Carsten Roemheld: Hohe Rentenbeiträge und keine Aussicht auf sichere Rente. Das kann für viele Arbeitnehmer bald Realität werden. Denn wenn geburtenstarke Jahrgänge, die sogenannten Babyboomer, in Rente gehen, werden die Geburtenraten zurückgehen und die Menschen länger leben. Dann steht unsere Gesellschaft vor einer riesigen demografischen Herausforderung. Vor inzwischen 37 Jahren ging der damalige CDU-Arbeitsminister Norbert Blüm mit einem Satz in die Geschichte ein: Die Renten sind sicher. Heute ist klar: Durch den demografischen Wandel steht unser umlagefinanziertes Rentensystem auf einem etwas unsicheren Fundament.
Carsten Roemheld: Wie wirkt sich die Alterung auf das Arbeitsleben aus? Welche Rolle spielen Kinder für die sozialen Sicherungssysteme? Und könnten Modelle wie die Aktienrente die Probleme lösen? Über diese und weitere Fragen spreche ich heute mit Alexia Fürnkranz Prskawetz. Sie ist Professorin für Mathematische Ökonomie und Direktorin am Wiener Wittgenstein Center for Demografie und Global Human Capital. Außerdem ist sie Mitglied der Deutschen Wissenschaftsakademie Leopoldina und auch an der Österreichischen Akademie der Wissenschaften aktiv, derzeit als stellvertretende Direktorin am Vienna Institute of Demography.
Carsten Roemheld: Ihr Haupt-Forschungsinteresse gilt der sogenannten Bevölkerungsökonomie und dazu kombiniert sie Mathematik, Ökonomie und Demographie und erforscht die wirtschaftlichen Folgen der Alterung. Heute ist Mittwoch, der 19. April 2023. Mein Name ist Carsten Roemheld. Ich bin Kapitalmarktstratege bei Fidelity und ich freue mich sehr auf die kommenden 45 Minuten mit Alexia Fürnkranz Prskawetz im Kapitalmarktpodcast von Fidelity. Herzlich willkommen!
Alexia Fürnkranz-Prskawetz: Herzlichen Dank für die Einladung.
Carsten Roemheld: Sehr gerne. Lassen Sie uns gleich starten. In den vergangenen Wochen haben Berichte vor allem aus Frankreich die Schlagzeilen gefüllt. Wir erinnern uns an unschöne Bilder von Tränengaseinsätzen, brennenden Mülltonnen und wütenden Rentenprotesten. Die Rentenreform von Präsident Macron, die diese Proteste ja ausgelöst haben, die heben das Renteneintrittsalter von 62 auf 64 Jahren an. Also aus unserer Sicht noch relativ moderat. Aber wie sehen Sie denn diese Proteste? Droht uns hier vielleicht eine Spaltung der Gesellschaft?
Alexia Fürnkranz-Prskawetz: Also ich denke, eine Rentenreform ist eigentlich notwendig, auch in Frankreich, so wie in vielen anderen europäischen Ländern. Und ich denke, es gibt hier verschiedene Stellschrauben. Und die Anhebung des Pensionsantrittsalter ist eine dieser Stellschrauben. Andere Stellschrauben sind natürlich, einerseits die Beiträge zu erhöhen, andererseits die Leistungen zu reduzieren, andererseits ein Pensionssystem auf mehrere Säulen zu stellen und nicht nur auf die staatliche Säule zu stellen, sondern auch Privatvorsorge oder eben Firmenpensionen etc.. Also es gibt ja viele Stellschrauben und ich denke, die Demonstrationen in Frankreich zeigen uns, dass die Kommunikation der Notwendigkeit von Änderungen im Pensionssystem eine der wichtigsten Aufgaben alle Regierungen in der Zukunft sein wird, sowie die Erklärung, wie das durchgeführt wird. Es geht darum, die Gesellschaft darauf vorzubereiten. Also ich sehe hier insofern keine Spaltung der Gesellschaft. Ich sehe hier nur ein Problem, vielleicht der Kommunikation. Und es gibt keine one size fits all policy. Und ich glaube, was ganz, ganz wichtig ist: Viele Gesellschaftsschichten sehen sich hier ein bisschen benachteiligt und ich glaube, es ist das Wichtigste, Pensionsreformen auch auf die Heterogenität in einer Gesellschaft abzustimmen.
Alexia Fürnkranz-Prskawetz: Wir haben leider sehr große Unterschiede in der Lebenserwartung, nach wie vor auch in Industrieländern zwischen verschiedenen sozialen Gruppen. Wir haben auch sehr große Ungleichheiten, bedingt teilweise durch die Finanzkrise 2008, die Coronakrise und durch die anderen Krisen, denen wir jetzt momentan ausgesetzt sind. Und ich glaube, die Aufgabe ist es, eine Pensionsreform in dieses neue System einzubetten, was wir eben momentan beobachten in der Gesellschaft. Also ich sehe eigentlich nicht, dass die Pensionsreform die Gesellschaft spaltet. Ich sehe eher das Problem, dass viele der anderen momentanen Krisen große Ungleichheiten in unserer Gesellschaft erzeugen und Reformen natürlich dann so wie im Pensionssystem unterschiedliche Gesellschaftsschichten unterschiedlich beeinflussen.
Carsten Roemheld: Sie sagen, es ist hauptsächlich ein Kommunikationsproblem. Wenn ich mir gerade mal die Eurozone anschaue, da gibt es ja sehr unterschiedliche - auch Renteneintrittsalter - Nord-Süd-Gefälle. Im Süden, in der Peripherie müssen wahrscheinlich noch ein paar mehr Schmerzen ertragen werden. Sehen Sie denn nicht durchaus Probleme, das den Leuten klarzumachen? Wenn die Altersgrenzen so unterschiedlich hoch sind und die Eintritte ins Rentensystem so unterschiedlich ausgeprägt sind?
