Carsten Roemheld: Deutschland läuft in Sachen Innovationskraft vielen anderen Staaten weltweit hinterher. Das belegen internationale Vergleichsdaten. So kommen die führenden Industriestaaten auf die zwei- bis dreifache Zahl an Patenten und es erscheinen teilweise vier- bis sechsmal so viele wissenschaftliche Publikationen zu Technologiethemen wie bei uns. Auch Deutschlands Tech-Handelsbilanz sieht mau aus. Der Digitalisierungsgrad der Unternehmen legt bloß im Mittelfeld. Und die IT-Investitionen? In Bezug zum Bruttoinlandsprodukt liegen sie bei uns weit unterhalb des weltweiten Durchschnitts. Kurzum, alles, was man landläufig mit Innovation verbindet, findet in Deutschland nicht so richtig statt. Wie bedenklich ist die Lage wirklich um unseren Standort? Welche Folgen hat der massive Rückstand in einigen Zukunftsfeldern? Was können wir tun, um die Innovationsfähigkeit zu verbessern? Und wie misst man überhaupt richtig, wie innovativ ein Land ist? Über all das spreche ich heute mit Dr. David Born. Er ist Berater bei Roland Berger, Leiter des hauseigenen Think Tanks Roland Berger Institute, und hat maßgeblich am Innovationsindikator 2024 mitgewirkt, den Roland Berger gemeinsam mit BDI, ZEW und dem Fraunhofer Institut im Herbst 2024 veröffentlicht hat. Deutschland liegt in dieser internationalen Vergleichsstudie von 35 Nationen in Sachen Innovationsfähigkeit auf Rang 12 - immerhin im oberen Mittelfeld, aber weit entfernt von der Spitze. Heute ist der 15. Januar 2025. Mein Name ist Carsten Roemheld. Ich bin Kapitalmarktstratege bei Fidelity und Sie hören den Fidelity Kapitalmarkt-Podcast. Ich freue mich sehr auf Antworten auf diese und weitere spannende Fragen in den kommenden 45 Minuten mit Dr. David Born. Herzlich Willkommen, Herr Dr. Born.
David Born: Vielen Dank für die Einladung und die freundliche Begrüßung.
Carsten Roemheld: Damit wir alle auf den gleichen Stand kommen, bevor wir in medias res gehen, würden Sie vielleicht noch einmal ganz kurz die Schlüsselergebnisse im Innovationsindikator 2024 für uns skizzieren? Was oder wer steht ganz oben, wer ganz unten und wo stehen wir?
David Born: Ja, sehr gerne. Fangen wir oben an. Ganz oben stehen drei vergleichsweise kleine Volkswirtschaften, nämlich die Schweiz an der Spitze und sehr dicht dahinter Singapur und Dänemark. Die drei Länder bilden eine Spitzengruppe, die sich sehr deutlich abhebt von allen, die danach kommen. Danach kommen ganz am Ende Südafrika, Russland und Indonesien. Wenn man noch ein bisschen weiter unten guckt, sind mit Ausnahme Chinas alle BRICS-Staaten tatsächlich am unteren Ende des Innovationsindikators vertreten. Sie haben schon gesagt, Deutschland ist solides Mittelfeld, Platz zwölf. Im Jahr davor war es Platz zehn, das heißt, man hat jetzt auch gesehen, dass Deutschland etwas nachgelassen hat. Wenn man sich aber anschaut, wo die großen Volkswirtschaften stehen, dann könnte man auch sagen, dass Deutschland unter den großen Volkswirtschaften auf dem zweiten Platz steht. Es ist also auch immer eine Interpretationsfrage und eine Framingfrage, ob das Ergebnis ganz furchtbar oder sehr gut ist. Und das Schöne am Innovationsindikator ist natürlich, dass er eine Datenbasis liefert, um dieses „Glas halb voll, Glas halb leer“ etwas besser zu unterfüttern.
Carsten Roemheld: Sie beschäftigen sich ja seit mehreren Jahren mit diesem Thema. Gibt es für Sie denn noch Überraschungen, die in diesen Studien zutage treten? Haben Sie diesmal irgendwo gedacht „Das hätte ich jetzt so vielleicht nicht erwartet“?
David Born: Vielleicht nicht unbedingt überrascht, aber überraschend deutlich war, wie stark Russland nachgelassen hat. Auch noch mal konkret in Folge des Krieges gegen die Ukraine. Das war schon jetzt deutlich zu sehen, und unsere Daten sind von 2023. Wir haben 2024 veröffentlicht, das heißt, wir konnten Daten bis 2023 berücksichtigen, und da war die Umstellung auf Kriegswirtschaft in Russland natürlich noch gar nicht vollständig geschehen, so dass zu befürchten ist, dass der Indikatorwert noch weiter gesunken ist.
Carsten Roemheld: Ja, Russland hat sicherlich auch viele Fachkräfte und Spezialisten verloren in diesem Zuge und deswegen wahrscheinlich auch sicherlich ein Problem damit. Jetzt kommen wir mal zur Spitze: Die kleineren Volkswirtschaften, Sie hatten es gerade genannt, schneiden erstaunlich gut ab, und es sind sehr unterschiedliche Länder, die Sie da genannt haben. Schweiz, Singapur und ähnliche, die scheinen ja einiges richtig zu machen. Nehmen wir mal die die Schweiz, die ist seit Jahren immer wieder auf Platz eins zu finden. Was machen denn die Eidgenossen richtig?
