IT-Sanktionen gegen Russland: Der Krieg beschleunigt die Abkapselung vom Internet – Teil 2
Carsten Roemheld: Russland ist technologisch heute extrem vom Westen abhängig, jedenfalls bei der Hardware. Aber wie sieht es bei der Software aus und bei der Kontrolle des Internets und der digitalen Medien? Hier hat der Staat in den vergangenen Jahren immer stärker nach Unabhängigkeit vom Westen gestrebt und technologisch aufgerüstet. Nun, im Krieg haben sich unter anderem die Zensurbemühungen der Russen um das Zehnfache beschleunigt, sagt Alena Epifanova, Expertin für Russlands Informationspolitik bei der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik in Berlin.
Im zweiten Teil des Kapitalmarkt-Podcasts sprechen wir über die Möglichkeiten des Staates, den Internetzugang für die Bevölkerung technisch zu unterbrechen; darüber, wie groß die Unterstützung für Putin im eigenen Land eigentlich noch ist; und wir erfahren, warum das Regime die Kontrolle übers Netz auch als eine sicherheitspolitische Frage begreift.
Carsten Roemheld: Kommen wir im zweiten Themenblock auf die politische und zivilgesellschaftliche Dimension zu sprechen. Und wenn wir über die Technologiepolitik der russischen Führung sprechen, müssen wir auch über die Internetabschottung des Landes sprechen. Vor wenigen Tagen haben russische Behörden die Sperrung der Onlinenetzwerke Facebook und Twitter angeordnet. Es sieht also mehr und mehr so aus, als versucht der Staat, sich auch hier abzuschotten vom Westen und eine große Firewall nach chinesischem Modell zu errichten. Wie ist aus Ihrer Sicht hier der Stand? Wie kann das aktuell weitergehen?
Alena Epifanova: Im Unterschied zur Entwicklung der eigenen Informations- und Kommunikationstechnologie ist Russland dort tatsächlich vorangekommen. Weil meiner Meinung nach war es tatsächlich eine der wichtigsten Prioritäten für den Kreml, so ein technologisches Überwachungssystem zu schaffen und auch mehr und mehr Kontrolle und Überwachungsmöglichkeiten dem Staat zu geben. Das russische Internet oder das Internet in Russlands Grenzen ist ein Bestandteil des globalen Internets. Es wurde so von vornherein aufgebaut, dass es nicht das chinesische Modell war, wo eine zentralisierte Kontrolle von vornherein Bestandteil des Internets war. Russlands Internet ist bis heute sehr frei und für den Staat war es irgendwann tatsächlich ein Problem, wenn es darum ging, bestimmte Informationen zu zensieren und Zugang zu bestimmten Informationen im Land einzuschränken.
Und Russland hat sich in den letzten zwei Jahren tatsächlich technologisch aufgerüstet, dass dort bestimmte Technologien auf den Netzwerken von russischen Internet-Service-Providern installiert wurden; also ‚Deep Packet Inspection‘ heißen sie. Und das sehen wir in den letzten Jahren. So seit März 20/21 blockiert die russische Behörde Roskomnadsor relativ erfolgreich solche sozialen Medien wie Twitter, Facebook, Instagram. Ich würde wiederum jetzt nicht über eine totale Sperrung sprechen. Also die Plattformen sind noch in Russland zugänglich und das hängt auch von Region zu Region ab, von verschiedenen Internet-Service-Providern und auch ganz viele Menschen benutzen jetzt VPN; aber klar, das ist jetzt tatsächlich eine neue technologische Maßnahme, die der russische Staat jetzt durchgesetzt hat in den letzten zwei Jahren. Und es kommt dazu, dass kritische Informationen immer weniger zugänglich werden in Russland.
Carsten Roemheld: Also stark eingeschränkter Zugang sozusagen. Seit zweieinhalb Jahren ist in Russland das sogenannte souveräne Internetgesetz in Kraft, dass es der Regierung unter anderem auch erlaubt, im Krisenfall das eigene Internet praktisch vom internationalen Netz abzukoppeln. Was hat es genau mit diesem Gesetz auf sich und warum gibt’s das überhaupt?
