit. Also auch in der Eurozone haben wir, wenn wir die Zinsen erhöht haben bei der EZB, das hat immer Jahre gedauert, bis dann irgendwas passiert ist mit der Inflationsrate. Insofern: Das ist kein kurzfristiges Instrument, um die Inflation zu bekämpfen.
Carsten Roemheld: Sie benennen es genau richtig, dieses Stichwort, auf das ich jetzt noch mal eingehen wollte. Sie sagen ja, dass Zinserhöhungen eigentlich keine sinnvolle Maßnahme sind bei dem aktuellen Szenario, und Sie haben sicherlich recht: Die Zentralbank kann natürlich durch ihre Zinspolitik kein Öl produzieren oder keine Chips oder wie auch immer die Nachfrage befriedigen. Andere Ökonomen sagen eben, dass man da die Lücke zwischen Angebot und Nachfrage vielleicht etwas senken kann, indem man die Nachfrage dämpft und damit natürlich dann auch die Inflationserwartungen.
Es ist schon interessant, wie so fundamental unterschiedliche Meinungen zustande kommen unter Ökonomen. Wie sehen Sie das? Man könnte ja auch diesen Aspekt noch aufbringen, dass wir irgendwie zu einer Normalisierung der Zinspolitik wieder kommen müssen, um einfach Puffer auch für härtere Zeiten wieder zu schaffen. Da sind Sie aber nicht unbedingt dieser Auffassung!?
Dirk Ehnts: Nee, also meiner Meinung nach verwechseln hier die Zentralbanken Gaspedal und Bremspedal. Also das ist halt so, wenn wir rein logisch überlegen – ich habe ja VWL studiert in Göttingen und das ist halt mit BWLern zusammen im ganzen Grundstudium und aus denen ist auch was geworden, aus meinen ehemaligen Studienkollegen –; also wenn ich Unternehmer oder Unternehmerinnen frage halt, „was macht ihr bei steigenden Arbeitskosten?“, dann sagen sie, sie erhöhen den Preis. Dann frage ich: „Was macht ihr bei steigenden Energiekosten?“ – „Wir erhöhen den Preis“. „Was macht ihr denn bei steigenden Rohstoffkosten?“ – „Wir erhöhen den Preis“. „Und was macht ihr bei steigenden Zinsen?“ – Dann sagen sie alle: „Nichts.“ Ist doch Quatsch! Natürlich erhöhen sie dann auch den Preis.
Also insofern: Es ist es ja nur rein logisch aus Unternehmenssicht, dass man auf höhere Zinsen reagiert dann wieder auch mit höheren Preisen. Das ist ja auch empirisch mehr oder weniger belegt. Das heißt also auch: Langfristig sieht man, dass halt Korrelation positiv da ist zwischen Preisniveau und Zins. Und dann gibt es natürlich auch diesen Kanal der Staatsanleihen. Das heißt also, wenn ich halt einen Nullzins habe, dann kriegen die Besitzer der Staatsanleihen keinen Zins. So, und wenn ich jetzt sage, ich ziehe den Zins jetzt langsam hoch auf 5 % – in den USA geht es ja in die Richtung –, dann bekommen halt die Besitzerinnen und Besitzer der Staatsanleihen 5 % Zins.
Das heißt also, das ist uns gar nicht so stark bewusst, aber das ist natürlich ‚deficit spending‘, das ist kenianisches ‚deficit spending‘ für die Superreichen, die natürlich dann zusätzliche Einkommen haben, wenn der Zins steigt, weil die meisten Besitzer relativ wohlhabend sind und auch viel von Pensionsfonds gehalten wird. Das wird nicht sofort ausgezahlt, aber irgendjemand wird sicherlich ein bisschen mehr ausgeben und natürlich auch die Erwartung haben, dass man zukünftig dann wieder mehr Geld verdient, also mehr Geld bekommt durch die Staatsanleihen. Das wird natürlich auch dazu führen, dass die Leute wahrscheinlich eher mehr Geld ausgeben. Insofern: Ja, der einzige Effekt, der dagegen geht, ist natürlich dann der Effekt auf die Privatinvestitionen.