Alexia Fürnkranz-Prskawetz: Ich sehe natürlich große Probleme, wenn man sich das anschaut. Sie haben es ja schon angesprochen. Wir sehen zum Beispiel in den nordischen Ländern wie Schweden, aber auch in der Schweiz, viel höhere Erwerbstätigkeitsquoten, auch im Alter. Ich glaube, diese Gesellschaften haben es geschafft, mit einer längeren Lebenserwartung auch den Lebenszyklus zu entzerren. Was ich damit meine, ist: Wir müssen weg von dieser fixen Alterseinteilung, also Ausbildung, Arbeit, Rente, wir müssen viel flexibler werden. Ich glaube, das Problem ist nicht die Alterung der Bevölkerung. Das Problem ist die Trägheit unserer institutionellen Rahmenbedingungen. Aber man muss ganz ehrlich sagen, dabei geht es auch um Normen und Werte. Nur ein Beispiel: In Frankreich ist die Erwerbstätigenquote der Frauen eine ganz andere als wir in anderen westeuropäischen Ländern beobachten. Nicht nur auf der individuellen Ebene oder auf der Firmenebene. Auch auf der gesellschaftlichen Ebene ist die Akzeptanz für die Vereinbarkeit von Beruf und Familie in den Ländern völlig unterschiedlich, speziell natürlich in den nordischen Ländern, wo viele mit dem Partner oder der Partnerin die Kindererziehung aufteilen. Dem wird ein ganz anderer gesellschaftlicher Wert beigemessen. Ich glaube, das ist uns leider in vielen Ländern nicht gelungen, die institutionellen Rahmenbedingungen dafür zu schaffen, und ich möchte wirklich betonen, monetäre Unterstützung ist dabei nur ein Aspekt. Viel, viel wichtiger sind oft der Grad der Vereinbarkeit von Beruf und Familie. Es sind einfach auch strukturelle Veränderungen nötig, andere Normen und Werte. Ich glaube, je länger wir leben, umso mehr muss es uns gelingen, den Lebenszyklus zu entzerren und weg von diesen fixen Altersgrenzen. Und noch einmal: Was ich auch eingangs erwähnt habe, möchte ich immer wieder betonen: Ich glaube, wir haben es noch nicht geschafft, die unterschiedlichen Lebensverläufe einerseits in eine Arbeitsmarktpolitik, andererseits in eine Familienpolitik zu integrieren. Und wir werden eben, je älter wir werden, umso heterogener. Weil sich hier mehr über unseren Lebenszyklus tut. Wir haben unterschiedliche Familienstrukturen, wir haben in Zukunft viel Singlehaushalte und Haushalte als Alleinerziehende. Da müssen wir noch sehr, sehr viel machen, um die Rahmenbedingungen entsprechend zu gestalten. Dann wird auch eine Reform gelingen.
Carsten Roemheld: Sie haben es wunderbar erklärt. Es geht um Flexibilität, um entsprechende unterschiedliche Gesellschaftsstrukturen in den einzelnen Ländern, und darum, wie stark Familien einbezogen werden. Aber grundsätzlich die Frage: Glauben Sie, dass die Bevölkerung mit zunehmendem Alter noch bereit ist zu arbeiten, leistungsfähig genug ist für das Arbeitsleben? Wo sehen Sie hier gewisse Grenzen? Sie haben von Flexibilität gesprochen und nicht von einem festen Eintrittsalter. Wo sehen Sie die neuen Grenzen?
Alexia Fürnkranz-Prskawetz: Also ich möchte da mal gleich sagen, ich glaube, es gibt keine fixen Grenzen und es gibt keine eine Grenze für alle. Das ist genau mein Punkt. Ich glaube, wir haben in den letzten Jahren einen großen Fehler gemacht. Wir beginnen darüber nachzudenken, fünf Jahre vielleicht vor dem Pensionsantrittsalter. Aber ich glaube, das, was wir in Zukunft machen müssen und viel verstärkter machen müssen, ist: Wir können nur dann fit in das Alter kommen, wenn wir investieren, auch in jungen Lebensjahren. Ich glaube, wir haben auch momentan das Problem, dass es eine gewisse Umverteilung gibt, natürlich auch bei den Transferleistungen, um im Pensionssystem unser Gesundheitssystem etc. zu finanzieren.
Alexia Fürnkranz-Prskawetz: Aber wir dürfen nicht vergessen, die Investition in die Jugend, die Investition in das Humankapital unserer Kinder, das sind im Prinzip die Steuerzahler von morgen, ist ganz, ganz wichtig. Und ich glaube auch, was Gesundheit anbelangt. Wir wissen also, dass die wichtigste Investition natürlich auch ist, in jungen Jahren auch in Gesundheit zu investieren. Neben der Bildung ist auch das ein ganz wichtiger Beitrag zu Humankapital. Und was natürlich auch ganz wichtig ist: dass wir flexibler werden. Es gibt nicht mehr die Ausbildung, die dann mit dem Alter 18 oder 25 endet. Wir müssen es einfach schaffen, dass wir wirklich auch kontinuierliche Ausbildung anbieten, was natürlich auch wiederum die Firmen betrifft. Die muss man ins Boot holen, auch mit Subventionen und anderen Anreizen, damit es wirklich kontinuierliche Ausbildung gibt. Wir wissen das aus Studien: Flexibilität am Arbeitsmarkt erhöht auch die längere Produktivität. Das heißt, dass man nicht immer die gleiche Tätigkeit macht in seinem Job, sondern auch eine andere Tätigkeit macht, wenn man älter wird. Es kann natürlich auch sein, dass man gleitend in die Pension geht, also mit Teilzeitarbeit oder anderen reduzierten Möglichkeiten. Und das, glaube ich, ist ganz, ganz wichtig, denn dann können wir produktiv altern und gesund altern vor allem. Also wir wissen einfach, dass Gesundheit einer der wichtigsten Faktoren ist, um auch produktiv zu bleiben.
Carsten Roemheld: Das klingt alles wirklich sehr plausibel und so, als ob es wirklich ideal wäre, das Ganze so umzusetzen. Insofern sollten wir alles daransetzen, das auch zu tun. Eine kurze Frage noch mal zur Finanzierung: Das aktuelle Rentensystem basiert ja auf Umlageverfahren, und in einer alternden Gesellschaft kann ja so ein Generationenvertrag auch zum Problem werden. Ab 2025 gehen die geburtenstarken Babyboomer Jahrgänge in den Ruhestand. Kann sich dann so ein Umlagesystem noch halten? Oder wie müsste ein künftiges Rentenmodell aus Ihrer Sicht aussehen?
Alexia Fürnkranz-Prskawetz: Ja, also ich glaube ganz vorweg einmal ein Umlageverfahren kann auch unterschiedlich implementiert werden. Also wir sehen ja den Unterschied: Es kann beitragsorientiert sein, es kann leistungsorientiert sein und ein ganz wichtiger Punkt ist, es können Mechanismen eingebaut sein in so ein Umlageverfahren, die reagieren auf die demographische Situation, auf die wirtschaftliche Situation. So wie in Schweden: Im Prinzip ist es auch dort beitragsorientiert, wobei man wirklich reagiert auf eine längere Lebenserwartung. Ich glaube, solche Automatismen im Umlageverfahren sind deswegen so wichtig, weil sie über die Legislaturperiode von Regierungen gehen. Die große Gefahr, die wir auch hier in Österreich sehen, ist nämlich, dass jede Pensionsreform ein bisschen daran scheitert, dass dann Wähler verloren werden. Der Anreiz ist, Pensionsreformen innerhalb einer kurzfristigen Zeit auch wirklich zu schaffen. Und da, glaube ich, ist ein Automatismus, der auf demographische und wirtschaftliche Änderungen reagiert, ganz, ganz wichtig, um ein Umlageverfahren zukunftsträchtig und nachhaltig zu gestalten. Also ich würde nicht sagen, dass das Umlageverfahren das Problem ist, das Umlageverfahren, wie es implementiert wird, das ist das Problem.
