Carsten Roemheld: Die Welt befindet sich im Umbruch. Die transatlantischen Beziehungen werden für Deutschland und Europa zunehmend komplizierter. China hat sich als globale Wirtschaftsmacht fest etabliert und steht verstärkt in Konkurrenz zum sogenannten Westen. Angesichts der aktuellen weltpolitischen Verschiebungen müssen wir, die Europäer, daher die Grundsatzfrage stellen: Mit wem können und wollen wir auf Dauer stabile Partnerschaften führen? Auf wen ist künftig Verlass, wenn die Beziehungen zu den USA immer instabiler werden? Und wo finden wir neue Verbündete für eine Handels- und Wertegemeinschaft? Um diese Fragen zu beantworten, werfen wir einen Blick auf den zweitgrößten Kontinent der Erde: Afrika. 1,4 Milliarden Menschen leben dort. Der Anteil der Staaten am weltweiten BIP betrug 2023 lediglich um die 5%. Auch wir in Deutschland haben mit Afrika rein wirtschaftlich bislang nicht viel zu tun. Der Anteil Afrikas am deutschen Handelsvolumen lag 2023 bei gerade einmal 2,1% und war 2024 sogar rückläufig. Zwischen der schieren Größe des Kontinents und seiner Wirtschaftskraft klafft also eine Lücke. Oder auch ein gewaltiges Potenzial. Wie groß sind die Chancen intensiverer wirtschaftlicher Beziehungen? Was steht ihnen im Weg? Und welche Regionen sind besonders attraktiv?
Darüber spreche ich heute mit Stefan Liebing. Er ist Geschäftsführer der Conjuncta GmbH, einer Unternehmensberatung und Projektentwicklungsgesellschaft mit Schwerpunkt in Afrika. Herr Liebing war zwölf Jahre Vorsitzender des Afrikavereins der deutschen Wirtschaft. Seit 2018 ist er Honorarkonsul der Republik Kamerun. Er lehrt an der Hochschule Flensburg und ist einer der Herausgeber des Praxishandbuchs "Wirtschaft in Afrika". Ein echter Landeskenner also. Heute ist der 21. März 2025. Mein Name ist Carsten Roemheld. Ich bin Kapitalmarktstratege bei Fidelity. Und ich freue mich sehr, Professor Stefan Liebing heute beim Fidelity Kapitalmarkt Podcast begrüßen zu dürfen. Herzlich willkommen!
Stefan Liebing: Vielen Dank für die Einladung.
Carsten Roemheld: Ja, wir freuen uns, dass Sie da sind. Und Sie kommen zu einer Zeit, in der auf der Welt ja ziemlich viel los ist. Die USA brechen gerade ein bisschen als verlässlicher Partner weg. Es ist kaum abzusehen, wie die Entscheidungen Trumps in seiner zweiten Amtszeit weiter verlaufen werden, welche Entscheidungen er in seiner Präsidentschaft noch treffen wird. Europa muss sich also deutlich umorientieren und sich neue Partner suchen. Welche Rolle könnte der afrikanische Kontinent dabei spielen?
Stefan Liebing: Also Sie haben vollkommen recht: Etwa die Hälfte der deutschen Wirtschaft hängt am Export. Und viele unserer traditionellen Partnermärkte werden schwieriger oder riskanter. Über Russland brauchen wir gar nicht zu reden. USA haben Sie angesprochen, China, auch im Nahen Osten sorgt die Krise natürlich für Fragezeichen bei deutschen Unternehmen. Das heißt, es bleiben auf der Welt nach dem Ausschlussprinzip eigentlich nur noch Südamerika, Zentralasien und Afrika, wobei Afrika deutlich größer ist als die anderen Regionen zusammen. Das heißt, es lohnt sich auf jeden Fall für deutsche Unternehmen zu diversifizieren und sich jetzt anzuschauen, was auf dem Kontinent passiert. Man muss aber gleich auch dazu sagen: Die Krisen der vergangenen Jahre sind auch an Afrika und an vielen Ländern dort nicht spurlos vorbeigegangen. Lebensmittelpreise, die gestiegen sind durch den Krieg Russlands in der Ukraine, die Auswirkungen von Corona, höhere Staatsverschuldung und Inflation sorgen auch dort für Schwierigkeiten. Man muss sich genau anschauen, welche Arten von Investitionen, welches Geschäftsmodell in welchem Land funktioniert. Aber dann, denke ich, ist es sozusagen Pflichtprogramm für die exportorientierten deutschen Unternehmen, den Kontinent genau anzuschauen.
Carsten Roemheld: Und jetzt wurde ja die Afrikanische Union vor zwei Jahren schon offiziell in die Gruppe der G20 aufgenommen. Das ist auch sicherlich ein Zeichen dafür, dass der globale Süden eine immer wichtigere Rolle spielen wird in der Weltpolitik und in der globalen Wirtschaftslage. Das sehen Sie wahrscheinlich auch so?
Stefan Liebing: Ja, ich glaube, gerade Afrika tut das auch schon. Wir sprechen über 54 Nationen, doppelt so viele, wie die Europäische Union hat. Und das heißt übrigens auch doppelt so viele Stimmen in internationalen Organisationen. Und viele dieser Länder sind weiterhin grundsätzlich dem multilateralen Wertesystem verpflichtet. Das sieht man schon daran, dass große internationale Organisationen wie die Weltgesundheitsorganisation WHO oder die Handelsorganisation WTO oder auch die Arbeitsorganisation - das sind ja alles Unterorganisationen der UN - alle von Afrikanern geführt werden inzwischen. Also auch die Afrikaner koordinieren sich, und ich denke, es gibt eine große Chance, dass der Bereich Europa gemeinsam mit Afrika so eine Art Mittelmacht darstellen könnte derer, die dem multilateralen, dem regelbasierten System vielleicht noch am stärksten verpflichtet sind.
Carsten Roemheld: Und genau das wollte ich jetzt noch mal fragen, wenn Sie sagen, dem Wertesystem verpflichtet sind: Kann man in Afrika überhaupt als homogene Staatengemeinschaft betrachten, es gibt ja natürlich sehr viele unterschiedliche Länder in Afrika. Also inwieweit muss man da gewisse Differenzierungen vornehmen, wenn man den Kontinent als solchen betrachtet?
