Carsten Roemheld: Eine 1 mit 100 Nullen: Diese unvorstellbar große Zahl heißt auf Englisch „Googol“, und sie war Namensgeberin für die wohl mächtigste Suchmaschine der Welt. Doch die Macht von Google scheint bedroht, nachdem Anfang August im Verfahren "U.S. et al versus Google" vor einem Bundesgericht ein aus Sicht des Konzerns verheerendes, aus Sicht von Beobachtern epochales Urteil fiel. Der Google-Mutterkonzern Alphabet soll, so die Richter, zuletzt fast 26 Milliarden US-Dollar an andere Konzerne gezahlt haben, damit die die Suchmaschine auf ihren Geräten vorinstallieren. Der Konzern soll damit seine Monopolstellung missbraucht haben. Ähnlich hatten US-Richter zuletzt vor 25 Jahren gegen den Windows-Konzern Microsoft geurteilt.
Das Urteil ist noch nicht rechtskräftig, aber der Prozess gilt schon jetzt als Meilenstein im Kampf gegen die Industrie. Möglicherweise wird Alphabet am Ende des Prozesses zerschlagen werden. Entsprechend nervös schauen auch Apple, Meta, Amazon und Co. auf den Prozess.
Genau diesem Thema wollen wir uns heute widmen, mit Juliane Mendelsohn. Sie ist Juristin und hat sich schon in ihrer Doktorarbeit mit Bankenregulierung und der Finanzkrise befasst, mit Fusionskontrolle, Algorithmen, Daten und Verbraucherschutz. Heute forscht und lehrt sie als Juniorprofessorin am Institut für Volkswirtschaftslehre der Technischen Universität Ilmenau. Ihr Fachgebiet dort lautet „Law and economics of digitization“. Anders gesagt: Sie befasst sich mit den Grundlagen des Wettbewerbsrechts, digitalen Plattformen und dem Phänomen der Modern Bigness.
Erleben wir gerade die Götterdämmerung der Technologiekonzerne? Droht Google und Co. die Zerschlagung? Oder läuft letztlich doch wieder business as ususal und die Akteure überstehen all das unbeschadet? Heute ist der 23. September 2024, mein Name ist Carsten Roemheld. Ich bin Kapitalmarktstratege bei Fidelity. Und ich freue mich sehr auf Antworten auf diese und weitere spannende Fragen in den kommenden 45 Minuten mit Juliane Mendelsohn. Herzlich willkommen zu unserem Podcast.
Juliane Mendelsohn: Vielen Dank. Ich freue mich sehr, dabei zu sein und zu so spannenden Fragen zu sprechen.
Carsten Roemheld: Lassen sie uns gleich reinstarten in dieses hochaktuelle und auch hochbrisante Thema. Ich habe ja gerade schon das Gerichtsverfahren erwähnt, in dem Google vorgeworfen wird, die unglaubliche Summe von mehr als 20 Milliarden U-Dollar allein an Apple gezahlt zu haben, damit die eigene Suchmaschine auf das iPhone kommt. Wenige Tage danach hat der oberste Gerichtshof der EU eine 2,4 Milliarden Euro schwere Geldstrafe gegen den Konzern bestätigt. Dort ging es darum, dass der konzerneigene Preisvergleichsdienst Google Shopping bei Suchanfragen bevorzugt wurde. Kurz gefragt: Geht es Google und dem Mutterkonzern Alphabet gerade an den Kragen?
Juliane Mendelsohn: Also ich glaube, das Google und Alphabet sich wahrscheinlich durch diese zwei Verfahren schon etwas geschlagen fühlen. Sie haben ja auch bis zur letzten Minute gekämpft im europäischen Verfahren, mit Argumenten, die sie jetzt seit 14 Jahren verteidigen. Aber ich glaube, diese zwei Verfahren sind vielleicht noch nicht so relevant. Aus meiner Sicht gibt es hier zwei Verhaltensweisen, die absolut klar illegal und Monopoltätigkeiten sind. Bei dem einen, dem europäischen Verfahren wegen Google Shopping, geht es viel um Selbstbevorzugung. Also darum, wie der Such-Algorithmus von Google, der heißt übrigens Panda, gebaut ist und dass er halt gezielt bestimmte Inhalte unterdrückt und gezielt Wettbewerber unterdrückt. Ich glaube, wir haben jetzt in den letzten 14 Jahren sehr viel gelernt über diesen Markt und über den Algorithmus und vor allem über die immense Marktmacht von Google. In dem US-Verfahren wird gesagt, sie vereinen 90 Prozent bei der Suche auf Laptops und PCs. Das Erstaunliche ist, dass sich in den letzten 14, 20 Jahren nichts an dieser Marktmacht geändert hat. Also ich glaube, es geht in diesen zwei Verfahren tatsächlich um Verhaltensweisen, die ganz klar Wettbewerber unterdrücken, die ganz klar unfair sind - Monopoltätigkeit wie aus dem Lehrbuch. Und ich schätze, dass das Google schon geahnt hat, dass sie hier eine Niederlage erzielen müssen. Hinzukommt natürlich, dass die sogenannten Remedies oder Abstellungsverfügungen (Anmerkung: Gemeint sind damit Rechtsmittel, die die Unternehmen verpflichten, Zuwiderhandlungen gegen das Kartellrecht abzustellen) immer sehr schwach waren, so dass sich für den Verbraucher eigentlich nicht so wahnsinnig viel auf dem Markt verändert hat. Und man kann auch nicht wirklich sagen, dass Google im Kern deswegen sein Geschäftsmodell umstellen müsste. Also ich glaube, diese Urteile stellen ganz klar, dass Google Monopolist ist, stellt ganz klar, dass Google fair konkurrieren muss. Aber ich denke, dass das Geschäftsmodell dadurch noch nicht gefährdet ist. Viel interessanter sind da wahrscheinlich die Verfahren, die noch kommen, die beide den Werbemarkt von Google beleuchten und wo dann tatsächlich auch mit der Zerschlagung gedroht wird. Diese Zerschlagung wäre sicherlich komplex, wäre eine langwierige Geschichte, und da müsste man vielleicht tatsächlich ein Kerngeschäftsmodell von Google neu denken.