Alexia Fürnkranz-Prskawetz: Und ich glaube, dass einerseits, ich habe es eingangs erwähnt, das gibt die drei Stellschrauben, aber es gibt neben diesen drei Stellschrauben, wie Beiträge, Leistungen und Pensionsalter zu reformieren gibt es auch diesen wichtigen Aspekt: mehrere Säulen des Pensionssystems zu betrachten. Das ist im Prinzip Risiko-Diversifizierung. Ein Umlageverfahren ist natürlich ein bisschen auch bedingt durch die demografische Veränderung anfällig. Wenn man diese Stellschrauben, die ich gerade erwähnt habe, auch nicht wirklich entsprechend anpasst. Andererseits ist ein reines Kapitaldeckungsverfahren auch einem Risiko ausgesetzt. Und natürlich haben eine Betriebspension oder Investitionen in Aktien auch ein gewisses Risiko. Also ich würde mich nie darauf fokussieren, nur eine Säule zu stärken, sondern ich glaube, es ist gerade diese Diversifizierung. Und was mir auch ganz, ganz wichtig ist: Wir nennen das in der Literatur Financial Illiteracy. Ich glaube, wir haben es noch nicht geschafft, die Leute entsprechend so vorzubereiten, dass sie selbstständig eine Wahl treffen können, um auch entsprechend sicher ihre Pension gestalten zu können. Ich glaube, der Staat soll helfen und das würde ich immer betonen. Er soll auch eine gewisse Grundsicherung und es soll auch einen Transfer auch zwischen den Gesellschaftsgruppen ermöglichen. Aber wir müssen es einfach auch schaffen, dass unsere Gesellschaft fitter wird im Sinne von finanziellen Investitionen, finanziellen Überlegungen, auch für die Pension.
Carsten Roemheld: Absolut. Und dafür kämpfen wir ja auch wirklich ganz massiv. Also gerade bei den Säulen private Altersvorsorge, betriebliche Altersvorsorge ist Fidelity auch stark im Boot mit Ihnen und versucht, die zwei anderen Säulen neben der staatlichen Altersvorsorge deutlich zu unterstützen. Insofern sind wir da völlig einer Meinung.
Carsten Roemheld: Noch eine Frage zum System generell: Wir haben ja von Schweden vorhin schon mal gesprochen und auch von der Aktienrente, die in Schweden inzwischen eine große Rolle spielt. Wie funktioniert dieses System aus Ihrer Sicht und wie weit sind wir denn in Deutschland mit der Umsetzung? Herr Lindner hat ja auch bereits Pläne für eine Aktienrente in einem moderaten Umfang, sage ich mal, bis jetzt vorgestellt. Wie sehen Sie die Aktienrente als Teil der Altersvorsorge?
Alexia Fürnkranz-Prskawetz: Ja, ich glaube, da kann ich mich nur wiederholen. Also ich meine, in Schweden gibt es das ja schon viel länger. Man muss aber auch betonen, dass es in Schweden jetzt nicht der größte Anteil ist, sondern es ist ein Teil von einem Mehrsäulenmodell. Es gibt in Schweden eine enorme Auswahl, sie haben ein ganz großes Portfolio, wo man investieren kann und andererseits, wenn man sich selbst nicht entscheidet, dann gibt der Staat etwas vor. Ich glaube, das ist genau, was ich auch vorher gemeint habe. Selbst in Schweden ist auch die finanzielle Fitness im Sinne der Überlegungen, in welche Aktien man dann wirklich investiert, noch nicht perfekt. Das ist die Gefahr bei solchen Möglichkeiten: Wenn man das einer Bevölkerung überlässt, die nicht die entsprechende Ausbildung hat.
Alexia Fürnkranz-Prskawetz: Auch in Österreich gab es übrigens diese Möglichkeit, bis 2013 sogar nur in österreichische Aktien zu investieren als Pensionsvorsorge. Das war so ein bisschen eine Vorgabe. Erst dann hat man es flexibilisiert und konnte man in andere Aktien auch investieren. Ich sehe das in Deutschland ähnlich wie in Österreich, glaube also, dass das vielleicht ein wichtiger Beginn ist. Aber ich sehe auch die Gefahr, dass viele Gesellschaftsgruppen hier nicht die entsprechende Vorsorge treffen können, weil sie das Wissen nicht haben, wenn man es ihnen allein überlässt. Also ich glaube, da bedarf es einer gewissen staatlichen Unterstützung. Und man darf auch nicht vergessen: Auch bei Aktien ist natürlich ein gewisses Risiko gegeben. Und Gesellschaftsgruppen sind sehr unterschiedlich mit ihrem Wissen und den Möglichkeiten zu investieren in diese Säule des Pensionssystems.
Carsten Roemheld: Für die finanzielle Bildung müssen wir weiterhin natürlich sorgen und unterstützen. Weiterhin noch eine Frage kurz zu den Babyboomern, weil die ja wirklich demnächst in größerer Zahl in Rente gehen. Da gibt es ja nicht nur Gefahren für die Rentenkasse selbst, sondern auch andere. Wenn Babyboomer zum Beispiel aus ihren Häusern oder Eigentumswohnungen ausziehen, oder in die Stadt ziehen. Bei kleineren Wohnungen könnte es theoretisch zu einem Angebotsüberhang auf dem Immobilienmarkt kommen. Das im Moment noch ein bisschen Wunschdenken, aber für einige wäre das ein Aspekt. Es gibt durchaus andere Risiken, die vielleicht auch darüber hinausgehen. Wo sehen Sie denn weitere Verschiebungen. Und wie kann das gesellschaftlich insgesamt gelöst werden?
Alexia Fürnkranz-Prskawetz: Es ist natürlich das, was wir in all unseren Studien machen. Also wir werden nicht nur älter, sondern unser Verhalten ändert sich auch. Einerseits altersspezifisch. Wir konsumieren ganz anders, wenn wir 30 Jahre sind als wenn wir 60 Jahre sind. Wir investieren ganz anders oder sparen auch ganz anders. Ökonomische Aktivitäten ändern sich über das Alter. Das ist einmal ganz, ganz wichtig. Und natürlich, wenn wir da mehr ältere Leute haben, wird sich generell der Konsum ein bisschen anders gestalten. Andererseits dürfen wir auch nicht vergessen: Wir leben ja nicht in einer statischen Welt, wir leben in einer recht dynamischen Welt. Und zusätzlich mit unserem Alter verändert sich natürlich die Situation, in der wir leben. Ich spreche jetzt von Digitalisierung oder anderen Möglichkeiten hier.
Alexia Fürnkranz-Prskawetz: Wir beobachten ja jetzt schon, dass die Älteren von heute ein anderes Konsumverhalten haben als noch die Älteren von gestern. Also ich sehe das insofern jetzt nicht als eine gesellschaftliche Herausforderung oder ein Problem, sondern ich sehe das einfach mit dem Lauf der Zeit, während sich auch die Älteren natürlich hier anpassen, weil sie schon auf den Housing Market ansprechen. Also unabhängig von den momentanen Gegebenheiten, würde ich argumentieren, dass hier wirklich eine große Dynamik vorherrscht. Und das ist nicht nur, dass es mehr Ältere gibt, die dann vielleicht in die Städte ziehen. Wir wissen auch, dass die Haushaltsstrukturen sich enorm verändern. Und der Housing Market, denke ich, ist mindestens genauso beeinflusst nicht nur von Älteren, sondern auch durch die Veränderung der Familienstrukturen. Wir beobachten, was ich eingangs schon erwähnt habe, einen Anstieg der Singlehaushalte. Auch das hat einen Effekt auf den Housing Market, den man nicht unterschätzen darf.