Stefan Liebing: Das muss man unbedingt. Ich glaube aber trotzdem, dass es grundsätzliche Ansätze gibt, mehr zusammen zu machen zwischen Europa und Afrika. Ob das ein gemeinsames Auftreten in internationalen Organisationen ist, ob das möglicherweise auch stärkere Zusammenarbeit mit Freihandelsabkommen ist oder beim Handel mit CO2-Zertifikaten. Ich glaube, da kann man schon noch einiges tun. Aber Sie haben natürlich recht: So wenig ich eine vernünftige Antwort geben kann, wenn mich jemand fragt, wie es in Europa ist, weil Sie zwischen Stockholm und Palermo wahrscheinlich unterschiedlich draufschauen würden, so wenig können Sie das bei noch mal doppelt so vielen Ländern, die wir in Afrika haben. Da muss man genau hinschauen. Es gibt einige der reformorientiertesten, sehr integer geführten Länder der Welt. Es gibt aber auch einige der korruptesten Länder der Welt. Wir haben einige der ärmsten Volkswirtschaften und wir haben, zumindest wenn es nach Pro-Kopf-Einkommen geht, auch durchaus sehr reiche Länder, die aus den Öleinnahmen ihren Reichtum füttern. Insoweit gibt es da jede Menge Unterschiede. Natürlich. Wir haben über 3000 verschiedene Sprachen auf dem Kontinent. Und deshalb sage ich ja, man muss sich genau anschauen, was man wo, in welchem Teil und in welcher Region machen kann. Aber ich glaube, es gibt eine gute Basis dafür, dass wir als Europäer und als Deutsche etwas genauer auf den Kontinent schauen.
Carsten Roemheld: Jetzt ist ja die EU mit den Mitgliedstaaten immer noch der größte Geldgeber Afrikas. Aber der Einfluss des Westens schwindet relativ deutlich. Das hat man auch bei einigen Entscheidungen gesehen, als es zum Beispiel um die Verurteilung des russischen Angriffskrieges ging. Da haben nur 51% der afrikanischen Staaten diesen Angriff verurteilt im Gegensatz zu 80% der nicht-afrikanischen Staaten. Woran machen Sie das fest? Ändert sich da gerade was? Hat es auch damit etwas zu tun, dass der Einfluss von Europa schwindet? Oder ist es so, dass es globale Alternativen gibt und mit China und Russland zwei Nationen da sind, an denen sich die afrikanischen Staaten neuerdings eher orientieren?
Stefan Liebing: Also mein Eindruck ist, dass man hier ein bisschen trennen muss. Das eine ist die ganz konkrete Frage: Russland-Ukraine. Da haben viele afrikanische Regierungen sich positioniert, indem sie gesagt haben, wir wollen uns neutral verhalten. Wir legen Wert auf die Tatsache, dass Frieden entsteht. Wir wollen eigentlich lieber versuchen, die Kriegsparteien zusammenzubringen und Verhandlungen zu moderieren. Und deshalb hat sich ein Großteil enthalten. Es gab wenige, die gegen die Resolutionen gestimmt haben.
Aber generell ist es natürlich schon so, dass die afrikanischen Staats- und Regierungschefs ein neues Selbstbewusstsein bekommen haben über die vergangenen Jahre. Das hat natürlich auch damit zu tun, dass ihre Rolle in der internationalen Politik wichtiger geworden ist. Aber vor allem auch damit, dass viele afrikanische Länder ja weiterhin Entwicklungsländer sind und es deshalb für die Regierungen am wichtigsten ist, dass internationale Partnerschaften ihnen dabei helfen, dass sie für ihre wachsende Bevölkerung Jobs schaffen können. Das ist bei ganz vielen - und ich habe fast alle Staatspräsidenten des Kontinents irgendwann mal kennengelernt in den vergangenen Jahren - das Thema Nummer eins. Weil sie wissen: Die wachsende junge Bevölkerung, das sind Menschen, die aus der Ausbildung kommen, die dann einen Job brauchen, da sie, wenn sie keinen finden, sich möglicherweise auf die gefährliche Route übers Mittelmeer machen oder unruhig werden und Unruhen auslösen. Und man hat in Afrika eben gelernt, dass man durchaus auch mit China oder früher mit Russland zusammenarbeiten konnte, wenn es darum ging, ausländische Investitionen ins Land zu holen, schnelle Entscheidungen zu bekommen, Infrastruktur gemeinsam zu bauen, damit diese Jobs entstehen. Jobs, die für die Gesellschaften so wichtig sind. Und da war Europa leider auch in den Jahren des starken Wirtschaftswachstums, die wir hinter uns hatten, häufig sehr vorsichtig, um nicht zu sagen: manchmal ein bisschen abweisend und ich will nicht sagen arrogant. Aber es ist doch der Eindruck entstanden, dass wir von oben herab aufgetreten sind.
Vielleicht kann man es am schönsten mit einem Zitat zum Ausdruck bringen, das die Generaldirektorin der Welthandelsorganisation vor einigen Jahren vor den deutschen Botschaftern in einer Rede verwendet hat. Die Dame ist frühere Finanzministerin von Nigeria und jetzt eben in Genf tätig. Und sie hat sinngemäß gesagt: Wissen Sie, wenn wir mit den Vertretern von China sprechen, bekommen wir anschließend einen Flughafen. Wenn wir mit den Vertretern von Deutschland sprechen, bekommen wir eine Vorlesung. Und ich finde, das beschreibt ganz gut, wie die Wahrnehmung ist. Und deshalb finde ich, kann man es afrikanischen Regierungen nachsehen, wenn sie zumindest auch gleichberechtigt mit denen sprechen, die über Flughäfen, Investitionen, Arbeitsplätze mit ihnen reden und nicht nur über Entwicklungshilfe und Werte.
Carsten Roemheld: Also ist der Eindruck richtig, dass China in der Annäherung an Afrika einiges besser gemacht hat in letzter Zeit und dass sie deshalb wahrscheinlich jetzt eine bessere Ausgangssituation haben? Afrika ist ja nicht nur politisch und von der Größe der Bevölkerung interessant, sondern sicherlich auch ein Land mit großen Rohstoffvorkommen, mit großen Bodenschätzen und ähnlichen Dingen, die sich lohnen, in eine Zusammenarbeit einzubringen. Ist China cleverer vorgegangen aus Ihrer Sicht?