Alena Epifanova: Dieses souveräne Internetgesetz hat ganz verschiedene Teile. Eines davon, was wir schon besprochen haben, ist eben dieses Management von Informationen, also zentralisiertes Blockieren, zentralisiertes Filtern von bestimmten Informationen, Zugang zu bestimmten Webseiten. Und das andere ist, dass Russland versucht, ein nationales Domain-Name-System aufzubauen. Also das heißt, so wie wir das nennen, so ein Telefonbuch des Internets; also, dass Menschen in Russland alle Webseiten der Welt quasi abrufen können, wenn sie nur einen bestimmten Namen, z.B. fidelity.com, eingeben und dann werden sie das schon ansehen können. Und Russland versucht quasi, damit so eine Kopie des globalen Internets in Russlands Grenzen einzubauen; dass eben die ganze Infrastruktur von DNS in Russlands Grenzen aufgebaut wird. Also das heißt Server und auch die ganze Infrastruktur, das IP-System; und dass Russland damit auch unabhängig von den internationalen Organisationen wie
ICANN sein wird und quasi selber alleine das Internet in den eigenen Grenzen managt. Und dann, dass auch die staatlichen Behörden die Kontrolle über Kommunikationsnetze oder Traffic-Exchange-Points und alle Server haben und dann auch selber managen können.
Das ist die Idee, dass Russland sich quasi abkoppeln kann und trotzdem ein Internet oder ein Intranet in den eigenen Grenzen haben kann, ohne von anderen Akteuren oder von anderen der nationalen Organisationen abhängig zu sein. Und dann wird diese Zensur von kritischen Informationen tatsächlich erfolgreich sein. Wenn wir jetzt sehen, dass Menschen in Russland trotz der Sperrungen und trotz dieser ganzen Blockierungen Facebook trotzdem nutzen können, vor allem durch VPN, dann kann die VPN auch nicht wirklich helfen. Dann kann ein russischer Nutzer nur Informationen abrufen, die auf Server in Russland liegen. Das heißt, die Server im Ausland werden nicht mehr erreichbar sein und der russische Staat wird die ganze Kontrolle über die Server in Russland haben.
Carsten Roemheld: Jetzt sind ja Gesetze das eine und die Lebensrealität ist vielleicht was anderes. Erleben wir jetzt gerade so eine Art Zeitenwende in Russland oder sind das alles Entwicklungen, die sich schon länger abgespielt haben? Ein Prozess, der uns jetzt nur gerade auffällt, weil wir genauer hinschauen? Wie ist da Ihr Eindruck?
Alena Epifanova: Die Prozesse waren tatsächlich schon da. Durch den Krieg wurde alles zehnfach beschleunigt. Also diese ganze Zensur, die der russische Staat versucht durchzuführen, und dieses Vertreiben vor allem von den US-amerikanischen Firmen und vor allem sozialen Medien war ein langer Wunsch. Und es gab ganz verschiedene gesetzliche Maßnahmen und technologische Maßnahmen, dass diese Firmen nicht mehr in Russland funktionieren oder mit dem russischen Staat kooperieren, das haben sie nicht gemacht. Und jetzt kommt es dazu, dass so in einer Kriegssituation wirklich sehr strikte, die striktesten Maßnahmen eingeführt werden, die eben dadurch erklärt werden, Russland befindet sich in einer besonderen Situation und alle Maßnahmen müssen angewendet werden, damit der russische Staat diesen Informationskrieg gewinnt.
Und natürlich diesen Exodus von den globalen Firmen, technologischen Firmen, hat keiner erwartet, glaube ich. Das ist tatsächlich ein sehr großer, schmerzhafter Schritt für den russischen IT-Markt. Und gleichzeitig: Also zum Beispiel Microsoft kann man zum Teil ersetzen, wenn wir über Microsoft Word oder Excel sprechen, also da gibt es schon Alternativen. Aber wenn wir über Betriebssysteme sprechen, da kann Russland nicht mithalten, kann man zum Beispiel Windows nicht so wirklich ersetzen.
Genau, und dann dadurch, dass so viele globale IT-Firmen aus Russland aussteigen, ist es natürlich jetzt einfacher, dass Russland da irgendwelche andere eigene Firmen und eigene Dienste verwenden wird, die natürlich vom Staat abhängig sind oder vom Staat besser überwacht werden. Und da entsteht schon eine neue Infrastruktur und ein neues sozusagen ‚IT-Ökosystem‘, das sich unabhängiger vom globalen Internet, von globalen IT-Firmen macht. Wiederum ist es keine beste Qualität. Also ich glaube, da muss der russische Staat damit leben, was da ist; und es ist einiges da. Aber gleichzeitig ist dieses Ziel von einem souveränen Internet tatsächlich durch diesen Krieg nähergekommen.
Carsten Roemheld: Wie funktioniert das aus Ihrer Sicht mit der Propaganda? Es interessiert mich auch selbst die Frage. Das ist ja ein wesentliches Ziel auch dieser medialen Abschottung. Wie funktioniert das? Wie viele Leute sehen nach wie vor über regulierte, staatlich überwachte Dienste Fernsehen, das Staatsfernsehen oder den Facebook-Klon VK? Ist das immer noch die Mehrzahl der Leute? Und wie ist das Informationsbedürfnis der Leute darüber hinaus?