Carsten Roemheld: Vielleicht können Sie das nochmal kurz erklären: Was sind denn die schwerwiegendsten Vorwürfe gegen den Konzern in diesem Fall?
Juliane Mendelsohn: In beiden Fällen geht es darum, dass Google eine sehr starke Marktposition hat auf dem Search-Markt, also dass wir in Europa und in den USA davon ausgehen, dass zwischen 60 Prozent und 90 Prozent aller Suchen erst mal über den Google Algorithmus laufen, und dass Google jetzt über mehrere Jahre und Jahrzehnte diese Monopolstellung quasi auf illegale Weise hat versucht, zu verfestigen und daran festzuhalten. So war es Wettbewerbern, die vielleicht nicht mit gleich guten Suchmaschinen am Markt sind, aber wo die Suchmaschinen, wenn sie mehr Daten hätten, genauso gut werden könnten, nie möglich, zu werben. Und ich glaube, der zentrale Vorwurf ist: Auch wenn es ja noch nicht illegal ist, so eine starke Marktposition zu haben, dass Google diese Marktposition nutzt, um Verbraucher zu unterdrücken. Also in dem Google-Shopping-Fall, dass der Such-Algorithmus Wettbewerber böswillig herabstuft, sagt das Urteil und so direkt unterdrückt. Und dann in dem interessanteren Fall, in dem USA-Fall mit diesen Exklusivitätsklauseln: dass also der Google-Konzern tatsächlich bereit ist, 26 Milliarden Euro an Apple zu zahlen, nur damit sie die Default-Suchmaschine sind. Also damit träge Verbraucher – und meisten Verbraucher sind nach den meisten Studien träge –, immer erst mal durch Google suchen. Und einen gewissen Aufwand betreiben mussten, um überhaupt eine andere Suchmaschine einzubauen.
Carsten Roemheld: Wird denn möglicherweise durch KI hier eine Veränderung stattfinden, weil die KI verschiedene andere Portale in den Vordergrund stellt? ChatGPT war so ein bisschen die Ausgangsbasis, und das kommt ja nicht von Google. Ist also zumindest die Möglichkeit gegeben, dass auf natürliche Art und Weise jetzt durch KI Googles Marktmacht schwindet? Oder spielt das aus ihrer Sicht nicht so stark eine Rolle?
Juliane Mendelsohn: Also, wenn man sich die Investitionen in KI anschaut, dann dürfte man das vermuten. Ich glaube, es gibt auch viele kluge Stimmen, die sagen, ChatGPT ist die neue Art zu suchen, und es wird genau so einen großen Impact haben wie damals Google Search. Das ist sehr spannend, auch spannend für das Wettbewerbsrecht, weil wir es eben einfach nicht wissen. Und das ist halt immer die Schwierigkeit beim Wettbewerbsrecht, insbesondere in digitalen Märkten. Schon Hayek hat davon gesprochen, dass das einfach ein Entdeckungsverfahren ist. Man kann hoffen, man kann vermuten, aber wir wissen es eben nicht, und so wird es auch sehr schwierig, vor allem in der Fusionskontrolle Urteile zu treffen und dann etwa einfach davon auszugehen, dass ChatGPT Google gefährden wird, so wie einst Youtube Myspace gefährdet hat.
Carsten Roemheld: Google ist jetzt ein Beispiel, aber wir haben ja ein ausgesprochen großes Feld von großen, riesigen Konzernen, die sehr erfolgreiche Geschäftsmodelle in der Vergangenheit aufgebaut haben. Wir reden von Meta, Amazon, Apple und ähnlichen, die ja in ihren Bereichen auch schon eine vergleichbare Marktmacht haben, und man kann schon auch dort von fast monopolartigen Strukturen und Modellen sprechen. Das spricht aber natürlich auch dafür, dass die in der Vergangenheit vieles richtig gemacht haben. Zahlen diese Unternehmen jetzt womöglich einen Preis dafür, dass sie so erfolgreich sind?