Stefan Liebing: Ja, ich glaube schon. Es gibt sicherlich viele Dinge, die wir nicht von China lernen und imitieren wollen. Wenn es um die Frage geht, wie man lokale Wertschöpfung schafft, lokale Arbeitsplätze, wenn es vielleicht manchmal um die Qualität geht von Bauprojekten oder solchen Dingen. Aber der wesentliche Unterschied ist, dass in China die Regierung natürlich sehr stark die Strategie vorgibt und dann auch Garantien ausspricht für private Tätigkeiten. Also: Wenn Sie als chinesisches Privatunternehmen in Afrika etwas machen und das geht schief, dann passt die Regierung auf Sie auf und hilft Ihnen und erstattet Ihnen mögliche Schäden und Risiken. Und da sind wir in Deutschland sehr viel vorsichtiger. Das heißt, ich glaube, was wir tatsächlich von den Chinesen in der Vergangenheit lernen konnten, ist die enge Koordination zwischen Regierung und Privatsektor. Da reden wir manchmal nicht so eng miteinander in Deutschland. Und zum anderen die Bereitschaft, für große Projekte auch staatliche Garantien zu geben und damit die Finanzierung durch private Banken viel leichter zu machen, weil es eben Bürgschaften und so etwas gibt.
Und wenn sie das tun, dann glaube ich, würde man in Afrika noch lieber mit uns Deutschen arbeiten. Weil wir eigentlich einen sehr guten Ruf haben und als sehr vertrauenswürdig und zuverlässig gelten. Aber wir kommen eben in der Regel ohne diese Parameter, die andere mitbringen. Und deshalb spricht man schon gerne mit China. Und jetzt muss ich noch einen Satz sagen, der mir wichtig ist. Denn dieses Klischee von der starken Präsenz Chinas in Afrika, das hat sich in den vergangenen Jahren verändert. Wenn Sie sich die Daten mal genau anschauen, werden Sie feststellen, dass seit der Corona-Krise die Vergabe chinesischer Kredite an Afrika massiv eingebrochen ist. Ich will nicht sagen, zum Erliegen gekommen ist, aber massiv zurückgegangen ist. Die Anzahl der chinesischen Arbeiter in Afrika auf Baustellen hat sich halbiert seit Corona. Also man sieht, dass China wegen der inländischen wirtschaftlichen Herausforderungen sich von vielen dieser großen internationalen Projekte eher zurückzieht. Da entsteht eine Lücke, die Deutschland nutzen könnte. Aber wir müssen eben bereit sein, dann auch die entsprechenden Risiken zu tragen. Und das wird wahrscheinlich nicht nur der Mittelstand allein können, sondern möglicherweise braucht es da ein bisschen mehr proaktive Unterstützung der Bundesregierung.
Carsten Roemheld: Und darauf wollen wir jetzt genau zu sprechen kommen und uns die Frage stellen, wie das in Zukunft vielleicht aussehen kann. Jetzt hat die Bundesregierung die afrikapolitischen Leitlinien überarbeitet, und dort heißt es unter anderem, dass Afrika sich immer mehr zu einem Gravitationszentrum in einer multipolaren Welt entwickelt. Auch der Völkermord an den Herero und Nama in Namibia wird sogar explizit thematisiert darin. Also war das aus Ihrer Sicht ein erster Schritt oder eine wichtige Voraussetzung, dass diese Leitlinien überarbeitet wurden?
Stefan Liebing: Also ganz ehrlich glaube ich, dass solche Papiere nur eine begrenzte praktische Wirkung in der Politik haben. Denn die Situation war vor dem Beschluss eines neuen Strategiepapiers nicht anders als danach, was die deutsch afrikanischen Beziehungen angeht. Und ich glaube, ich habe in der Zeit, in der ich mich intensiv mit dem Kontinent beschäftige, mindestens auch schon drei oder vier solche Strategieprozesse erlebt. Nichtsdestotrotz ist es immer wieder eine gute Gelegenheit, die dafür sorgt, dass der Nachbarkontinent ein bisschen stärker in den Fokus der Öffentlichkeit gerät. Und man kann die Veröffentlichung solcher Leitlinien, was auch immer da im Detail drinsteht, nutzen, um auch im deutschen Mittelstand etwas mehr Aufmerksamkeit zu generieren dafür, was tatsächlich möglich ist. Ein bisschen enttäuschend sind die Leitlinien insoweit, als sie fast eher den, ich sage einmal traditionellen Umgang mit Afrika fortschreiben. Da steht viel drin über Menschenrechte, über Entwicklungshilfe, natürlich auch über die Frage, wie wir diese furchtbaren Verbrechen aus der Kolonialzeit behandeln und damit umgehen wollen. Das ist alles richtig. Aber was häufig fehlt, ist eben das, was wirklich der afrikanischen Seite am allerwichtigsten ist. Nämlich: Wie schaffen wir eigentlich vor Ort Jobs, Wachstum, eine Perspektive für die jungen Leute in unseren Gesellschaften?
Carsten Roemheld: Also weniger Papiere schreiben, mehr praxisorientiert vorgehen ist wahrscheinlich die Devise. Da sind die Deutschen vielleicht typischerweise nicht ganz so gut drin. Jetzt haben Sie vorhin schon gesagt, es ist ein sehr heterogener Kontinent mit 54 Staaten. Einige sind mehr, andere vielleicht weniger vielversprechend für eine wirtschaftliche Zusammenarbeit auch mit Deutschland. Welche Chancen sehen Sie denn konkret? Und welche Länder würden Sie jetzt als besonders dynamisch in der Entwicklung und in der Möglichkeit der Zusammenarbeit bezeichnen?