Alena Epifanova: Es ist ziemlich schwer, einzuschätzen, wie viele Menschen Fernsehen oder Facebook konsumieren, und auch wiederum: Was lesen Sie auf Facebook? Da gibt es ja auch ganz viel Desinformation und Propaganda. Ich glaube, das Ziel des Staates ist sozusagen einerseits, das offizielle Narrativ, dass eine Spezialoperation, sogenannte Spezialoperation, stattfindet, durchzusetzen und zu verbreiten, also vor allem im Inland und durch das staatliche Fernsehen und VK, also VKontakte, der Klon von Facebook, oder Odnoklassniki, das ist auch so eine russische Soziale-Medien-Plattform; und andererseits eben einen Zugang zu anderen Plattformen zu verhindern und Zugang zu kritischen Information zu verhindern. Weil es sind ja nicht nur die sozialen Medien geblockt, sondern auch viele Webseiten, zum Beispiel auch von der Deutschen Welle in Russland oder der BBC, Meduza, so einem kritischen Medium in Russland. Und das heißt, dass sie da sozusagen diese zwei Richtungen gleichzeitig fahren. Und da kommt es tatsächlich dazu, dass viele Menschen alternative Plattformen suchen, wie zum Beispiel Telegram, die aber auch zum Teil problematisch ist. Und man weiß auch über die Kooperation von diesem Messenger mit dem russischen Staat und den russischen Sicherheitsdiensten. Also da kann man sich nicht ganz sicher sein, wie weit man überwacht wird oder nicht. Aber man weiß über diese Kooperation. Man weiß wenig, aber sie findet auf jeden Fall statt.
Und ich gehe davon aus, wenn wir tatsächlich jeden Tag Menschen auf den Straßen Russlands sehen, dass sie gegen den Krieg protestieren; trotz drastischer Maßnahmen, trotz des brutalen Zusammenschlagens und auch jetzt der Gefahr, fünfzehn Jahre im Gefängnis zu verbringen, nur wenn man das Wort ‚Krieg‘ sagt. Also da gehe ich davon aus, dass ein relativ breiter Teil der Bevölkerung Zugang zu Informationen hat und vor allem durch Telegram jetzt, aber auch Twitter und Facebook, die immer noch zugänglich sind. Natürlich, das sind Menschen, die sich tatsächlich darum kümmern, bestimmte Schritte zu unternehmen, bestimmte Software zu installieren und diese Blockierungen zu umgehen. Die wird immer weniger. Da gehe ich davon aus, dass das tatsächlich jetzt auch eine Frage der Zeit ist: Wie lange kämpfen Menschen immer noch um Zugang zu Information? Und es ist leider so, dass die Propagandamaschine jetzt tatsächlich auf Hochtouren funktioniert und sich vor keiner Lüge scheut und tatsächlich alle möglichen Erklärungen verwendet, wie erfolgreich die russische Armee da die sogenannten Nazis bekämpft. Was es natürlich sehr schwer macht, sozusagen eine andere Position darzubringen, wenn unabhängige Medien als ausländische Agenten erklärt werden bzw. dass ihre Ressourcen einfach nicht mehr zugänglich sind in Russland.
Carsten Roemheld: Da schließt sich die Frage an: Was glauben Sie, wie groß die Loyalität im Moment noch für das System ist und für das System Putin aktuell ist? Kann man das aus Ihrem Eindruck schildern?
Alena Epifanova: Ich glaube, diese Unterstützung ist noch sehr, sehr breit. Weil da wird auch den Menschen erklärt, dass der eigentliche Feind ja der Westen ist. Und auch jetzt, wenn die Sanktionen eingeführt werden und dass Russland isoliert wird, es wird dadurch erklärt, dass der Westen versucht, Russlands Stärke einzudämmen, dass der Westen versucht sozusagen, Russlands Entwicklung zu verhindern.
Und das ist natürlich ein Problem, weil die Menschen reflektieren nicht, wer tatsächlich die Ursache ist von ihren Problemen. Die Umfragen zeigen, dass zwischen 50 bis 70 % diese Spezialoperation und eben Wladimir Putin auch unterstützen. Aber da würde ich auch tatsächlich vorsichtig mit diesen Zahlen umgehen, weil ganz viele Menschen beantworten einfach nicht die Umfragen. Das heißt, wir sprechen über diese 50 bis 70 % von denjenigen, die bereit sind, überhaupt die Frage zu beantworten, und sich dann auch tatsächlich für Wladimir Putin aussprechen. Aber das jetzt im gesamten Land zu sehen – was heißt das tatsächlich? Wie groß ist die Unterstützung? Das ist schwer zu sagen. Aber auch so von meinen Kontakten in Russland höre ich tatsächlich eine erschreckend starke Unterstützung für Putin und für diesen Krieg.