Juliane Mendelsohn: In gewisser Weise ja. Aber es ist natürlich interessant, sich zu fragen, ist diese gravierende Marktmacht allein der Popularität ihrer Produkte geschuldet? Und was heißt das, wenn man so große Marktmacht hat? Also das Wettbewerbsrecht sagt, wenn man erhebliche Marktmacht hat, dann hat man halt eben auch eine Verantwortung. Man muss jetzt keinen Rivalen helfen, aber man muss zumindest sicherstellen, dass Wettbewerb überhaupt noch möglich ist. Ich finde die Frage sehr interessant, denn man kann ja fragen, liegt diese Beliebtheit allein an der Qualität des Produkts, oder hat es auch damit zu tun, dass so viele Konkurrenten, Wettbewerber, diese Plattformen und Produkte nutzen, viele Nutzer also viel Zeit auf diesen Plattformen verbringen - und dadurch auch ein ganz großer Wert entsteht? Das ist tatsächlich etwas, was man rechtlich und ökonomisch schwer fassen kann. Wo ist hier das consumer surplus, also der Nutzermehrwert? Da sagt das Kartellrecht ganz klar, auch bei extrem erfolgreichen Produkten sehr hoher Beliebtheit, muss man trotzdem weiterhin fair konkurrieren. Und wir benutzen jetzt seit den Google Urteilen wieder sehr viel den Begriff „competition on the merits“ oder Leistungswettbewerb: Das bedeutet, man muss auf der Stärke seines Produktes konkurrieren und eben nicht, um Verbraucher zu unterdrücken. Und da ist auch das Google Verfahren wieder so interessant. Ich fand es ganz interessant, dass Google gesagt hat, okay, wir zahlen 20 Milliarden US-Dollar an Apple, aber es können ja auch andere Suchmaschinen um diesen Preis bieten. Und Microsoft hat Apple tatsächlich ähnliche hohe Summen angeboten. Aber was interessant ist: Apple hat gesagt, wir hätten auch bei gleicher Summe trotzdem Google genommen. Und das ist eben dann die Perspektive der Konkurrenten. Sie haben in der jetzigen Lage nach 20 Jahren extensiver Nutzung, von dem Algorithmus, von Netzwerkeffekten, haben wir einfach absolut keine Chance, dranzukommen und zu konkurrieren. Und einer solchen Situation ist ein solcher Konzern natürlich dafür verantwortlich sicherzustellen, dass Wettbewerb überhaupt entstehen kann.
Carsten Roemheld: Sie haben gerade von dem Netzwerk gesprochen. Und gerade das ist bei diesen Unternehmen ja vorgezeichnet, dieser Erfolg, weil der Wert mit wachsender Verbreitung wächst. Soziale Netzwerke oder Marktplätze allgemein, Suchmaschinen, Algorithmen, all das funktioniert ja nur, wenn es wirklich richtig groß und weit verbreitet ist. Und so werden die kleinen Anbieter nach und nach aufgeben und ausscheiden. Welche Antworten gibt denn das Wettbewerbsrecht auf dieses Netzwerkgesetz der Wirtschaft?
Juliane Mendelsohn: Ja, Netzwerkeffekte sind interessant für viele Wettbewerbsrechtler. Wir haben uns ja früher mit ganz anderen Industrien beschäftigt. Ich meine, auch in der normalen Wirtschaft, bei Supermärkten, et cetera gibt's Netzwerkeffekte. Aber ich glaube, sie haben Recht: Wenn man Netzwerkeffekte verstanden hat, hat man so ein bisschen die Digitalökonomie verstanden und dieses Problem der Größe. Ich glaube, dem Wettbewerbsrecht geht es darum, diese Netzwerkeffekte nicht so sehr als Naturphänomen zu bezeichnen. Nicht zu sagen, weil es Netzwerkeffekte gibt, müssen die Konzerne so groß sein, sondern kritisch zu hinterfragen. Genau wie viel an diesem Netzwerk Effekten muss sein und wie viel liegt vielleicht daran, dass die Nutzer einfach nicht genug Möglichkeiten haben, nicht genug Optionen haben, dass sie sich in einer gewissen Architektur gefangen fühlen und deswegen dazu tendieren, weniger zu switchen, weniger multi homing zu betreiben. Die Antwort des Wettbewerbsrechts ist vielleicht ein bisschen unbefriedigend, aber sie lautet natürlich: Ein Duopol ist besser als ein Monopol, vier Wettbewerber sind besser als einer. Wir müssen also trotzdem immer noch mehr Wettbewerb schaffen. Interessant ist, dass die Wettbewerbspolitik und Wettbewerbsökonomie in letzter Zeit tatsächlich viel auf die sogenannte Interoperabilität setzt. Weil sie halt glaubt: Wenn Ökosysteme und Dienstleistungen interoperabel sind, dann können Netzwerkeffekte trotzdem erzielt werden. Aber sie werden halt auf dem Markt erzielt und nicht innerhalb eines Konzerns. Aber ich glaube, der Weg zur echten Interoperabilität ist ein sehr schwieriger und zurzeit ein sehr regulierungsintensiver.
