Neuer Präsident, neue Töne, alte Probleme? Wie es in den USA jetzt ökonomisch weitergeht
Carsten Roemheld: Herzlich willkommen zu einer neuen Ausgabe unseres Fidelity Kapitalmarkt-Podcast. Mein Name ist Carsten Roemheld und ich hoffe, Sie sind trotz des anhaltenden Lockdowns den Umständen entsprechend gut ins neue Jahr gestartet. Wir schreiben heute – bei dieser Aufnahme – den 21. Januar 2021 und blicken auf einen historischen Tag zurück: nämlich gestern, an dem der 46. Präsident der Vereinigten Staaten, Joe Biden, vereidigt wurde.
Es dürfte wenige Zweifel geben, dass die Unterschiede zum letzten Präsidenten kaum größer sein könnten. Und gerade deshalb stellt sich die Frage, wie gravierend die Auswirkungen für die USA in politischer, wirtschaftlicher und gesellschaftlicher Hinsicht sein werden. Was kann der Präsident überhaupt bewegen? Und für uns natürlich besonders interessant ist: Wie werden sich die Kapitalmärkte weiterentwickeln? Wenn man einen Blick auf die Historie wirft, dann fällt auf, dass der S&P 500 unter demokratischen Präsidenten im langfristigen Vergleich im Schnitt besser abgeschnitten hat als unter republikanischen Präsidenten. Und es dürfte den einen oder anderen etwas überraschen. Aber es ist auch keine ganz faire Betrachtung, da einige wichtige Aspekte da hereinspielen. Einerseits natürlich spielt die Zusammensetzung des Kongresses eine entscheidende Rolle und es können natürlich auch Entscheidungen oder Gesetzesinitiativen von einer Regierung getroffen werden, die Effekte aber erst in der nächsten Legislaturperiode zum Tragen kommen. Weiterhin fielen einige sehr heftige Krisen häufiger in republikanische Präsidentschaften, wie z. B. die Große Depression unter Hoover, die Ölkrise unter Nixon und die Dotcom-Blase bzw. auch das Tief der globalen Finanzkrise bei George Bush Junior.
Wir wollen uns heute mit den USA nach der Amtseinführung Joe Bidens beschäftigen: Welche Konsequenzen sehen wir für die amerikanische Wirtschaft und die internationalen Beziehungen, in einer sich zuletzt zuspitzenden Konfrontation mit China? Und ich freue mich sehr, dass wir heute einen ausgewiesenen Experten als Gesprächspartner gewinnen konnten, der bereits seit vielen Jahren in den USA lebt und abgesehen von seiner ökonomischen Expertise von eigenen Erfahrungen innerhalb der amerikanischen Gesellschaft berichten kann. Professor Rüdiger Bachmann ist deutsch-amerikanischer Ökonom und lebt seit 20 Jahren in den USA, lehrt derzeit als Professor an der University of Notre Dame im Bundesstaat Indiana und war Gastprofessor unter anderem in Yale und Harvard. Professor Bachmann ist auch Gründungsmitglied der Ökonomenstimme einer deutschsprachigen wirtschaftswissenschaftlichen Autorenplattform und zu Beginn der Pandemie hat er seine eigenen Video-Podcast namens „Coronomics“ gestartet, in dem er sich auch den ökonomischen Hintergründen und den Folgen der Krise gewidmet hat. Außerdem veröffentlicht er regelmäßig in großen deutschen Medien, diskutiert intensiv und kontrovers auf Twitter über aktuelle wirtschaftspolitische Fragen; davon konnte ich mich selbst in den letzten Wochen überzeugen.
Schön, dass Sie heute bei uns sind, Professor Bachmann. Das Timing ist quasi perfekt, um heute über die USA zu sprechen.
Rüdiger Bachmann: Vielen Dank für das Interview. Ich freue mich, dabei zu sein.
Carsten Roemheld: Beginnen wir gleich mal mit dem Wahlsieg Joe Bidens und dem gleichzeitigen Wahlerfolg auch in Georgia, weil da die politische Richtung jetzt für die nächsten vier Jahre doch etwas eindeutiger geklärt wurde, als viele vermutet hatten. Wie ist Ihre Einschätzung der politischen Situation in den USA? Kann Biden jetzt mit diesen Mehrheiten oder zumindest auf einen Gleichstand im Senat durchregieren oder ist dazu die Situation zu knapp, aus Ihrer Sicht?
Rüdiger Bachmann: Ja, also es ist natürlich einfacher, als wenn er, als wenn die Demokraten Georgia nicht gewonnen hätten und der Senat weiter in der republikanischen Mehrheit gewesen wäre, aber durchregieren kann er sicherlich nicht. Das hängt damit zusammen, dass sozusagen die Grenzstimme, also die eine Stimme, die er sozusagen hat und dann eben durch den Vizepräsidenten die Bonusstimme das Veto durchbrechen kann, eben eine interessante Figur ist. Dass nämlich ein demokratischer Senator, Joe Manchin, aus einem sehr, sehr, sehr roten republikanischen Staat - West Virginia - kommt, und der ist nun einer der mächtigsten Politiker geworden. Das sollte man nicht unterschätzen. Also man muss sich auch in Deutschland jetzt mit den politischen Präferenzen von West Virginia beschäftigen. Er ist vor gar nicht allzu langer Zeit wiedergewählt worden, relativ deutlich. Das bedeutet aber, dass er entsprechende Politikpräferenzen hat, die weit sozusagen rechts des demokratischen Mainstreams liegen. Und ohne diese Stimme wird auch diese knappe demokratische Senatsmehrheit eben nichts machen können. Und man wird sich immer mit ihm einigen müssen. Und von daher, schon allein aus diesem Grund, wird ein zumindest linkes Durchregieren für die Biden-Regierung nicht möglich sein. Ich erwarte eigentlich einen ziemlich zentristischen Kurs und – wenn ich das noch sagen darf – ich glaube, das ist auch, was Amerika zurzeit braucht.
Carsten Roemheld: Ja, wir haben es ja auch in der Antrittsrede gehört, die ja sehr übergreifend war und sehr vereinend war; sehr, sehr, sehr gemeinschaftliche Töne angeschlagen hat. Die Gesellschaft in den USA ist relativ gespalten, kann man sagen, nachdem ja auch 74 Millionen Wähler sich für Donald Trump ausgesprochen haben. Kann es Biden gelingen, eine Vereinigung hier hinzukriegen zwischen den verschiedenen Lagern? Oder ist die Spaltung sozusagen nur der Anfang und wird eher noch größer werden im Laufe der nächsten Jahre?