Carsten Roemheld: Lassen Sie uns im dritten Teil noch mal zu der sicherheitspolitischen Dimension kommen und genauer die russische Technologiepolitik beobachten. Sie sagen ja, dass die russische Führung digitale Souveränität und eine eigenständige Informationstechnologie als entscheidende Grundlage für die Zukunft des Landes versteht und als zentrales Element eben auch im Wettbewerb der Großmächte. Was, würden Sie – Stand heute – sagen, ist realistisch? Dass Russland das Ziel der digitalen Souveränität auch erreicht?
Alena Epifanova: Ich glaube, dass Russland einen gewissen Grad von digitaler Souveränität erreichen wird. Die Frage ist, wofür es dient sozusagen. Wenn wir sagen, das dient tatsächlich dem wirtschaftlichen Zuwachs, der technologischen Überlegenheit oder den globalen Wettbewerbsfähigkeiten, dann sage ich, das ist ein absoluter Fehler. Mit so einem Modell des souveränen Internets kann Russland nichts erreichen.
Wenn es darum geht, mit diesem Modell des souveränen Internets das Regime zu stärken und da auch eine Weile noch zu versuchen, ohne Reformen oder Investitionen die Macht beizubehalten, dann hat Russland Erfolge gemacht und damit kann Russland quasi tatsächlich weiterleben. Und dann wiederum die Frage, ob es mit China kooperiert. Und da könnte China natürlich die eigene Erfahrung teilen und mit diesem sogenannten ‚Digital Authoritarianism‘ zusammenarbeiten, wo sie tatsächlich versuchen, die Kräfte zu bündeln und eben die Nationalstaaten unabhängiger von globalen IT-Playern zu machen, vor allem von dem Monopol der Vereinigten Staaten.
Also da sehe ich schon diese Gefahr, dass Russland zumindest nicht so souverän, also technologisch souverän, sein wird. Das wird sie einfach nie werden, also diese Politik. Auch ohne den Krieg hätte es wahrscheinlich noch ziemlich lange gebraucht, um da anzukommen. Aber jetzt, wenn wir tatsächlich über die Modelle von Überwachung, von der gesellschaftlichen Kontrolle sprechen und digitalen Technologien, da kann Russland einiges machen. Und ich glaube, jetzt gerade sehen wir, dass Russland tatsächlich auch Fakten schafft in diesem Bereich, wo auch viele andere autokratische Länder ganz genau gucken, wie kann man mit sozusagen ‚Low Budget‘ tatsächlich so Überwachungssysteme schaffen.
Carsten Roemheld: Sie haben ja kürzlich auch beschrieben, wie sich aktuelle Propagandaziele Russlands verschieben. Wir alle kennen die Debatten um die Einflussnahme auf Wahlen im Westen. Das war in Deutschland der Fall, in den USA. Nun richten sich die Bemühungen des Staates anscheinend zunehmend nach innen. Also hat Putin es jetzt aufgegeben, den Westen von seinen Ansichten überzeugen zu wollen? Führt er einen Informationskrieg gegen seine eigene Bevölkerung?
Alena Epifanova: Ich glaube schon. Das ist auf jeden Fall eine der wichtigsten Prioritäten gerade, weil der Krieg verläuft offenbar nicht so, wie er geplant war. Und das heißt zum Beispiel, wir haben überhaupt keine Mobilisierung der Bevölkerung vor dem Krieg gesehen. Also der Krieg oder diese Pläne, sie wurden ziemlich geheim gehalten. Und jetzt sehe ich es so, dass der Staat schon gezwungen ist, zu erklären, was da eigentlich passiert. Und da sehe ich, dass die wichtigsten Kräfte und sozusagen diese Ressourcen von der Propaganda tatsächlich sich nach innen richten. Und dazu kommen noch die Sanktionen, die, wenn sie jetzt nicht sofort eine Wirkung auf die breitere Bevölkerung haben, dann werden sie es jetzt definitiv in der nächsten Zukunft haben. Also das heißt, das ist tatsächlich jetzt eine Priorität.
