Carsten Roemheld: Wer das Tagesgeschehen im Blick hat, kommt nicht daran vorbei - immer wieder gibt es neue Hiobsbotschaften über die Lage der deutschen Wirtschaft. Unternehmen kämpfen mit hohen Energiekosten, klagen über schwache Nachfrage, suchen händeringend Fachkräfte oder sind schlichtweg mit der Bürokratie überfordert. Wenig überraschend also, dass sich die Regierung und führende Forschungsinstitute in einem Befund einig sind: Auch in diesem Jahr wird die deutsche Wirtschaft mehr oder weniger stagnieren. Eine ganz andere Stimmung erleben wir an den Finanzmärkten. Über Monate hinweg ist der DAX von einem Rekord zum nächsten geklettert. Im März hat der Deutsche Leitindex erstmals in seiner Geschichte die Marke von 18.000 Punkten erreicht. Auch danach ging es weiter bergauf. Die Rally mag vorerst zu Ende sein, aber der Eindruck bleibt. Zwei Welten, die sich doch eigentlich so nahe stehen, sind momentan voneinander entkoppelt. Konjunktur und Kapitalmarkt bewegen sich in völlig verschiedene Richtungen. Das ist auch in anderen Ländern zu sehen. Die japanische Wirtschaft ist im Februar 2024 in eine Rezession abgerutscht. Zur gleichen Zeit hat der Aktienmarkt einen Aufschwung wie seit 30 Jahren nicht mehr erlebt, und auch in den USA laufen Aktienmarkt und Konjunktur keineswegs im Gleichschritt. Wie passt das zusammen? Ist das ein Zustand, an den wir uns gewöhnen sollten? Welche Gefahren gehen davon womöglich aus? Und vor allem, was bedeutet das für Zentralbanken und Fiskalpolitik, die das Kunststück vollbringen müssen, das Wachstum anzukurbeln und zugleich den Kapitalmarkt zu bremsen? Über all diese Fragen spreche ich heute mit Emanuel Mönch. Er ist Professor für Financial und Monetary Economics an der Frankfurt School of Finance & Management. Zuvor hat er unter anderem bei der US-amerikanischen Notenbank Fed und bis 2021 bei der deutschen Bundesbank gearbeitet. Herr Mönch beobachtet das aktuelle Geschehen also nicht nur durch die wissenschaftliche Brille, sondern bringt auch langjährige Erfahrung aus dem Innenleben der wichtigsten Zentralbank mit. Spannende Einblicke, von denen wir in den nächsten 45 Minuten hören werden. Mein Name ist Carsten Roemheld. Ich bin Kapitalmarktstratege bei Fidelity, und ich freue mich sehr auf mein Gespräch mit Emanuel Mönch beim Kapitalmarkt Podcast von Fidelity. Herzlich willkommen, Herr Professor Mönch!
Emanuel Mönch: Hallo. Ich freu mich, bei Ihnen zu sein.
Carsten Roemheld: Wir erleben immer wieder Phasen, in denen sich die Börsenkurse von der konjunkturellen Entwicklung abkoppeln. Aber die aktuelle Situation ist besonders kurios, denn die deutsche Wirtschaft ist 2023 geschrumpft. Nach allen Prognosen wird sie auch in diesem Jahr auf der Stelle treten. Viele Unternehmen, nicht zuletzt aus der Industrie, melden trübe Aussichten und berichten beispielsweise von sinkenden Produktionszahlen. Währenddessen zeigt sich der DAX relativ unbeeindruckt. Er ist im März auf ein historisches Rekordhoch geklettert. Wie passt das aus Ihrer Sicht zusammen?
Emanuel Mönch: So ungewöhnlich ist das gar nicht. Wenn man sich die Daten der letzten Jahrzehnte anschaut – sowohl in den USA als auch in den anderen Industrieländern wie Deutschland oder Frankreich – sieht man, dass sich die Aktienmärkte um Rezessionen herum sehr oft auf wiederkehrende Weise entwickeln. Letztlich kann man in den Aktionen eine Art V-Muster in den Aktienrenditen erkennen. Unmittelbar vor dem Beginn von Rezessionen haben Aktienrenditen in den letzten Jahrzehnten dazu tendiert, negativ zu sein. Wenn die Rezession dann beginnt, haben sich Aktienmärkte traditionell stark erholt. Das ist sehr wahrscheinlich so, weil schon zu Beginn der Rezession erwartet wird, dass die Geldpolitik einschreitet. Die Zentralbanken senken die Zinsen, um die Konjunkturlage zu stabilisieren. Das ist immer ein sehr positiver Effekt für die Aktienmärkte. Gleichzeitig sind Rezessionen in aller Regel eher von kurzer Dauer. Wenn die Rezession beginnt, erwarten viele schon das Ende und damit einen neuen wirtschaftlichen Boom. Also, um es nochmal zusammenzufassen: So ungewöhnlich ist die Situation gar nicht. Wir haben das in vergangenen Jahrzehnten sehr häufig beobachtet, dass zu Beginn von Rezessionen Aktienmärkte stark stiegen, weil sie sozusagen in den Wochen, Monaten davor, gefallen waren. Und wenn die Rezession dann begonnen hat, wurde schon erwartet, dass die Zentralbank kräftig einschreitet und Zinsen senkt und gleichzeitig die wirtschaftliche Erholung schon wieder um die Ecke ist.
Carsten Roemheld: Wo stehen wir denn aus Ihrer Sicht aktuell? Sind wir in der Rezession schon drin? Ist sie schon vorbei? Oder steht uns die Rezession eigentlich noch bevor?