Stefan Liebing: Das ist ganz, ganz schwierig so pauschal zu sagen. Nicht nur, weil wir eben über 54 Länder sprechen, sondern weil das auch für jedes Geschäftsmodell und jeden Sektor individuell zu betrachten ist. Also: Ich mache sehr viel mit Infrastruktur, erneuerbare Energie, Wasserstoff beispielsweise. Und wenn Sie sich anschauen, dass Afrika zwar immer das Klischee hat, dass es tolle Sonnen- und Windverhältnisse gibt, was die Energie angeht, dann ist es doch so, dass so viele technische Voraussetzungen zusammentreffen müssen, dass für die Erzeugung von grünem Wasserstoff nur eine Handvoll der 54 Länder überhaupt infrage kommen. Und deshalb hilft es überhaupt nichts, wenn ich Ihnen jetzt sage, dass ich ein Land besonders spannend und dynamisch und politisch gut geführt finde, weil es eben immer von der individuellen Geschäftsidee oder vom Geschäftsmodell abhängt. Wir haben gerade ein Team in Malawi, das ein Solarkraftwerk mit 50 Megawatt diskutiert. Malawi ist eines der ärmsten Länder der Welt, hat sicherlich auch große Herausforderungen, nicht nur wirtschaftlicher, sondern auch politischer Art. Und trotzdem halte ich das für eines der spannendsten Länder, was erneuerbare Energie angeht. Die Bedarfe sind groß, die Währung ist stabil genug, sie können einen auskömmlichen Tarif verhandeln, die Regulierung funktioniert und so weiter.
Und trotzdem, wenn Sie mich jetzt allgemein nach dynamischen Ländern fragen, würde ich Malawi wahrscheinlich nicht dazu rechnen. Mir fällt ein, dass wahrscheinlich zwanzig - eher noch mehr - deutsche Automobilzulieferer inzwischen Produktionsanlagen in Marokko entwickelt haben. Wir sehen dort, dass sehr viel Diversifizierung stattfindet, nach den Corona-Erfahrungen parallele Wertschöpfungsketten aufzubauen, damit im Fall einer Unterbrechung nicht alles zum Erliegen kommt. Da ist Nordafrika und vor allem Marokko spannend. Wir sehen sehr hohe Stabilität und viel Dynamik in der Elfenbeinküste. Angola gehört weiterhin zu den starken Ländern. In Ostafrika gibt es eine spannende Entwicklung, weil es dort sehr viele IT-Experten gibt und ganze Start-up- und IT- Hubs und -Zentren. Es gibt eine ganze Reihe von deutschen Unternehmen, die inzwischen in Ruanda oder Kenia Software programmieren lassen mit eigenen Tochtergesellschaften. Also Automobilzulieferer, die diversifizieren, Wasserstoff und erneuerbare Energie, IT-Outsourcing. Ich glaube, auch im Gesundheits- und Krankenhausbereich gibt es die eine oder andere Chance. Vielleicht kann man es mal so zusammenfassen. Und alles weitere muss man wirklich im Einzelfall je nach Sektor, Geschäftsmodell und Anforderungen an die Finanzierung dann anschauen.
Carsten Roemheld: Das sind sehr vielversprechende Sektoren, die da involviert sind. Es fällt auf, dass im Vergleich zu anderen Regionen deutsche Unternehmen relativ wenige Direktinvestitionen in Afrika vornehmen. Was ist aus Ihrer Sicht der Grund dafür? Was hemmt die Zusammenarbeit in dieser Beziehung?
Stefan Liebing: Also Deutschland hat etwa 13 Milliarden in Afrika investiert, allerdings die Hälfte davon in Südafrika allein und nochmal 40% in den nordafrikanischen Ländern, so dass eigentlich für die knapp 40 Länder dazwischen nichts mehr übrigbleibt. Woran liegt das? Ich glaube, da gibt es mehrere Faktoren: Das erste ist, dass Deutschland per se erstmal eine sehr stark exportorientierte Wirtschaft hat. Wir sind aber deshalb nicht unbedingt besonders stark darin, auch im Ausland zu produzieren und erst recht in Entwicklungsländern, wo wir häufig nicht über Hightech sprechen. In Äthiopien entsteht eine riesige Textilindustrie. Aber es gibt kaum deutsche Unternehmen, die im Ausland in Textilfabriken investieren. Möglicherweise kaufen wir die Produkte und möglicherweise liefern wir auch einige der Maschinen dorthin. Aber das zählt dann natürlich in die Handelszahlen und nicht in die Investitionen.
Insgesamt glaube ich, dass wir mit dem sonst so gelobten und hilfreichen Mittelstand in diesem Fall eher ein bisschen einen Nachteil haben, weil Familienunternehmen des Mittelstands natürlich erstmal vorsichtiger sind, konservativer sind, auch keine so hohen Risiken eingehen können wie ein großer Konzern. Wenn Sie Volkswagen heißen und in Ruanda ein kleines Werk aufmachen und das geht schief, dann zerstört ihnen das nicht die Bilanz der Holding. Wenn Sie Mittelständler im Schwarzwald sind und ihr einziges weiteres Werk in Afrika aufmachen, ist das Risiko natürlich viel, viel größer. Und deshalb glaube ich, dass man diese Vorsicht am besten überwinden kann, indem wir zumindest für Anschubprojekte etwas stärker staatliche Bürgschaften und Garantien abgeben. Und dann wird man sehen, dass viele dieser Bürgschaften niemals notleidend werden, dass man die gar nicht braucht. Aber es hilft eben den Banken und den Familienunternehmen, diesen ersten Schritt zu machen, bis sie mal gelernt haben, dass es vielleicht doch stabiler und zuverlässiger zugeht, als man nach der allgemeinen Medienberichterstattung so denkt.
Und schließlich gibt es vielleicht auch noch einen weiteren Aspekt: Wenn ich mit Freunden in Frankreich, in England, selbst in Italien spreche, dann gibt es dort eine viel höhere Verbreitung von Wissen über die afrikanischen Länder, allein schon durch die längere gemeinsame Geschichte, auch durch größere Diaspora und so weiter. Wir waren einfach lange nicht präsent und wissen deshalb auch gar nicht so genau, was passiert. Um nur ein Beispiel zu geben: Wir hatten ja vor vielen Jahren den Ebola-Ausbruch in Westafrika Und ich kann mich erinnern, dass in der Zeit Familienunternehmer bei mir angerufen haben und gesagt haben: „Können wir unsere Mitarbeiter noch nach Johannesburg schicken? Weil: In Afrika ist ja Ebola.“ Und das hat erst aufgehört, als ich ihnen vorgerechnet habe, dass Monrovia, wo Ebola ausgebrochen ist, dass das näher an München liegt geografisch als an Johannesburg. Der Kontinent ist ja riesig.