Und da würde ich aber sagen: Also wenn ich Unternehmer wäre und dann habe ich eine Investition, die sich rentiert, und ich überlege, ob ich jetzt zum Beispiel irgendwie ein neues Automodell halt noch mal rausgebe, in den Markt bringe. Und auf einmal sagt mir meine Bank: „Tut mir leid, wir müssen den Zins um drei Prozentpunkte erhöhen.“ Ja, die Nachfrageschätzung ist ja immer noch da! Das heißt also, ich weiß, dass ich diese Autos verkaufen könnte. Und wenn ich jetzt den Preis noch ein bisschen erhöhe, dann kann ich sie auch profitabel verkaufen. Warum sollte ich das nicht machen?! Weil dann überlasse ich ja das Spielfeld den anderen Unternehmen und das kann ich mir nicht leisten.
Das heißt also: Ich sehe da sehr wenig Spielraum. Das heißt also: Natürlich gibt es irgendwann vielleicht mal einen Investitionscrash am Immobilienmarkt oder irgendwo, wenn die Zinsen immer weiter steigen; spätestens, wenn in den Entwicklungs- und Schwellenländern, die Dollarschulden haben, dann entsprechend die Verschuldung stockt sozusagen und die nicht zurückzahlen können. Aber über die nächsten ein, zwei, drei Jahre in der Eurozone vielleicht, sehe ich nicht, wie höhere Zinsen dazu führen sollen, dass die privaten Investitionen tatsächlich einbrechen.
Carsten Roemheld: Sehr interessante Sichtweise, muss ich sagen. Und wirklich auch interessant, da mal die unterschiedlichen Meinungen aufzugreifen. Jetzt würde ich aber gerne mal auf die ‚Modern Monetary Theory‘ kommen, weil Sie ja einer der bekanntesten Anhänger hier bei uns sind. Können Sie mal kurz erklären, was sich dahinter verbirgt, für unsere Zuhörer?
Dirk Ehnts: Ja. Ich erzähle es kurz als Anekdote, wie ich dazu gekommen bin: Also ich habe halt promoviert in Oldenburg – oder wurde promoviert – 2008 zur Wirtschaftsgeografie und in meinen wirtschaftsgeographischen Modellen hatte ich eigentlich kein Geld drin und damit fehlte mir diese ganze Nachfrageseite und dadurch stimmten auch die Ergebnisse nicht. Wir haben vorhergesagt, dass die Industrie da oder dort hingeht, weil die Lohnstückkosten niedrig sind. Aber das ist nicht passiert, weil die Unternehmen lieber da hingehen, wo die Nachfrage hoch ist. So, und da habe ich halt versucht, Geld zu verstehen, und irgendwann habe ich diese ‚Modern Monetary Theory‘ gefunden, also auch schon nach meiner Promotion, und habe dann gedacht: Okay, das ist interessant.
Das ist eine empirische Geldtheorie. Das heißt also, die gucken sich an, wie funktioniert Geldschöpfung, und beschreiben das: Welche Institutionen machen da genau was? Und das lässt sich falsifizieren. Also wenn wir das, was da drinsteht sozusagen, bei der MMT für falsch halten, können wir einfach gegen Dinge anschreiben und halt sagen: „Nein, nein, ich glaube, dass die deutsche Bundesregierung Geld ausgibt, indem das und das passiert.“ Insofern: Es ist ganz anders als die anderen Theorien, das heißt also, neoklassische Theorie oder auch die Mainstream-Theorie, neokenianische Theorien. Das sind alles abstrakte Gleichgewichtstheorien. Da ist eigentlich gar kein Bezug mehr zur Realität und in vielen Modellen fehlt dann auch letztendlich das Geld.