Rüdiger Bachmann: Das ist schwierig vorherzusagen, aber ich glaube, eine Sache wird wichtig sein. Die auch, glaube ich, fast nahezu die gesamte Biden-Administration schon bestimmen wird, nämlich die Performance in der Bewältigung der Coronakrise. Das wird sozusagen diese ganze Sache bestimmen im Grunde genommen. Wenn Biden es jetzt tatsächlich schafft – und er hat alle Voraussetzungen dafür, indem man nämlich zumindest mal ein extrem kompetentes Team benannt hat. Das ist, glaube ich, auch unter den Lagern, also jetzt mal von ganz großen Extremisten vielleicht abgesehen, relativ unbestritten, dass er ein kompetentes Team zusammengestellt hat. Und jetzt ist halt die Frage – und ich komme selber aus dem akademischen Umfeld, also ich muss irgendwie schon fast beruflich an Expertise, an den Wert von Expertentum glauben. Wenn man das tut, das ist ein großes Experiment hier jetzt, wenn man aber wirklich glaubt, dass Expertise, Fachwissen, ja, jahrelange Erfahrung einen echten Unterschied machen kann, dann gibt's eine gute Chance, dass Biden mit seinem sehr ambitionierten Plan – er hat ja gesagt, 100 Millionen Amerikaner in den ersten hundert Tagen zu impfen – das wird der eine große Schritt sein und der andere Schritt, eben die Staaten mit genügend Mitteln zu versorgen, Schulen wieder aufzumachen etc. etc. Also, wenn das gelingt, ja, dann glaube ich, wird er sehr viel Sympathie, eben gerade auch in diesem zentristischen, sagen wir mal, knapp rechts der Mitte liegenden Lager haben – also die nicht ideologisch sind, sagen wir mal die Leute, die auch immer eher traditionell republikanisch wählen, wie z.B. Kleinunternehmer. Denen geht's eben darum, dass sie schnell wieder aufmachen können. Denen sind vielleicht diese ganzen kulturellen Kriege, also, was jetzt mit Einwanderern ist und so, vielleicht gar nicht so wichtig. Denen geht es halt darum, die wollen einfach aufmachen und wieder Geld verdienen. Und Biden, schafft er es sozusagen durch Kompetenzen einen Unterschied zu machen, auch einen deutlichen merkbaren Unterschied zur vorherigen Administration, die ja sozusagen Anti-Experten waren und sozusagen Anti-Wissenschaft und Anti-Fakten. Wenn da Biden einen echten, schnellen Unterschied hinbekommt, dann, glaube ich, hat er gute Chancen, tatsächlich auch weit über die demokratische Basis hinaus, geschätzt zu werden und mit entsprechenden politischen Erfolgen, möglichen politischen Erfolgen, dann auch in der Zukunft.
Carsten Roemheld: Die sprechen von Experten und Sie haben ja einige Anmerkungen auch in den letzten Monaten über die deutsche Bundesregierung gemacht und der Frage, auf welche Experten man hier stark gehört hat. Wir hatten natürlich einige Mediziner, Virologen, die hier eine große Rolle gespielt haben, aber Sie haben immer wieder auch kritisiert, dass Ökonomen eigentlich keine so große Rolle bei der Bundesregierung in Deutschland gespielt haben. Haben Sie den Eindruck, dass man da zu wenig getan hat, zu wenig Experten gehört hat von der ökonomischen Seite? Oder haben Sie den Eindruck, dass vielleicht Experten nicht so gehört wurden in Deutschland, wie das vielleicht hätte der Fall sein müssen?
Rüdiger Bachmann: Ich glaube, da muss man unterscheiden: Also, was die Wirtschaftspolitik angeht, insbesondere im Finanzministerium, kann man das eigentlich nicht sagen. Das Finanzministerium hat unter dem Leiter der Grundsatzabteilung, Jakob von Weizsäcker, der wiederum dem Staatssekretär Wolfgang Schmidt untersteht, eigentlich von Anfang an in der Krise einen sich immer erweiternden Ökonomen-Stab herangezogen. Sozusagen jenseits der etablierten Gremien, also jenseits, sagen wir mal, des Sachverständigenrats oder auch des wissenschaftlichen Beirats im Finanzministerium. Wobei einzelne Mitglieder dieser etablierten Institution auch dann sozusagen mit dabei waren in diesen spontanen Beratergremium, also die haben von Anfang an letztlich eine Zoom-Runde – eigentlich nicht mit Zom, mit einem anderen Programm –, aber so eine Art Zoom-Runde, eine Webex-Runde gemacht, immer donnerstags wöchentlich in der Hochphase der Krise.
Jetzt so mehr vierzehntätig, gibt's immer noch, ich bin da auch dabei und da wird auf sehr hohem Niveau diskutiert zwischen vielen verschiedenen, auch politisch, sagen wir mal, orientierten Lagern bei den Ökonomen, auch akademischen Ökonomen, die sich vielleicht nicht so in der Politik traditionell beschäftigt haben, da wird auf sehr hohem Niveau sehr gut, sehr kontrovers, aber sehr gut und fruchtbar, würde ich sagen, diskutiert. Darüber, was die wirtschaftspolitischen, vor allen Dingen die finanzpolitischen Maßnahmen angeht, also Stichwort am Anfang: die Bazooka und der Wums und das Konjunkturpaket z. B. Und mit entsprechenden Erfolgen, würde ich sagen. Die Wirtschaftspolitik hat in Deutschland ‚cum grano salis‘ gut reagiert. Man kann da an Einzelmaßnahmen immer kritisieren und kann da auch unterschiedlicher Meinung sein, ob der Mix genau richtig war, der Zeitpunkt richtig war und so weiter, aber ich würde sagen, im Großen und Ganzen hat die Wirtschaftspolitik echt gut reagiert. Zum Teil auch aufgrund dieses Experten-Inputs.
Die Frage ist, hat man in anderen Bereichen – und die Pandemie ist ja wirklich ein Bereich, der eben nicht nur die Finanzpolitik und die Wirtschaftspolitik betrifft, sondern eigentlich unser gesamtes Leben, alle Politikbereiche sind irgendwie betroffen von der Pandemie – ob in anderen Bereichen zu sehr auf, zu wenig auf interdisziplinäre Expertise gesetzt wurde. Der eine Punkt, der mir da einfällt, ist eben in der Bildungspolitik. Ja, also es gibt auch einen großen, einen sehr erfolgreichen Bereich der Bildungsökonomik, die eben durchaus berechnen kann, was die Folgeschäden von Schulausfall sind. Und da wurde mir nicht genug darüber nachgedacht, wie kann man eigentlich sozusagen Schule unter Corona-Bedingungen, Stichwort Digitalisierung und so weiter, auch gestalten. Da hätte man sehr gut mit Bildungsökonomen, mit Transformationsökonomen, mit Innovationsökonomen diskutieren können, die da einige Ideen, gute Ideen gehabt haben und auch immer wieder sozusagen über die Presse verlautbart haben, und da ist aber natürlich überhaupt nix passiert. Das liegt vielleicht auch daran, dass die Bildungspolitik in Deutschland dezentral organisiert ist; da gibt's halt nicht so einen Finanzminister, wo man sich donnerstags immer treffen kann.