David Born: Da müssen wir zwei Sachen beachten. Die erste ist, dass es kleinen Volkswirtschaften leichter fällt, Spitzenplätze zu erreichen im Innovationsindikator. Einfach weil sich kleine Volkswirtschaften stärker auf besonders innovative Sektoren fokussieren können – was große Volkswirtschaften weniger stark machen können. Aber – und das ist auch sehr wichtig – dass die Schweiz so gut ist, ist jetzt kein reines Ergebnis der Berechnung oder kein statistisches Artefakt. Die Schweiz macht sehr viel richtig, macht sehr viel gut. Um mal ein paar Beispiele zu bringen: In der Schweiz gibt es extrem gute Bildungseinrichtungen. Und die Wirtschaft ist wiederum stark auf solche Bereiche fokussiert, die wiederum von forschungsstarken Bildungseinrichtungen profitieren. Jetzt sehen wir Pharma als ein großes Beispiel, wo eben Wissenschaft, Forschung, Entwicklung, Produktentwicklung und Vermarktung sehr eng miteinander einhergehen. Das heißt, mal anders gesagt, in der Schweiz gibt es nicht nur sehr viele Ideen, sondern die Wirtschaft kann die Ideen auch sehr gut vermarkten.
Carsten Roemheld: Dann müsste es bei den größeren Volkswirtschaften umgekehrt sein. Es fällt ja auf, dass die eher schlechter abschneiden, gerade auch die USA. Die hätte man vielleicht weiter oben erwartet. Können Sie die Gründe noch mal genauer nennen? Ist es tatsächlich so, dass man in diesen großen Volkswirtschaften sich eben nicht so konzentrieren kann, sondern das Ganze im Großen und Ganzen ein bisschen verschwimmt?
David Born: So könnte man es bezeichnen. Der Innovationsindikator setzt die Innovationsleistung immer im Vergleich zur Größe einer Volkswirtschaft, also zur Einwohnerzahl oder zum BIP. Warum machen wir das? Die Differenz zwischen der Größe der Volkswirtschaften ist so groß, dass ein Indikator, der diese Größenunterschiede nicht berücksichtigt, am Ende zu stark korrelieren würde mit der absoluten Größe einer Volkswirtschaft. Die USA haben absolut natürlich deutlich mehr Patente als Singapur haben kann. Deshalb muss man es auf die Größe einer Volkswirtschaft normieren. Und das heißt aber auch, dass man damit in Kauf nimmt, dass die großen Volkswirtschaften einen statistischen Nachteil haben. Jetzt mal ganz konkret gesagt: Ein sehr kleines Land kann sagen, wir konzentrieren uns auf IT und Pharma. Und das kleine Land importiert dann beispielsweise Lebensmittel, Möbel und Autos. Das kann ein Land wie die USA natürlich nicht machen. Wer sollte denn überhaupt ausreichend Lebensmittel produzieren, um die ganzen USA zu versorgen? Und gleichzeitig ist der Weltmarkt überhaupt nicht groß genug, um alle Produkte aufzusaugen, wenn die USA sich ausschließlich auf Innovation fokussieren würde. Das heißt, wir haben dieses statistische Artefakt hier drin bei den großen Volkswirtschaften. Und, um das auch noch mal klarzumachen, in absoluten Werten sind die USA natürlich ein absolutes Innovations-Powerhouse. Da beißt die Maus keinen Faden ab.
Carsten Roemheld: Genau darauf wollte ich auch noch mal eingehen, Sie haben es ja gerade beschrieben. Aufgrund der Berechnungsweise haben die kleinen Länder einen gewissen Vorteil, wenn man in bestimmten Regionen oder bestimmten Bereichen innovative Ecken oder innovative Stoßrichtungen hat, in die man vordringen kann. Dann könnte es ja trotzdem ein innovatives Land sein, auch wenn es vielleicht nach ihrem Indikator insgesamt an Innovationskraft verliert. Also die Frage: Wie aussagekräftig ist dieser Indikator dann, wenn die USA eigentlich in manchen Bereichen führend sind, im Indikator schneiden sie aber nicht so gut ab.
David Born: Man muss ja auch noch mal unterscheiden, dass wir neben dem Vergleich zwischen Ländern auch einen Vergleich über die Zeit haben. Das heißt, wir können uns auch die Dynamik anschauen, die ein Innovationssystem mit sich bringt. Und da kann man natürlich gut verfolgen, ob eine Volkswirtschaft am reinen Indikatorwert zulegt. Das heißt, ob sie sich bei den verschiedenen Messindikatoren, die wir benutzen, verbessert oder verschlechtert. Und da sehen wir beispielsweise, dass in den USA eher keine Verbesserung in den letzten Jahren zu sehen ist, was übrigens auch für Deutschland gilt, und was eher dann bei Deutschland für die These spricht „das Glas ist eher halb leer als halb voll“.
Carsten Roemheld: Jetzt möchte ich auf ein Land noch mal eingehen. Ich weiß nicht, ob sie da eine Antwort darauf haben. Taiwan ist ja für mich ein sehr spannendes Land und ich hätte jetzt vermutet, dass Taiwan relativ weit oben im Innovationsranking steht. Weil sie natürlich technologisch, was vor allem Halbleiter und ähnliche Dinge betrifft, sicherlich ganz vorne stehen und da weltweit führend sind. Sie sind aber auf Rang 15, wie ich es hier gesehen habe. Wie kann man das erklären, dass trotz dieser kleinen Region und einer vermeintlich hohen Innovationsfähigkeit da ein doch relativ schlechter Wert herauskommt?
David Born: Um gute Werte im Indikator zu erzielen, muss man auf einer Breite von Indikatoren gut abschneiden. Wenn ein Land besonders gut im Bereich der Halbleiter ist, dann reicht das noch nicht. Zumal Taiwan natürlich auch ein Ökosystem aufgebaut hat, was gerade im Chip Bereich extrem wettbewerbsfähig ist, was die Produktion extrem guter Chips angeht. Aber wenn wir uns zum Beispiel anschauen: Wer baut denn eigentlich die Lithographie-Maschinen, um diese hochmodernen Chips herzustellen, wo ja wahnsinnige Innovation drinsteckt. Das ist eine holländische Firma. So verbindet man natürlich mit Taiwan High Tech. Aber im Indikator ist so eine Forschungsarbeit wie bei Lithographie-Maschinen natürlich nicht in Taiwan zu verorten.