Und ja, der Hauptpunkt der MMT, die übrigens auch schon 25 Jahre alt ist, deswegen: Wir können hier maximal die Spitze des Eisbergs diskutieren. Der Hauptpunkt ist natürlich, dass wenn man sich die staatliche Geldschöpfung anguckt, dann sieht man halt, dass der Staat als Herausgeber des Geldes – meistens hat er das dann als Geldmonopol an die Zentralbank abgetreten –, dass denen das Geld nicht ausgehen kann. Das ist also, das möchte ich noch mal betonen, dem Staat geht in eigener Währung das Geld nicht aus! Wenn die Zentralbank sich weigert, dass der Staat weiter seine Rechnungen bezahlt, kann der Staat natürlich über eine einfache Gesetzesänderung – braucht man 50 % Mehrheit –, kann er die Zentralbank mit ihrem Mandat natürlich ändern. Und daraus folgt natürlich einiges.
Das heißt also: Unserer Meinung nach ist Geld theoretisch unbegrenzt. Was natürlich nicht bedeutet, dass wir dafür eintreten, dass man unbegrenzt Geld schöpfen sollte als Staat, sondern die Wirtschaft ist begrenzt durch die Ressourcen. Der Staat kann so lange Sachen kaufen von uns Bürgerinnen und Bürgern, bis wir nichts mehr anbieten. Und deswegen: Die Ressourcen sind die Grenze der Wirtschaft und die Knappheit an Ressourcen führt meistens dann dazu, dass die Preise hochgehen. Das heißt also, Inflation ist so ein Knappheitsanzeiger letztendlich auch, der halt sagt: „Okay, anscheinend überlasten sozusagen die Ausgaben des Staates oder die Ausgaben auch des privaten Sektors – es ist ja letztendlich egal, woher das Geld kommt –, die überlasten jetzt unsere Ressourcen.“ Das ist sozusagen diese fiskalische Seite von MMT, die gerade viel diskutiert wird, aber wie gesagt: Es gibt noch mehr.
Carsten Roemheld: Sehr interessant jedenfalls. Ein Diktum lautet ja auch: Staaten können eigentlich nicht pleitegehen, wie Sie gesagt haben, in ihrer eigenen Währung, deswegen sind Staatsschulden eigentlich von ihrer Höhe egal. Es gibt natürlich aber Staatspleiten: Argentinien, Griechenland usw. Das hat aber dann wahrscheinlich was mit den anderen Währungen zu tun, in denen dann Schulden aufgenommen werden?! Oder wie ist das zu erklären?
Dirk Ehnts: Genau. Das heißt also: Unserer Meinung nach bestätigt zum Beispiel Argentinien die ‚Modern Monetary Theory‘, weil wir immer gesagt haben, der Staat sollte sich in eigener Währung verschulden, wenn man das so nennen möchte. Sobald natürlich eine Regierung sich Dollars leiht wie die argentinische, also Staatsanleihen in Dollars aufsetzt, und natürlich irgendwann keine Dollars mehr hat, um zurückzuzahlen, na ja, dann haben wir einen „Staatsbankrott“ – in Anführungsstrichen, weil es gibt ja kein Insolvenzrecht der Staaten. Aber das ist quasi ein Zahlungsausfall, das gibt es.
Griechenland war ein ähnliches Beispiel. In der Eurozone ist es halt so, dass die Regierungen über die Zentralbank Geld ausgeben. Die dürfen aber natürlich nicht finanzieren. Das heißt also, die nationalen Regierungen müssen ihr Konto immer wieder auf null zurückbringen am Ende des Tages. Das können sie letztendlich immer dann, wenn sie Staatsanleihen verkaufen können. Aber die wollte halt keiner mehr kaufen in den 2010er Jahren am Anfang. Das heißt also, die griechische Regierung konnte ihr Konto nicht mehr auf null zurückbringen und dadurch durfte die Zentralbank von Griechenland die Zahlungen nicht mehr tätigen von der griechischen Regierung. Das war auch ein rein politisches Problem. Also die Zentralbank von Griechenland konnte immer noch Euros schöpfen, das war nicht das Problem. Das Problem war die politische Regulierung.