Emanuel Mönch: Bei der Frage scheiden sich die Geister. Wir haben in Deutschland zwei Quartale mit geringem negativen Wachstum gesehen. Das wird von manchen als technische Rezession definiert. Manche sehen das aber anders. Ich glaube, es war sicherlich keine tiefe Rezession, und jetzt wird wiederum auch neues Wachstum erwartet. Sofern sich die geopolitischen Rahmenbedingungen nicht deutlich verschlechtern, glaube ich nicht, dass Deutschland noch in eine tiefe Rezession rutscht. Es ist besser gelaufen als viele erwartet haben, als der Krieg in der Ukraine begonnen hat und die Energiepreise so stark gestiegen sind. Wir haben damit gerechnet, dass sich die erhöhten Energiepreise in Deutschland deutlich größer auswirken, als es am Ende der Fall war.
Carsten Roemheld: Wenn wir auf die deutsche Wirtschaft eingehen und uns jetzt die großen Unternehmen im DAX anschauen. Der repräsentiert natürlich nicht die deutsche Volkswirtschaft, sondern ein paar riesige Unternehmen. Ist das ein Argument dafür, dass die Börse nicht die gesamte konjunkturelle Lage im Land widerspiegelt?
Emanuel Mönch: Absolut. Die großen DAX-Unternehmen sind global aufgestellt und haben Einkünfte in vielen Ländern dieser Welt. Nicht alle dieser Länder sind gerade wirtschaftlich schwach. Insofern spiegeln die Gewinnerwartungen der DAX-Unternehmen nicht nur die Konjunktur in Deutschland wider. Daher ist der DAX kein Konjunkturbarometer für Deutschland.
Carsten Roemheld: Was ist, wenn ich mich mehr für die konjunkturelle Entwicklung in Deutschland interessiere und das in meinem Portfolio repräsentieren möchte? Kann ich mir auf andere Art und Weise mehr Werte ins Portfolio holen, die das mehr repräsentieren, etwa mit dem MDAX oder dem SDAX?
Emanuel Mönch: Das denke ich schon. Auch im MDAX sind sicherlich Unternehmen, die auch viel Wertschöpfung im Ausland haben. Auch da ist sicherlich nicht nur die deutsche Konjunktur abgebildet. Aber sicherlich deutlich mehr als im DAX, würde ich sagen.
Carsten Roemheld: Das heißt also, wenn zum Beispiel die US-Wirtschaft oder die Wirtschaft in Asien deutlich besser läuft als erwartet, dann profitieren wir in Deutschland davon über die Exportwirtschaft und über die internationale Vernetzung der Unternehmen, oder?
Emanuel Mönch: Absolut, so würde ich das sehen.
Carsten Roemheld: Vor allem die USA ist in dem Fall interessant, weil da nochmal ein Sonderfaktor eine Rolle gespielt hat. Der Hype um die künstliche Intelligenz hat sicherlich so eine Art Sonderkonjunktur herbeigeführt. Insbesondere durch die großen Mega-Caps, die den Index anführen und auch dort nicht die Volkswirtschaft widerspiegeln, sondern einen eigenen Makrofaktor repräsentieren. Unternehmen wie Amazon, Microsoft, Apple, NVIDIA etc. Inwieweit beeinflusst dieser Hype um die künstliche Intelligenz die Börse? Und wie relevant ist der Hype für die Realwirtschaft?
Emanuel Mönch: Also, ich glaube, er hat die Börsenentwicklung in den letzten Monaten sehr stark beeinflusst. Da gibt es tatsächlich sehr hohe Erwartungen an den Märkten. Dazu kommt, dass diese neuen Technologien auch neue Chips im großen Stil brauchen. Das gibt auch Chip-Unternehmen und anderen Unternehmen einen Schub, die an der Wertschöpfungskette beteiligt sind. Ob KI wirklich im großen Stil in unseren Alltag Einzug nehmen wird und viele Sachen ersetzen wird, da bin ich eher skeptisch. Ich glaube schon, dass es viele Anwendungsmöglichkeiten gibt, die noch nicht erschlossen sind. Aber es gibt auch viele Grenzen. Da fällt es mir schwer, einen Hype von einer realistischen Erwartung und zukünftigen Einsatzmöglichkeiten zu unterscheiden. Ich sehe noch nicht die Revolution, die andere sehen. Aber ich bin auch kein Experte für künstliche Intelligenz.
Carsten Roemheld: Das Potenzial ist sicherlich da, für eine ganze Menge an Produktivitätsgewinnen. Aber ich teile Ihre Einschätzung, dass das wahrscheinlich noch eine längere Zeit dauern wird. Denn es setzt voraus, dass die Unternehmen Datensicherheit haben, oder dass die Regulierung in den Griff zu bekommen ist, und vieles mehr. Und dabei ist sehr oft die Erwartung höher als das, was realistisch umgesetzt werden kann. Von daher glaube ich auch, dass das noch eine Weile braucht. Und trotzdem zeigt sich bei der künstlichen Intelligenz eine große Erwartungshaltung. Wenn sich das nicht durch Fundamentaldaten abbilden lässt, wie lange ist so ein Zustand stabil? Wann, glauben Sie, lösen sich solche Diskrepanzen auf und wann kommen wir wieder auf ein normales Bewertungsniveau zurück?