Der zweite Bereich, der eben jetzt gerade in der heißen Diskussion ist, ist tatsächlich die Impfstoff-Bestellung. Da hat sich tatsächlich im Nachhinein gezeigt, dass da meiner Meinung nach massive Fehler gemacht wurden. Da hat man geknausert auf EU-Ebene. Also es wird halt auch im Bundesgesundheitsministerium zu sehr nur mit Virologen und Epidemiologen geredet, was völlig richtig ist, natürlich sind sie, was die Bekämpfung der Epidemie angeht, die medizinische Seite, diejenigen, mit denen man reden muss, aber es gibt eben auch gesundheitsökonomische Aspekte bei der Sache und Impfstoff-Beschaffung und -Herstellung und -Bestellung und solche Sachen, Anreize, die so Private-Public-Partnerships dann entstehen lassen, da sind natürlich Ökonomen die Experten. Und da hat man meiner Meinung nach mit den Ökonomen nicht gesprochen, sonst hätten die nämlich im Sommer schon gesagt: viel mehr bestellen, viel mehr Risiko eingehen – gegeben die Preise für die Impfstoffe, gegeben die Kosten, die nur eine Woche dieser Epidemie verursacht, die wirtschaftlichen Kosten nur einer Epidemie-Woche sind ja gigantisch, im Vergleich zu den Kosten für Impfstoffe, auch für massive Überbestellung bzw. Diversifizierung von Impfstoffen. Auch wenn dann ex post einige Impfstoffe vielleicht nie in Anwendung kommen und der Staat sozusagen dann auf Impfstoffen sitzt, die nicht gebraucht werden, ist egal, wenn man sich gegen Risiken absichern will.
Das kennt ja jeder: Bei einer Brandschutz-Versicherung hofft man ja auch nicht, dass das Haus abbrennt, sondern man will eben geschützt sein. Und genauso hätte man halt im Sommer entsprechend reagieren müssen, dann hätte man jetzt schon mehr Impfstoff und das ist fehlgelaufen, da man mit den Ökonomen nicht gesprochen hat.
Carsten Roemheld: Genau, also in der Hinsicht haben Sie den Eindruck, dass die USA und auch Großbritannien sich da Vorteile erarbeitet haben bei der Impfstoff-Beschaffung, ja? Da haben sie das besser gemacht?
Rüdiger Bachmann: Also, na ja, bei den USA, die haben da einiges besser gemacht. Wobei das Zufall oder Glück ist, glaube ich tatsächlich. Also ich meine auch Trump, auch ein blindes Huhn trifft manchmal, er findet manchmal ein Korn, ja. Und, ich meine, das hat er einigermaßen hingekriegt. Bei uns ist halt tatsächlich eher jetzt, es gibt auch bei uns inzwischen natürlich Probleme, wo nicht klar ist, wo der Impfstoff eigentlich ist, wie viel da noch da ist, da gab's, da gibt's auch Politikschluderei, insofern kann man da Trump, will man da auch Trump dann nicht zu viel loben.
Ich glaube, insgesamt haben es die Amerikaner besser gemacht. Ich hoffe allerdings jetzt tatsächlich, auch Biden muss da noch einiges zulegen, damit man dann am Ende wird sagen können, es war ein Erfolg. Also da kann man das Urteil noch nicht fällen, würde ich sagen. Aber es sieht einiges danach aus, dass es bei uns besser läuft als in Deutschland zurzeit, ja.
Carsten Roemheld: Was jetzt sehr wichtig sein wird, ist das weitere milliardenschwere Konjunkturpaket, was möglicherweise verabschiedet wird. Das könnte noch mal in den kommenden vier Jahren bis zu vier Billionen Dollar bringen zur Stützung der Konjunktur. Wenn die Senatsmehrheit das zulässt und wenn die entsprechenden Gesetzesvorhaben sich auch umsetzen lassen, für wie realistisch halten Sie die Pläne? Glauben Sie, dass das Paket eher größer oder eher kleiner wird? Und welchen Einfluss sehen Sie dahingehend auch auf die Kapitalmärkte von diesem Konjunkturpaket?
Rüdiger Bachmann: Ich wehre mich so ein bisschen, das als Konjunkturpaket zu bezeichnen. Es geht eigentlich jetzt erst einmal nicht darum, die Konjunktur zu stützen.
Carsten Roemheld: Hilfspaket, ja.
Rüdiger Bachmann: Noch nicht, noch nicht. Das wird auch in den Medien immer ein bisschen auseinandergenommen, falsch dargestellt. Wir wollen die Konjunktur jetzt eigentlich noch gar nicht stützen, weil die Leute erst einmal zu Hause bleiben sollen. Die Konjunkturpakete brauchen wir eigentlich dann, wenn wirklich alle durchgeimpft sind, wenn das Virus verschwunden ist bzw. auf ein Mindestmaß reduziert ist. Wenn wir tatsächlich durch Impfung Herdenimmunität haben, wenn wir also zu unserem normalen Leben zurückgehen, dann kann es sein, dass muss übrigens auch nicht sein, dass man ein Konjunkturpaket braucht. Es kann durchaus sein, dass dann die Leute genug Nachfrage aufgestaut haben.
Ich meine, ich kann mir schon vorstellen, dass einige Leute dann erst mal sagen: Okay, jetzt will ich aber in Urlaub gehen. Jetzt will ich in die Restaurants gehen; Konzerte, jede Woche drei Konzerte und so weiter und so fort. Kann durchaus sein, dass da durch diesen aufgestauten Nachfrage-Effekt, dass wir eigentlich gar kein Konjunkturpaket brauchen. Das muss man abwarten, das kann man dann entscheiden meiner Meinung nach. Was wir ja jetzt machen wollen eigentlich, ist Geld ausgeben zur Pandemiebekämpfung, damit es da auf keinen Fall fehlt. Ja, da hat es zum Teil gefehlt, glaube ich, auch in den USA.
Das ist halt die Politökonomie in den USA, eine republikanische Administration will natürlich demokratisch regierten Staaten nicht so viel Geld geben, das hat auch bei Mitch McConnell im Senat leider eine Rolle gespielt. Umgekehrt wollte Nancy Pelosi natürlich vor, sagen wir mal, der Wahl im November jetzt auch nicht noch mal ein weiteres Konjunkturpaket. Also da gab es durchaus, sagen wir mal wegen der Wahl, unnötige Verzögerungen. Das ist jetzt alles weg. Wir haben jetzt einen Präsidenten, dem ich zunächst mal abnehme, dass er auch kein Problem hat, auch einem republikanisch regierten Staat erst einmal etwas zu überlassen. Bei Trump ist das immer so, der hat dann die Gouverneurin von Michigan, die hat er irgendwie gehasst, „diese Frau aus Michigan“ hat er ja immer gesagt, also in meinem Heimatstaat. Und die durfte halt nichts kriegen, weil die ihn einmal kritisiert hat. Da kann man jetzt mal davon ausgehen, dass das bei Biden nicht der Fall ist. Also hoffen wir, dass alle diese politökonomischen persönlichen Sachen weg sind und dass es dann jetzt geht.
