Der Podcast-Jahresrückblick 2021
Carsten Roemheld: Wie meistern wir die Klimakrise? Was steht uns in einer alternden Bevölkerung bevor? Wie entwickelt sich die Politik in China und in den USA? Und wie verändert die Coronapandemie unsere Arbeitswelt und unser Freizeitverhalten?
Monat für Monat widme ich mich in meinem Podcast den entscheidenden Fragen von heute und ihren Auswirkungen auf unsere Gesellschaft und auf die Kapitalmärkte von morgen. Mein Name ist Carsten Roemheld, ich bin Kapitalmarktstratege bei der Fondsgesellschaft Fidelity.
Heute begrüße ich Sie zu einer Spezialausgabe meines Podcasts: einen Rückblick auf meine ganz persönlichen Höhepunkte 2021. Es waren viele bemerkenswerte Momente mit vielen außergewöhnlichen Expertinnen und Experten.
Los geht’s mit dem vielleicht prägendsten Thema 2021 — und für unser aller Zukunft. Nein, das war nicht die Covid-Pandemie, auch wenn ich natürlich um das Thema nicht herumgekommen bin. Für mich war 2021 das Jahr, in dem die Klimakrise so sehr in unser Bewusstsein gerückt ist wie nie. Und mit der Krise auch die Erkenntnis, wie dringend wir die Energiewende brauchen.
Gleich drei Gespräche habe ich zu diesen Themen im Lauf des Jahres geführt:
Im März hatte ich den Physiker und Philosophen Professor Dr. Armin Grunwald am Mikrofon. Er setzt sich beruflich mit Technikfolgenabschätzung auseinander. Wir waren uns einig, dass es möglich und auch lohnenswert ist, aus der fossilen Energieversorgung auszusteigen. Trotzdem hält Armin Grunwald wenig von der weit verbreiteten Erzählung, Klimaschutz sei gut für jeden.
Armin Grundwald: Ich neige dazu, Verluste auch ernst zu nehmen und lieber die Frage zu stellen: Ja, was ist uns die Energiewende denn wert? Ist sie uns nicht wert, dass wir bestimmte Einbußen in Kauf nehmen, was schöne Landschaften betrifft? Ist sie uns nicht einen höheren Preis pro Kilowattstunde wert? Ist sie uns nicht wert, dass wir manche Kulturen auch beenden? In der Erwartung, dass neue entstehen werden. Das wäre eine Rhetorik, die nicht mehr nach Win-win-Situationen schaut, sondern die Verluste, die Verlierer ernst nimmt und sagt: Ja, ihr verliert, das erkennen wir an, aber das ist ja im Dienste einer größeren Sache notwendig und gut – schaut mit uns nach vorne. Das ist eine ganz andere Haltung.
Carsten Roemheld: Im Juli hatte ich dann Rana Adib aus Paris zugeschaltet. Sie ist Exekutivdirektorin des “Renewable Energy Policy Network for the 21st Century”. Das ist eine weltumspannende politische Initiative für den Ausbau erneuerbarer Energien. Ein einzigartiges Netzwerk von über 900 Wissenschaftlern, NGOs und Vertretern der Privatwirtschaft. Rana Adib hat mir berichtet, dass rund drei Viertel des weltweiten Energieverbrauchs in Städten stattfindet. Dort verbrauchen nicht nur Gebäude große Mengen an Strom, Wärme und Wasser. Auch der weltweite Verkehr konzentriert sich zu 80 % auf unsere Städte. Deshalb, sagt Rana Adib, müssen Städte sich nun dringend zu ihrer zentralen Rolle für die Energiewende bekennen.
Rana Adib: Insgesamt, denke ich, kann man tatsächlich sagen, dass eine große Schwierigkeit auf der Städten-Ebene ist, dass viele Städte sich nicht einmal als Energieakteuer sehen. Und das ist einfach historisch darauf zurückzuführen, dass über die letzten 50 und mehr Jahre Energie und das Energiethema auf nationaler Ebene und vor allem vom Energie-Supply, von der Energieversorgung, aus gedacht und gesteuert wurde. Erneuerbare Energien ändern hier ganz klar die Rahmenbedingungen und die Möglichkeiten. Städte können heute nicht nur Energiekonsument sein, sondern selber auch Energieproduzent werden und Energieversorger werden. Und das ist tatsächlich ein Aspekt, der heute noch nicht im Bewusstsein ist.