Carsten Roemheld: Zumal diese Unternehmen ja auch an den Finanzmärkten sehr erfolgreich sind und der Erfolg den Erfolg weiter nährt und damit auch die Investitionsmöglichkeiten und die Größe immer weiter fördert. Das Fachgebiet, in dem auch Sie forschen, spricht in dem Zusammenhang gerne von Modern Bigness. Können Sie einmal erklären, was genau das ist, und was daran neu ist?
Juliane Mendelsohn: Das Wettbewerbsrecht schaut klassischerweise, also jedenfalls in den letzten 50 Jahren, immer nur auf Märkte und darauf, was auf Märkten passiert, mit Marktanteilen et cetera, den klassischen Rechnungsmethoden. Und wenn wir uns jetzt diese Konzerne anschauen, haben wir das Problem, das sind keine Player, die nur auf einzelnen Märkten tätig sind, sondern sie sind halt mächtig auf vielen Märkten, sozusagen über die Märkte hinaus. Hinzu kommt, dass diese private Macht keine rein ökonomische Dimension mehr hat, sondern auch eine soziale, eine politische, eine normative. Das Alte an Modern Bigness ist zu sagen, große Konzerne haben auch eine politische und soziale Macht, denn das hatten sie wahrscheinlich schon immer. Den Lobbyismus gab's ja auch vor diesen letzten 15 Jahren. Das Neue ist aber, vor allem, wenn man sich die soziale Macht anschaut, vielleicht auch die politische, die extreme Omnipräsenz der Konzerne in unserem täglichen Leben und auch die Methoden, mit denen sie, mit denen sie quasi in unser privates soziales Leben eindringen. Manche Forscher sprechen da auch von der Lenkungsmöglichkeiten dieser Konzern und sie benutzen dafür den Begriff des Hyper-Nudging, um zu sagen, dass durch die Algorithmen irgendwie alles nochmal viel übertriebener und viel invasiver ist. Und das, was mit Modern Bigness so ein bisschen zurückgekehrt ist, das gab es schon in den 50er-Jahren, ist, dass man große Konglomerate hat, die auf mehreren Märkten große Player sind. So dass wir uns zurzeit nicht mehr so stark einen einzelnen Markt angucken, sondern die Verflechtungen zwischen unterschiedlichen Märkten oder sogar ganze digitale Ökosysteme.
Carsten Roemheld: Und wie kann das Wettbewerbsrecht hier bestehen bei diesen neuen Herausforderungen, dieser neuen Bigness, die sich hier ergeben hat?
Juliane Mendelsohn: Die erste Herausforderung war wirklich, diese Bigness überhaupt zu verstehen, würde ich sagen. Also, es wird dem Wettbewerbsrecht ja schon auch oft vorgeworfen, dass es in den letzten 20 Jahren sehr träge war. Aber ich glaube, man kann keine gute Regulierung vorschlagen, man kann keine guten Entscheidungen treffen, wenn man die Phänomene nicht verstanden hat. Also es ging erst mal darum, diese Marktmacht tatsächlich zu verstehen. Und nun geht es bei den Modern-Bigness-Konglomeraten halt darum, den Missbrauch innerhalb von Ökosystemen und die weitere Ausbreitung der Marktmacht zu verhindern. Und dann geht es auch darum, über andere Dimensionen der Macht zu reflektieren. Es gibt ein, zwei Urteile, die schon sehr stark auch das Datenschutzrecht aufgreifen oder über das Nutzerverhalten nachdenken, also über die klassischen Grenzen oder Ziele des Wettbewerbsrechts hinausgehen, um dieser neuen Macht gerecht zu werden.
Carsten Roemheld: Jetzt scheint es auch so, als würden sich einige Wettbewerbsbehörden schon darauf einstellen. Nehmen wir den Digital Markets Act der EU, sicherlich ein einschneidendes Werk. Was genau steht da drin? Und wie hilft das gegen die digitale Macht der Tech-Konzerne?
Juliane Mendelsohn: Ja, der Digital Markets Act ist insofern interessant: Er wird genannt sektorspezifische asymmetrische Regulierung. Das heißt, er geht gezielt nur gegen bestimmte Dienste vor, die bestimmte Unternehmen anbieten, und dann nur, soweit sie eine bestimmte Größe erreicht haben. Also man könnte sagen, der Digital Markets Act ist in gewisser Weise eine gezielte Regulierung gegen sehr, sehr große digitale Konzerne, um ihre Gatekeeper-Position wieder für mehr Wettbewerb zu öffnen. Und von seinen Instrumentarien her ist er relativ simpel: Es gibt einfach 32 Verpflichtungen, Do's und Don'ts, und die müssen diese Konzerne seit circa sechs Monaten einhalten und umsetzen. Der Digital Markets Act scheint mir, dient nicht wirklich dazu, die Macht dieser Digitalkonzerne aufzubrechen oder sie zu entflechten, sondern tatsächlich an kritischen Schnittstellen wie Appstores oder Suchmaschinen, diese Macht ein bisschen für die Konkurrenz zu öffnen und sicherzustellen, dass, wenn dort Handel stattfindet, er zu faireren Bedingungen stattfindet.