Das ist der eine Punkt, das Hilfspaket, und der andere sind die Leute, die Einkommensausfall haben. Denen Einkommen so zu geben als ein Versicherungsinstrument, also ein „Relief Package“, wie man es auf Englisch sagt – weniger eben ein klassisches Konjunkturpaket. Das wird vermutlich ein bisschen kleiner werden, weil auch Joe, da kommen wir wieder zum Thema Joe Munchin, der eben sich schon beschwert hat, dass es ein bisschen groß wird. Auf der republikanischen Seite gab es auch eher populistisch-rechtspopulistische Senatoren wie Rubio oder Hawley, die durchaus mehr gegeben hätten, als vor Weihnachten beschlossen wurde. Insofern: Es wird vermutlich ein bisschen weniger werden, aber das wird schon ungefähr in die Größenordnung kommen, die da jetzt durch die Presse geht, vermute ich mal.
Carsten Roemheld: Was glauben Sie, welche Konsequenzen das Ganze jetzt auf Insolvenzen und Arbeitslosigkeit in den USA hat insgesamt? Werden die Konsequenzen dadurch weniger dramatisch, dass wir jetzt noch mal ein starkes Paket bekommen? Bei den Aktienmärkten werden vor allem die zyklischen Aktien und die Value-Aktien so ein bisschen mehr in den Vordergrund gehoben. Wie lange kann das anhalten? Glauben Sie, das ist berechtigt? Wie sehen Sie das?
Rüdiger Bachmann: Na ja, also die reine Arbeitslosigkeit wird es in den USA geben, ja. In Deutschland, wird halt in der Hoffnung, dass eben die Leute zu denselben Firmen wieder zurückgehen, wenn die Konjunktur wieder anspringt, also in Deutschland nennt man das hauptsächlich Kurzarbeit. In den USA haben wir dieses Instrument nicht. Das heißt, Sie sind offiziell arbeitslos. Letztlich ist es egal, was für ein Label da drauf ist, solange die Leute Einkommen haben. Ob das Einkommen jetzt dadurch zustande kommt – also, dass Sie ihre Miete bezahlen können, dass Sie ihre Lebensmittel bezahlen können und also die Güter des täglichen Bedarfs; in Urlaub werden Sie ja jetzt nicht fahren. Und darum geht's eben, dass die Leute Einkommen haben. Ob das jetzt durch Arbeitslosengeld-Versicherung, ob das über einen Scheck kommt, den man einfach so von der Regierung oder der Bundesregierung bekommt wie in den USA, ob‘s das in Deutschland über das Kurzarbeitergeld gibt, ist zunächst mal zweitrangig.
Da gibt's durchaus auch interessante ökonomische Anreiz-Effekte in dem einen oder anderen Fall. Aber zunächst einmal nutzt jeder Staat, sagen wir mal, das System, das er halt hat. Und in Amerika haben wir kein Kurzarbeitssystem, in Deutschland ist es super etabliert. Da weiß auch jeder, wie's geht. Wir haben eine funktionierende Arbeitsverwaltung, weil Deutschland absolut das richtige Instrument hat das zu machen. Die Amerikaner sind es halt gewohnt, ständig irgendwelche Schecks mit der Steuerbehörde auszutauschen. Insofern macht es in den USA sehr viel Sinn, Schecks zu verschicken. Das läuft halt einfach in den USA. Und insofern wie gesagt, da muss man dann auch kulturell gewachsene Verwaltungssysteme nutzen und nicht sozusagen immer auf die ökonomisch optimale Lösung setzen.
Was Insolvenzen angeht; sicher, je länger die Pandemie geht, desto mehr Insolvenzen wird es geben. Das ist völlig klar. Wobei interessanterweise ich letztens mit einem Experten für Business-Gründungen gesprochen habe. Also in einer typischen Rezession befürchtet man immer, dass es vor allen Dingen während der Rezession auch keine neuen Business-Gründungen gibt. Also, dass nicht nur die Insolvenzen das Problem sind, sondern es eben auch keine neuen Firmen gibt, die eben dann in zwei, drei Jahren wachsen und neue Arbeitsplätze zur Verfügung stellen. In der Ökonomie spricht man von diesem fehlenden Kohorten-Effekt. Das heißt, eine Rezession ist deshalb gefährlich, weil eben Startups weniger sind oder ausbleiben und die dann, wenn man in die Recovery kommt, fehlen und dementsprechend die Rezession unnötig ausdehnen und verlängern. Der sagt aber, dass die Business-Gründung gar nicht so schlecht ist dieses Mal in den USA. Das kann natürlich jetzt, also bis, sagen wir mal, im dritten Quartal; das kann ja natürlich im vierten Quartal jetzt mit der zweiten Welle noch mal anders aussehen. Das muss man mal beobachten, das ist für mich eine der Sachen, auf die ich gucken würde, wenn ich ein Investor wäre. Wie sieht es mit den Business-Gründungen aus? Wie sind die? Sind die weiter? Sind die unterdrückt? Kommen die nicht aus dem Startloch? Oder sind die eigentlich relativ normal für die Zeit?
Da würde ich genau gucken, weil das dürfte einiges mitbestimmen, wie es dann auch mittelfristig, wie wir dann auch mittelfristig, wenn dann mal alle durchgeimpft sind, ökonomisch aus dieser Krise rauskommen.
Carsten Roemheld: Wie sehen Sie in dem Zusammenhang die Konjunkturentwicklung? Also, wenn wir jetzt wirklich die geld- und fiskalpolitischen Anreize bekommen, dann kann es ja sein, durch ein einigermaßen anständiges Paket auch, dass wir im zweiten Halbjahr schon wieder definitiv ein sehr, sehr ordentliches Wachstum bekommen, was auch das ganze Jahr dann über, auch gegenüber dem Vorjahr natürlich noch mal deutlich ins Plus gerät. Was glauben Sie, wie dieser Schwung oder wann dieser Schwung dann tatsächlich einsetzen kann?