Alexia Fürnkranz-Prskawetz: Auch interessant: Während der Covidkrise gab es die umgekehrte Richtung, dass wieder teilweise auch von der Stadt Leute hinausgezogen sind, wieder an die peripheren Umgebungen der Städte. Aber ich glaube, man darf nicht vergessen, dass alle diese Bewegungen auch durch die zukünftigen Veränderungen geprägt werden. Ich denke, Demografie ist eine wichtige Variable, auch im Housing Market. Aber man darf nicht vergessen, es ist nicht die einzige wichtige Variable und es wird sich natürlich viel verändern, auch wenn man jetzt an die Energiekrise denkt. Inwieweit auch hier eine Veränderung im Housing Market stattfinden wird, ist auch interessant. Also ich denke, Nachfrage und Angebot sind hier wiederum nicht statisch. Und selbst wenn vielleicht jetzt das Angebot an Häusern steigt, wird es vielleicht die Nachfrage geben dann auch wiederum, wenn einige eben aus den Städten hinausziehen.
Alexia Fürnkranz-Prskawetz: In der Literatur, wenn ich das noch erwähnen darf, gab es in den 1990er Jahren die sogenannte „Asset Market Meltdown Hypothese“. Da war das Argument, wenn die Babyboomer, also die erste Generation, die stärker am Aktienmarkt investiert haben, wenn die in Pension gehen und dann ihr Vermögen wieder liquide machen möchten, dass sie dann eventuell den Aktienmarkt negativ beeinflussen, weil dann die Nachfrage nicht mehr gegeben ist, weil eine geringbesetzte Kohorte nachkommt und das Angebot am Aktienmarkt höher ist. Auch das hat man eigentlich nicht beobachten können. Der Aktienmarkt funktioniert natürlich ein bisschen anders als der Wohnungsmarkt, weil es da internationale Aktien gibt und nicht nur die lokalen Aktien. Aber trotzdem sage ich: Viele dieser Vorhersagen werden nicht so eintreten, weil wieder andere Dynamiken vorherrschen. Ich würde da ein bisschen vorsichtig sein.
Alexia Fürnkranz-Prskawetz: Aber was ganz, ganz klar ist, das möchte ich schon betonen, dass natürlich die ökonomischen Aktivitäten sich in einer alternden Bevölkerung ändern, aber nicht unbedingt zum Schlechten. Also es sind einfach andere Herausforderungen, denen wir uns stellen müssen.
Carsten Roemheld: Genau, das haben Sie ja vorhin gesagt, dass das Konsumverhalten auch im Laufe des Lebens sich ändert. Und künftige Bevölkerungen sind vielleicht älter, haben aber auch höhere Erwartungen an ein gesundes Leben. Welche demografischen Charakteristika sind denn aus Ihrer Sicht wichtig, um das Altern einer Gesellschaft zu beschreiben?
Alexia Fürnkranz-Prskawetz: Das Altern einer Gesellschaft kann man nicht nur mit dem Alter beschreiben, sondern auch zum Beispiel mit der sogenannten gesunden Lebenserwartung, wo wir uns die Lebenserwartung auch anschauen in Bezug auf die Zeit, die wirklich in Gesundheit verbracht wird, also ohne Einschränkungen. Die ist zum Glück angestiegen mit der Lebenserwartung, aber leider auch wieder sehr unterschiedlich zwischen gesellschaftlichen Gruppen. Und das charakterisiert für mich Alterung wesentlich: Dass wir es schaffen, dass der Anteil der in Gesundheit verbrachten zusätzlichen Lebensjahre natürlich noch ansteigen sollte. Ganz wichtig ist mir dabei, eine Bevölkerung zu charakterisieren im Sinne ihrer Bildungsstruktur. Am Wittgenstein Centre for Demography and Global Human Capital betreiben wir sehr viel Forschung dazu, weil wir sehen, dass Bildung einen so großen Einfluss hat auf die Gesundheit und Lebenserwartung, nicht nur im Resultat, sondern auch bei der Investition in Gesundheit: Die ist eine ganz andere zwischen den Bildungsgruppen.
Alexia Fürnkranz-Prskawetz: Also, wir sollen uns ja nicht nur adaptiv verhalten, sondern auch versuchen, uns vorausschauend zu verhalten. Und wenn man in Gesundheit investiert beziehungsweise, ich muss das so sagen, wenn man in Bildung investiert, dann investiert man eigentlich in viele Bereiche. Man investiert dadurch in Gesundheit. Man investiert dadurch in eine höhere Arbeitsmarkt-Partizipationsrate. Wir beobachten nach wie vor, dass die Arbeitslosigkeit geringer ist bei Höhergebildeten. Wir beobachten auch, dass die höher Gebildeten, auch wenn sie später in den Beruf einsteigen, dadurch ein höheres Lebenseinkommen generieren, dadurch natürlich dem Staat auch höhere Steuern bescheren, und länger im Arbeitsprozess gehalten werden können. Wir beobachten, dass Bildung hilft, Flexibilität am Arbeitsmarkt zu generieren. Ich glaube, die wesentlichen positiven Effekte von Bildung auch noch mit zu berücksichtigen, auf eben unterschiedliche Effekte auf die Langlebigkeit ist ganz, ganz wichtig.
Carsten Roemheld: Das sollte unser Zuhörer auf jeden Fall mitnehmen. Investitionen in Bildung ist einer der wichtigsten Investitionen, die man überhaupt machen kann. Ganz genau. Sie sagten einmal, Alterung sei ein heterogener Prozess, und wir müssen die Unterschiede bei den notwendigen Reformen unserer Sozialsysteme berücksichtigen. Was meinen Sie damit konkret?