Emanuel Mönch: Das ist schwer vorherzusagen. In der Vergangenheit sind die Kurs-Gewinn-Verhältnisse von Unternehmen, Industrien oder auch dem Gesamtmarkt, teilweise relativ lang vom historischen Mittel abgewichen. Da kommt es auf viele Parameter an. Zunächst geht es um die Erwartungen. Wie stabil sind die oder fallen die in sich zusammen, wie es irgendwann zum Beispiel bei der Dotcom-Bubble der Fall war. Aber es geht natürlich auch um das makroökonomische Gesamtumfeld. Die Unternehmen werden nicht nur auf Basis ihrer erwarteten Gewinne durch künstliche Intelligenz bewertet. Sondern das sind breit aufgestellte Unternehmen, deren Produkte in vielerlei Branchen genutzt werden. Insofern glaube ich nicht, dass es nur davon abhängig ist, wie sich die Erwartung über die zukünftige Nutzung von künstlicher Intelligenz entwickelt.
Außerdem kommt es auch darauf an, wie die Geldpolitik reagiert. Wir wissen, dass Aktienmärkte sehr abhängig davon sind, wie sich die Zinsen entwickeln. Wenn Zinsen steigen, fallen in aller Regel Aktienpreise und andersrum. Jetzt befinden wir uns gerade in einer Konjunkturphase, wo die Zinsen in den nächsten Monaten eher fallen werden. Das wird dem Aktienmarkt insgesamt eher einen Schub geben. Ich rechne also nicht damit, dass es in den nächsten Monaten zu einer drastischen Korrektur kommt. Dafür müsste schon einiges zusammenkommen.
Carsten Roemheld: Sie haben wunderbar zum zweiten Themenblock übergeleitet. Ich würde jetzt nämlich gerne mit Ihnen über die Zentralbanken reden. Die Zentralbanken sind wichtige Spieler für das Geschehen an den Finanzmärkten geworden. Die Aussicht auf fallende Zinsen hatte die Märkte im ersten Quartal maßgeblich angetrieben. In den USA scheint dieser Schritt jetzt wieder in weite Ferne zu rücken. Die Daten geben noch keinen Anlass dafür, die Zinsen wirklich zu senken. Bei der EZB ist eine baldige Zinssenkung eher eine Formsache. Zumindest die Ankündigungen deuten darauf hin, dass die Währungshüter im Juni diese lang herbeigesehnte Zinswende einleiten. Überrascht es Sie, dass sich die EZB teilweise von der Fed abkoppelt – obwohl sie sich in der Vergangenheit stark an der US-amerikanischen Notenbank orientiert hat? Und welche Rolle spielen die Markterwartungen bei den Währungshütern?
Emanuel Mönch: Also zunächst kann die EZB prinzipiell unabhängig handeln. Gleichzeitig wissen die Entscheidungsträger, dass der Wechselkurs stark auf das Zinsgefälle reagiert. Wenn die EZB ihre Zinsen also senkt und die Fed ihre Zinsen konstant hält, dann steigt das Zinsgefälle zugunsten der USA. Die Federal Funds Rate ist dann höher als der europäische Notenbankzins, und dadurch fließt eher Kapital in die USA. Das wertet den US-Dollar auf und den Euro ab. Das bedeutet natürlich auch, dass Importe aus den USA oder etwa von Öl, das in Dollar gehandelt wird, teurer werden. Und das kann in Europa wieder einen Inflationsdruck auslösen. Wie stark dieser Druck wird, steht in den Sternen – aber diese Entwicklung wird es auf jeden Fall geben. Ganz unabhängig kann die EZB von der Fed also nicht agieren.
Carsten Roemheld: Wenn der US-Dollar attraktiver wird, kann sich das auch massiv auf Schwellenländer auswirken, die eine hohe Verschuldung in US-Dollar haben. Welche Rolle spielen die Faktoren außerhalb des eigenen Landes bei den Überlegungen, die Zinsen anzupassen?
Emanuel Mönch: Ich glaube, die Fed kennt natürlich ihre zentrale Rolle auf den globalen Finanzmärkten. Auch, dass die Bepreisung von Risiken sehr stark vom US-Zins abhängt, weil sich viele globale Finanzunternehmen vor allem dort refinanzieren. Gleichwohl sieht die Fed das nicht als Hauptargument für ihre Politik. Sie hat ein ganz klares duales Mandat: Preisstabilität und Vollbeschäftigung. Das wird von den Gesetzgebern festgehalten, und daran orientieren sie sich. Internationale Effekte spielen sicher eine Rolle, weil Auswirkungen auf das Ausland wiederum zurückschwappen können. Aber das spielt eine untergeordnete Rolle. In erster Linie geht es bei der Entscheidung der Fed darum, wie sich die Inflation weiterentwickelt, und da waren die Fortschritte zuletzt eher langsam. Darum ist es Jerome Powell noch zu früh, die Zinsen zu senken. Und viele in dem Ausschuss, der das entscheidet, folgen ihm auf diesem Kurs.
Carsten Roemheld: Bei Ihnen ist sehr spannend, dass Sie selbst hinter den Kulissen tätig waren. Allein sieben Jahre lang waren Sie bei der Fed in New York, und Sie haben aktiv miterlebt, wie sich die Rolle der Währungshüter verändert hat. Sie haben mal einen sehr interessanten Satz gesagt: Die Zentralbanker sind als Krisenfeuerwehr im Dauereinsatz. Das Zitat finde ich wirklich super, aber vielleicht erklären Sie es mal ein bisschen mehr. Wie hat sich die Rolle der Zentralbank gegenüber früher verändert? Würden Sie sagen, dass Ihr Zitat nach wie vor gilt?