Carsten Roemheld: Da scheinen wir ja, was die Regulierung betrifft und diesen Digital Markets Act betrifft, weiter vorne zu sein als der Rest der Welt. Glauben sie, dass das als Vorbild dienen kann? Oder werden wir als Europäer jetzt eher die Nachteile größerer Regulierung in Kauf nehmen müssen, weil das, wie Sie ja sagten, die Macht der Konzern ohnehin nicht unbedingt aufbricht?
Juliane Mendelsohn: Das ist eine schwierige Frage. Also ob es wirklich die Konkurrenten und Verbraucher weiterbringt, hängt ganz stark davon ab, wie hart die Kommission jetzt ist in der Zielsetzung. Also sie hat den Konzernen erst mal freien Lauf gelassen, die machen jetzt halt alle ihre Compliance Reports. Und manche versuchen, sich sehr nahe an der Regelung zu halten, und andere versuchen auf Biegen und Brechen so ein bisschen business as usual und sagen, dass sie das gar nicht umsetzen müssen oder das schon tun. Ich glaube, die EU erhofft sich da schon eine Vorreiterrolle zu haben, oder einfach zu sagen, nach dem Erfolg oder auch Misserfolg der DSGVO möchten wir sowas weitersetzen und unseren Markt dadurch definieren, dass wir uns für Verbraucher und Rechte einsetzen. Es gibt ein paar Staaten, die jetzt versuchen, was ähnliches wie den DMA einzuführen. Die USA geht wahrscheinlich immer noch einen ganz anderen Weg. Also sie geht die Konzerne jetzt auch sehr hart an, aber eben einfach durch ganz große Kartellverfahren. Und da kann ich mir auch eher vorstellen, dass man sagt, man zerschlägt oder gliedert mal was aus und lässt dann wieder dem freien Wettbewerb freien Lauf. Das, was wir als Europäer machen, dieses sehr dezidierte Regulieren und diese Idee, dass man die Konzerne dauerhaft irgendwie kontrollieren kann, das halte ich aus Konzernsicht für schwierig - aber auch aus Regulierungssicht. Weil es immer sehr viel Wissen und Kenntnis und Klugheit voraussetzt, die man nicht unbedingt hat, vor allem, wenn auf der Gegenseite extrem mächtige und personenstarke Konzerne sitzen.
Carsten Roemheld: Wenn ich Sie erst mal fragen würde, ob Sie dem freien Markt eher zutrauen würden, das Ganze auf Dauer in den Griff zu bekommen als reine Regulierung: Wie würde da ihre Antwort ausfallen?
Juliane Mendelsohn: Nur wenn es ganz klare Regeln gibt und wenn der freie Markt nicht nur aus fünf großen Tech-Konzernen besteht. Also das ist persönlich für mich aus vielen Gründen das, was mir eher Unbehagen, sozusagen Angst bereitet, also diese extreme Konzentration, diese extreme Dominanz von wenigen Firmen. Grundsätzlich vertraue ich als Wettbewerbsrechtler dem Markt. Aber man muss den Markt halt auch erst mal für echte, sehr dynamische Konkurrenz öffnen. Und da geht jetzt die europäische Kommission eben den Weg des Digital Markets Act.
Carsten Roemheld: Es muss also Leitplanken geben. Wenn ich Sie richtig verstehe, verhandeln wir ja gerade darüber, und das ist ja die Veränderung des Wettbewerbsrechts, was wirtschaftliche Macht heutzutage bedeutet. Das wirkt ja bis ins gesellschaftliche und politische Leben hinein. Das ist womöglich die viel größere Frage als die Frage, ob jetzt Google über den Markt von Werbeanzeigen herrscht oder den Preisvergleich beim Shopping dominiert. Also das scheinen ja eher die Probleme zu sein, die heute dazukommen und die es früher in der Form so nicht gab.
Juliane Mendelsohn: Ja, auf jeden Fall, ich habe gestern noch mal mehr ein paar soziologische Institutionen angeguckt, zum Thema Macht und gesellschaftlicher Zusammenhalt. Natürlich sind das irgendwie die größeren Themen und Themen, die wir nicht bedienen können. Da gibt es viele tolle Soziologen in Deutschland, die das besser können. Ich persönlich würde Wettbewerbsrecht aber wahrscheinlich nicht als Haupttätigkeit machen, wenn ich nicht sehr stark davon ausgehen würde, dass auch das gesellschaftlich wirklich relevant ist. Ich glaube nämlich, viele gesellschaftliche Tätigkeiten werden auf diesen Plattformen immer mehr zu einer marktwirtschaftlichen, kapitalistischen Veranstaltung. Wir sehen also immer mehr, wie unsere Marktwirtschaft oder der Kapitalismus und die gesellschaftlichen Tätigkeiten, zusammenwirken. Und ich glaube, dass die großen Konzerne dabei ganz wichtig sind. Wir haben viel über Google gesprochen. Und wenn es wirklich so ist, dass 60 bis 90 Prozent aller Suchen über den Algorithmus eines Unternehmens laufen, dann hängt da ja auch ganz viel gesellschaftliche Relevanz drin, Und dann ist halt diese Marktmacht auch wirklich eine politische Macht, eine normative Macht, eine gesellschaftliche Macht. Und ich glaube, wir Wettbewerbsrechtler, müssen das immer im Blick behalten und lernen immer mehr über diese gesellschaftlichen Zusammenhänge. Auch wenn wir sie natürlich in unseren Urteilen nicht berücksichtigen können.