Alexia Fürnkranz-Prskawetz: Das ist eigentlich mein Forschungsthema in den letzten fünf Jahren. Wir beobachten, dass die Lebenserwartung nicht bei allen gleich ist: Wir beobachten oft bis zu sechs Jahre Unterschied zwischen sozialen Gruppen und eben auch in Industrieländern. Und was mein Argument ist oder das Argument von vielen Ökonomen natürlich, dass viele unserer Pensionssystem eine Umverteilung generieren von den Kurzlebigen zu den Langlebigen, weil eben diese Heterogenität natürlich in vielen Pensionsreformen nicht eingebaut ist. Wir haben sogar in unseren Studien gezeigt, dass selbst Systeme wie in Amerika, die progressiv eigentlich gestaltet sind, durch diese Umverteilung regressiv werden können. Und was unser Punkt jetzt ist also ich bin ein starker Verteidiger, dass es natürlich einer Pensionsreform bedarf, aber wir müssen extrem aufpassen. Das haben wir in unseren Studien gezeigt, dass viele der vielleicht angedachten und gut gemeinten Pensionsreformen diese Umverteilungseffekte verstärken. Und das ist, glaube ich, auch wieder, um auf Ihre Eingangsfrage in Frankreich zurückzukommen, das ist genau unsere Aufgabe, auch in der Wissenschaft wirklich zu verstehen, wer durch die Pensionsreformen wie beeinträchtigt wird. Wir haben in unseren Studien gezeigt mit verschiedensten Pensionsreformen, wie man diese Umverteilung von den Kurzlebigen zu den Langlebigen durch Anpassungseffekte in den Pensionsreformen reduzieren kann und nicht noch verstärken kann. Weil, mein Argument, dass was wir als Wissenschaftler leisten können, ist sozusagen hier wirklich evidence based Analysen. Aber wie es dann umgesetzt wird, das muss natürlich die Politik entscheiden. Aber wir können darauf hinweisen, und das ist mir wirklich ganz, ganz wichtig: Eine Akzeptanz einer Pensionsreform kann nur dann gelingen, wenn wir durch die Pensionsreform nicht die Ungleichheit verstärken. Und das meine ich mit eben dieser Heterogenität, die existiert. Und natürlich ideal ist es, dass wir nicht erst am Ende bei einer Pensionsreform ansetzen, sondern langfristig müssen wir es natürlich schaffen, diese Heterogenität in der Lebenserwartung zu reduzieren. Das ist ein wesentlicher Punkt, weil wir wissen, dass die Lebenserwartung von verschiedenen Faktoren abhängt. Fast 50 % gehen auf Verhaltensmuster zurück, 25 % auf ökonomische, soziale, andere Faktoren und 25 % auf genetische Effekte. Ich glaube, wir müssen als Gesellschaft die Verhaltensmuster angehen, aber auch die ökonomischen, sozialen Nebenbedingungen, weil die ja fast 75 % ausmachen. Deswegen müssen wir bei den aktuellen Reformen, die notwendig sind, aufpassen, dass wir diese Ungleichheit, die eben herrscht, in der Lebenserwartung, nicht zu einer noch stärkeren Ungleichheit machen, dann im Sinne natürlich auch von Einkommen.
Carsten Roemheld: Herzlichen Dank Alexia Fürnkranz-Prskawetz, bis hierher im ersten Teil unseres Gesprächs. Ich denke, es ist deutlich geworden, wie stark gerade alternde Gesellschaften angewiesen sind auf eine ganz besondere Schlüsselressource: nämlich auf Bildung. Denn es ist eben nicht nur so, dass Bildung einen Unterschied macht im Erwerbseinkommen. Oder bei der Fähigkeit, sein Geld klug anzulegen. Nein: Bildung hat auch einen erheblichen Einfluss auf die Lebenserwartung. Auf die Gesundheit. Auf die Höhe der Renten. Und auf die geistige und soziale Flexibilität. Investitionen in Bildung sind also gewissermaßen eine Pflichtaufgabe für alle Staaten im demografischen Wandel. Und sie sind eine ganz wesentliche Voraussetzung dafür, dass Rentenreformen gelingen in dem Sinne, dass sie die Chancen möglichst vieler Menschen auf mehr gesunde Lebensjahre verbessern – statt bloß jene zu bevorzugen, die eh schon länger und besser leben.
Im zweiten Teil unseres Podcasts wollen wir die Perspektive erweitern. Wir blicken auf Länder, in denen die Bevölkerung schrumpft – und fragen, wie diese den demografischen Wandel managen. Wir schauen uns die Ergebnisse der Ein-Kind-Politik in China an. Wir blicken auf die Frage, ob Frauen, die mehr arbeiten, eigentlich weniger Kinder bekommen – und was das dann für die Rentenkassen bedeutet. Und wir reden über den Fachkräftemangel – eine weitere Folge des demografischen Wandels.
Teil 2
Carsten Roemheld: Unsere Gesellschaften altern mit Macht. Die Alten werden immer älter – und der Nachwuchs wird rar. Das ist zunächst einmal ein Befund, keine Bedrohung. Und doch müssen sich unsere Gesellschaften anpassen, um auch im Alter fit zu bleiben. Ein Weg führt über Bildung, das hat mir Alexia Fürnkranz-Prskawetz im ersten Teil dieses Podcasts so anschaulich wie leidenschaftlich erklärt. Sie wird es wissen, denn sie forscht am renommierten Wittgenstein Centre for Demography and Global Human Capital in Wien zur Bevölkerungsökonomie – befasst sich also intensiv mit den wirtschaftlichen Folgen des Alterns.
Nun begrüße ich sie herzlich zum zweiten Teil unseres Gesprächs.
Carsten Roemheld: Zum Einstieg möchte ich die Perspektive auf das Thema gern twas weiten über Deutschland und Österreich hinaus. Die UN hat kürzlich prognostiziert, dass wir bis zum Jahr 2050 eine um etwa 5 % geringere Bevölkerung in Europa haben könnten als heute. Und auch weltweit wird die Bevölkerung nicht mehr so stark weiterwachsen wie in den vergangenen Jahrzehnten. Meine Frage dazu ist: Stellt eine schrumpfende Bevölkerung eigentlich ein Problem dar, also etwa beim Arbeitskräftemangel? Oder hat so etwas nicht auch Vorteile? Anders gesagt: Wie kann ein Land sich den Rückgang oder das Stagnieren seiner Bevölkerung zunutze machen?
Alexia Fürnkranz-Prskawetz: Ich würde da ein bisschen widersprechen. Ich weiß, auf welche Studien Sie abzielen. Aber es ist ganz wichtig, immer die Annahmen in den Modellen zu beachten. Jetzt muss man vorsichtig sein. Also: Wir beobachten eigentlich in allen Ländern, mit Ausnahme vom subsaharischen Afrika und einigen anderen Entwicklungsländern, durchgehend eine sinkende Fertilität: In China, aber auch in Südasien, in Ostasien etcetera. Also werden wir dort auch eine sehr starke Bevölkerungsreduktion sehen. Insgesamt. Aber jetzt ganz vorsichtig: Wenn wir uns zum Beispiel mal auf Europa einschränken ist ein sehr unterschiedliches Bild zu beobachten: Wir sehen in Osteuropa, in Rumänien oder Bulgarien zum Beispiel, eine sehr starke Bevölkerungsreduktion. Für diese Länder ist das ein Problem, nicht nur weil sie sehr niedrige Fertilitäten haben. Sie haben leider auch eine relativ hohe Mortalität im Vergleich zu anderen Ländern. Und sie haben Abwanderung von sehr hochgebildeten jungen Leuten. Wenn eine Bevölkerungsreduktion so gekennzeichnet ist, ist das wirtschaftlich ein Teufelskreis für diese Länder. Denn sie haben dann nicht das Potenzial, ihre wohlfahrtsstaatlichen Systeme zu finanzieren und aufzubauen.