Emanuel Mönch: Ich glaube, dass das nach wie vor gilt, auch wenn die Zentralbanker mittlerweile vorsichtiger sind. Um die Unabhängigkeit der Zentralbank nicht aufs Spiel zu setzen, lässt sich die Zentralbank nicht zu sehr ins Geschehen reinziehen. Es gibt schließlich noch andere Akteure, etwa die Fiskalpolitik oder die makroprudenzielle Politik, die auch Krisen bekämpfen oder verhindern können. Je mehr man sich als Feuerwehr in Krisen reinziehen lässt, umso mehr läuft man auch Gefahr, sich hier und da selbst zu verbrennen und damit die Unabhängigkeit in Gefahr zu bringen. Aber ja, ich glaube, dass die Zentralbank nach wie vor Krisenfeuerwehr ist. Die Zentralbanken haben sich ein Instrumentarium gegeben, mit dem sie sehr schnell und pragmatisch den Finanzmarkt korrigieren kann. Das hat natürlich gewisse Nebeneffekte und Risiken, wir sprechen vom „Moral Hazard“. Wenn die großen Finanzunternehmen immer wieder gerettet werden, weil die Fed rechtzeitig die Zinsen senkt oder Kaufprogramme initiiert, dann gehen die Unternehmen höhere Risiken ein. Nichtsdestotrotz: Im Zweifel können die Zentralbanken sehr schnell das Feuer löschen. Das wissen aber auch Politiker, die in lange demokratische Prozesse eingebunden sind. Zentralbanken könnten die Politik manchmal auch mehr kommen lassen, da sich bestimmte Probleme besser mit Fiskalpolitik lösen lassen.
Carsten Roemheld: Das ist interessant. Also Sie sagen, dass manche Dinge durch lange Diskussionen und Abstimmungen in der Politik an die Zentralbank ausgelagert werden, die dann in diese Bresche springt. Löffelt die Zentralbank dann die Suppe aus, die von der Politik eingebrockt worden ist?
Emanuel Mönch: Es ist zumindest eine Sorge, die ich habe. Man sieht es zum Beispiel im Fall der EZB. Die hat sich kürzlich ein Instrument namens „Transmission Protection“ gegeben. Das kann sie dazu nutzen, um ein Auseinanderdriften von Zinsspreads zwischen beispielsweise italienischen Staatsanleihen und deutschen Staatsanleihen zu verhindern. Das ist ein starkes Instrument, weil natürlich Zinsen aus allen möglichen Gründen auseinanderdriften. Zum Beispiel, weil die italienische Fiskalpolitik riskanter ist. Ist es jetzt wichtig, dass eine Zentralbank eine unsolide Fiskalpolitik kaschiert, indem sie Zinsspreads manipuliert? Da sorgen sich viele, dass so ein Instrument eben dazu führen kann, dass beispielsweise in Italien die Fiskalpolitik nicht so solide betrieben wird, wie sie sollte. Insofern gibt es da Interaktionen zwischen den Zentralbanken und den Politikern, die man auf dem Schirm haben sollte. Gleichwohl glaube ich, dass eine Zentralbank gut beraten ist, solche Instrumente zu haben, die es auch schaffen, eine große Krise relativ schnell einzudämmen. Ich sehe das also nicht nur negativ, nicht dass Sie mich falsch verstehen. Aber diese Instrumente bergen auch das Risiko, dass zu riskant gehandelt wird – sowohl von Seiten der Fiskalpolitik als auch durch einzelne Unternehmen auf den Finanzmärkten.
Carsten Roemheld: Herr Mönch, im ersten Teil dieser Folge haben Sie davon gesprochen, dass sowohl Unternehmen als auch Staaten dazu neigen, mehr Risiko einzugehen, wenn sie wissen oder jedenfalls davon ausgehen können, dass die Zentralbank selbst größere Krisen relativ schnell eindämmen kann. Die Regierung spielt hier aber eine besondere Rolle, da er sie einspringen kann, um Krisen abzufedern – mit sogenannter Fiskalpolitik, also Steuern, Abgaben, Subventionen, Konjunkturprogrammen, Stützungspaketen und Rettungshilfen. Verstärkt eine solche Politik bei Unternehmen und Privatleuten den Gewöhnungseffekt, dass sie im Krisenfall letztlich immer jemand rettet? Und handeln wir dadurch riskanter?
Emanuel Mönch: Ich glaube, diese Sorge besteht. Nehmen wir das Beispiel der Corona-Krise. Die allermeisten Ökonomen, mich eingeschlossen, konnten nicht absehen, wie schwer das wird. Das war ein ganz neues Problem, eine Pandemie hatten wir noch nicht erlebt. Ich finde es richtig, dass sowohl die Fiskalpolitik als auch die Geldpolitik beherzt eingeschritten ist. Gleichwohl muss man im Nachhinein sagen: Der Inflationsanstieg, den wir erlebt haben, hat auch damit zu tun, dass nachfrageseitig sehr viel gemacht wurde von beiden Politikfeldern. Fiskalisch wurde extrem viel gemacht, in den USA wurden Schecks verschickt, aber auch in Deutschland gab es zum Beispiel die Novemberhilfen. Es gab also schon sehr viel Unterstützungsmaßnahmen. Gleichzeitig hat die Geldpolitik drastisch die Zinsen gesenkt, Kaufprogramme aufgesetzt, andere Liquiditätsfazilitäten geschaffen. So haben beide die Nachfrage stabilisiert. Und das, während das Angebot durch die Lieferketten noch kleiner wurde. Am Ende der Pandemie hatten wir deshalb einen krassen Nachfrageüberhang. Und der hat die Inflation ausgelöst. Wenn man es nochmal machen würde, würde man wahrscheinlich ein bisschen weniger von beidem machen. Das wäre sicherlich die richtigere Lösung gewesen, aber das war schwer abzusehen in dem Moment, als die Wirtschaft zu Beginn der Pandemie stillstand.