Und jetzt natürlich hat die EZB darauf reagiert. Jetzt gibt es Ankaufprogramme, schon seit Mario Draghi 2012 sagte: „Whatever it takes“. Das heißt ja auch: Durch die Coronakrise hatte Griechenland, glaube ich, eine Staatsverschuldung von bis zu über 210 % des BIP, also schon deutlich Richtung Japan – und war es ein Problem? Nein! Weil wir diesmal ein Ankaufprogramm hatten bei der EZB und das sorgt dafür, dass letztendlich die Staatsanleihen alle risikofrei sind. Und die Leute aus den Investmentbanken haben mir das übrigens auch bestätigt, dass die das genauso sehen.
Carsten Roemheld: Gilt das denn genauso in einem Raum wie der Eurozone, wo wir ja noch ganz andere nationale auch Steuerpolitik und andere Dinge haben als in den USA zum Beispiel, wo natürlich die Sache viel einfacher steuerbar ist?
Dirk Ehnts: Ja, solange sich die EZB hinstellt und halt sagt: „Wir kaufen auf dem Sekundärmarkt Staatsanleihen letztendlich unbegrenzt an und sorgen dann dafür, dass die Investoren sie als risikofrei ansehen.“ Dann bin ich als Investor ja sozusagen gezwungen, von der griechischen Regierung halt Staatsanleihen zu kaufen und die dann eben an die EZB weiterzuverkaufen. Da mache ich nämlich einen kleinen Gewinn und den nehme ich natürlich mit, weil der ist risikolos. Das ist ja ein nettes Arbitrage-Geschäft hier, das muss ich machen. Ich kann da einfach nicht sagen, ich mache es nicht, da habe ich sonst weniger Gewinne.
Und solange die EZB das macht und solange wir auch die Defizitregeln aussetzen vom Stabilitäts- und Wachstumspakt, können also die nationalen Regierungen alle so viel Geld ausgeben, wie sie es für richtig halten. Und das haben sie ja auch schon teilweise gemacht. Die haben immer noch ein bisschen Angst im Süden, dass wir irgendwann als Deutsche wieder mit der Austeritätspolitik kommen, aber ich glaube, ehrlich gesagt, die ist vom Tisch. Insofern: Aktuell haben wir tatsächlich eine sehr seltsame Situation, dass auch in der Eurozone wir sozusagen nationale Regierungen haben, die wie eigene Währungsschöpfer sozusagen handeln können.
Carsten Roemheld: Und wie wir das auf Dauer funktionieren? Glauben Sie, dass über eine solche Politik, wenn sie sich denn in der Eurozone etablieren würde, dass wir dann sozusagen die Probleme des Euros, die wir ja lange Zeit und immer noch haben, dass die dann dauerhaft vielleicht weniger ausgeprägt sind über diese Art von Währungspolitik?
Dirk Ehnts: Ja, also zwei Probleme würde ich so ein bisschen hervorheben: Einmal die hohe Arbeitslosigkeit. Das heißt, wir haben momentan eine Arbeitslosenrate von 6,6 % in der Eurozone und das ist quasi ein Positivrekord, wenn man so möchte. Nie war sie niedriger. Aber das ist natürlich im Vergleich zu Japan, die eigentlich immer unter 3 % liegen, und auch die USA, die ungefähr in dem Bereich liegen, das ist eigentlich viel zu hoch. Das heißt also, wir brauchen in der Eurozone eigentlich ständig höhere Staatsausgaben, um einfach diese Sockelarbeitslosigkeit wegzubekommen.