Carsten Roemheld: Die Energiewende ist also mit einem neuen Selbstverständnis, einer neuen Regulatorik und neuen Investitionen verbunden. Zugleich ist der Umbau der Energieversorgung sicher kein Spaziergang; denn er bedeutet nicht weniger als einen Systemwechsel.
Über die Voraussetzungen und Möglichkeiten zum Ausstieg aus dem fossilen Zeitalter habe ich dann im September mit Frank Schätzing gesprochen. Er ist einer der erfolgreichsten deutschen Romanautoren — und er hat kürzlich ein Sachbuch über den Klimawandel geschrieben mit dem auffordernden Titel „Was, wenn wir einfach die Welt retten?“.
Frank Schätzing sagte mir: Mit unserer heutigen Art zu leben, drohen wir unsere Welt zu zerstören. Deshalb braucht es fundamentale Veränderungen. Und die funktionieren so:
Frank Schätzing: Und wenn wir uns mal anschauen, wie sich Systemwechsel vollziehen, geschieht das in drei Phasen. In der ersten Phase stößt das alte System an seine Grenzen, am Horizont taucht die Vision eines neuen auf. In der zweiten Phase sehen wir, das neue System ist überlegen, wünschenswert und umsetzbar. In der dritten Phase ersetzt das neue das alte. Jetzt können wir uns die Frage stellen: Wollen wir im Übergang von Phase 1 zu Phase 3 möglichst lange an Auslaufmodellen festhalten; unter der Begründung, dass wir keine Arbeitsplätze gefährden wollen? Oder wollen wir frühzeitig, visionär und auch durchaus mit einer gewissen Risikobereitschaft früh und schnell und konsequent in die neuen Wertschöpfungsketten investieren, darin einen Vorsprung erringen, Marktführer darin werden, aufgrund dessen Arbeitsplätze zu sichern, Menschen gegebenenfalls umzuschulen, und viele neue Arbeitsplätze in neuen Branchen schaffen?
Carsten Roemheld: Sie ahnen es: Frank Schätzing ist nicht sonderlich begeistert von Variante eins, also vom Festhalten an Auslaufmodellen. Er interessiert sich mehr für Innovationen. Das eint ihn mit dem Ökonomen Dr. Ralph Wiechers. Der vertritt als Chef-Volkswirt die Interessen des Verbands Deutscher Maschinen- und Anlagenbau, einen der wichtigsten Industrieverbände unseres Landes. Er war im Februar 2021 mein Gast. Wir sprachen über ein Thema, das uns das gesamte Jahr weiter beschäftigte. Die defekten Lieferketten:
Ralph Wiechers: Die Coronapandemie und die damit verbundenen Einschränkungen haben natürlich die Verwundbarkeit internationaler Lieferketten schonungslos offengelegt. Auch wir haben das gesehen, angefangen mit ausbleibenden Lieferungen in der ersten Phase aus China, ja – bis dann auch, dass wir selber nicht unbedingt immer lieferfähig waren; ja selbst innerhalb von Europa natürlich auch nicht lieferfähig waren, weil die Grenzen wieder hochgezogen wurden, wie wir es ja aktuell auch wieder in Ansätzen sehen in Richtung Österreich und Italien.
Carsten Roemheld: Das war vor fast einem Jahr. Hoffen wir, dass uns ähnliche Einschränkungen in diesem Winter erspart bleiben. Corona war in fast allen Gesprächen des Jahres, zumindest im Hintergrund, als Thema präsent. Bei einem Gespräch war die Pandemie sogar in der Hauptrolle. Es fand im Sommer 2021 mit Dr. Markus Heller statt, einem der bekanntesten Consultants für die Reiseindustrie in Deutschland. Er berät auch die Bundesregierung bei ihrer Tourismusstrategie. Von ihm wollte ich wissen, wie unser Reiseverhalten sich nach Corona verändert und wie es die Branche — nach damals schon anderthalb Jahren harter Einschränkungen — schaffen wird, wieder auf die Füße zu kommen. Heller war durchaus optimistisch.
Markus Heller: Ich persönlich glaube sehr stark an die Touristik und einen Tourismus per se, weil der Mensch jetzt nach eineinhalb Jahren Homeoffice am Ende auch wieder sieht, wie schön das Reisen ist. Und wenn Sie sich auf entsprechenden Plattformen umschauen und dort, wo kommuniziert wird, ist das Reisen in aller Munde, ja, jeder redet letztendlich darüber: Wann kann ich endlich wieder los?