Carsten Roemheld: Kommen wir zur heutigen Situation. Die aktuelle Fiskalpolitik wirkt komplett gegen die Geldpolitik. Wir haben eine inflationäre Fiskalpolitik, die die Nachfrage steigert, und gleichzeitig müssen die Zentralbanken diese Inflationseffekte bekämpfen. Wie schwer ist es jetzt für die Zentralbank, wirklich aktiv gegen die Fiskalpolitik zu arbeiten, die ja in den USA beispielsweise mit sehr hohen Schulden agiert. Dadurch hat sie zwar die Wirtschaft auch ein gutes Stück vorangebracht, aber sicherlich zu dem Preis, dass die Inflation eben nicht so runterkommt wie bisher gewünscht.
Emanuel Mönch: Das ist eine komplizierte Gemengelage, da stimme ich Ihnen zu. Das Verschuldungsniveau der USA ist noch mehr als hier angestiegen. Das erste Mal ist es während der globalen Finanzkrise gestiegen, und der zweite große Schub war während und nach Corona. Jetzt liegt die USA weit über 120 Prozent Schuldenquote im Verhältnis zum BIP. Das ist für einen Industriestaat schon ziemlich hoch. Die USA hat den Vorteil, dass sie die globale Währung stellt. Eine hohe Schuldenquote muss also nicht unbedingt zur Folge haben, dass jetzt das dortige System implodiert. Wir haben auch zum Beispiel in Japan gesehen, dass man jahrzehntelang mit sehr hohen Schuldenquoten durchaus leben kann. Aber es ist natürlich so, dass die Belastung des Staatshaushaltes deutlich steigt, wenn die Fed die Zinsen anhebt. Das hat wiederum Rückwirkungseffekte. Und die hohe Staatsverschuldung treibt gleichzeitig die Inflation weiter an. Das macht zumindest die Position der Zentralbank nicht leichter, da sie die fiskalische Seite mitdenken muss. Ich glaube nicht, dass es hauptsächlich darum geht, wenn die Fed die Zinsen senkt, aber sie wird dennoch mitdenken, was das für Effekte auf den Staatshaushalt hat. Ich möchte aber noch hinterherstellen, dass wir alle – sowohl in den USA als auch hierzulande – die niedrigen Zinsen vor der Pandemie nicht genutzt haben, um Investitionen anzustoßen. Insbesondere solche, von denen wir schon lange wussten, dass wir sie brauchen, etwa Infrastruktur, Energiewende, Bildung oder digitale Infrastruktur. Zu Zeiten von Null- oder Negativzinsen hätten wir einiges anstoßen können. Und zwar zu deutlich geringeren Kosten als aktuell.
Carsten Roemheld: Da stimme ich Ihnen hundertprozentig zu. Würden Sie aus konjunktureller Sicht sagen, dass wir uns ein bisschen mehr von dem US-Modell abschneiden könnten – natürlich ohne jetzt exzessiv Schulden zu machen? Mit der Schuldenbremse ist das Thema Schulden hierzulande ein großes Thema. Würden Sie sagen, dass es sinnvoll ist, in konjunkturell brüchigen Phasen die Schuldenbremse ein bisschen lockerer zu lassen, um zu investieren und vom Wachstum zu profitieren?
Emanuel Mönch: Das glaube ich schon. Ich bin kein religiöser Verfechter der Schuldenbremse. Ich glaube zwar, dass man dauerhaft ausgewogene Fiskalpolitik machen sollte und nicht für die Folgegenerationen immer höhere Schuldenberge anhäufen. Aber gleichzeitig führt das dazu, dass wir anstehende Probleme nicht lösen. Also wenn die neuen Schulden für Investitionen in die Zukunft genutzt werden, dann bin ich durchaus dafür, zum Beispiel in die Energiewende. Der Klimawandel ist auch ein riesiges Problem, das uns noch viel kosten wird. Sowohl aufgrund von physischen Risiken, die sich aus dem Klimawandel ergeben, als auch, weil wir unsere Volkswirtschaft darauf umstellen müssen. Gleichzeitig hat die zukünftige Generation mit demografischen Hürden zu kämpfen. Die Leute werden immer älter, es gibt immer weniger junge Menschen in Arbeit, die immer mehr Rentner finanzieren. Und außerdem müssen wir die digitale Infrastruktur beziehungsweise die Infrastruktur insgesamt ausbauen. Es gibt also viele Investitionen, die nötig sind, um der zukünftigen Generation das Leben so leicht wie möglich zu machen. Da bin ich dafür.
Ich bin aber skeptisch, wenn die Schuldenbremse hier und da für rein konsumtive oder konjunkturglättende Maßnahmen ausgesetzt wird. Oder auch bei strukturellen Defiziten, die wir in Deutschland haben. Der größte Teil des deutschen Staatshaushalts geht in die Finanzierung der Renten. Schon mit der heutigen Demografie, die wir in Deutschland haben, können die Renten nicht mit den Beiträgen der Arbeitnehmer bezahlt werden. Und da haben wir das Problem noch nicht erreicht, dass die Babyboomer bald in Rente gehen. Die Steuerzahler zahlen Renten im großen Stil, und das ist nicht nachhaltig. Dafür würde ich ungern noch mehr Schulden aufnehmen, um das weiter in die Zukunft zu schieben.