Und dann glaube ich, dass Wladimir Putin tatsächlich nicht damit gerechnet hat, dass so eine breite Weltgemeinschaft sich dagegenstellt. Und da, glaube ich, geht es tatsächlich um die Priorisierung der Macht. Und dann priorisiert er tatsächlich sozusagen die innere Politik und dann auch eben, dieses Narrativ eben nach innen zu richten. Und nach außen ist es definitiv schwierig, auch im Vergleich zur Ukraine und im Vergleich zu Wolodymyr Selenskyj als einer der Hauptinfluencer sozusagen, die einfach unglaublich erfolgreich zeigen, was tatsächlich da abläuft. Und da, glaube ich, kann Putin gerade nicht mithalten angesichts vor allem der innenpolitischen Situation.
Carsten Roemheld: Ganz zum Schluss noch eine Spezialfrage: Cyberattacken gehören ja inzwischen offenbar mit zum militärischen Instrumentarium. Russland setzt in der Ukraine offenbar Schadsoftware ein. Die Ukraine forderte jüngst, den Russen das Internet abzudrehen, und nutzt soziale Medien als Instrument der Verteidigung. Das Hackerkollektiv Anonymous hat Russland den Krieg erklärt. Wie gefährlich kann das für uns werden? Ist Russland in der Lage, in westlichen Ländern Chaos zu erzeugen? Sind nach solchen Cyberattacken Strom- oder Telefonausfälle möglich? Engpässe bei der Treibstoffversorgung und bei Lebensmitteln oder ein Zusammenbruch wichtiger Infrastrukturen?
Alena Epifanova: Ich glaube, es ist tatsächlich eine Gefahr. Es kann dazu kommen, dass Russland versuchen wird, eigene Cyberkapazitäten einzusetzen, weil wir sehen, dass der Kreml sagt, wir werden mit Gegensanktionen oder Gegenmaßnahmen auf die westlichen Sanktionen antworten. Praktisch haben sie natürlich ziemlich wenig Spielraum. Und dann kommen solche asymmetrischen Maßnahmen, wo Russland mit sozusagen weniger Kapazitäten größeren Schaden verursachen kann, tatsächlich als eine Option.
Und wir wissen auch über die erfolgreichen Cyberattacken wie Solarwind oder Petya. Also das heißt, da war jetzt nicht nur so eine Webseite vom Bundestag nicht mehr erreichbar, sondern es kam tatsächlich zu Störungen von lebenswichtigen Stoffen und da führen die Spuren nach Russland. Also das ist ganz klar. Vielleicht wurde es nicht genau vom Kreml angeordnet, aber doch von bestimmten Kräften, die im Interesse des Staates agieren. Und klar, wir müssen dann auch mit Desinformationskampagnen rechnen, auch wenn sie jetzt sozusagen nicht das wichtigste Ziel des Kremls sind. Aber ich glaube schon, dass es darum geht, jetzt auch Russland zu beweisen, dass es auch um eine neue Weltordnung geht. Und das versucht er ja auch mit diesem Krieg zu zeigen, dass es nicht nur Amerikaner sind, die entscheiden können, in welche Länder sie einmarschieren und was sie da machen, sondern Russland ist auch in der Lage, eigene Sicherheitsinteressen in jedem Land durchzusetzen.
Ich glaube, diese Idee einer neuen Weltordnung von Russland, das könnte auch durchaus ein Narrativ, eine Desinformationskampagne sein. Und Telekommunikationsnetzwerke, auch Banken und staatlichen Behörden, also die sind auf jeden Fall in Gefahr. Also dass Russland das tatsächlich in eigenen Cyberattacken benutzen kann, weil, wie ich so Wladimir Putin dann höre und die ganze Rhetorik, befindet er sich im Krieg – nicht nur mit der Ukraine, sondern mit dem Westen. Und das heißt, da kann er tatsächlich bestimmte asymmetrische Maßnahmen anwenden und die Cyberattacken sind offensichtlich eine Option.
Carsten Roemheld: Dann wollen wir das trotzdem mal nicht hoffen. Wir haben viele offene Fragen immer noch, wir konnten nur einige davon beantworten. Frau Epifanova, vielen, vielen Dank für Ihre spannenden Einsichten, die Sie uns heute mitgeteilt haben.
Auch vielen Dank, liebe Zuhörer, dass Sie dabei waren. Ich freue mich sehr auf das nächste Mal. Alle weiteren Informationen finden Sie auf unserer Website www.fidelity.de. Ich danke Ihnen herzlich noch mal fürs Zuhören und freue mich, wenn Sie das nächste Mal wieder dabei sind.
Ihr Carsten Roemheld.
Alena Epifanova: Vielen Dank.