Carsten Roemheld: Ja, das ist natürlich ein absolut richtiger Aspekt. Bevor wir gleich noch näher auf die deutschen Ergebnisse eingehen, habe ich ein paar Fragen zu der Methode Innovationsfähigkeit. Das ist ja ein durchaus weiter Begriff. Können Sie vielleicht noch mal kurz erklären, was genau ist Innovationsfähigkeit?
David Born: In unserem Blick sichert Innovationsfähigkeit die Zukunftsfähigkeit von Volkswirtschaften ab. Das klingt jetzt erstmal relativ banal, aber da steckt natürlich was dahinter. Denn nicht umsonst arbeiten wir ja auch mit Fraunhofer und ZEW zusammen, die eben auch sehr stark mit anderen Forschungsinstituten in der Diskussion stehen, was eigentlich Innovation ist und wie man sie messen kann. Und ein in der Forschung sehr anerkannter Ansatz ist die Messung über sogenannte nationale Innovationssysteme. Wir schauen uns an, welche Funktionen die Innovationssysteme in Ländern überhaupt erfüllen müssen. Das sind vier Stück. Zunächst einmal müssen Innovationssysteme neues Wissen schaffen. Aber ein erfolgreiches Innovationssystem sorgt auch dafür, dass dieses Wissen an die Wirtschaft weitergegeben wird. Und die Wirtschaft wiederum braucht die Grundlage und die Fähigkeit, um dieses Wissen in neue Produkte und Dienstleistungen - in Innovationen – umzusetzen, und schließlich auf dem Markt mit diesen Innovationen erfolgreich zu sein. Wir haben einen sehr breiten Ansatz, um abzuschätzen, wie Innovationsfähig eine Volkswirtschaft ist.
Carsten Roemheld: Das klingt sehr spannend. Da ist wahrscheinlich auch ein Knackpunkt - vielleicht sogar für Deutschland. Wir haben eigentlich gute wissenschaftliche Voraussetzungen, um innovativ zu sein. Doch die Übersetzung von der ursprünglich wissenschaftlich basierten Innovation auf erfolgreiche Produkte am Weltmarkt durch Unternehmen, Risikokapital und ähnliches scheitert in der Umsetzung. Da ist doch für Deutschland sicherlich ein großer Knackpunkt, oder?
David Born: Da denkt jeder an das Beispiel MP3. Das MP3 Format wurde in Deutschland erfunden, aber die Amerikaner haben den MP 3 Player vermarktet. Das ist eins dieser Standardbeispiele. Auch im Bereich KI kommen wahnsinnig viele Forschungsergebnisse aus Deutschland. Teilweise gehen dann die klügsten Köpfe in die USA oder eben die Vermarktung erfolgt über die USA. Im Digitalbereich ist das sicherlich so. Das ist im Startup-Bereich auch so. In der Breite, wie wir uns jetzt Innovation anschauen, da sehen wir das Licht. Da ist Deutschland tatsächlich gut durch eine enge Verknüpfung von angewandter Forschung und einem sehr tiefen Prozessverständnis innerhalb der Industrie. Und das wird man dann auch weiter hinten sehen. Wenn wir uns Schlüsseltechnologien angucken, ist Deutschland gerade bei neuen Produktionstechnologien sehr gut und da eben auch sehr stark am Markt. Das sieht man ja auch nach wie vor an der sehr positiven Handelsbilanz. Deutsche Produkte sind ja nachgefragt und sind ja auch innovativ, sonst wären sie es nicht.
Carsten Roemheld: Genau das ist natürlich der Grund auch für unsere Außenhandelsüberschüsse, aber da gibt es ja Leute, vor allem in den USA, die das sehr stört und die dem Ganzen einen Riegel vorschieben wollen. Wir werden jetzt sehen, wie Herr Trump demnächst mit den Zöllen umgeht. Aber das ist ein anderes Thema. Noch einmal kurz zur Innovationsfähigkeit und der Messung. Sie haben ja Ihre Methode schon mal angedeutet, die Sie beschrieben haben. Sie messen insgesamt 23 Einzelindikatoren. Können Sie ein paar Beispiele nennen, welche Einzelindikatoren für Sie vielleicht herauszugreifen wären? Und wie machen Sie aus diesen Einzelindikatoren ein komplettes Messsystem?
David Born: Ja, gerne. Wir können ja noch mal die vier Funktionen durchgehen, die ich vorhin erwähnt habe, und einen Beispielindikator aufführen. Um zum Beispiel zu messen, in welchem Umfang ein Innovationssystem neues Wissen schafft, schauen wir auf die Ausgaben der Wirtschaft für Forschung und Entwicklung als Anteil am BIP. Das ist ein Indikator. Die Diffusion von Wissen, also die zweite Funktion, messen wir unter anderem mit der Zahl der angemeldeten Patente. Und ein Indikator für die Umsetzung von Wissen in neue Produkte und Dienstleistungen ist das investierte Risikokapital, was Sie auch schon erwähnt haben, wieder gemessen als Anteil am BIP. Und die Nutzung von Innovationen kann man durch das Gesamt-BIP pro Kopf anschauen. Also schlicht und ergreifend, wie reich ist eine Volkswirtschaft, aber auch über die Handelsbilanz bei Hochtechnologiegütern. Jetzt werden diese 23 Indikatoren, die ja alle ganz verschiedene Messniveaus haben, auf einen Wertebereich von 0 bis 100 normiert, so dass man sie hinterher dann einfach addieren und den Durchschnitt für jede Volkswirtschaft bilden kann. Dann kommt ein Indikatorwert zwischen 0 und 100 heraus. Und den Indikatorwert schreibt man da einfach untereinander nach Größe sortiert. Dann hat man den Innovationsindikator. Das klingt jetzt sehr einfach, da steckt aber natürlich noch ein bisschen mehr dahinter, etwa wie man mit „Missing Values“ und so weiter umgeht. Aber in Summe ist das Konzept nicht zu simpel, aber auch nicht zu kompliziert.