Alexia Fürnkranz-Prskawetz: Wenn wir aber sprechen von der Bevölkerungsreduktion in anderen Ländern, muss das nicht unbedingt ein Teufelskreis werden, wenn man reagiert mit entsprechenden Investitionen in das Humankapital, aber auch in zukunftsträchtige Technologien, in Produktivität gewinnende Technologien. Und man muss auch ganz ehrlich sein, dass die meisten Länder in Europa sehr stark profitieren von Migration, wodurch die Bevölkerungsreduktion noch nicht so ausgeprägt ist wie die natürliche Bevölkerungsentwicklung. Die ist in vielen Ländern bereits negativ. Aber insgesamt ist das Bevölkerungswachstum in vielen Ländern eben nicht negativ, weil wir diese starke Migration haben und die ist sicherlich auch in Zukunft sehr wichtig.
Alexia Fürnkranz-Prskawetz: Aber Migration allein wird auch da nicht das Problem lösen, weil die Migranten in der zweiten Generation ihr demografisches Verhalten und damit meine ich auch die Fertilität anpassen und natürlich auch dann in dem System integriert sind. So ist das nur kurzfristig ein wichtiger Punkt, um Arbeitskräftemangel auszugleichen in diesen Ländern. Aber generell ist eine Bevölkerungsschrumpfung - und das haben viele Kollegen von mir auch empirisch gezeigt - insofern auch eine Chance, wenn wir eine positive Korrelation sehen mit Technologie-Investments, speziell Digitalisierung und Automatisierung in Ländern, die durch niedrige Fertilität und längere Lebenserwartung gekennzeichnet sind.
Carsten Roemheld: Können Regierungen denn den demografischen Wandel noch anders lenken? Experten sagen ja, dass ein Staat kaum kontrollieren kann, wie viele Kinder geboren werden. Chinas Ein-Kind-Politik zum Beispiel hat einen Rückgang der Geburtenrate beschleunigt, der vielleicht sowieso da gewesen wäre. Sind Staaten also dem demografischen Wandel ausgeliefert? Oder kann man, wie Sie sagen, durch Investitionen in bestimmte Technologiebereiche, vielleicht in Bildung, gegensteuern. Und gibt es noch andere Möglichkeiten, den demografischen Wandel zu beeinflussen?
Alexia Fürnkranz-Prskawetz: Das ist momentan eine ganz große Diskussion, weil China durch diese Ein-Kind-Politik eine enorm niedrige totale Fertilitätsrate hat von 1,07. Das hat sich keiner vorstellen können. Man hat immer gehofft, dass sich das ändert, wenn man die Ein-Kind-Politik aufgibt. Aber es gibt zugleich auch die Diskussion: Wäre der Rückgang dann nicht eventuell nur langsamer passiert, ist der Prozess in China durch diese Ein-Kind-Politik nicht einfach nur beschleunigt worden? Was unter den Demographen derzeit eine klare Aussage ist und nicht nur unter demografischen Soziologen, meine ich, ist, dass pro-natalistische Regime, wie wir sie jetzt beobachten, genau das Umgekehrte bewirken, also dass dann die Fertilität oft noch stärker sinkt. Also ich glaube, dass es ganz wichtig ist: Man muss die Rechte der eigenen Entscheidung, Familienplanung etcetera stärken und nicht durch staatliche Maßnahmen schwächen. Was ich damit meine ist: Ich glaube, generell ist es sehr schwierig, Fertilität mit solchen Maßnahmen überhaupt zu beeinflussen. Aber ganz machtlos sind wir nicht. Denn wir beobachten ja in allen unseren Umfragen, dass die gewünschte oder beabsichtigte Kinderzahl über der erreichten Kinderzahl liegt. Das bedeutet aber, dass wir uns als Gesellschaft überlegen können: Wie können wir diese Lücke schließen? Und da möchte kurz erwähnen, was ich schon einmal gesagt habe: Da geht es um die Vereinbarkeit von Beruf und Familie, um finanzielle Unterstützungen, auch am Wohnungsmarkt, für Familien, da geht es um bessere Erwerbschancen für die junge Generation. Es geht auch um ein stärkeres Vertrauen in die zukünftigen Entwicklungen in den einzelnen Ländern.
Alexia Fürnkranz-Prskawetz: Der Spielraum, die Kinderbetreuung strukturell nicht nur quantitativ, sondern auch qualitativ hochwertiger zu gestalten, ist ein wichtiger Punkt, den wir gerade in vielen Industrieländern sehen. Also nicht nur die Öffnungszeiten zu erweitern, sondern auch qualitativ hochwertige Angebote zu machen, damit diese auch angenommen werden. Das sind schon alles noch Möglichkeiten, Mechanismen, wo wir forcierter investieren müssen. Ich sehe darin sogar fast eine Chance, dass die Regierungen hier aktiver werden, weil sie das Arbeitskräftepotenzial stärker ausschöpfen müssen. Und dazu gehören eben auch Frauen, dazu gehören die Arbeitslosen und dazu gehören auch die Migranten. Ich glaube, das kann man durch bessere Vereinbarkeit von Beruf und Familie schon gestalten.
Carsten Roemheld: Wir wollen hoffen, dass die Staaten bei all den Krisen, die wir so rund um uns haben, noch Zeit und das Geld haben, sich diesen Themen zu widmen. Sie haben in Ihrer Forschung noch einen sehr interessanten Punkt herausgearbeitet: Nämlich, dass eine niedrige Geburtenrate nicht unbedingt mit der höheren Erwerbstätigkeit von Frauen zusammenhängt. Das ist auf den ersten Blick erst mal erstaunlich. Wovon hängt die Geburtenrate denn nach Ihrer Forschung ab? Und inwiefern spielen Frauen dabei eben doch eine Schlüsselrolle?
Alexia Fürnkranz-Prskawetz: Also, die Studien, auf die Sie da abzielen, waren so ungefähr vor 20 Jahren hochaktuell. Da hat man beobachtet, dass sich die länderübergreifende Korrelation zwischen der Fertilitätsrate und der Arbeitsmarkt-Partizipationsrate von Frauen von negativ auf positiv verändert hat. Jetzt hat man oft gern diese Interpretation gegeben: Vor den 1980er Jahren gab es eine negative Korrelation - höhere Erwerbstätigkeit der Frauen war eindeutig mit niedriger Fertilität verbunden. Nach den 1980er Jahren hat man dann argumentiert, irgendwas hat sich getan. Die Korrelation hat sich jedenfalls verändert und man hat das oft so interpretiert, dass eine höhere Fertilitätsrate nun mit einer höheren Arbeitsmarkt-Partizipationsrate der Frauen einhergeht. Das ist aber nicht so der Fall.
Alexia Fürnkranz-Prskawetz: Jetzt muss man vorsichtig sein: Was nämlich passiert ist, ist einfach, dass man nach den 1980er Jahren beobachtet hat, dass es Länder gibt, wo beides höher ist: sowohl die Erwerbstätigkeitsquote von Frauen als auch die Fertilität. Und dadurch kam es dann zu Veränderung dieser Korrelation. Als Beispiel wieder Schweden oder die nordischen Länder, mit Dänemark etcetera: Das waren Länder, die damals generell auf einem höheren Fertilitätsniveau waren, aber auch höhere Erwerbsquoten der Frauen hatten. Aber innerhalb der Länder selbst hat das nicht unbedingt bedeutet, dass die, die die höchste Erwerbsquote haben, auch die höchste Fertilität haben. Da muss man vorsichtig sein.