Carsten Roemheld: Ich weiß nicht, wie es Ihnen geht, aber ich muss Heller da recht geben. Jedenfalls steigt mein Fernweh tatsächlich von Monat zu Monat.
So denke ich auch mit einer gewissen Wehmut an zwei weitere Gespräche zurück, die mich 2021 zumindest per Audioleitung in zwei Staaten brachten, die auf meinem Wunschreiseplan stehen: die USA und China.
Für den 21. Januar, den ersten Tag nach Vereidigung von Joe Biden, hatte ich mich mit Professor Rüdiger Bachmann verabredet. Der deutsch-amerikanische Ökonom lebt und lehrt seit 20 Jahren in den USA, derzeit an einer Privatuni im Bundesstaat Indiana. Mit Bachmann habe ich schon damals darüber gesprochen, ob — beziehungsweise wann — die Inflation zum größeren Thema werden wird. Bezeichnenderweise wählte auch Bachmann ein touristisches Beispiel für seine Inflationsprognose; und die ist aus heutiger Sicht durchaus gut gealtert.
Rüdiger Bachmann: Sagen wir mal so, es wird mit Sicherheit relative Preisdrücke geben. Also um ein ganz konkretes Beispiel zu machen: Es ist relativ sicher, dass die nächsten Skiurlaube, sagen wir mal in Italien und in den Alpen, richtig teuer werden. Weil da gibt's jetzt viele Leute, die dieses Jahr keinen Skiurlaub gemacht haben, die haben auch sonst nix zu tun, die konnten auch sonst nix anfangen mit dem Geld, das liegt dann einfach auf dem Sparbuch und die werden nächstes Jahr garantiert einen Skiurlaub machen. Und die Hotelkapazitäten in den Alpen sind natürlich begrenzt, die kann man nicht jetzt so einfach mal aufblähen. Das heißt, nächstes Jahr wird’s richtig … ich sage vorher, dass nächstes Jahr es richtig teuer wird, Skiurlaub in den Alpen zu machen.
Carsten Roemheld: Im Mai hatte ich dann Shenzhen am Mikrofon. Genauer: den Journalisten, Publizisten und China-Kenner Frank Sieren. Er hat mit mir unter anderem über die entscheidende Rolle Chinas für die Bewältigung der Weltklimakrise gesprochen. Besonders beeindruckt haben mich aber Sierens Schilderungen von der wachsenden Innovationskraft im Land. Sieren lebt seit fast 30 Jahren in China und er reist sehr viel durch das Land. Dabei hat er beobachtet, dass die Chinesen sich ausgerechnet vom großen Rivalen aus dem Westen immer mehr aneignen — auch kulturell.
Frank Sieren: Im Grunde ist der ‚American Way of Life‘ eben jetzt auch in China angekommen, auch diese Aufstiegsmöglichkeiten. Das ist ja auch eine Motivation, zu sagen: Wenn ich jetzt durchhalte, wenn ich es jetzt hier schaffe — uns ist das ja ein bisschen fremder als den Amerikanern —, dann kann ich ganz oben rauskommen. China ist ja voll von diesen Geschichten, von Leuten, von Bauernsöhnen, die dann im Grunde ein großes Technologieunternehmen anführen.
Carsten Roemheld: Es ist also eine Menge zu erwarten aus dem fernen Osten in den kommenden Jahren — und gerade die westlichen Gesellschaften sollten aufpassen, nicht den Anschluss zu verlieren.
Was steht uns dabei eigentlich im Weg? Zwei soziale Unterschiede kommen bei der Antwort auf diese Frage immer wieder auf den Tisch. Zum einen unsere alternde Gesellschaft, zum anderen die immer noch ungleiche Behandlung von Frauen und Männern im Arbeitsleben. Dabei hängt das eine mit dem anderen zusammen. Denn gerade eine alternde Gesellschaft ist auf die Erwerbstätigkeit aller Erwerbsfähigen angewiesen. Und doch hat gerade Corona das Ungleichgewicht im Arbeitsleben keineswegs beseitigt, sondern teilweise sogar wieder erhöht.
So wies mich der Soziologe und Demografie-Forscher Norbert Schneider im Podcast zwar darauf hin, dass manche Männer im Homeoffice zum ersten Mal die Hausarbeit entdeckt und auch mit erledigt haben, trotzdem sieht er die Gesellschaft in der Pflicht, mehr für die Frauen zu tun.