Carsten Roemheld: Und man kann, wie Sie sagen, ja bei diesen vier unterschiedlichen Systemen auch sehr gut sehen, an welchen Stellen es vielleicht hakt und an welcher anderen Stelle sie besonders gut sind. Das ist ja wahrscheinlich nicht bei allen einheitlich.
David Born: Genau.
Carsten Roemheld: Sie haben diese Messmethode 2023 modifiziert. Was gab es denn damals für Veränderungen und warum sind diese Veränderungen denn nötig geworden?
David Born: Es gab zwei große Veränderungen. Zum einen haben wir die Analyse der Innovationsfähigkeit, also den Hauptindikator, um zwei weitere Indikatoren ergänzt, um die Zukunftsfähigkeit von Volkswirtschaften noch stärker den Fokus zu rücken. Da haben wir uns nämlich einmal technologische Zukunftsfelder angeschaut. Das ist ein Korb von sieben Schlüsseltechnologien. Und wir haben uns auch angeschaut, wie nachhaltig Innovationssysteme sind. Also schaffen Volkswirtschaften es, innovativ zu sein und dabei langfristig auch planetare Grenzen einzuhalten. Das war der erste Aspekt. Wir haben also den Innovationsindikator ergänzt. Zum anderen haben wir auch die Messung der Innovationsfähigkeit, also den Hauptindikator, an den aktuellen Stand der Forschung angepasst. Früher hat man stärker auf Sektoren oder Subsysteme geschaut, also auf die Wissenschaft, die Bildung, den Staat, die Gesellschaft. Und stattdessen haben wir jetzt eine stärker funktionale Perspektive, die ich schon beschrieben habe. Also, wie schaffen wir neues Wissen, wie transferieren wir das Wissen und so weiter. Das sind also die Gründe, weshalb wir die Methode im Jahr 2023 noch einmal angepasst haben.
Carsten Roemheld: Das verstehe ich. Ist dann damit die historische Vergleichsmöglichkeit immer noch gegeben? Oder ist da jetzt irgendwo ein Bruch drin, den man vielleicht berücksichtigen muss, wenn es darum geht, wie sich die Innovationsfähigkeit über die Zeit entwickelt?
David Born: Wir haben, weil wir sehr an der Dynamik von Innovationssystemen interessiert sind, natürlich alle Daten auch rückwirkend bis zum Jahr 2005 erhoben und den Indikator mit der neuen Methode ab dem Jahr 2005 für alle Volkswirtschaften berechnet. Sprich, die Längsschnittvergleiche sind definitiv möglich, denn alles andere hätte gar keinen Sinn ergeben. Klar ist natürlich auch, wenn ich den Innovationsindikator 2024 und den Innovationsindikator 2015 nebeneinanderlege, wird das nicht funktionieren, weil sich die Methode unterscheidet. Aber ich kann im 24er Indikator natürlich schauen, was ein Land 2015 für einen Wert hatte und wo es da im Ranking stand.
Carsten Roemheld: Vielleicht noch eine Abschlussfrage zu der Studie insgesamt. Wie aussagekräftig ist so eine Studie, wenn man auf übergeordneter Ebene diese Innovationsfähigkeit von Ländern miteinander vergleichen möchte? Und wie stark wird diese Studie genutzt? Ich finde die Ergebnisse, die Sie da immer wieder bereitstellen, sehr spannend. Wie wird diese Studie genutzt und von wem?
David Born: Die Studie wird natürlich von uns genutzt, um überhaupt Erkenntnisse darüber zu haben, wo verschiedene Volkswirtschaften stehen bei der Innovationsfähigkeit. Und das ist natürlich auch wichtig bei der Beratung unserer Klienten. Der BDI, unser Kooperationspartner, schaut natürlich noch mit einer viel stärkeren Interessensverbands oder politischen Brille da drauf. Da ist natürlich das große Ziel, aufzuzeigen, wo hakt es denn? Was sind denn die Schwierigkeiten, die wir empirisch analysiert haben? Und welche Handlungsempfehlungen ergeben sich daraus für die Politik? Und dann wird es natürlich genutzt von Wissenschaftlern, die sich austauschen. Zum einen über die Methode, also wie wird Innovationsfähigkeit sinnvoll gemessen. Deshalb gibt es auch ein relativ ausführliches wissenschaftliches, englischsprachiges Methodenpapier zum Innovationsindikator, was in der Wirtschaft wenig rezipiert wird, aber dafür in der Forschung. Und schließlich gibt es natürlich auf Ebene der größeren Interessensverbände und multilateralen Organisationen auch viele Personen, die sich mit Innovation beschäftigen und die natürlich auch den Innovationsindikator rezipieren. Fairerweise muss man auch sagen, ist es natürlich nicht die einzige Studie, die die Innovationsfähigkeit misst. Unserer Meinung nach ist es aber die Beste, weil wir die beste Methode haben.
Carsten Roemheld: Ja, das kann ich mir vorstellen. Sie haben eine wichtige Gruppe genannt, nämlich die Politik, die ich jetzt für die fast wichtigste Adressatengruppe halten würde. Natürlich haben Sie auch Ihre Kunden. Aber die Frage ist, wie offen ist das Ohr der Politik für diese Studien und wie aufnahmefähig sind Politiker in diesem Bereich? Denn man hat in den letzten Jahren ein bisschen den Eindruck, dass Deutschland in vielen Bereichen hinterherhinkt. Aber so richtig passiert von politischer Seite wenig. Deshalb die Frage: Was ist Ihr Eindruck und welchen Einfluss hat diese Studie in der Politik?