Und das geht natürlich nur, wenn halt die Staatsausgaben deutlich höher sind. Das würde normalerweise dazu führen, dass einige Regierungen anfangen, zu wackeln, weil sich dann die Investoren halt fragen, ob die EZB einschreitet mit dem Ankaufprogramm. Aber wenn man das Ankaufprogramm, jetzt ja dieses ‚spread instrument‘, was wir da haben, ‚transmission protection instrument‘, also wenn man das quasi permanent verankert, dann hätte ich ja schon mal quasi den Bankrott, also die Zahlungsunfähigkeit einer Eurozonenregierung, verhindert.
Und dann muss man natürlich sich ein bisschen noch absprechen darüber, wenn man das noch möchte, darüber hinaus: der Stabilitäts- und Wachstumspakt, der soll ja auch reformiert werden und der würde momentan halt auch eventuell die Regierungen daran hindern, mehr Geld auszugeben. Also da müsste man halt zu einer vernünftigen Lösung kommen. Aber ich glaube, die Angst, dass quasi eine Regierung, die Geld schöpfen kann nach Belieben, wenn man so möchte – also die kann sich ja im Haushalt alles das reinschreiben, was sie gerne hätte –, da brauchen wir keine Angst vor haben.
Wir hatten das ja alles. Wir haben auch die 50er, 60er Jahre das Wirtschaftswunder gehabt mit einer deutschen D-Mark, die nicht beschränkt war. Es gab keine Schuldenbremsen, es gab keine Fiskalregeln. Ja, es gab einen festen Wechselkurs, aber auch der war veränderbar im Bretton-Woods-System. Also wir haben ja quasi dieses MMT-Setup, wenn man das jetzt mal etwas plastisch vielleicht so formulieren dürfte, also diese Idee, dass man einen Staat hat, der quasi unbegrenzt von Fiskalregeln halt agiert, der ist ja immer noch dadurch beschränkt, dass halt irgendwann die Inflationsrate ansteigt, wenn man zu viele Staatsausgaben plant oder zum Beispiel auch, wenn man halt die Steuern für die Reichen zu stark reduziert wie jetzt in Großbritannien, dann stürzt einem halt der Wechselkurs ab.
Insofern: Diese Restriktionen gelten ja noch weiterhin. Es ist ja nicht so, dass man hier alle wirtschaftlichen Gesetzmäßigkeiten irgendwie außer Kraft stellt, sondern wir weisen halt nur darauf hin, dass wir quasi in unserem volkswirtschaftlichen Auto auch einen fünften und einen sechsten Gang haben, den wir auch benützen können, ohne dass nachher eine Tür abfällt oder Ähnliches. Dass wir nachher nicht zu schnell werden können, weil irgendwann die Ressourcen ausgelastet sind, das haben wir von Anfang an betont.
Carsten Roemheld: Sie haben gerade den Punkt angesprochen, den ich jetzt auch noch mal erwähnt hätte, nämlich den Wechselkurs. Also das ist ja eine Sache, was man im eigenen Wirtschaftsraum macht, aber die andere Sache ist natürlich, wie sich dann der Wechselkurs der eigenen Währung entwickelt gegen andere, die vielleicht anders operieren. Die Gefahr eines fallenden Währungskurses ist ja doch gegeben und wird ja dann auch mit Problemen verbunden sein, wenn zum Beispiel der Rohstoff und alles, was man importieren muss, deutlich teurer wird. Wie sehen Sie diesen Aspekt?
Dirk Ehnts: Na ja, ich meine nicht alle Probleme, die theoretisch denkbar sind, sind praktisch relevant. Insofern: Man kann viele mathematische Modelle zusammenbauen, die halt alle aufgehen mathematisch. Zum Beispiel, wenn ich jetzt sage, dass, wenn wir alle unser Geld ausgeben würden heute, weil wir Angst haben vor Inflation, dass es dann dazu kommt, dass wir Hyperinflation bekommen. Ja, wahrscheinlich wäre das so, ist halt nur nicht relevant, weil wir normalerweise nicht so ticken.