Norbert Schneider: Entweder wir sagen, wir wollen Mütter, die sich um ihre Kinder kümmern, dann müssen wir uns in anderer Weise um eine ökonomische Unterstützung dieser Frauen, die das tatsächlich wollen, kümmern. Oder wir sagen, wir wollen, dass die Frauen mehr noch als bisher erwerbstätig sind, dann brauchen wir eine vernünftige Infrastruktur, dass sie das in Verbindung mit ihren Männern und Vätern dann eben auch machen können. Und in beiden Bereichen sind wir schlecht.
Carsten Roemheld: Tatsächlich sind Frauen mit Kindern womöglich die größten Pandemieverlierer. Das bestätigte mir die Mannheimer Ökonomin Michèle Tertilt. Mit ihr konnte ich ein intensives Gespräch über Geschlechtergerechtigkeit führen. Es war ein weiteres Highlight, das ich sehr zum Nachhören empfehle. Tertilt hat darin nicht nur die Schwierigkeiten beim Thema „Gleichberechtigung, Rollen und Klischees“ auseinandergenommen. Sie hat auch die Hoffnung verbreitet, dass wir aus den Erkenntnissen während dieser Pandemie etwas lernen und in die Zukunft mitnehmen können.
Michèle Tertilt: Also ich denke mal, die Elternrolle ist ganz klar sichtbarer geworden für die Arbeitgeber. Na, ob das jetzt heißt, dass Arbeitgeber familienfreundlicher geworden sind, ob es Eltern nun deswegen leichter haben werden? Ich denke mal, das bleibt abzuwarten. Letztendlich interessieren sich viele Arbeitgeber nicht unbedingt so sehr für diese Elternrolle, solange die Arbeit gemacht wird. Aber ich denke, was wir auf jeden Fall sehen, dass viele Arbeitgeber ja auch schon gesagt haben, dass langfristig mehr Telearbeit möglich ist, und das wird definitiv den arbeitenden Eltern zugutekommen.
Carsten Roemheld: Na, das klingt doch für Eltern nach einer guten Nachricht!
Wenn Sie zum Jahresende noch ein bisschen mehr Optimismus tanken wollen, empfehle ich Ihnen schließlich mein jüngstes Gespräch mit der Münchener Digitalforscherin und Blockchain-Expertin Isabell Welpe. Mit ihr habe ich über die vielleicht spannendste technologische Innovation der jüngeren Zeit gesprochen. Und mich von ihrem Zukunftsoptimismus anstecken lassen.
Isabell Welpe: Also man könnte fast sagen, die heutige Ökonomie benachteiligt die, die Werte schaffen, die etwas herstellen, die etwas kreieren, auf Kosten derer, die sich das dann zunutze machen und an die Kunden bringen. Und die Blockchain-Ökonomie verspricht eben, genau das zu beseitigen und diejenigen, die etwas originär herstellen, also wenn sie so wollen: die Künstler, diejenigen, die Intellectual Property haben, die Forscher, die Unternehmen, die produzieren, in direkten Kontakt ohne Intermediär mit Nutzerinnen und Nutzern und Kunden und Kundinnen zu bringen. Und das ist natürlich revolutionär, wenn das passiert, und wird viele, viele Geschäftsmodelle auf den Kopf stellen.
Carsten Roemheld: Zukunft, das sagte mir der Physiker Armin Grunwald in einem der ersten Gespräche dieses Jahres, ist eben keine lineare Fortschreibung der Gegenwart — wir stellen sie uns nur meist so vor. Daran musste ich in dem Gespräch mit Isabell Welpe mehrfach denken. Wenn Sie es nachhören, wissen Sie sicher, warum.
Bleiben wir gespannt, erwartungsfroh und zukunftsoffen. Und bleiben wir im Gespräch. Wenn Sie jetzt Lust auf eine der Podcast-Folgen bekommen haben, finden Sie in den Anmerkungen einen Link zu allen Episoden aus dem Jahr 2021. Und wenn Sie die Zukunft mitgestalten wollen, dann schreiben Sie mir doch, mit wem und über welche Themen ich 2022 dringend sprechen sollte.
Ich danke an dieser Stelle noch einmal allen, die sich im vergangenen Jahr die Zeit für gemeinsame Gespräche genommen haben, und allen, die zugehört haben. Das hat großen Spaß gemacht. Und ich freue mich jetzt schon auf den Austausch mit Ihnen. 2022 kann kommen!
Ihr Carsten Roemheld.