Carsten Roemheld: Ich wollte gerade fragen: Kann man das im Wettbewerbsrecht überhaupt regeln oder einbauen, diese soziale Machtkonzentration und entsprechende Schritte und Maßnahmen dagegen?
Juliane Mendelsohn: Ich glaube, es kann oft die Motivation sein. Gezielt kann man da nicht gegen vorgehen. Es gibt ein interessantes Phänomen gerade in der Wettbewerbsliteratur, dass wir uns besonders bei großen Konzernen anschauen, inwiefern sie nicht nur eine Marktmacht haben, sondern so eine Art private Gesetzgebungsmacht, eine regulierende Macht, indem die Konzerne in ihren Plattformen für wirtschaftliche Teilnehmer, aber auch für Nutzer und Konsumenten die Sprechregeln setzen. Und auch mit dieser Form der Macht müssen wir uns auseinandersetzen.
Carsten Roemheld: Sie sagten ja gerade auch, dass Soziologen vielleicht einen interessanten Teil zu der Diskussion beitragen könnten. Bisher sind es ja eher die Wettbewerbsrechtler, die damit in Verbindung stehen. Wer wären denn noch geeignete Verbündete im Kampf gegen zum Beispiel Meinungsmonopole?
Juliane Mendelsohn: Also das wären erst mal die Öffentlich-Rechtlichen. Also alle Personen, die sich ganz klassisch mit Grundrechten auseinandersetzen. Da gibt's ja auch jetzt mehr und mehr zivilgesellschaftliche Organisationen, die diesen Kampf um Grundrechte und Freiheiten für sich in Anspruch nehmen. Und irgendwann, glaube ich, sind es sicherlich auch Forscher, die unseren Diskurs besser verstehen als wir Wettbewerbsrechtler und wo wir mal ganz genau zuhören können und uns dann überlegen können, was die Algorithmen eigentlich für eine Auswirkung haben auf eine Diskussionskultur, die ja immer irgendwie fragiler und teilweise intoleranter wird.
Carsten Roemheld: Wenn wir gerade bei dem Thema Meinungen sind: Es gibt ja auch die Vorwürfe, dass neben den wirtschaftlichen Handlungsfreiheiten eben auch Meinungsfreiheit beschnitten wird durch Wettbewerbsrecht. Das sagt etwa Elon Musk, und viele Libertäre in den USA sind da auch relativ schnell dabei. Musk hat mit seiner Plattform X sozusagen ein bisschen versucht, dagegen zu halten ist. Haben diese Kritiker der Regulierung da einen Punkt? Also, dass hier vielleicht damit wirklich Meinungsfreiheit beschnitten wird?
Juliane Mendelsohn: In gewisser Weise. Vielleicht hängt das auch damit zusammen, dass ich in Südafrika aufgewachsen bin und in den USA studiert habe. Also ich denke, Meinung ist immer ein Bereich, wo man sich manchmal sehr unwohl fühlt und auch unwohl fühlen sollte. Und ich denke, man sollte das schon ernst nehmen, dass in Plattformen so weit wie möglich freier Meinungsaustausch herrschen sollte und dass wir als Gesellschaft auch unbequeme Debatten führen müssen. Was mich ein bisschen an der Argumentation von Musk et cetera stört, ist die Grenze, denn es gibt die freie Meinung, und es mag manchmal schwierig sein, da davon abzugrenzen. Aber es gibt auch einfach nur illegale Inhalte, puren Hass, Hetze, et cetera. Und da finde ich, besteht auch kein wirklich so ein großer Rechtsstreit, denn es gibt ja bereits Strafgesetze, und ich glaube, wir haben bereits als Gesellschaft entschieden, dass das nicht akzeptabel ist und dass die demokratische Kultur, die auf so einem Boden wächst, nicht gesund sein kann.
Carsten Roemheld: Ja, ich muss sagen, ich bin auch immer etwas geschockt. Ich beobachte das auch auf diesen Plattformen. Und eine gepflegte Auseinandersetzung, einfach ein Diskurs über verschiedene Themen, ist oft gar nicht mehr möglich. Sondern es gibt entweder die Lager, die sich gegenseitig zustimmen, oder es geht sofort über in eine harte Auseinandersetzung, bei der sofort in die Extreme gegangen wird. Und insofern wäre es natürlich schön, wenn da die Diskussionskultur gefördert würde. Aber man hat den Eindruck, das findet eben nicht mehr statt. Ist es aus ihrer Sicht denn notwendig, die Betreiber dieser Plattformen selbst überhaupt zur Verantwortung zu ziehen für alles, was auf den Plattformen selbst stattfindet?