Deshalb glaube ich, dass dieses grundlegende Wissen fehlt, so dass, wenn sie in der Tagesschau sehen, dass es irgendwo in Afrika Unruhen gibt, dann glauben, dass auf dem Kontinent was nicht in Ordnung ist. Das müssen wir schaffen, das ist bei uns weniger ausgeprägt als in Nachbarländern. Und ich behaupte, am besten lässt sich das schaffen, indem man kleine Projekte erfolgreich umsetzt. Und dass die Unternehmer, die dort erfolgreich sind, es sind ja immerhin über 1000 deutsche Unternehmen in Afrika schon investiert, dann hier darüber sprechen und andere mitziehen.
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Carsten Roemheld: Die Voraussetzungen sind jedenfalls gut. Und Sie haben recht. Natürlich, über staatliche Bürgschaften ließe sich ein relativ pragmatisches Instrument dort einsetzen, um eben einfach mehr Dynamik in den Prozess reinzubekommen. Sie hatten eben schon so ein paar kleine Unterschiede genannt, die vielleicht Afrika unterscheiden von anderen aufstrebenden Märkten wie Asien oder Lateinamerika. Vielleicht können Sie den Punkt noch etwas ausweiten: Was glauben Sie in Bezug auf die wirtschaftliche Zusammenarbeit, sind die größten Unterschiede, die Afrika hier aufweist?
Stefan Liebing: Also zunächst mal: Wenn sie nach China gehen und dort etwas machen, dann haben sie natürlich schon Strukturen, die wesentlich stabiler und zuverlässiger funktionieren. Verwaltungsstrukturen etwa. Das macht es sicherlich einfacher. Sie haben zum anderen einen Markt, der, was die Bevölkerung angeht, ungefähr gleich groß ist wie alle 54 afrikanischen Länder zusammen. Was da hilft, ist, dass diese 54 Länder sich gerade zu einer Freihandelszone zusammengeschlossen haben. Also es wird ein kontinentaler Markt entstehen. Aber das dauert alles noch. Und deshalb ist es heute noch so, dass das alles viel stärker fragmentiert ist und für jedes Land ein Visum und Zollpapiere benötigt werden, wenn sie über die Grenze fahren und haben unterschiedliche Standards, ob sie in einem französischsprachigen westafrikanischen Land Autos importieren oder Maschinen oder das in Südafrika machen. Also insoweit gibt es da sicherlich noch eine Reihe von Unterschieden. Auf der anderen Seite hat vor vielen Jahren mal ein Journalist ein Buch herausgebracht mit dem Titel: Afrika ist das neue Asien.
Deshalb glaube ich, dass es eben vielleicht mehr Gemeinsamkeiten gibt, als man so denkt. Und der afrikanische Kontinent die nächste Region der Welt ist, die vor einem großen wirtschaftlichen Aufschwung stehen könnte, wenn denn alle Parteien das Richtige tun. Und dazu gehören die Regierungen in Afrika. Dazu gehören ausländische Investoren, dazu gehören aber auch die Bundesregierung, die ein bisschen weg muss von traditioneller Entwicklungshilfe und die eben, wie schon angerissen, die passenden Unterstützungsinstrumente bereitstellen muss. Ich will Ihnen nur noch ein Beispiel nennen, weil wir viel über Klimaschutz zurzeit auch sprechen. In Afrika haben 60% der Menschen keinen Zugang zu Strom momentan. Wenn Sie sich vorstellen, dass mit zunehmendem Wirtschaftswachstum diese Nachfrage steigt, dann entscheidet sich aus meiner Sicht die Frage, ob wir mit dem Klimawandel vernünftig klarkommen, nicht an der Frage, ob wir in Deutschland noch ein paar Häuser dämmen, sondern an der Frage, ob dieser Strombedarf durch chinesische Kohlekraftwerke gedeckt wird oder durch Erneuerbare Energien aus Deutschland. Wenn ich aber heute in Afrika ein Solarkraftwerk bauen will und investieren will, dann muss ich den Strom ja an eine Regierung verkaufen, an ein staatliches Energieunternehmen, was den dann an die Endkunden verteilt. Und jetzt versuchen Sie mal, in Frankfurt zu einer Bank zu gehen und dort zu sagen: Ich brauche 50 Millionen, weil ich ein Solarkraftwerk bauen will. Und meine Sicherheit ist die Garantie, dass der Stromversorger von Mosambik jeden Monat die nächsten 20 Jahre immer brav seine Stromrechnung zahlt. Das haben die nämlich unterschrieben. Wenn Sie mit so einer Idee zu einer Bank in Frankfurt gehen, dann zeigen die Ihnen, wo der Betriebspsychologe sitzt, aber nicht der Kreditsachbearbeiter.
Die Bank würde das übrigens oft sogar gern machen, darf aber nicht wegen der Bankenregulierung, weil die Risiken da sehr begrenzt sind, die sie eingehen können. Wenn diese Bank jetzt eine Zusage der Bundesregierung hätte: Für den Fall, dass der Energieversorger seine Stromrechnung nicht brav bezahlt, dann springen wir ein und holen uns das vor Ort wieder, so ähnlich wie Hermes. Wenn wir solche Instrumente schaffen würden, dann könnte die deutsche Energiewende zum Exportschlager werden, hier Arbeitsplätze schaffen. Nur: Bürgschaften funktionieren aber eben nur für Handelsgeschäfte, nicht für Investitionen. Damit könnten wir dann dafür sorgen, dass keine Kohlekraftwerke gebaut werden. Solche Dinge müssten wir jetzt neu denken. Wir haben oft versucht, das mit der Bundesregierung zu besprechen, aber es hat bisher nicht so richtig funktioniert. Jetzt sind wir mitten in Koalitionsverhandlungen. Vielleicht klappt es diesmal besser.
Carsten Roemheld: Ich hoffe sehr darauf. Denn das klingt wirklich nach einem sehr spannenden und interessanten Ansatz, den wir alle auch gut gebrauchen könnten. Jetzt wollen wir noch einmal kurz zum Thema Demokratie und Menschenrechte kommen, was in der Vergangenheit ja immer eine große Rolle gespielt hat, aber bei dem Blick auf die neuen Leitlinien eine etwas untergeordnete Rolle spielt. Die Bundesregierung hat eingeräumt, dass sie auch mit Staaten kooperieren möchte, jetzt auch in Afrika, deren Werte Deutschland nicht in vollem Umfang teilt. Autokratischen Tendenzen will man mit offenem Dialog begegnen. Was halten Sie denn von diesem Ansatz?