David Born: Wir konkurrieren natürlich mit einer Vielzahl an Studien, das muss man ehrlicherweise sagen. Aber der Innovationsindikator kann sich dadurch auszeichnen, dass es kein Lobbypapier, sondern eine wissenschaftlich fundierte Studie ist, die eben sehr gut aufzeigen kann, wo Sachen in die falsche Richtung laufen. Wir, beziehungsweise der BDI, finden durchaus Gehör bei der Politik, denn es ist nicht vornehmlich Aufgabe von Roland Berger, politisch Einfluss zu nehmen. Deshalb macht das unser Kooperationspartner. Aber wir stellen den Innovationsindikator regelmäßig am Innovation Festival des BDI vor, wo eben auch die Politik da ist und die Politik auch diskutiert. Und, um jetzt auch mal positiv zu enden: Es sind ja auch Sachen in die richtige Richtung gegangen, also dass man sagt, 3,5% des BIPs müssen für Forschung und Entwicklung ausgegeben werden. Da hat man wichtige Schritte eingeleitet seitens der Politik, die auch in die richtige Richtung gingen.
Carsten Roemheld: Schön zu hören, dass auch etwas in die richtige Richtung geht, lieber Herr Born. Ich bin mir sicher, dass trotzdem einiges zu tun bleibt. Und dass wir in Deutschland, was die Innovationskraft angeht, noch viel Luft nach oben haben. Aus dem Gespräch bis hierher nehme ich vor allem mit, wie vielschichtig der Begriff Innovation ist. Es geht eben nicht nur darum, wie viele Patente die Unternehmen in einem Staat anmelden. Sondern auch darum, dass man wissenschaftliche Ergebnisse wirtschaftlich nutzbar macht. Im zweiten Teil des Podcast werden wir noch ausführlicher über Deutschlands Stärken und Schwächen sprechen. Es wird außerdem darum gehen, wie sich die wirtschaftliche Lage Deutschlands auf unsere Innovationsfähigkeit auswirken könnte. Und was Kalifornien, Massachusetts, Sachsen und Baden-Württemberg gemeinsam haben. Ich freue mich auf Ihre Anregungen und Kommentare, liebe Zuhörerinnen und Zuhörer. Mailen Sie mir gern ihre Fragen oder das, was Sie zu dem Thema beschäftigt. Den Kontakt finden Sie wie immer in der Podcast-Beschreibung. Und wenn Ihnen unser Podcast gefällt, abonnieren Sie ihn und empfehlen Sie uns weiter. Das geht auch über Likes und positive Bewertungen bei Ihrem Podcast-Programm. Ich danke Ihnen jetzt schon für Ihre Rückmeldungen und empfehle ausdrücklich den zweiten Teil unserer neuen Folge zur Frage: Wie innovationsfähig ist Deutschland?
Carsten Roemheld: Haben wir Deutschen unseren Erfindergeist verloren? Manchmal scheint es so, wenn man sich die bahnbrechenden technologischen Neuerungen aus den USA oder aus Asien anschaut. Aber hinken wir in Sachen Innovation wirklich so weit hinterher, wie wir glauben? Und welche Stärken hat Deutschland dann noch? Darüber spreche ich mit Dr. David Born. Er ist Berater bei Roland Berger, Leiter des hauseigenen Thinktanks Roland Berger Institute. Und er hat maßgeblich mitgewirkt am Innovationsindikator 2024, einer internationalen Vergleichsstudie, die Roland Berger gemeinsam mit BDI, ZEW und dem Fraunhofer Institut im Herbst 2024 veröffentlicht hat. Im zweiten Teil unseres Gesprächs geht es nun darum, was uns droht, wenn große Unternehmen den Standort verlassen und Arbeitsplätze abbauen. Und warum die Bundesländer Sachsen und Baden-Württemberg einiges mit den US-Bundesstaaten Kalifornien und Massachusetts gemeinsam haben. Herzlich Willkommen zum zweiten Teil des Podcast, Herr Dr. Born.
Carsten Roemheld: Nehmen Sie uns doch direkt einmal wieder mit in den Innovationsindikator 2024. Dort liegt Deutschland im Vergleich zu den 34 anderen Industrienationen auf Platz 12, im Jahr 2023 haben wir hingegen noch Platz 10 belegt. Warum sind die Deutschen weiter abgerutscht?
David Born: Wir fangen mal wieder mit einem positiven Aspekt an. Deutschland hat einen sehr ausgeglichenes und stabiles Innovationssystem. Das heißt, wir sind nirgendwo richtig schlecht und sind auch nicht wahnsinnig viel schlechter geworden in den letzten Jahren. Aber anders formuliert, unser Innovationssystem hat wenig Dynamik, es ist sehr stabil – es hat sich aber auch wenig verändert in den letzten Jahren. Aber wir leben ja nicht allein auf der Welt, und in einem international dynamischen Wettbewerb ist natürlich das Beharren auf dem Status quo eine gefährliche Strategie. Und genau das ist auch der Grund, warum Deutschland jetzt, ich sage in Anführungszeichen, abgerutscht ist von Rang zehn auf zwölf. Der Indikatorwert, der rauskommt, hat sich nicht viel verändert, aber andere Volkswirtschaften sind eben besser geworden. Eine Volkswirtschaft, die eine unfassbare Dynamik entfaltet – das dürfte jetzt keinen überraschen – ist China. Da kann man sich, wenn man sich die Tabelle der Ratings über die Jahre anschaut, einen Pfeil machen, wie China über die Jahre nach oben gegangen ist. Und da ist natürlich eine viel stärkere Dynamik im Innovationssystem als jetzt in Deutschland.
Carsten Roemheld: Im Report findet sich diesmal ein besonderer Blick auf bestimmte Regionen in den USA und in Deutschland. Kalifornien, Massachusetts, Baden-Württemberg und Sachsen. Warum ausgerechnet diese vier? Wo stehen diese einzelnen Regionen in der Gesamtwertung?