Alexia Fürnkranz-Prskawetz: Andererseits möchte ich den Punkt machen, was wir jetzt in der Demographie oft beobachten oder oft gesehen haben: die Polarisierung der Fertilität. Es ist oft das Argument gewesen, dass die niedrigeren sozialen Schichten eher eine höhere Fertilität haben als die höheren sozialen Schichten. Auch das ist nicht unbedingt immer gültig, denn es hängt sehr von Normen und Werten ab, die sich verändert haben. Was man wiederum in den nordischen Ländern beobachtet hat: Höhere Bildung und höheres Einkommen zieht eben nicht automatisch eine niedrigere Fertilität mit sich. Allerdings beobachtet man das nach wie vor leider speziell unter den Frauen mit Hochschulausbildung, dort ist die Fertilität leider wirklich am niedrigsten. Also generell ist das wieder sehr divers in Europa, wie sehr Bildung, Ausbildung, Einkommen etcetera auf die Fertilität wirken.
Carsten Roemheld: Kommen wir zum letzten Themenblock: dem Arbeitsmarkt. Wir haben überall durch die alternde Bevölkerung einen Arbeitskräftemangel. Fachkräfte sind ein wichtiges Thema, nicht nur, weil mehr Leute in Rente gehen als nachkommen, sondern auch, weil in Bereichen wie Pflege mehr Personal benötigt wird. Können wir den Mangel allein durch Einwanderung stemmen oder wie sehen Sie hier die Entwicklung?
Alexia Fürnkranz-Prskawetz: Ich glaube, Einwanderung ist ganz wichtig, aber es ist keine langfristige Lösung. Warum ist es keine langfristige Lösung? Weil eben die Migranten sich an die gesellschaftlichen Rahmenbedingungen im Aufnahmeland anpassen, auch in ihrem demographischen Verhalten. Das beobachten Studien in der zweiten Generation dann auch. Andererseits ist es, deswegen auch keine langfristige Lösung, weil wir natürlich konkurrieren mit vielen anderen Ländern, die auch altern und von woher momentan Migranten kommen. Also wir haben ja doch einen relativ starken Migrationsstrom aus Osteuropa und anderen Ländern, wo wir jetzt schon wissen, dass die eigentlich auch diese Alterung durchlaufen werden und vielleicht sogar noch schneller als wir. Dann wird es dort natürlich auch nicht mehr das Potenzial geben.
Alexia Fürnkranz-Prskawetz: Momentan ist es natürlich - das muss man ganz offen und ehrlich sein - ein Wettrennen gegen die Zeit, weil jedes Land versucht, attraktiv zu sein für Migranten mit hoher Ausbildung, um den Fachkräftemangel entgegenzuwirken, der im Gesundheitsbereich und in vielen anderen Dienstleistungsbereichen, wie im Tourismus etcetera momentan wirklich stark auftritt. Ich glaube, wir müssen forciert und viel stärker gute Bedingungen für Migranten schaffen. Wir müssen hier mit anderen konkurrieren können. Gleichzeitig müssen wir überlegen, wie wir langfristig den Fachkräftemangel und den Arbeitskräftemangel durch institutionelle Rahmenbedingungen entzerren, zum Beispiel durch Arbeitszeit, die wir verlängern und ein bisschen flexibler gestalten müssen. Und natürlich müssen wir auch vorausschauend in unseren Bildungsinvestitionen sein, weil wir durch Bildung heute die Arbeiter für morgen generieren. Das ist, glaube ich, auch ganz, ganz wichtig.
Carsten Roemheld: Die demografische Struktur spiegelt sich auch in der Einkommensverteilung. In vielen Ländern stagnieren die Einkommen der jüngeren Arbeitnehmer oder sinken sogar, während die älteren Bevölkerungsschichten eher höhere Einkommen aufweisen. Wie kann das eigentlich sein, wenn der Nachwuchs knapp ist und wir darum eigentlich im Wettbewerb stehen? Und welche Bedeutung hat das Ganze für junge Arbeitnehmer?
Alexia Fürnkranz-Prskawetz: Wir haben uns in einer Studie für verschiedene europäische Länder angeschaut, wie die Einkommensentwicklung nach Altersgruppen war von 2008 bis 2017. Ein Ziel war hier, wirklich zu verstehen, wer am stärksten betroffen war durch die Finanzkrise damals. Herausgefunden haben wir: Die Jüngeren mussten in vielen Ländern Einkommensverluste hinnehmen, während die höheren Altersgruppen keine oder sogar Anstiege im Einkommen hatten. Und das hat jetzt weniger mit Angebot und Nachfrage zu tun, dass vielleicht die Löhne nicht stark genug gestiegen sind für die Jüngeren. Sondern ein wesentliches Erklärungspotenzial war, dass in solchen Krisen bei den älteren Arbeitnehmern durch Transferleistungen, mit denen diese Krisen bewältigt worden sind, die Einkommensverluste nicht so groß waren. Wir haben auch beobachtet, dass es in diesen höheren Altersgruppen mehr Pensions-Anspruchsberechtigte gibt und auch mehr Frauen, und auch deswegen das Durchschnittseinkommen nicht so stark gesunken ist. Generell hat man auch beobachtet, dass bei dieser wirtschaftlichen Krise 2008 vor allem die jüngeren Arbeitnehmer einerseits von Lohneinbußen, auch von Erwerbsminderungen betroffen waren - und dass das nicht so stark abgefedert werden konnte wie bei den älteren Arbeitsgruppen. Selbst in Ländern, wo die Einkommensverluste nicht so signifikant oder teilweise auch nicht so zu beobachten waren, waren trotzdem immer die Älteren ein bisschen besser ausgestiegen im Sinne des Einkommens. Das ist eben erklärt einerseits durch die höhere Arbeitsmarkt Partizipationsrate der Älteren, speziell der Frauen, sowie der höheren Pensionsleistungen, während die Jüngeren vor allem die Effekte am Arbeitsmarkt viel stärker gespürt haben.
Carsten Roemheld: Gucken wir uns mal die EU an und gerade in den südlichen Ländern Spanien, Italien: Die werden bis 2050 mehr als ein Viertel ihrer Arbeitskräfte verlieren. Gleichzeitig werden steigende Ausgaben für Renten und Gesundheit die Staatsverschuldung wahrscheinlich weiter in die Höhe treiben. Entstehen dadurch Gefahren für das EU-System generell? Drohen Wohlstandsverluste? Oder wie kann man dieses Dilemma auflösen?