Rüdiger Bachmann: Na ja, also ich denke es kommt alles auf den Impfstoff an. Je schneller der Impfstoff, desto schneller wird es; je schneller die Verimpfung, muss man sagen, desto schneller wird das passieren. Ich glaube schon, dass das nominal, also sozusagen rein mechanisch in 2021 schon der Fall ist. Genau aus dem Grund, den Sie ja gesagt haben, weil halt das Niveau in 2020 so niedrig war. Man kann eigentlich nur noch wachsen. Das sind aber ein bisschen mechanische Effekte, aber das sollten wir dann auch nicht überbewerten. Was interessanter ist, ist es, zu gucken, wie schnell kommt die Ökonomie zurück auf den vorherigen Wachstumspfad. Das ist das Interessante. Und das kann jetzt noch keiner sagen, weil wir eben noch nicht wissen was mit Business-Gründung wirklich passiert. Das ist so ein typischer Effekt, der Rezessionen dann auch über die eigentliche Rezessionsphase hinaus in die Erholungsphase hinein; sozusagen die Erholungsphase schlechter machen kann, als sie eigentlich sein müsste.
Die eine sind wie gesagt Businessgründungen, die anderen Sachen, von denen wir noch nichts wissen, wie sieht es mit Firmen, Bilanzen und Bankbilanzen aus? Das war ja das Schlimme in der letzten Rezession, die sich so verschlechtert hatte, dass wir diese sogenannten Schuldenüberhang-Probleme bekommen haben, wo Firmen, Banken zu viel Schulden hatten, Firmen nicht investiert haben, weil sie so viele Schulden hatten und sie sich erst mal wieder Eigenkapital aufbauen mussten. Das ist mir noch nicht so klar, was da mal passiert. Ich kann als normaler akademischer Ökonom auch eben nicht in die Firmen und die Bankbilanzen so ohne Weiteres reingucken.
Aber sagen wir mal, Investoren sollten das, soweit sie das können. Das würde ich mir angucken. Wie schlecht sind die eigentlich gelaufen? Wenn die nicht so schlecht dastehen, dann kann man eigentlich tatsächlich erwarten, dass, wenn dann die pandemischen Gründe wegfallen, dass die normale wirtschaftliche Aktivität relativ schnell wieder anzieht. Zumal wir mit diesen – da spielt jetzt sozusagen eins ins andere – zumal wir ja mit diesen „Relief Packages“, also indem wir das Einkommen von Leuten aufrechterhalten, einigermaßen durchaus verfügbares Einkommen bereitstellen und eben nicht viel von dem – also für einige natürlich, für die ganz Armen ist das echt eminent wichtig im Sinne von: Also das brauchen die halt einfach für das tägliche Leben – aber weil man das eben nicht so super targeten kann, gibt's natürlich auch, sagen wir mal, Effekte in der Mittelschicht, die das eher erst einmal sparen werden. Die jetzt halt zu Hause sitzen und nichts machen können, ja, und das Geld eigentlich nicht bräuchten, aber weil man halt das jetzt so fein auch nicht steuern kann, von Politikseite aus. Die haben einfach ein recht gutes Einkommen gehabt und die wollen dadurch irgendwas mit dem Einkommen machen, sobald sie können. Und dann kann es eben diesen extremem Nachfrageschub geben. Also das ist noch nicht ausgemacht, weil wir noch nicht wissen, wie sozusagen die Gründe, die normalerweise in einer normalen Rezession dazu führen, dass es auch länger, also sozusagen längeren Flump geben kann, wie man das in Amerika sagt, aus einer Rezession heraus, nämlich Business-Gründung, Bilanzen und solche Sachen, wie die eigentlich dastehen. Aber wenn ich ein Investor wäre ein professioneller, dann würde ich mir genau diese Sachen eben angucken. Wie sieht es eigentlich aus mit diesen Faktoren, die eine Rezession länger machen, als sie sein müssten?
Carsten Roemheld: Eine Frage muss ich Ihnen als Ökonom natürlich trotzdem stellen, die die Märkte auch stark beschäftigt momentan, das ist die Frage der Inflation. Haben Sie den Eindruck, dass die Wahrscheinlichkeit höherer Inflation jetzt durchaus gegeben ist, dass die Inflation stärker zurückkommt? Wir haben eine Änderung der Fed-Politik auch gesehen, die jetzt höhere Inflation zulassen wollen, ohne dass sie gleich mit Zinsanhebungen reagieren. Was glauben Sie bei der Inflationsfrage?
Rüdiger Bachmann: Also zurzeit mache ich mir um Inflation keine Gedanken. Also zurzeit haben wir eher wie gesagt eine Ökonomie, die auf Sparflamme fährt und wo man sich um Inflation erst mal keine Sorgen machen muss. Die Frage ist tatsächlich, wenn wir dann Herden-Immunität haben durch Verimpfung – also das wäre vielleicht dann je nach Land Mitte diesen Jahres, zweite Jahreshälfte, spätestens Ende des Jahres. Wenn dann alles wieder sozusagen normal wird und wenn genau diese Einkommen, das verfügbare Einkommen, das jetzt zum Teil auch gespart wurde, wenn das jetzt dann nachfragewirksam wird, kann es sein, dass es wieder zu Inflationsdrücken kommt. Also was spricht dafür? Naja, dafür spricht, wie gesagt, dass es eben dieses verfügbare Einkommen gibt. Zweitens spricht dafür, dass natürlich einige Unternehmen tatsächlich pleitegegangen sind, also nicht mehr da sind. Und dann kommt es darauf an, wie schnell die dann kommen können. Gut, so ein Restaurant kann man relativ schnell wieder aufmachen. Also, wenn es ein anderes Restaurant ist. Das glaube ich nicht, dass das ein Problem werden wird. Aber dann gibt's auch Effekte wie De-Globalisierungseffekte, wo sich Unternehmen eben vielleicht dann doch schwerer tun, im Ausland zu investieren, Direktinvestitionen zu machen; doch heimische Produktion machen, die vielleicht nicht ganz so effizient ist, deshalb teurer ist, als dass auch internationale Preisdrücke, dann eine geringere Rolle spielen. Das könnte schon für Inflation sprechen. Es wird mit Sicherheit relative Preisdrücke geben.
Also, um ein ganz konkretes Beispiel zu geben: Es ist relativ sicher, dass die nächsten Urlaube, sagen wir mal in Italien und in den Alpen richtig teuer werden. Da gibt's jetzt viele Leute, die dieses Jahr keinen Skiurlaub gemacht haben. Die haben auch sonst nix zu tun, die konnten auch sonst nix anfangen mit dem Geld, das liegt dann einfach auf dem Sparbuch und die werden nächstes Jahr garantiert einen Skiurlaub machen. Und die Hotel-Kapazitäten in den Alpen sind natürlich begrenzt, die kann man nicht jetzt einfach mal aufblähen. Das heißt, nächstes Jahr wird‘s richtig teuer, Skiurlaub in den Alpen zu machen.