Stefan Liebing: Also ich glaube, das ist richtig. Irgendein Politiker, ich kann mich jetzt nicht mehr erinnern, wer das war, hat mal gesagt zu diesem Thema: Wenn wir nur mit Staaten sprechen würden, die all unsere Werte teilen und mit denen, in denen es genauso gut läuft wie hier, dann wären wir ziemlich allein auf der Welt. Das heißt: Zunächst mal haben Staaten Interessen und ich glaube fest daran, dass sich auch der wirklich hervorragend ausgebildete Partner in Afrika nicht gern von oben herab belehren lassen will mit erhobenem Zeigefinger.
Ich glaube aber auch daran, dass Erfolg Vorbildwirkung haben kann. Stellen Sie sich mal vor, wir sind in einem Land, in dem die Arbeitsstandards nicht wirklich gut eingehalten werden: Sicherheitsstandards, Umgang mit Mitarbeitern. Und jetzt baut ein deutscher Familienunternehmer dort eine Fabrik. Der wird diese Standards einhalten, so wie er das aus Deutschland auch kennt, weil er weiß, dass er seine Qualität nur halten kann, wenn er gute Leute hat und gut mit ihnen umgeht. Was glauben Sie, was der Wettbewerb am Arbeitsmarkt auslösen würde, wenn alle plötzlich dort einen Job haben wollen und den anderen Firmen davonlaufen? Das heißt, die anderen müssen nachziehen und müssen auch bessere Standards anbieten, wenn sie gute Leute bekommen wollen.
Deshalb glaube ich an solche Mechanismen: einfach vorleben. Und ich bin mir auch sicher, dass Wirtschaftswachstum positive Auswirkungen auf die Entwicklung von Demokratien hat. Wenn die Leute erst mal sicher sein können, dass sie jeden Tag etwas zu essen haben, dann haben sie auch die Mittel für Bildung. Und Bildung ist die Voraussetzung dafür, dass man sich mit Politik beschäftigt. Und dann wird man irgendwann mehr Einfluss und mehr Demokratie einfordern. Das wird sich in Schritten entwickeln. Es war ja auch bei uns nicht so, dass wir an Tag Eins in Deutschland perfekte Demokraten hatten, sondern das ist im Lauf der Zeit entstanden. Und wenn es nun so ist, dass die wirtschaftliche Entwicklung in vielen afrikanischen Ländern hinterher ist, dann müssen wir vielleicht einfach auch zugestehen, dass Dinge, die bei uns vor 50 Jahren oder vor 100 Jahren noch anders waren, eben heute auch noch in einem Änderungsprozess in Afrika sind.
Wie gesagt, ich möchte das gar nicht bewerten. Es gibt da ganz tolle Unternehmer, tolle Wissenschaftler, tolle Gesprächspartner, zu denen wir aufschauen können. Die, von denen wir viel lernen können. Ich möchte die nicht belehren. Ich möchte einfach, dass wir Dinge tun, die uns beide gemeinsam voranbringen. Und daraus entsteht, glaube ich, eine Sogwirkung, dass es dann auch dort besser wird. Deshalb glaube ich, es wäre ganz falsch, nicht mit schwierigen Gesprächspartnern zu reden. Denn wenn wir mit denen nicht reden, dann arbeiten sie nur mit denen zusammen, die sie empfangen. Und sie können sich vorstellen, wer das dann sein wird.
Carsten Roemheld: Da stimme ich Ihnen vollkommen zu. Vielleicht kommen wir im letzten Themenblock mal auf die Möglichkeit, wie eine Zusammenarbeit in Zukunft dann aussehen kann, welche Weichen dafür gestellt werden müssen. Sie haben schon einiges genannt, glaube ich. Aber was muss denn noch passieren aus Ihrer Sicht, damit Deutschland und die afrikanischen Staaten noch besser zusammenarbeiten können?
Stefan Liebing: Also zunächst mal ich bin überzeugt, dass der Anfang in erfolgreichen gemeinsamen Investitionsprojekten liegen muss. Wenn wir es schaffen, dass gute Arbeitsplätze entstehen in Afrika, dass die Menschen ein vernünftiges Einkommen haben, dann wird ganz viel an Entwicklung aus eigener Kraft entstehen. Wenn junge Familien ein festes Gehalt haben, dann können sie für Gesundheit bezahlen und für Strom und sauberes Wasser und Bildung für die Kinder. Wenn aber diese Kaufkraft da ist, dann wird dieses Angebot entstehen. Es gibt auch private Hochschulen aus Deutschland, die in Afrika Niederlassungen haben. Und wenn wir diesen Schritt gegangen sind, dann braucht es parallel dazu vor allem Unterstützung im Bereich Bildung und im Bereich Infrastruktur.
Aber das muss dann nachfrageorientiert geschehen. Ich kann mich erinnern, dass ich mal in Äthiopien war, und da hat man mir stolz erzählt, dass Deutschland eine ganze Reihe von neuen Universitäten aufgebaut hat. Mein Gesprächspartner hat dann nachgefragt und gesagt: Bedeutet das nicht, dass wir aus 45.000 Arbeitslosen Nicht-Akademikern pro Jahr künftig 45.000 arbeitslose Akademiker machen? Also: Ich glaube, auch Bildung muss dann so konzipiert sein, dass sie die Nachfrage dieser Arbeitgeber bedienen kann. Es hilft ja nichts, mit Verlaub, wenn wir nur Soziologen ausbilden, aber Schweißer brauchen. Und deshalb muss das Hand in Hand gehen – oder vielleicht sogar eine Folge der wirtschaftlichen Schritte sein: Bildung und die notwendige Infrastruktur.