Alexia Fürnkranz-Prskawetz: Dieses Dilemma kann man nur auflösen, indem man möglichst schnell Reformen angeht und durchsetzt. In Spanien und Italien ist das fast schon ein bevölkerungsökonomischer Kollaps, den man dort über Jahre hinweg beobachten kann. Speziell in Italien ist der Schutz der Transferleistungen zu den Älteren immer sehr stark gewesen und zugleich hat es keine Anpassung in den Systemen gegeben oder viel zu langsam. Das hat man in Spanien auch beobachtet. Ich sehe insofern jetzt die Gefahr, dass die Abwanderung der Jungen noch stärker forciert wird, wenn man in den Ländern selbst nicht versucht, auch für die junge Generation zukunftsträchtige Erwerbsbiografien aufzubauen. Ich glaube, das Wichtigste für mich in den Ländern sind institutionelle Reformen. Es ist unausweichlich, dass man nicht nur das Pensionssystem so schnell wie möglich reformiert, sondern vor allem auch das Pflegesystem und das Gesundheitssystem. Wir wissen, dass das Pflegesystem in Zukunft unter starken Druck geraten wird. Es geht darum, die Jungen zu entlasten. Denn es sind ja die Jungen, die in das System zahlen. Und die werden natürlich, wenn sie andere Angebote haben und wenn sie größere Chancen haben, auch woanders aufzusteigen, auswandern und werden vielleicht nicht mehr die nötigen Investitionen im eigenen Land tätigen. Man darf die Jungen nicht vergessen in der ganzen Krise, auch wenn die momentan vielleicht noch in der Ausbildungsphase sind und erst am Anfang ihres Erwerbslebens, weil sie sind diejenigen, die dann in 10 bis 20 Jahren genau das finanzieren müssen, und da sollten wir aufpassen, dass wir ihnen nicht zu viel Schulden hinterlassen. Und das ist, glaube ich, das wichtige und große Problem momentan.
Carsten Roemheld: Zum Schluss möchte ich gerne noch auf ein recht aktuelles Thema eingehen: Digitalisierung und Künstliche Intelligenz, die ja in letzter Zeit eine immer größere Rolle spielen. Mich würde der Einfluss interessieren, den solche Dinge auf die Produktivität, auf den Arbeitsmarkt generell haben. Wir haben ja eigentlich in den vergangenen Jahren eher einen Rückgang der Produktivität erlebt. Dann haben wir gleichzeitig die Alterung der Gesellschaft und eben die weitere Forschung im Bereich Digitalisierung, was zunehmend Arbeitsplätze ersetzen könnte, aber natürlich keine Steuern oder Rentenbeiträge schafft. Wie sehen Sie die Konsequenzen aus der Digitalisierung? In welchen Bereichen kann sie vielleicht helfen? Und in welchen Bereichen ist sie vielleicht eher ein Problem für den Arbeitsmarkt?
Alexia Fürnkranz-Prskawetz: Also da möchte ich wirklich verweisen auf meinen Kollegen an der Wirtschaftsuniversität Wien, Klaus Prettner, der ganz viel zur Digitalisierung forscht. Wir haben aber auch schon ein, zwei Studien gemeinsam gemacht. Und ich glaube, ich fange mal mit den Vorteilen an: Die sind ja schon klar ersichtlich. Wir sehen, dass Digitalisierung gerade bei Arbeitskräftemangel ein wichtiger Punkt ist, denn wir können einige Arbeitsprozesse durch Digitalisierung ersetzen und die Produktivität erhöhen. Ich denke zum Beispiel an 3D-Drucker, die sehr präzise Sachen fertigen können. Ein anderer wichtiger Punkt ist, dass wir dadurch einige Arbeitsprozesse, die vielleicht ausgelagert worden sind in Billiglohnländer, wieder zurückholen können, weil wir sie nun auch kostengünstiger erzeugen können. Das ist, glaube ich, ein richtig großer Vorteil. Auch in der Pflege, das sieht man schon in Japan und in anderen Ländern, können physisch anstrengende Arbeiten durch Roboter ersetzt werden. Ich glaube, auch da ist großes Potenzial.
Alexia Fürnkranz-Prskawetz: Wo ich natürlich Vorsicht walten lasse ist, wenn man sich anschaut, was das für eine Gesellschaft im Sinne der Umverteilung bedeutet. Hier weiß man natürlich: Die Renditen von Robotern kommen den Kapitaleigentümern zugute. Das heißt aber wiederum, dass wir hier eine Umverteilung haben, weg von den Arbeitnehmern hin zu den Kapitaleigentümern. Andererseits haben wir auch, muss man ehrlich sein, in Studien gezeigt, dass die Lohnungleichheit auch hier zu berücksichtigen und abzufedern ist. Vor allem, weil wir sehen, dass oft die Niedrigqualifizierten subsubstituiert werden. Also es betrifft hier unterschiedliche gesellschaftliche Gruppen und ich denke, das sind Sachen, die man mitberücksichtigen und entsprechend mit Arbeitsmarktpolitik abfedern muss.
Alexia Fürnkranz-Prskawetz: Weil sie angesprochen haben: Die Roboter zahlen keine Steuern ins Pensionssystem. Ein richtiger Punkt. Aber andererseits kriegen die Roboter auch nicht die Pensionen. Also Roboter haben keine Pensionsansprüche. Die Pensionsansprüche haben dann die Kapitaleigentümer, die sozusagen von den Robotern profitieren. Also das ist der Punkt, den man sich dann wahrscheinlich überlegen muss: Wie das entsprechend dieser Umverteilung in einer Gesellschaft neu organisiert wird. Natürlich. Das ist, glaube ich, auch ganz, ganz wichtig. Aber im Prinzip denke ich, dürfen wir uns vor dieser Entwicklung nicht fürchten. Wir müssen sie nur arbeitsmarktpolitisch und auch familienpolitisch und sozialpolitisch begleiten. Und das, glaube ich, ist das, wo wir wirklich schnell sein müssen, um die Ungleichheit nicht noch zu verstärken.
Carsten Roemheld: Ja, das ist ein ganz wichtiger Aspekt. Es gibt viele Möglichkeiten, die sich da ergeben für uns. Und sie haben uns einige wirklich tolle Ideen mit auf den Weg gegeben, einige tolle Anhaltspunkte, die wir versuchen müssen, weiter umzusetzen. Vor allem die finanzielle Bildung weiter zu fördern, die Investitionen in Bildung weiter zu fördern, die verschiedenen Säulen der Altersvorsorge zu stärken, die Gesellschaft auf die demografischen Entwicklungen vorzubereiten und eben die Entwicklung im Bereich Technologie zu nutzen, aber gleichzeitig dafür zu sorgen, dass wir die soziale Ungleichheit eben nicht weiter ausweiten, sondern möglicherweise weiter zurückführen und damit auch die Spaltung der Gesellschaft, von der ja oftmals die Rede ist, zu verhindern. Vielen, vielen Dank für das sehr spannende Gespräch, Frau Priska. Das hat uns, hat mir sehr viel Spaß gemacht und ich hoffe, dass die Zuhörer auch einiges mitnehmen konnten an der Stelle. Herzlichen Dank auch Ihnen, liebe Zuhörer, für Ihr Interesse. Wir hoffen, wieder spannende Einblicke heute gebracht zu haben. Ich hoffe, dass wir uns beim nächsten Mal, beim nächsten Podcast oder bei einem anderen Format wiedersehen, das wir für Sie bereitstellen. Insofern vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. Vielen Dank noch mal Ihnen, Frau Fürnkranz-Prskawetz. Bis zum nächsten Mal.
Ihr Carsten Roemheld.