Aber gut, das ist natürlich ein relativer Preis, das ist keine Inflation. Und die andere Sache ist natürlich, der Inflationsdruck ist deshalb begrenzt, weil wir natürlich Geldpolitik machen können. Es ist ja nicht so, dass die Geldpolitik sich dem nicht entgegenstellen kann. Sie haben zwar angekündigt, und soferndenke ich, dass das auch glaubwürdig ist, es erst mal laufen zu lassen. Es kann also durchaus sein – das ist auch polit-ökonomisch sinnvoll, weil einige verschuldete Staaten durchaus gerne ein bisschen Inflation sehen würden, um die Schulden real abzubauen. Ist schon klar. Ich kann mir vorstellen, dass wir mal eine Zeit lang auch über 2 %, vielleicht 3 % fahren. Was ich eben aber nicht fürchte, ist jetzt eine massive Hyperinflation oder auch Inflationszahlen, die weit über 3% oder 4 % gehen. Wenn das der Fall ist, werden die Zentralbanken einfach auf die Bremse treten.
Carsten Roemheld: Zwei andere Themen, die den Anlegern immer ein bisschen Sorgen bereiten, sind die Themen Steuern und Regulierung, die ja bei den Demokraten in den letzten Monaten auch öfter mal durchaus diskutiert wurden. Einige erwarten, dass Biden auch zur Haushaltskonsolidierung irgendwann die Steuern anheben könnte, vor allem auch im Unternehmensbereich. Was glauben Sie, wie groß sein Spielraum ist und wie lange er warten wird? Jetzt auch im Rahmen der Pandemie, um sozusagen mit dieser Maßnahme zur Finanzierung der Schuldensituation beizutragen.
Rüdiger Bachmann: Also ich glaube auch, dass er erst einmal warten wird. Ich glaube schon, dass er versteht, dass Steuererhöhungen erstmal Gift wären. Also wie gesagt, ich sehe das schwierig, weil die pivotalen Stimmen im Senat, die er braucht, die werden Steuererhöhungen nicht unbedingt zustimmen. Ich kann mir da durchaus vorstellen, dass es da halt, sagen wir mal, Kompromiss-Paket geben wird, das man vielleicht den Spitzensteuersatz für die persönliche Einkommenssteuer ein bisschen erhöht. Ich kann mir nicht vorstellen, dass man an Unternehmenssteuern geht ehrlich gesagt. Also, das ist schwierig vorherzusagen, die Demokraten haben sich da, glaube ich, einfach noch keine Gedanken gemacht, wie das aussehen wird, ja, weil Georgia kam dann jetzt am Ende dann nicht mehr ganz so überraschend. Aber sagen wir mal, im November hat man noch nicht davon ausgehen können, dass die Demokraten wirklich die Mehrheit in allen drei entscheidenden Verfassungsorganen haben: im Senat, im Repräsentantenhaus und in der Präsidentschaft.
Insofern haben die den Tanz zwischen, sagen wir mal, dem linken Flügel, Bernie Sanders AOC und Leuten eben wie Joe Manchin – und dann darf man auch nicht vergessen, auch im Repräsentantenhaus ist die Mehrheit nicht so groß. Die Mehrheit ist massiv zusammengedampft. Da kommt's am Ende auf jede Stimme an. Da gibt's extrem konservative demokratische Abgeordnete wie Conor Lamb aus West Pennsylvania, der früher vermutlich eindeutig ein Republikaner gewesen wäre; der durchaus republikanische wirtschaftspolitische Positionen vertritt. Sonst würde er eben in West Pennsylvania nicht gewählt werden. Das ist genau der Grund, das ist nämlich eigentlich Trump-Country. Und da gibt's vermutlich andere auch, die nicht so ganz präsent sind. Also da ist auch mal schnell die Hausmehrheit futsch. Also, dass man da jetzt in Steuererhöhungsorgien gehen wird, das sehe ich nicht so. Es wird irgendeinen politischen Kompromiss geben, wo man ein bisschen Konsolidierung macht über Steuererhöhungen, vielleicht über den Spitzensteuersatz, könnte ich mir vorstellen, die Unternehmenssteuer unberührt lassen. Aber ich kann mir nicht vorstellen, dass es einen massiven Schub einer passiven Vermögenssteuer geben wird, was manche es gerne hätten. Also das kann ich mir nicht vorstellen.
Bei der Regulierung sieht es anders aus. Das kann Biden nämlich alleine machen. Und da kann ich mir schon vorstellen, dass er auch mal ein bisschen was der Linken, der demokratischen Linken sozusagen, mal einen Brocken hinschmeißen muss. Da kann ich mir schon vorstellen, dass es durchaus schärfer wird. Wobei, sagen wir mal so, in bestimmten Bereichen ist es ja auch sinnvoll, etwa im Umweltbereich. Da ist ja nicht klar, dass alle Regulierungen, die Trump da abgeschafft hat, wirklich sinnvoll sind. Aber da könnte ich mir eher vorstellen, dass da eher was läuft als über die Schiene, wo er eben das Parlament braucht.
Carsten Roemheld: Also bei verschiedenen Investoren sind jetzt vor allem die Technologiekonzerne so im Vordergrund, weil die da natürlich das Marktgeschehen auch stark angeführt haben, ob es da dann eben zunehmenden Regulierungsdruck auch geben könnte.
Rüdiger Bachmann: Auch das könnte ich mir vorstellen. Da sieht man ja auch in gewisser Weise die Inkompetenz, die einfach handwerkliche Inkompetenz von Trump. Also der wollte über die „Defense Bill“, also die Verteidigungsausgaben, die in Amerika total sakrosankt sind, die werden halt immer verabschiedet, das ist schon Jahrzehnte so; auch durchgewunken. Den wollte er in so einem, das kann man ja in Amerika machen, einfach so in einen Zusatz irgendwo reinschreiben, dass jetzt möglichst die sozialen Medien besser reguliert werden oder irgendwie sowas. Und weil er die eben hasst, weil er da mit denen einen Privatkrieg geführt hat. Er hat es da einfach so in einen Gesetzesentwurf reingefügt, wo das überhaupt nicht hingehört, hatte überhaupt nichts mit Verteidigungsausgaben zu tun. Und da hat ihm das Parlament gesagt: Freundchen, so nicht. Und auch übrigens über beide Parteien hinweg, also sowohl Republikaner als auch Demokraten. Sein Veto wurde dann ausgehebelt.
Auf der anderen Seite, ist man sich im Parteienspektrum der USA relativ einig, dass es so nicht mehr weitergehen kann. Dass es durchaus eine Frage ist, ob man soziale Medien, die bisher sich selbst als Plattformen definieren und für nichts mehr Verantwortung übernehmen wollen, ob das so weitergehen kann oder ob man nicht schon einen Regulierungsapparat finden muss. Klar, der Regulierungsapparat kann eben nicht so sein, dass der dann sozusagen pro Trump war, das war so wie Trump sich das gerne vorgestellt hätte. Aber wenn man da einen vernünftigen Kompromiss findet, kann ich mir durchaus vorstellen, dass das sowohl auf der republikanischen als auch auf der demokratischen Seite eine Mehrheit findet oder einen Kompromiss findet. Es ist ja in vielen Dingen so in Washington, dass eigentlich klar ist, dass was gemacht werden muss, ob das Justizreform ist, Polizeireform, die Gesundheitsreform, das ist ja völlig klar, wenn man mit den einzelnen Vertretern, den vernünftigen Vertretern der anderen Parteien spricht, sagen alle, wir müssen was machen – uns ist eigentlich auch klar, was gemacht werden muss.