Und so würde ich das auch sehen. Also wir haben ja einige Länder auch in der Weltwirtschaft, die haben sehr großen Staat. Also in Schweden ungefähr ist es so, dass der Staat jede zweite Krone ausgibt. Das heißt also, 50 % der Gesamtausgaben fallen auf den Staat. Dann könnte man ja sagen, Schweden hat zum Beispiel einen schwachen Wechselkurs. Haben sie aber nicht. Man könnte dann sagen, Schweden hat dann hohe Inflationsraten, weil sie ja so viel Geld ausgeben. Haben die aber auch nicht. Sie haben auch hohe Steuereinnahmen, das gehört natürlich mit dazu, damit die Kaufkraft, die der Staat sozusagen schöpft, dass die auch wieder rausgezogen wird. Die haben auch kein Problem mit der Wettbewerbsfähigkeit. Schweden ist enorm erfolgreich als kleines industrielles Land und auch in Dänemark sieht‘s nicht anders aus. Norwegen ist noch mal ein Sonderfall, vor allem jetzt, wo die Energiepreise halt so stark hochgehen. Aber die Länder mit den großen Wohlfahrtsstaaten, die wir haben, die haben alle stabile Wechselkurse und relativ niedrige Inflationsraten.
Deswegen ist es eine empirische Frage. Natürlich könnte man sagen, ein Staat mit großen Staatsausgaben oder hohen Staatsausgaben hat höhere Inflationsraten etc. pp. Das ist aber nicht der Fall. Außerdem ist es ja so, dass, wenn der Wechselkurs runtergeht, wie auch in Japan, das erhöht ja die Wettbewerbsfähigkeit. Das sind ja genau diese Mechanismen, die dazu führen, dass die Sachen sich wieder einpendeln. Und insofern, denke ich mal, dass wir da sozusagen das auch im Blick haben und dass wir da aber nicht irgendwie meinen, dass man die Wirtschaftspolitik am Wechselkurs ausrichten möchte. Das haben wir auch die letzten Jahrzehnte lang gar nicht getan.
Carsten Roemheld: Was glauben Sie denn, warum diese Theorie, die ja ganz interessant auf jeden Fall klingt und in den USA natürlich schon viel populärer ist, dass sie hier nur eine Nischenposition ist und noch keine große Verbreitung hat hierzulande?
Dirk Ehnts: Oh, das ist eine interessante Frage, darauf hätte ich auch gerne eine Antwort, weil 2020 hat das ‚Wall Street Journal‘ mal geschrieben „We‘re all modern monetary theorists now“. Und das war der Herausgeberkreis vom ‚Wall Street Journal‘, weil die ja auch spitzbekommen haben, dass im Zuge der Pandemie halt deutlich wurde, dass die amerikanische Bundesregierung, die kann so viel Geld ausgeben, wie sie möchte. Ja, sogar Alan Greenspan hat das mal bei ihr gesagt, vor dem Kongress im Haushaltsausschuss. Er hat wortwörtlich gesagt „There‘s nothing to stop the federal government from creating as much money as it wants and paying it to somebody”. Also das hat sogar der Zentralbank-Präsident gesagt 2005, glaube ich, vor dem Kongress unter Eid; das findet man noch auf YouTube.
Insofern ist es eigentlich völlig logisch, dass als Herausgeber des Dollars – und bei uns in der Eurozone steht ja auch überall EZB drauf –, insofern: Natürlich sind die Zentralbanken Währungsschöpfer, es gibt kein Steuerzahlergeld. Alles Geld kommt letztendlich vom Staat oder von den Banken, wenn es halt Zahlungsversprechen in staatlicher Währung sind. Das sind Bankguthaben, sind also quasi Zahlungsversprechen in staatlicher Währung.