David Born: Ja, das war eine Neuerung, die wir letztes Jahr eingeführt haben. Die kam einfach daher, dass wir festgestellt haben, dass die Gewichtung nach Größe von Volkswirtschaften sich nicht immer so einfach kommunizieren lässt. Wir hatten ja schon zu Beginn über die Methode gesprochen. Man fragt sich: Die USA, die sind doch stark in Innovation – zum Beispiel ChatGPT – das kommt doch alles von dort. Warum sind sie denn dann nicht so gut? Die Erklärung dafür ist natürlich etwas komplex. Da muss man ausholen, wie ich es vorhin getan habe. Und um das etwas anfassbarer zu machen, haben wir gesagt, wir schauen uns jetzt einmal die sehr innovativen Regionen innerhalb großer Volkswirtschaften an. Um mal aufzuzeigen, wie das funktioniert. Sprich: Wir haben in den großen Volkswirtschaften kleine Regionen, die sehr innovativ sind, aber wenn man dann die Gesamtwirtschaft anschaut, dann mittelt es sich halt mit den Regionen aus, die weniger innovativ sind. Dass es diese vier wurden, liegt schlicht auch an der Datenverfügbarkeit. Unsere ersten Ideen waren eben Kalifornien, Massachusetts, Paris, London, Tokio und eben Baden-Württemberg und Sachsen. Für Tokio, London, Paris war die Datenverfügbarkeit einfach nicht gut genug, als dass man hätte sagen können, da bekommt man etwas heraus, mit dem wir nach draußen gehen wollen. Deshalb haben wir uns auf diese vier Regionen beschränkt. Und was kam dabei heraus? Da kommt das raus, was man auch erwarten würde. Gerade in den USA sieht man, dass Kalifornien und Massachusetts deutlich besser abschneiden als die USA insgesamt. Konkret: Im Gesamtindikator liegen die USA auf Rang 22, wir haben ja vier Regionen hinzugefügt, deshalb etwas weiter hinten als vorhin erwähnt. Massachusetts liegt da auf Platz 7 und Kalifornien auf Platz 13. Beides also deutlich vor dem Gesamtwert der USA.
Carsten Roemheld: Und wenn ich jetzt mal auf Baden-Württemberg eingehe, da sind wir sogar auf Rang vier, als einzelne Region. Wie ist denn das zu begründen, was kann der Rest von Deutschland von Baden-Württemberg lernen?
David Born: Ja, es dürfte keinen überraschen, dass Baden-Württemberg sehr stark bei Patent- und Markenanmeldungen ist. Das ist das Land der Denker und Tüftler, wie sie sich ja oft nennen, und das sieht man auch bei uns in den Daten. Die Unternehmen dort sind aber auch sehr forschungsstark. Das heißt, sie geben einfach viel Geld für Forschung und Entwicklung aus. Ich will keine Namen nennen, aber man kennt ja die großen Unternehmen dort, die im Maschinenbau, im Automotive, als Automotive-Zulieferer tätig sind und eben auch hochinnovative Güter produzieren. Und hinzu kommt auch, dass die Bevölkerung in Baden-Württemberg sehr gut ausgebildet ist. Jetzt ist natürlich die Frage, was kann denn Deutschland hiervon lernen? Ich würde jetzt sagen: Eins ist, konsequent auf hochqualitative Bildung setzen und natürlich auch Anreize für Investitionen in Forschung und Entwicklung schaffen. Aktuell haben wir ja wirklich in Deutschland ein Thema mit dem Fachkräftemangel. Wir reden zwar jetzt viel über einen schwächelnden Arbeitsmarkt, aber das heißt ja nicht, dass der Fachkräftemangel deshalb weggegangen wäre. Und wir haben natürlich ein Problem mit zu hoher Regulierung, was die innovationsfreundlichen Rahmenbedingungen einfach abwürgt.
Carsten Roemheld: Ja, da haben Sie mal sehr wesentlich Punkte genannt, absolut. Und ich würde auch den Fokus auf Bildung und Education sozusagen sehr hochhalten an der Stelle, das sollte man auf jeden Fall betonen. Jetzt haben wir in den letzten Monaten teilweise nicht allzu positive Wirtschaftsnachrichten erhalten. Große Unternehmen und Industrieunternehmen haben teilweise angekündigt, dass sie den Standort verlassen werden, dass sie Arbeitsplätze verlieren werden und auch Stellenabbau ist angekündigt worden. Auch Unternehmen wie Bosch zum Beispiel, die wahrscheinlich zu denen gehören, die Sie auch in Ihrem Ranking drin hatten. Kann man schon davon sprechen, dass das größere und nachhaltigere Auswirkungen auf die Innovationsfähigkeit haben könnte und damit uns in Zukunft beim Indikator Probleme bereiten kann?
David Born: Absolut, diese Möglichkeit besteht. Umgekehrt ist es aber natürlich auch so, dass manche Unternehmen in den Schwierigkeiten stecken, in denen sie jetzt gerade stecken, weil eben zu wenig Dynamik im Innovationssystem war über die letzten Jahre. Das heißt, wir laufen hier durchaus Gefahr, in so einen Teufelskreis zu geraten. Erst war man nicht innovativ genug, dann erodiert das Geschäftsmodell und dann fehlt das Geld für Innovation. Es ist natürlich ganz entscheidend, aus diesem Teufelskreis auszubrechen. Denn diese Unternehmen, die Sie genannt haben, sind ja keine Einzelbeispiele oder Einzelfälle, sondern das hängt ja miteinander zusammen. Insbesondere das verarbeitende Gewerbe steht vor einer sehr großen technologischen Transformation, getrieben durch die Digitalisierung und durch neue Technologien im Bereich der Dekarbonisierung oder Green Tech. Und wenn sie da weiterhin erfolgreich sein wollen, müssen sie diese Transformation meistern und das wird ohne Innovation nicht gelingen.