Carsten Roemheld: Eine absolute Mammutaufgabe. Dafür hätten wir vielleicht schon viel früher eine Aktienrente einführen sollen, aber das ist ein anderes Thema. Ich habe noch eine Frage zum Inflationsziel der Zentralbank. Das liegt nach wie vor bei zwei Prozent. Halten Sie dieses Ziel noch für realistisch? Oder sollte man dieses Inflationsziel in Anbetracht der strukturell inflationären Entwicklungen anpassen?
Emanuel Mönch: Ich glaube, zwei Prozent ist eine gute Zahl. Das ist weit genug weg von Null. Man möchte nicht unbedingt eine Inflation von Null, auch wenn es immer Preisstabilität heißt. Aber eine Null-Inflation ist schwer, weil auch Produkte sich verbessern. Es ist also schwierig, die Inflation zu messen, weil sich eben auch die Qualität von Produkten im Zeitverlauf ändert. Darum hat man einen gewissen Abstand zur Null gelassen. Ein weiterer Grund ist, damit wir nicht aus Versehen in eine Deflation rutschen. Zwei Prozent ist also eine niedrige Inflationsrate, die trotzdem weit genug von Null entfernt ist. In der Situation, in der man die zwei Prozent ein paar Jahre lang nicht erreichen konnte, das Ziel zu erhöhen, ist kein Zeichen von Stärke. Wenn ich als Hochspringer mein Ziel von 1,80m nicht schaffe, und ich mir dann ein neues Ziel setze und die Stange auf 1,50m senke, dann bin ich kein besserer Sportler. Ich glaube, das ist bei Zentralbanken ähnlich. Auch wenn drei Prozent angesichts der strukturellen Entwicklungen, die auf uns zukommen, wie Klimawandel und der demografische Wandel, angemessener wären. In der jetzigen Situation würden die Zentralbanken komplett die Glaubwürdigkeit verlieren. Deshalb muss jetzt das Ziel sein, wieder auf zwei Prozent zu kommen. Die Instrumente sind vorhanden, und das wird auch früher oder später passieren.
Carsten Roemheld: Lassen Sie uns den Blick ein bisschen weiter schwenken, zum Beispiel auf dirigistische Regimes wie China. Die gehen ganz anders vor, wenn es darum geht, die Börsen einzuhegen oder die Konjunktur zu beleben. Das ist für uns mit unseren freiheitlichen Ordnungsvorstellungen natürlich schwer vorstellbar. Aber auf der anderen Seite gibt es immer mehr, auch bei uns, die nach einem stärkeren, handlungsfähigen Staat rufen, der dort viel mehr durchgreifen kann. Verlieren wir am Ende diesen Systemkonflikt, weil wir diesen Durchgriff nicht haben, den autoritäre Länder haben?
Emanuel Mönch: Das ist eine schwierige Frage. Ich bin Ökonom und kein Politikwissenschaftler. Ich antworte daher als interessierter Bürger und nicht als Ökonom. Ich glaube schon, dass Entscheidungsprozesse in Demokratien oft langatmiger und langwieriger sind, als es vielleicht sinnvoll ist. Nichtsdestotrotz glaube ich, dass die Qualität der Entscheidungen in einer Demokratie am Ende in aller Regel besser ist als in Diktaturen. Was sich jetzt wirklich dauerhaft durchsetzt, weiß ich nicht. Ich hoffe natürlich, dass es die Demokratie sein wird.
Nichtsdestotrotz müssen wir auch in der Demokratie über unsere Prozesse nachdenken. Ich sehe den Klimawandel als enormes Problem. Ich sehe aber auch, dass es der Politik zunehmend schwerfällt, die Leute auf diesen wichtigen Transformationsprozess mitzunehmen. Und ob Politiker, die eine Wiederwahl in vier Jahren vor Augen haben, die nötigen Schritte wirklich so gehen werden, wie sie es müssten, das bezweifle ich. Darum würde eine Autokratie, die das Richtige will, schneller zum Ziel kommen. Aber wie gesagt, ich bin durch und durch Demokrat. Ich möchte jetzt nicht Autokratien ins Wort reden, ich wollte das nur mal so ein bisschen passieren.
Carsten Roemheld: Sie haben auch meine Meinung vollständig widergespiegelt. Ich glaube auch, dass Legislaturperioden ein großes Problem sind, weil sich die Akteure dann immer mehr auf diese Zeitphasen konzentrieren und nicht in der Lage sind, lange Veränderungen anzustoßen, die unbedingt notwendig wären. Da krankt unser politisches System ein bisschen, was die Zeithorizonte angeht.
Emanuel Mönch: Wenn ich hier kurz einhaken darf. Wir haben bereits über die Schuldenbremse gesprochen. Die ist ein Beispiel, indem wir es geschafft haben, ein Ziel in die Verfassung aufzunehmen. Es wäre vorstellbar, dass auch Klimaziele in die Verfassung aufgenommen werden. Dann hätte man diese Vierjahreszyklen, die Politiker so belasten, zumindest ein bisschen ausgehoben. Es gibt also auch in unserem demokratischen System Möglichkeiten, strukturelle Probleme von Legislaturperioden abzukoppeln.