Kollegen von uns bauen in Namibia ein großes Wasserstoffprojekt. Dazu brauchen sie einen Hafen, mit dem sie diesen Wasserstoff verladen und exportieren können. Das heißt, Entwicklungspolitik muss lernen, die Partnerländer in Dingen zu unterstützen, die ihnen am Ende wirtschaftliche Betätigung und wirtschaftliches Wachstum ermöglichen. Und der vielleicht letzte Punkt dann ist, auch das habe ich schon angedeutet: Ich glaube, wir müssen schauen, dass wir mehr voneinander wissen. Das sind ganz banale Dinge: Wie viele Unternehmer waren denn schon mal wirklich in Afrika unterwegs und haben sich das angeschaut? Dann wüssten Sie, dass Addis Abeba mehr Hochhäuser im Bau hat, mehr Wolkenkratzer im Bau hat als in ganz Hamburg stehen. Also man sieht einfach andere Dinge. Wenn Sie etwa durch Nairobi spazieren, hatte ich noch nie das Problem, dass Videokonferenzen auf dem Mobiltelefon unterbrochen wurden, wie das in Berlin an jeder Ecke der Fall ist. Und deshalb, glaube ich, ist es ganz wichtig, dass man die Klischees, die wir hier mit uns herumtragen, die vor 30 Jahren wahrscheinlich auch gestimmt haben, dass wir die aufbrechen. Und das geht nur, indem man hinfährt, sich das anschaut, miteinander redet, sich austauscht. Das ist auch einer der Gründe, weshalb ich im Ehrenamt versuche, an der Hochschule auch junge Menschen auszubilden zur Frage: Wie kann man Wirtschaftsprojekte in Afrika entwickeln?
Carsten Roemheld: Wie ist es denn umgekehrt? Was haben denn die Afrikaner, wenn man das pauschalisieren kann, für Erwartung oder für eine Stimmungslage gegenüber den Deutschen? Wir haben zum Beispiel zuletzt von Frankreich aus gesehen, dass sich da mehr und mehr eine anti-französische Stimmung breit gemacht hat in Afrika. Wie ist die Stimmung gegenüber Deutschland?
Stefan Liebing: Also ich glaube, das ändert sich auch gerade so ein bisschen. Deutschland hat bislang auf dem ganzen Kontinent eigentlich einen sehr guten Ruf genossen. Das ist vielleicht in Namibia ein bisschen anders, wo wir ja auch eine sehr schwierige Geschichte haben. Aber in vielen Ländern nimmt man Deutsche wahr als zuverlässig, vertrauenswürdig. Das sind Menschen, die mit hoher Qualität und guter Technologie kommen. Es gibt viele Afrikaner, die mir sagen, dass sie lieber ein gebrauchtes deutsches Auto kaufen als ein neues asiatisches, weil man immer noch das Gefühl hat, das läuft dann 20 Jahre.
Wenn ich in Kamerun unterwegs bin, weist man mich überall darauf hin, dass die Bauwerke, die die Deutschen vor über 100 Jahren als Kolonialmacht gebaut haben, dass die immer noch in Betrieb sind und gut funktionieren; und man ist da eigentlich stolz drauf. Momentan ändert sich das so ein bisschen, weil man in den vergangenen Jahren schon auch mitbekommen hat, was in Deutschland alles passiert. Ich hatte in der Corona-Zeit zum Beispiel Freunde aus Afrika, die plötzlich angerufen und gesagt haben, wenn wir erwartet hätten, dass das mit dem Impfen irgendwo reibungslos funktioniert und professionell organisiert ist, dann doch in Deutschland. Jetzt sehen wir, dass es in Südafrika möglicherweise besser geht als bei euch: Digitaler, weil wir nicht die Bürokratie haben, weil wir flexibel sind für neue Technologien, weil die Verwaltung online funktioniert und, und, und. Und da glaube ich, dass wir gerade dabei sind, möglicherweise ein bisschen einen Wechsel zu erleben. Man hat auch wahrgenommen, dass wir afrikanische Wahlen kritisieren, aber in Berlin Wahlen wiederholen müssen. Und stellt dann fest, dass das alles nicht so richtig zusammenpasst. Deshalb glaube ich: Noch ist die Stimmung ganz gut. Aber man erwartet jetzt von uns schon auch, dass wir liefern und nicht nur predigen.
Carsten Roemheld: Ich habe ja vorhin schon mal auf das Thema Rohstoffe hingewiesen. Sicherlich eines der Felder, in denen man wirtschaftlich am besten zusammenarbeiten kann. Denn Afrika verfügt über große Reserven an Kobalt, Diamanten, Platin, Uran und Ähnliches. Auch Gold und Chrom sind sehr wichtige Rohstoffe dort. Aber die afrikanischen Staaten wollen eigentlich ganz gerne die Rohstoffe selbst verarbeiten und damit dann unabhängiger werden von Exporten, während wir in Europa natürlich gerne den Zugang hätte zu den Rohstoffen. Wie kann man denn diesen Zielkonflikt auflösen?
Stefan Liebing: Das ist ganz interessant, weil ich mich in den vergangenen Jahren sehr intensiv mit genau dieser Frage beschäftigt habe. Und ich hatte dazu neulich mal einen Artikel veröffentlicht, gemeinsam mit einer Europaabgeordneten, der die Überschrift hat: Wer Rohstoffe will, muss fördern. Die Hauptschwierigkeit liegt aus meiner Sicht auf der deutschen Seite. Denn wir haben in ganz Deutschland eigentlich kein Unternehmen, dessen Geschäftsmodell es ist, in Minen im Ausland eigenes Geld zu investieren und die dann zu entwickeln und zu betreiben.
Der Kongo, die Demokratische Republik Kongo, ist berühmt für die Kobaltvorkommen, das wird häufig genannt. Wenn Sie sich das genauer anschauen, dann gibt es nach meinem Wissen dort derzeit 19 professionelle Kobaltminen. Davon gehören 15 den Chinesen und 4 gehören anderen internationalen Investoren aus typischen Bergbauländern: Australien, Brasilien und so weiter. Das, was dort rauskommt, ist dann sozusagen schon vergeben, nämlich an diejenigen, die diese Minen betreiben. Die nehmen dieses Material mit nach Hause und machen dort etwas. Das heißt: Wenn wir Zugang haben wollen, dann können wir entweder bei den Nationen anrufen, die diese Minen betreiben, dann sind wir wieder in Peking. Oder aber wir müssen parallel dazu etwas aufbauen.