Juliane Mendelsohn: Notwendig ist es nicht. Ich denke, rechtlich ist sicherlich beides möglich. Ich glaube nur, eine volle 100-prozentige Verantwortung ist sicherlich schwierig durchzusetzen, und das ist ja auch bei Urheberrechtsverletzung nicht der Stand der Dinge. Sie haben jetzt durch den Digital Services Act eine viel stärkere Prüfungsüberwachung, Meldungspflicht. Aber sie werden halt nicht zu 100 Prozent zur Verantwortung gezogen. Wir hatten vor fünf, sechs Jahren in Europa in diesem Kontext diese Diskussionen über Upload-Filter. Und da war es ja auch sehr interessant, dass sich auch gesellschaftliche Gruppen dagegen ausgesprochen haben und gesagt haben: im Zweifel für die Meinungsfreiheit. Im Zweifel lieber mal etwas Unerwünschtes durchlassen und dann mehr Meinungsfreiheit.
Dieser ganze Komplex hat natürlich auch eine Macht-Dimension, die unglaublich schwierig ist. Denn die Lösung des Kartellrechts oder der Personen, die sich wirtschaftlich mit Macht beschäftigen, ist ja immer: Kleinere Einheiten wären besser. Aber es kann ja auch sein, dass, wenn man diese großen Meinungsaustauschs-Plattformen tatsächlich zerschlagen würde, dass dann kleine Plattform deutlich radikaler wären und deutlich schwieriger zu handhaben als eine große Plattform, die keiner mag.
Carsten Roemheld: Wofür diese großen Plattformen natürlich verantwortlich sind, sind die eigenen Algorithmen, die teilweise sehr stark in gewisse Richtungen wirken. Müsste man die auch einer stärkeren Untersuchung unterziehen, ob das alles auch noch im Rahmen dieser gesellschaftlich gewünschten Effekte ist? Oder wie sehen Sie das?
Juliane Mendelsohn: Das sehe ich so. Also es ist nicht mein Bereich, aber ich denke tatsächlich, ein Unternehmen, das dadurch Profite gewinnt, dass es bestimmte Hetz-Inhalte mehr nach oben pusht, das finde ich moralisch kaum tolerabel.
Carsten Roemheld: Angenommen, der Westen, also unser Kulturkreis, verständigt sich nach und nach auf eine enge Regulierungspraxis, Würde uns dann auf Dauer vielleicht nicht die Technologie wegbrechen oder am Ende kommen vielleicht große Konzerne von woanders her, beispielsweise aus China? Dann wäre ja am Ende niemandem geholfen, und wir hätten uns selbst wirtschaftlich geschwächt und würden quasi anderen damit die Tore öffnen.
Juliane Mendelsohn: Ja, das ist eine sehr schwierige Frage. Viele haben jetzt in der letzten Woche diesen großen Draghi-Bericht über den Zustand von Europa gelesen, und ich denke, dass es da sehr viele schwierige Fragen gibt. Also wenn ich an die Produktivität von Europa, die Wettbewerbsfähigkeit, die Innovation denke: das sind alles Themen, die man sehr ernst nehmen muss und die absolut schwierig sind. Die Frage ist immer, ob man da gleich den Schluss ziehen sollte, dass man weniger regulieren sollte. Ich glaube, man muss sich sehr ernsthaft darüber Gedanken machen, wie man reguliert. Denn wir haben extrem viele Regulierungen erlassen in der Europäischen Union in den letzten Jahren. Denken wir beispielsweise an den Bankensektor. In der Regulierung da steckt einfach zu viel drin, es ist fast unmöglich, die sehr gut und sehr klar umzusetzen.
Trotzdem denke ich aber, langfristig sind diese neuen digitalen Strukturen die Architektur der Zukunf. Da werden wir uns in Zukunft gesellschaftlich aufhalten, da wird wirtschaftlicher Handel stattfinden, und da müssen wir uns natürlich dann auch Gedanken dazu machen, welche Werte und welche Art der Wirtschaft uns wichtig ist. Deswegen ist Regulierung auch grundsätzlich wieder so wichtig, denn es geht ja darum, rechtliche Regeln zu schaffen. Ich habe in diesem Kontext auch nochmal in die Bücher von Daron Acemoglu, "Why Nations Fail", geschaut und er hat jetzt ein neues Buch zu "Power und Progress" rausgebracht. Und da ist eigentlich auch immer die Grundbotschaft: Echte Innovation, echte Freiheiten, echter gesellschaftlicher Zusammenhalt funktioniert nicht ohne einen sehr soliden Rechtsrahmen. Und ich denke, Konzerne wie Google und Meta hatten in den letzten Jahren halt mehr Freiräume als es fair ist für den Rest der Gesellschaft und ihre Konkurrenten.