Es ist diese politische Dysfunktionalität, die unter Trump noch verstärkt wurde, die das eben nicht erlaubt hat. Und da kann man jetzt schon hoffen, dass ein Joe Biden durch seine Person, die wirklich eben auch durch ihre Person vertritt – wir wollen vermitteln und wir wollen miteinander reden – dass da diese politische Dysfunktionalität in Washington zum Teil ebenfalls aufgehoben wird und in diesen Bereichen auch etwas passiert, sinnvoll passiert.
Carsten Roemheld: Lass Sie uns den letzten Themenblock bitte noch mal ein bisschen mehr auf die internationalen Beziehungen eingehen und auf den Welthandel, wo sich die Kräfteverhältnisse ja verschoben haben. Die USA haben sich mit der America-first-Politik vielfach auch zurückgezogen aus bilateralen Handelsbeziehungen, Freihandel, Globalisierung hat ein bisschen einen schweren Stand. Jetzt heißt es, Biden ist tatsächlich etwas mehr ein Multilateralist, aber Handel ist jetzt nicht unbedingt seine Top-Priorität. Was glauben Sie, welche Veränderungen hier tatsächlich zu erwarten sind? Insbesondere auch das Thema USA, China und ähnliche? … und USA und Europa vielleicht.
Rüdiger Bachmann: Ja, also zumindest, was Europa angeht, zunächst einmal eine Veränderung im Ton hauptsächlich. Also es wird weniger aggressiv werden. Substanziell erwarte ich gar nicht so viele Veränderungen. Also man wird, man wird auch von Bidens Seiten durchaus Dinge wie Nord Stream kritisieren, man wird auf Bidens Seite Deutschland weiterhin vorwerfen, dass sie vielleicht mit dem Handelsüberschuss eine Politik betreiben, die eben nicht so freundlich ist, um es mal gelinde zu sagen gegenüber den Partnern. Das wird weiter bleiben. Er wird das nicht tweeten und irgendwie über Angela Merkel schimpfen, sondern er macht es halt auf diplomatischer Ebene. Aber in der Sache, glaube ich, wird sich nicht viel ändern.
Und auch gegenüber China erwarte ich das, das ist völlig klar. Das ist in den USA jetzt so, dass Biden nur eine Chance hat, wenn klar ist, dass er gegen China gegenüber nicht soft ist. Also der muss da eine relativ harte Linie fahren. Das, denke ich, ist klar, und das ist eben der Fehler von Trump – Trump hat da immer geglaubt, dass Amerika das alles alleine machen kann. Also er hat, auf Englisch sagt man „Pick your battles“, ja, er hat also seine Schlachten nicht ausgesucht. Und das wird halt unter Biden anders werden. Er wird jetzt nicht alle, die ganze Welt, versuchen zu antagonisieren, außer halt Saudi-Arabien und Nordkorea, sondern Biden wird versuchen wieder Bündnisse, auch vor allen Dingen in Asien, zu schmieden, aber auch von den Europäern einfordern und sagen: Leute, wo steht ihr? Seid ihr mit uns oder seid ihr irgendwo, wollt ihr irgendwie so zwischendrin sein oder seid ihr bei China? Und da kann es meiner Meinung nach natürlich sowohl für Europa als auch für die nicht chinesische asiatische Welt nur eine Wahl geben: Die Bündnisse der freien Welt, die Attraktion einer freien multipolaren Welt müssen eben klar werden, dazu müssen sich die Amerikaner engagieren. Da müssen sich die Amerikaner vor allen Dingen im pazifischen Raum engagieren, wenn der Zug nicht schon abgefahren ist, denn die Bündnisse werden da ja geschmiedet. Das wird Biden versuchen aufzuholen, ob er das kann, steht in den Sternen. Ich hoffe, dass er das noch kann, um so eben dann eine gemeinsame Position China gegenüber zu formulieren, zusammen im Konzert mit den Europäern und den restlichen Asiaten bzw. Australien, Neuseeland gehören ja auch dazu; also mit Eurasien, Ozeanien auch noch dazu.
Das, glaube ich, wird seine Strategie sein – ob die gelingt … es kann schon zu spät sein. Es kann sein, dass diese Bündnisse schon geschmiedet sind, dass die Amerikaner zu spät kommen werden. Das andere, was er versuchen wird, ist China; ein bisschen Konkurrenz hoffentlich, nachdem die innenpolitischen Probleme gelöst sind. Was natürlich ein Problem für ihn ist, weil er sich jetzt erst einmal innenpolitisch engagieren muss und er hat eben dementsprechend außenpolitisch nicht so viel Bandbreite. Das befürchte ich schon. Aber was eigentlich notwendig wäre zu sagen, warum ist es eigentlich China, die überall in der Dritten Welt, in Südamerika öffentliche Infrastrukturprojekte finanzieren? S-Bahn-Systeme, U-Bahn-Systeme bauen, usw. Wo ist da die USA? Das versteht Biden, glaube ich, schon. Die Demokraten wissen das. Die Frage ist, ob sie noch die Power haben, das wirklich durchzusetzen, sich da entsprechend zu engagieren. Vielleicht eher was für die zweite Hälfte der Amtszeit, wenn dann die innenpolitischen Probleme erst einmal gelöst sind.
Carsten Roemheld: Und wie sehen Sie die Europäer jetzt mit ihrem großen Binnenmarkt dastehen? Aktuell UK ist jetzt natürlich draußen; auf der einen Seite gibt‘s eine Chance, auch vielleicht durch den Green Deal jetzt neue Impulse zu setzen in wirtschaftlicher Hinsicht in Europa. Wo wird sich Europa einordnen im Rahmen dieser großen globalen Handelssituation?
Rüdiger Bachmann: Europa hat nach wie vor alle Chancen, weil es eben mit diesem Pfund des gemeinsamen Marktes wuchern kann. Aber das bedeutet halt auch, dass man international mit einer Stimme sprechen muss, mit einer machtvollen Stimme, und es klar sein muss, dass man Europäer nicht auseinanderdividieren kann. Und das ist halt in so vielen Fragen völlig ungeklärt. Und solange das nicht geklärt ist, ist Europa halt immer in diesem Zwitterstatus zwischen den Nationalstaaten und der Zentrale. Das ist ein großes politisches Experiment, ob man, ohne die Vereinigten Staaten von Europa zu gründen, und zwar mehr oder weniger nach dem Vorbild der USA, also mit starken Einzelstaaten; auch in den USA ist es ja nach wie vor so, unsere Staaten haben ja viel Macht. In der Sicherheitspolitik haben die einzelnen Staaten unglaublich viel Macht und in gewissem Sinne ist der Präsident in vielen innenpolitischen Bereichen eher machtlos, eher zahnlos. Das wird in Europa immer ein bisschen unterschätzt, glaube ich, weil man in der Außenpolitik, da ist der Präsident halt quasi fast königgleich, fast monarchisch. Aber innenpolitisch ist der Präsident in den USA keine machtvolle Figur oder weniger machtvoll, als das wahrgenommen wird.