Nur: Ich sehe momentan keine privaten deutschen Unternehmen, deren Geschäftsmodell das ist. Ich kenne kein deutsches Bergbauunternehmen, das in Afrika tätig sein will. Und ich hatte bestimmt in den vergangenen Jahren über 20 afrikanische Bergbauminister bei mir, die alle nach deutschen Investitionen in diesem Bereich gefragt haben, weil sie genau diese Notwendigkeit sehen und weil sie sagen, Deutsche wären tolle Partner. Da wissen wir die Sicherheitsstandards werden eingehalten, die kommen mit aktueller Technologie und so weiter. Da liegt das Problem auf unserer Seite. Wenn wir daran etwas ändern wollen, müssten wir eigentlich eher überlegen: Muss es auch eine Aufgabe des Bundes sein, Versorgungssicherheit herzustellen? Macht es zum Beispiel Sinn, eine Art von deutscher Bergbaugesellschaft zu gründen, angeschoben vom Bund, vielleicht auch mit Kapital großer Rohstoffabnehmer in Deutschland, die sich dann darum kümmert, solche Vorhaben im Ausland zu entwickeln? Momentan liegt es nicht an den Afrikanern. Sondern es liegt wirklich daran, dass bei uns überhaupt niemand so etwas machen würde.
Carsten Roemheld: Vielleicht zum Schluss noch mal die Frage nach Subventionen und den afrikanischen Unternehmen, die ja meistens dann auch darauf zurückgreifen und auch darauf angewiesen sind. Da fühlen sich ausländische Unternehmen gemäß den WTO-Grundsätzen dann jedenfalls teilweise benachteiligt und fordern eine gewisse Gleichbehandlung, auch wenn sie sonst vielleicht finanziell oder technologisch besser aufgestellt sind. Das könnte also bedeuten, dass ausländische Unternehmen die heimischen dann verdrängen können. Was ist aus Ihrer Sicht die die Lösung bei diesem Thema? Wie sollte man damit umgehen?
Stefan Liebing: Also zunächst mal gibt es ja Subventionen in beide Richtungen oder auch andere protektionistische Maßnahmen, Zölle etwa. Es gibt viele Unternehmen in Afrika, die sagen, wir brauchen einen Zoll, damit der billige Wettbewerber aus dem Ausland uns nicht kaputt macht im Markt. Das ist auch nachvollziehbar, weil wir wollen, dass die Industrie entsteht. Wir machen übrigens das Gleiche umgekehrt, indem wir in Europas Landwirtschaft Subventionen an unsere Betriebe verteilen, was dafür sorgt, dass die Produkte aus Afrika, die hierherkommen, nicht konkurrenzfähig sind, weil die eben diese Subventionen nicht bekommen. Also da könnte man drüber reden, ob wir vielleicht beides aufheben oder beides so lassen wollen.
Ich habe keine ganz gefestigte Meinung dazu, so sehr mir daran liegt, dass die kleine afrikanische Industrie nicht überrollt und geschützt wird. Stellen Sie sich mal zum Beispiel die Lebensmittelproduktion vor. Wenn wir Schutzzölle erheben, heißt es ja nichts anderes, als dass es für die Endkunden in Afrika teurer wird, weil sie die vielleicht günstiger herstellbaren Lebensmittel aus Europa nicht ohne Zoll bekommen können. Und ja, es gibt immer die Beispiele über die Hähnchenschenkel oder so, die dann aus Europa da tiefgekühlt nach Afrika gefahren werden. Kann man alles diskutieren. Aber die Grenze liegt natürlich dort, wo die Frage zur Überlebensfrage wird, ob die Menschen sich überhaupt etwas zu essen leisten können. Und dann ist es mir doch lieber, sie kaufen vielleicht die billigeren europäischen Lebensmittel, die dann ins Land kommen können, als dass sie sich die teureren, geschützten Lebensmittel der lokalen Industrie nicht leisten können.
Deshalb: Ich sehe beide Aspekte und bin deshalb immer ein bisschen hin- und hergerissen. Am Ende des Tages glaube ich, dass Freihandel ohne Zölle und Subventionen auf Dauer nachhaltiger und für alle vorteilhafter ist. Wir sehen ja gerade, was Herr Trump macht und dass das seiner eigenen Bevölkerung massiv schadet, wenn er solche Zölle erhebt. Ich glaube, es ist auch im Interesse der Afrikaner. Ich kann mir Ausnahmen vorstellen, um die lokale Wirtschaft am Anfang zu schützen. Aber wir müssen auch daran denken, dass die Endkunden eben oft arm sind. Und spätestens, wenn es dann um Ernährung oder um Gesundheitsversorgung geht, müssen wir aufpassen, dass wir nicht aus gut gemeinten Gründen diese Dinge unnötig künstlich verteuern für die Menschen in Afrika.
Carsten Roemheld: Zölle, Sie haben es richtig gesagt, sind auf Dauer sicherlich kein gutes Instrument, um die weltweite Handelssituation zu verbessern. Deswegen schauen wir da noch mal hin. Also, ich fasse noch mal zusammen Wir haben einen Kontinent vor uns der sehr, sehr spannend ist, der sehr viele Möglichkeiten bietet, die es weiterhin zu entwickeln gilt, mit dem es auch pragmatischer zusammenzuarbeiten gilt. Und die wichtigste Voraussetzung ist sicherlich, dass die Politik auch die Grundlagen legt dafür und vielleicht ein bisschen wirtschaftliche Sicherheit gewährleistet, damit Unternehmen sich stärker in Afrika engagieren können und den Dialog weiter fördern können. Herr Professor Liebing, vielen, vielen Dank für Ihre Einschätzung. Das war ein sehr spannendes Gespräch. Ich habe wieder viel gelernt und ich hoffe, das gilt auch für unser Publikum. Also danke noch mal für Ihren Beitrag.
Stefan Liebing: Sehr gerne! Danke Ihnen für die Einladung.
Carsten Roemheld: Und auch Ihnen, liebe Zuhörerinnen und Zuhörer, herzlichen Dank für Ihr Interesse. Ich hoffe, Sie konnten heute wieder ein paar Gedanken mitnehmen und ich würde mich sehr freuen, wenn wir uns bei der nächsten Ausgabe oder bei einem der vielen anderen Formate von Fidelity wiedersehen würden.
Herzliche Grüße und bis zum nächsten Mal.
Ihr Carsten Roemheld.