Carsten Roemheld: Daran sollten wir unbedingt arbeiten. Ich nehme das mal als Anlass dazu, die Entwicklung weiterzuverfolgen. Kommen wir zum letzten Teil und noch mal zur Fiskalpolitik. Wie genau beeinflusst die Fiskalpolitik die Konjunktur und das Kapitalmarktgeschehen aus Ihrer Sicht? Im Beispiel der USA wird etwa gesagt, dass die Effekte im Verhältnis zu den Schulden gar nicht so groß sind. Wie sehen Sie das?
Emanuel Mönch: Die Wissenschaft hat gezeigt, dass diese Multiplikatoren stark im Konjunkturverlauf wechseln. Die Wirkung eines investierten Dollars ist deutlich höher in einer Rezession als im Boom. Wenn ein Staat also in einer soliden Konjunkturphase einen Euro mehr Schulden macht, dann verpufft diese Wirkung sehr, sehr schnell. Das bedeutet, es sind am Ende höhere Staatsausgaben für wenig neue Wirtschaftsleistung. In einer Rezession ist dieser Multiplikator deutlich stärker. Das ist auch naheliegend: Wenn die Wirtschaft abkühlt, dann wirken jegliche Stabilisierungsmaßnahmen, aber auch die automatischen Stabilisatoren wie Arbeitslosengeld sehr stark. In einer Phase, wo die Konjunktur bereits brummt, sind zusätzlichen Staatsausgaben nicht wirklich mit sehr viel mehr BIP verbunden. Im Zweifel haben sie sogar negative Wirkungen, weil sie letztlich privaten Konsum, private Investitionen verdrängen.
Carsten Roemheld: Und genau das scheint in den USA momentan zu passieren. Die Fiskalpolitik scheint einen großen Effekt auf die Konjunktur zu haben. Man wundert sich, warum diese starken, massiven Zinserhöhungen, die wir in den letzten 18 Monaten gesehen haben, nicht zu einer stärkeren Bremsung geführt haben. Ist aus Ihrer Sicht der Fiscal Impact das größte Argument, warum diese Zinswende nicht zu dem gewünschten Ergebnis geführt hat?
Emanuel Mönch: Ich glaube, das spielt eine Rolle. Ich bin gar nicht so sicher, ob jetzt aktuell der fiskalische Impuls noch so stark ist. Die USA hat nach wie vor relativ hohe Defizitquoten, aber da geht auch viel ins Militär. Das sind nicht nur rein konsumtive Staatsausgaben, die da eine Rolle spielen. Insofern ist der fiskalische Impuls sicherlich noch zu hoch. Aber ob der allein dafür verantwortlich ist, dass die Inflation trotz der erhöhten Zinsen noch so hoch ist, das bezweifle ich. Es kommt auch noch dazu, dass einzelne Industrien einen wirklich starken Boom erlebt haben in den USA. Noch dazu konnte die Arbeitsbeteiligung diesen Boom nicht wirklich mitmachen. Die Arbeitslosigkeit ist nach wie vor historisch niedrig, weil es gar nicht so viele verfügbare Arbeitskräfte gibt. Das hat auch viel mit Emigration zu tun, und noch dazu ist auch die Beteiligung von Männern im arbeitsfähigen Alter am Arbeitsmarkt stark zurückgegangen. Da spielt etwa die Opioid-Krise auch teilweise eine Rolle. Es gibt also viele Effekte, die sich überlappen. Jetzt auseinanderzuklamüsern, was da genau welche Rolle gespielt hat, fällt mir schwer. Da müsste man größere Modellrechnungen anstellen.
Carsten Roemheld: Aber die Einflüsse von verschiedensten Faktoren auf die Konjunktur, Geldpolitik, Zinsen oder auf die Inflation sind größer als früher, oder kommt das nur mir so vor? Mein Eindruck ist, dass man früher die konjunkturellen Kurven relativ verlässlich bestimmen konnte. Ein Konjunkturzyklus betrug sieben bis neun Jahre. Die Zentralbanken haben an der einen Stelle unterstützt und an anderer Stelle gebremst. Aber durch diese großen Einflüsse von Fiskalpolitik hat man den Eindruck, dass sich nicht mehr genau bestimmen lässt, wo wir überhaupt stehen, und das macht den Zentralbanken das Handeln auch schwerer. Ist das mein persönlicher Eindruck, oder ist das vielleicht immer schon so gewesen?
Emanuel Mönch: Also ich glaube, dass gerade die fiskalische Intervention der USA während Corona schon außergewöhnlich hoch war. Da wurde viel Geld in die Hand genommen von Trump, um die Konjunktur zu stabilisieren. Er hat es sich auch nicht nehmen lassen, den Vordruck der Schecks selbst zu unterschreiben. Ich glaube, das war auch, um aus diesen Maßnahmen politischen Profit rauszuschlagen. Und die Intervention hat sicherlich auch zur Stabilisierung der Konjunktur beigetragen. Aber eben auch dazu, dass die Leute dann schnell mehr ausgegeben haben, als man vorher erwartet hat. Das hat auf jeden Fall eine Rolle gespielt, und das war im historischen Vergleich sicherlich auch ein sehr großer Eingriff. Fiskalpolitik hat zwar auch vorher schon glättend eingegriffen. Aber ich glaube, in der Größenordnung war das einmalig, ja.