Und die Frage ist: Kann Europa so eine Stimme haben wie die USA? Zum Beispiel als Europa so eine Stimme haben wie die USA, ohne nicht in einem am Ende dann doch wie auch immer gearteten Bundesstaat überführt zu werden? Also eine wirklich, wirklich demokratische Bundesebene zu haben? Ich habe da meine Zweifel ehrlich gesagt. Ich kann das nicht ausschließen, dass das möglich ist; dass das ein großes Experiment wäre. Ich sehe nicht, dass Europa den Schritt gehen wird in den nächsten paarJahrzehnten in diesen Bundesstaat. Also wird das die Frage – wird Europa in der Lage sein, dass ohne diesen letzten Schritt, diesen großen Integrationsschritt auf der Weltbühne zu machen? Vielleicht will Europa auch gar nicht. Man kann ja auch sagen: Ist ganz nett, dass Europa so klein ist und irgendwie so am Rande ist. Und man soll uns, die anderen sollen uns in Ruhe lassen und wir können wirtschaften. Das ist halt die Schweizer Philosophie, nur halt ein bisschen in größer. Na gut, kann man ja auch sagen, wir machen halt unser Ding. Wir sind freundlich zu jedem, aber wir wollen auch unsere Füße nicht nass machen. Kann auch eine gute Politik sein, will ich gar nicht ausschließen. Das wird halt, glaube ich, die Diskussion sein in Europa in den nächsten Jahrzehnten.
Carsten Roemheld: Lassen Sie uns mit der letzten Frage noch mal auf die ökologische Transformation auch der Wirtschaft übergehen. Wir haben in Europa hier auch den Green Deal, in USA ist Biden dafür bekannt, dass er auch eine ökologische Transformation vornehmen möchte. Sie haben mal irgendwann geschrieben, glaube ich, im Verlauf des letzten Jahres, das sei nicht unbedingt die Zeit, diese ökologische Transformation voranzutreiben, aber andererseits soll man natürlich Innovationen weiter fördern und nach vorne ausrichten. Wie ist Ihre Haltung zu diesem Thema? Was meinen Sie, wie erfolgreich eine solche Politik in Zukunft gemacht werden kann? Wie stark sie auch die Märkte bestimmen werden?
Rüdiger Bachmann: Was ich geschrieben habe, bezog sich tatsächlich auf die Mitte der Pandemie und das Konjunkturpaket. Ich habe mich gewehrt, das Konjunkturpaket zu überfrachten mit ökologischen Aspekten, wie das einige auf der Linken ganz gerne gehabt hätten. Dagegen habe ich mich gewehrt.
Damals ging es eben, wenn man es schon machen wollte – ich war immer nicht sicher, ob man wirklich damals ein Konjunkturpaket machen wollte aus Gründen, über die wir ganz am Anfang gesprochen haben, weil wir eben noch mitten in der Pandemie waren. Aber wenn man es dann schon machen wollte und Olaf Scholz wollte das machen, dann sollte man das nicht mit transformierenden Ausgaben überlasten. Man hat es ein bisschen dann doch gemacht, es ist halt immer der politische Kompromiss, aber im Großen und Ganzen hat man das vermieden. Natürlich wird man - ansonsten ist das einander unabdingbar, eine Schicksalsfrage - natürlich wird man das hinbekommen müssen, eine Dekarbonisierung unserer Wirtschaft. Ich glaube, das ist völlig unstrittig.
Die Frage ist, wie wird das zu machen sein. Als Ökonomen wollen wir halt gerne den einheitlichen CO2-Preis, ob man das jetzt über eine Steuerlösung oder über eine Zertifikatelösung macht, da gibt's unterschiedliche Vorteile und Nachteile. Das ist eine eher technische Frage oder auch eine eher juristische Frage, leider, wie sich das in bestehende Rechtsrahmen einbauen lässt. Aber wie gesagt, es ist zunächst einmal der CO2-Preis und der wird mit begleitenden Maßnahmen zu begleiten sein. Also mit Grundlagenforschung in alternative Technologien, in Speichertechnologien natürlich. Das scheint auch noch nicht alles ausgeforscht zu sein, das ist klar, das wird man als Ökonom fordern wollen. Und man wird auch Übergangsprogramme haben, die eben zumindest den Ärmeren in unserer Gesellschaft diesen Umstieg dann erleichtern. Also ganz konkret, wenn dann der CO2-Preis hoch ist und eine alte Heizung erneuert, eine Ölheizung erneuert werden muss oder ausgetauscht werden muss. Das kann sich halt nicht jeder leisten, da muss man dann durchaus auch über die verteilungspolitischen Nebenwirkungen – wobei Nebenwirkungen, das hört sich jetzt so verniedlichend an; das meine ich damit aber nicht, sondern die verteilungspolitischen Nebenwirkungen von, sagen wir mal, einem einheitlichen CO2-Preis, die wird man abfedern müssen, zumindest für eine gewisse Zeit.
Insofern wird‘s da zusätzliche Maßnahmen geben müssen. Das ist eine Schicksalsfrage, klar, das wird kommen müssen. Wenn das nicht kommt, dann wird die Menschheit riesige Probleme haben. Das ist für mich, glaube ich, unstrittig.
Carsten Roemheld: Allein darüber könnte man noch stundenlang weiterreden, damit sind wir aber leider schon am Ende unserer Zeit angelangt. Alle Themen, die wir heute besprochen haben, hätte man noch viel weiter vertiefen können. Aber ich glaube, uns ist ein ganz ordentlicher Rundumschlag gelungen, um über die US-wirtschaftliche und gesellschaftliche Situation zu sprechen. Ich danke Ihnen sehr, Herr Professor Bachmann, für Ihre Zeit und dass Sie hier so wunderbar Rede und Antwort gestanden haben. Und den Zuhörern danke ich auch für Ihre Aufmerksamkeit. Ich freue mich jetzt schon auf den nächsten Podcast, bei dem vielleicht alle wieder dabei sein werden. Und ich hoffe, dass Sie in der Zwischenzeit gesund bleiben und die Märkte weiterhin uns gewogen sind. Also vielen Dank, machen Sie es gut, bleiben Sie gesund und bis zum nächsten Mal.
Rüdiger Bachmann: In diesem Sinne vielen Dank.