Carsten Roemheld: Wenn wir in dem Zusammenhang noch mal auf die wirtschaftliche Seite eingehen: Diese Unternehmen sind ja inzwischen sehr kapitalstark und haben ihre Fühler in allen möglichen Bereichen ausgestreckt. Wenn man jetzt wirklich für Zerschlagung dieser Unternehmen plädieren würde, könnte es natürlich sein, dass das den Finanzmarkt erheblich erschüttert. Kann es sein, dass diese Konzerne vielleicht inzwischen Too big to fail sind, also systemrelevant in gewisser Weise? Und müssen Wettbewerbshüter auch daran denken, wenn sie weitere Schritte überlegen, wie man diese Marktmacht der Konzerne einschränken kann?
Juliane Mendelsohn: Wir haben ja ein bisschen über die mögliche Entflechtung gesprochen. Das wäre keine große eigentumsrechtliche Entflechtung, das wäre was Operationales. Das wäre sehr komplex, würde sehr lange dauern. Ich kann mir nicht vorstellen, dass dadurch ein Börsencrash ausgelöst wird. Das Interessante, Lustige an dieser Frage ist, dass ich tatsächlich zu Too big to fail promoviert habe. Da hatte ich natürlich den Vorteil, dass der Crash schon passiert war. Und das ist halt das Schwierige mit diesem Moral Hazard, diesem Phänomen, dass man es vorher einfach nicht weiß. Aber ich glaube tatsächlich, dass wir das sehr ernst nehmen müssen, dass diese Konzerne einfach eine kritische Größe erreicht haben. War das im letzten Jahr, als Instagram mal sechs Stunden offline war und totale Panik ausgebrochen hat? Und bei manchen dieser Konzerne, da gibt es ja auch Schnittstellen zum Payment-Markt, zu Mails, das ganze digitale Office, Infrastrukturen - also unser ganzes Leben hängt im Wesentlichen daran. Ich weiß gar nicht, ob so stark zum Systemrisiko geforscht wird, aber ich glaube, man müsste das mal näher in den Vordergrund rücken und sich ernsthaft Gedanken darüber machen, inwiefern der Regulierer damit auch erpressbar ist.
Carsten Roemheld: Das wäre sicherlich eine ganz spannende Frage. Was könnte uns denn aus diesem Dilemma führen? Wir haben jetzt über Regulierung gesprochen, aber vielleicht ist ja auch das Thema Selbstregulierung ein Punkt. Ob man darauf vertrauen kann, da bin ich nicht sicher, aber vielleicht könnten Sie zum Abschluss noch mal auf diesen Gedanken kurz eingehen: Also etwas weniger Staat vielleicht und mehr Selbstverantwortung? Wäre das eine Möglichkeit?
Juliane Mendelsohn: Wir müssen halt Regelungen schaffen, die Unternehmen sozusagen zur Selbstverantwortung zwingen, aber dann auch den Mut haben, sie diese Selbstverantwortung ausleben zu lassen. Da bin ich sehr stark meiner Doktormutter verschuldet. Das war, glaube ich, ihr großes Thema: die Privatrechtsgesellschaft, Freiheit in unserer Gesellschaft und auch in unserer Marktwirtschaft. Und das fand ich immer interessant, dass sie genauso skeptisch gegenüber privater Macht war wie staatlicher Macht. Wir haben in den letzten Jahren gesehen, dass, wenn es in der Wirtschaft nicht funktioniert, wenn man irgendwelche großen Marktversagensgründe findet, dass die Antwort dann zu schnell immer der Staat ist. Und dass das dann zur Staatsveranstaltung wird. Dass also entweder der Staat sich dann zu weit in die Wirtschaft hineinfügt oder man wieder überreguliert. Ich glaube, das ist wahrscheinlich die große Herausforderung der nächsten Jahre. Es gibt ja sehr viele andere große Themen, Ungleichheit, Klimagerechtigkeit et cetera, aber eben auch ein bisschen dieses Wagnis, neu zu starten: Wie schafft man tatsächlich eine vernünftige freie Wirtschaft, ohne zu stark die Idee einfach aufzugeben und das zur Staatsveranstaltung zu machen?
Carsten Roemheld: Ich glaube, das ist ein tolles Abschlusswort, denn genau darum wird es gehen: Diese feine Balance zu finden und den Staat vielleicht auch nicht zu übermächtig werden zu lassen bei dem Ruf nach Hilfe und Unterstützung, sondern durchaus an den Stellen, wo es vielleicht gut gelingt, den Markt seinen Job machen zu lassen, aber andererseits Leitplanken und Grenzen zu setzen, wo es notwendig ist. Frau Mendelsohn, ich danke ihnen vielmals für dieses sehr, sehr spannende Gespräch.
Juliane Mendelsohn: Vielen Dank, dass ich dabei sein durfte.
Carsten Roemheld: Sehr gerne. Dieses Thema wird uns sicherlich noch eine ganze Weile beschäftigen, und daher bleiben wir natürlich für sie am Ball. Auch Ihnen, liebe Zuhörerinnen und Zuhörer, herzlichen Dank für ihr Interesse. Ich hoffe, sie konnten heute wieder einiges mitnehmen, und ich würde mich sehr freuen, wenn wir uns bei einer der nächsten Ausgaben oder einem der vielen anderen Formate wiedersehen, die wir für Sie bereithalten.
Herzliche Grüße, Ihr Carsten Roemheld.