Carsten Roemheld: Jetzt besteht die Möglichkeit über Standortvorteile gewisse Unternehmen in andere Länder zu holen. Ich spreche mal vom Beispiel USA, weil das gerade am deutlichsten spürbar ist. Der neue Präsident, der nächste Woche ins Amt kommt, wirbt sehr stark für die Standortvorteile und sagt, lieber Zölle erheben zu wollen, um sozusagen die Produkte daran zu hindern, ins eigene Land zu kommen. Aber er bietet andererseits auch den Unternehmen die Möglichkeit ins Land zu kommen, und damit natürlich sehr stark auf politischer Ebene diese Innovationskraft ins eigene Land zu holen. Das könnte ja nachhaltig schon Einfluss haben auf die Handelsflüsse und auf die Arbeitskräfte, auf die Standorte letzten Endes. Das könnte dieses Ranking doch auch noch mal stärker von politischer Seite aus beeinflussen.
David Born: Sicherlich. Man muss auch wissen, dass das Ganze jetzt nicht allein von der neuen US-Regierung abhängt. Wir sehen tatsächlich diesen Trend schon seit ein paar Jahren, dass viele Länder in viel geringerem Ausmaße Güter exportieren, sondern gleich die ganze Fabrik exportieren. Nehmen wir mal die großen Automobilkonzerne, BMW oder auch Mercedes, die ja auch schon in den USA produzieren. Und ein anderes Beispiel, schauen wir uns Europa an: Noch importiert Europa die meisten Lithium-Akkus aus China. Das wird aber nachlassen, nicht weil wir auf einmal einen Riesensprung in der Batterietechnik gemacht hätten, sondern weil CATL, das große chinesische Unternehmen für Batterietechnologie, eben ein riesiges Werk in Ungarn baut. Also diese Verlagerung von Produktionsstätten läuft schon. Und man kann auch davon ausgehen, dass sich die Innovation und die Forschungszentren dadurch global verschieben. Wie schnell das geht, bleibt abzuwarten.
Carsten Roemheld: Jetzt sind wir ein bisschen abgeschwenkt von diesen einzelnen Ländern. Ich würde gerne noch mal auf Sachsen eingehen, weil dort auch der Innovationsindikator, besonders das Wissenschaftssystem, dort als Erfolgsfaktor hervorhebt. Wie ist das Thema Forschung in Sachsen zu sehen? Ist das sozusagen vorbildlich und deutlich besser als in vielen anderen Regionen in Deutschland?
David Born: Sachsen ist ein ganz starker Bildungsstandort, das zeigen auch andere Vergleichsstudien, die alle Bundesländer in den Blick nehmen. Und durch die starke Bildung, durch die starke Wissenschaft und Forschung, schneidet Sachsen in dieser funktionalen Betrachtung besonders gut bei der Generierung von neuem Wissen ab. Für mich zeigt das auch noch mal, welche Rolle der Staat in einem Innovationssystem spielt. Der Staat selbst ist wahrscheinlich nicht der erste und wahrscheinlich auch nicht der beste Innovator. Aber es ist ganz entscheidend, dass der Staat die richtigen Rahmenbedingungen für ein Innovationssystem schafft, was international erfolgreich ist. Und dazu gehört ganz sicherlich, sie hatten das auch schon gesagt, das Bildungssystem, eine exzellente Wissenschaft.
Carsten Roemheld: Es gibt zwei Spezialrankings, in denen Deutschland ganz besonders gut dasteht. Schlüsseltechnologien, da sind wir auf Rang sieben und Nachhaltigkeit – hätte man vielleicht sogar fast erwarten können – auf Rang drei. Wie genau wird das gemessen? Und warum und in welchen Bereichen sind wir da besser als andere?
David Born: Mit der Betrachtung der Schlüsseltechnologien messen wir die Wettbewerbsfähigkeit in solchen Technologien, die wir als Zukunftsfelder definiert haben. Dazu gehört natürlich digitale Hardware. Dazu gehört auch digitale Software, und dazu gehört auch Biotechnologie. Und Deutschland schneidet besonders gut bei neuen Produktionstechnologien ab, eben durch die enge Verzahnung von angewandter Wissenschaft, gutem Prozessverständnis in der Industrie, woraus dann tatsächlich Produkte entstehen, die auf dem Weltmarkt sehr, sehr erfolgreich sind. Etwas schwächer schneiden wir bei den digitalen Themen ab, aber auch nicht unbedingt so schlecht, wie man oft erwarten würde. Wir haben ja auch weiterhin gute Technologie im Halbleiterbereich und wir haben ja mit SAP jetzt auch ein sehr großes, erfolgreiches Software-Haus. Das ist das, was ich auch anfangs sagte: Der Innovationsindikator hilft zu differenzieren, und er hilft auch zu hinterfragen, wo genau Anpassungsbedarf notwendig ist. Weniger Anpassungsbedarf als jetzt bei Schlüsseltechnologien oder vor allen Dingen der Gesamtinnovationsfähigkeit sehen wir tatsächlich im Bereich Nachhaltigkeit. Wir schauen also, wie stark kann ein Innovationssystem planetare Grenzen berücksichtigten. Und wie stark machen wir denn Umweltinnovation und neue Green Tech Produkte. Und hier schneidet Deutschland gut ab, weil das gesamte Innovationssystem in der Breite auf Nachhaltigkeit ausgerichtet ist. Das kann man im Grunde schon erkennen: Wenn man sich länger mit der Clean-Tech-Thematik befasst, sieht man, wie viele deutsche Unternehmen da schon seit vielen, vielen Jahren sehr stark sind. Und das zeigt eben auch der Indikator.