Aber warum das in Deutschland sich nicht durchgesetzt hat? … Ich glaube ehrlich gesagt, in den letzten zwei, drei Jahren ist es deutlich nach oben gegangen. Insofern: Wahrscheinlich brauchen wir noch ein bisschen. Wir haben halt in den USA auch, glaube ich, fünf, sechs Professoren gehabt, die die MMT vertreten haben. Hier weigert sich die akademische Welt noch ein bisschen, diese Diskussion überhaupt anzufangen. Aber ich denke mal, wir haben die besseren Argumente und auch die Empirie spricht da deutlich für uns. Das heißt also, auch jetzt mit dem Sondervermögen sieht man deutlich, dass die Politik, auch wenn sie MMT sozusagen nicht diskutiert, aber sie hat deutlich begriffen, dass MMT auch für sie „gilt“, dass das die richtige Beschreibung ist und das Geld ist da. Es scheitert halt nicht am Geld.
Carsten Roemheld: An dieser Stelle machen wir einen kurzen Schnitt und ordnen einmal die Debatte, um die es hier geht. Dirk Ehnts ist, wie er eben erklärt hat, der Auffassung, dass wir unsere komplette Geldpolitik überdenken sollten, weil sie schlicht nicht so wirkt, wie wir uns das bisher vorgestellt haben. Niedrige Zinsen, sagt er, haben zuletzt die Wirtschaft nicht mehr belebt und höhere Zinsen werden im Gegenzug auch die Investitionen nicht bremsen können.
Ehnts argumentiert weniger theoretisch als empirisch. Das ist einerseits genau der Punkt, der die ‚Modern Monetary Theory‘ im Gespräch immer wieder so eingängig macht, andererseits aber auch der Punkt, an dem sich andere Ökonomen so sehr aufregen können. Gerade in den vergangenen Wochen haben Deutschlands führende Wirtschaftswissenschaftler leidenschaftlich gestritten über Schuldenpolitik. Es geht im Kern um die Frage, woher der Staat eigentlich das viele Geld nimmt, das er zur Bewältigung der jüngsten Krisen ausgibt, und wie viel das sein sollte.
Verfechter einer ordoliberalen Wirtschaftspolitik weisen darauf hin, dass nur mit einer Schuldenbremse nachhaltige Staatsfinanzen zu gestalten sind, weil alle Schulden, die wir heute aufnehmen, letztlich von künftigen Generationen abzuzahlen sind; zum Beispiel über höhere Steuern. Ehnts hält dagegen: So lange in einem Staat genügend reale Ressourcen vorhanden sind – und in Deutschland haben wir die natürlichen Grenzen für die Produktion von Gütern und Dienstleistungen noch lange nicht erreicht –, so lange kann der Staat unbegrenzt Geld in eigener Währung schöpfen und auch ausgeben, völlig unabhängig von Steuern. Und Ehnts geht noch weiter: Nach seiner Auffassung sollte der deutsche Staat bei den Staatsausgaben dringend einen Gang hochschalten, um Arbeitsplätze zu schaffen und in Feldern wie der Bildung oder dem Aufbau einer nachhaltigen Infrastruktur schneller voranzukommen.
Im zweiten Teil unseres Podcasts sprechen wir weiter über diesen Ökonomenstreit. Wir reden über die Bekämpfung der Inflation mit Steuererhöhungen, über die Schweinerei einer nationalen Gaspreisbremse innerhalb der EU, über Japans Währungscrash und darüber, wie man 100 Hunde mit 95 Knochen füttert. Hören Sie rein!
Wenn Sie Anregungen oder Hinweise zu unserem Gespräch haben, mailen Sie mir gerne. Den Kontakt finden Sie in den Show-Notes. Und wenn Ihnen unser Podcast gefällt, abonnieren Sie ihn oder empfehlen Sie uns gerne weiter. Das geht auch über Likes und positive Bewertungen bei Ihrem Podcast-Programm. Ich danke Ihnen jetzt schon für Ihre Rückmeldungen. Wir hören uns.
Ihr Carsten Roemheld