Carsten Roemheld: Gibt es denn neuere Instrumente, mit denen der Staat die Konjunktur und das Kapitalmarktgeschehen beeinflussen kann? Staaten haben durch die hohen Staatsschulden durchaus auch ein Interesse an einer etwas höheren Inflation, weil dadurch die Schulden abgebaut werden können. Ist es nicht ein Gegensatz, wenn Staaten an einer höheren Inflation interessiert sind und die Zentralbanken an einer niedrigeren Inflation?
Emanuel Mönch: Es ist zwar so, dass ein Staat, der Staatsanleihen ausgegeben hat, eine Weile von einer überraschend hohen Inflation profitieren kann, weil dann der Realwert dieser Staatsschulden schneller fällt. Aber das geht nicht dauerhaft. Wenn die Leute verstanden haben, dass die Inflation hoch ist und auch hoch bleibt, dann verpufft dieser Effekt. Dann gibt es eine Risikoprämie, die dann bei allen neuausgegebenen Staatsanleihen eingepreist ist. Ein Staat kann also nicht dauerhaft überraschend die Staatsschulden mit Inflation ausgleichen. Aber das geht ab und zu, wenn die Leute darauf vertrauen, dass die Inflation wieder fallen wird.
Carsten Roemheld: Was können die staatlichen Akteure dann machen, um die Schulden wieder runterzubringen? Die Frage ist ja, ob sie das Wachstum so stark beeinflussen können. Steuern erhöhen Staaten nicht unbedingt und genauso wenig will man die Ausgaben streichen. Niemand ist gerne bereit, in seinem Ressort die Ausgaben zu streichen. Und da könnte Inflation doch der etwas elegantere Weg sein. In früheren Phasen, etwa während Weltkriegen, haben die Staaten das auch mit der Inflation gelöst. Sie haben aber natürlich Recht: Dafür muss ein Ende gegeben sein. Aber zumindest übergangsweise ist Inflation für Staaten sicherlich ein interessantes Instrument.
Emanuel Mönch: Und da kommen die Notenbank wieder ins Spiel. Denn das setzt voraus, dass die Leute glauben, dass Inflation auch wieder fällt. Denn sonst, wie gesagt, preisen sie von vornherein die höhere, erwartete Inflation bei Preisen mit ein.
Carsten Roemheld: Vielleicht eine abschließende Frage noch. Ich habe neulich eine Analyse gelesen. Darin hieß es, dass seit Alan Greenspan die Fed ihre Zinsen immer einen Tick unter den neutralen Zins gesetzt hat. Damit hat sie immer wieder die Kapitalmärkte und die Konjunktur stimuliert. Andererseits hat sie dadurch auch das Risiko für Krisen insgesamt erhöht, weil man durch dieses günstige Geld immer wieder Blasen in bestimmten Anlagekategorien verursacht hat. Paul Volcker hat damals die Zinsen bei 20 Prozent gehabt und so die Inflation dauerhaft besiegt und damit die Grundlage für einen langfristigen Aufschwung geschaffen. Glauben Sie, dass Notenbanker heute noch in der Lage sind, solche Maßnahmen durchzuführen? Oder ist der gesellschaftliche, bzw. politische Druck zu groß?
Emanuel Mönch: Ich glaube, die Gefahr besteht. Es kommt wirklich sehr auf die einzelnen Persönlichkeiten in der Zentralbankspitze an – welche Jobs sie noch haben wollen und welche Ambitionen sie haben. Aber auch die Zinsen, die wir jetzt haben, sind historisch schnell angehoben worden. Die Geschwindigkeit der Zinserhöhungen, die wir gesehen haben, das ist selbst im Vergleich zur Volcker-Episode historisch schnell gewesen. Wir sind zwar nicht so hochgegangen wie damals. Aber das muss man vielleicht auch nicht, weil die Inflation jetzt schneller wieder runtergeht. Vermutlich, weil man den Zentralbanken durchaus zutraut, die Inflation wieder einzudämmen. Das war damals nicht so. Damals waren die Inflationserwartungen nicht so gut verankert, und darum musste man noch höher gehen, als es heute nötig ist. Ich glaube, auch heutzutage kann man den Zentralbankzins richtig setzen, so dass man nicht dauerhaft zu viel Stimulus gibt. Aber wo genau der richtige neutrale Zins liegt, ist sehr schwer zu bestimmen. Ist das erreichte Zinsniveau ausreichend, um genügend Bremswirkung zu erzielen, oder reicht es noch nicht aus? Das ist am Ende immer auch eine Abwägungsfrage, weil es wirklich schwer zu sagen ist, welches Zinsniveau restriktiv wird oder welches noch nicht restriktiv genug ist.
Carsten Roemheld: Die Zeit wird es zeigen. Wir werden sehen, wie sich die Zentralbanken weiter verhalten und wie das entsprechend auf die Konjunktur wirkt. Wir hoffen jedenfalls das Beste. Herr Professor Mönch, vielen Dank für Ihre spannenden Einblicke und für das tolle gemeinsame Gespräch. Ich habe wieder viel gelernt heute. Das soll es für heute auch für Sie gewesen sein, liebe Zuhörinnen und Zuhörer. Herzlichen Dank für Ihr Interesse. Wir hoffen, dass wir Ihnen ein paar spannende Einblicke vermitteln konnten, und wir sehen uns hoffentlich beim nächsten Mal wieder beim Podcast oder bei einem der vielen anderen Formate, die wir für Sie bereithalten. Danke, viele Grüße und alles Gute, ihr Carsten Roemheld!
Emanuel Mönch: Vielen Dank auch von mir.