Carsten Roemheld: Also ich nehme einige positive Aspekte mit. Sie haben wirklich einiges hervorgehoben, was man vielleicht nicht unbedingt erwartet hätte. Deutschland ist nicht so schlecht, wie sein Ruf, das wird aus Ihren Aussagen relativ deutlich. Können wir zum Schluss noch mal auf ein paar Ratschläge eingehen, die Sie vielleicht haben mögen? Als Berater bleiben Sie ja nicht beim Status quo stehen und stellen einfach nur fest, sondern ich vermute mal, dass Sie daraus auch Schlussfolgerungen und Empfehlungen ableiten. Was müsste denn aus ihrer Sicht in Deutschland passieren, vielleicht die Top 3 Tipps, um die Innovationsfähigkeit weiter zu steigern?
David Born: Zunächst einmal sollte man sich bewusst machen, dass nicht alles schlecht ist in Deutschland. Aber die Frage ist natürlich: Welchen Anspruch haben wir? Wir haben uns ein Wohlstandsniveau erarbeitet und der Anspruch der Bevölkerung ist, das zu halten und auszubauen. Und dazu reicht das, was wir jetzt im Innovationssystem sehen, in Deutschland nicht aus. Das heißt, wir sind für die anstehenden Jahre und auch für die anstehenden globalen Veränderungen nicht gut gewappnet und daher rührt eben auch dieser starke Bedarf für Veränderungen in Deutschland. Denn klar ist, wenn nicht entschieden gegengesteuert wird, werden wir weiterhin eine Talfahrt sehen. Vielleicht geht der Indikatorwert nicht stark zurück, aber im Ranking werden andere Volkswirtschaften an uns vorbeiziehen. Also was sollte man denn jetzt machen? Fangen wir mal ein bisschen mit einer stärkeren politischen Brille an. Die drei politischen Ratschläge, die man geben kann: logisch, bessere Rahmenbedingungen. Dazu zählt insbesondere weniger und bessere Regulierung, die einfach stringenter ist. Klar ist: Auch überhaupt die Umsetzung dieser Regulierung möglich zu machen. Der Staat hat sich durch zu viel Regulierung selbst Fesseln angelegt, weil die öffentliche Verwaltung gar nicht mehr in der Lage ist, in der nötigen Geschwindigkeit die Regulierung umzusetzen. Das ist ein Phänomen, was noch mal extrem stark war in den letzten zehn Jahren. Hier ist immenser Handlungsbedarf. Das gilt auch konkret, wenn wir uns Bereiche wie Venture Capital anschauen. Risikokapital, das haben Sie in Ihrer Anmoderation gesagt, da steht Deutschland nicht gut. Und das gilt für ganz Europa, auch da ist nicht alles schlecht. Aber gerade wenn ein erfolgreiches Start-up skalieren will, wachsen will und dann große Summen braucht, fehlen uns in Europa Fonds, die groß genug sind, um sinnvoll große Investments noch steuern zu können. Da ist ein großer Bedarf, was Regulierung angeht. Zweiter Punkt, und da sieht man auch schon ein Umdenken, ist, ob wir wirklich so stark zwischen ziviler und militärischer Forschung trennen wollen. Lange, lange war ja in Europa Verteidigungsindustrie ein Thema, was man eher mit der Kneifzange angefasst hat. Das hat sich geändert. Man hat jetzt, seit Russland Krieg gegen die Ukraine führt, stärker verstanden, dass auch für die Verteidigung von liberalen Demokratien eine gute Verteidigungsindustrie notwendig ist. Und da, gerade wenn wir uns moderne Kriege, hybride Kriege anschauen, gibt es sicherlich große Synergiepotenziale im Bereich Cybersicherheit zum Beispiel. Und schließlich, das hatten wir auch schon mal kurz andiskutiert, brauchen wir eine starke Grundlagenforschung mit einer starken Qualitätsorientierung. Heißt: Der Staat muss in gute Universitäten investieren, er muss aber auch insgesamt in die Breite des Bildungssystems investieren. Wenn wir uns anschauen, wie viele Schülerinnen und Schüler tatsächlich ohne Schulabschluss bleiben, ist das eine Katastrophe in einem Land, was von demografischen Herausforderungen steht und das dann eine große Zahl an Jugendlichen überhaupt keinen Abschluss machen, ist kein hinnehmbarer Status quo. Ich hätte jetzt auch noch Vorschläge für Unternehmen, weil ich sag mal, der Politik etwas zurufen, Ist ja immer einfach. Wichtig ist auch zu verstehen, Innovation fängt ja bei jedem selbst an. Um die Produktivität nach vorne zu bringen, die Innovation in Deutschland voranzubringen, muss jeder in seiner Firma, in seiner Abteilung, Behörde, wo auch immer, aktiv werden. Und das heißt auch, dass Unternehmen ganz radikal auf Innovation setzen müssen, um jetzt die anstehenden Herausforderungen gerade im internationalen Wettbewerb zu meistern. Ich habe schon gesagt, das ist gerade nicht einfach. Die Margen sind unter Druck. Und deshalb müssen die Unternehmen als zweiten Punkt ein ganz aktives Portfoliomanagement machen. Das heißt: Ich muss gleichzeitig zukunftsträchtige Geschäftsfelder aufbauen und solche Geschäftsfelder, die nicht mehr rentabel sind und die nicht mehr für die Zukunftsfähigkeit benötigt werden, restrukturieren oder ganz abstoßen. Das ist auch eine sehr schwierige Aufgabe für alle Unternehmen. Und schließlich braucht man Innovationskultur. Innovationskultur heißt höhere Risikobereitschaft, das heißt auch eine Fehlerkultur. Und das geht natürlich auch vom Management in den Unternehmen aus. Das heißt, die Aufgaben gehen uns nicht aus. Dank des Innovationsindikators unter anderem haben wir zum Glück kein Erkenntnisproblem mehr. Wir haben aber bislang noch ein Umsetzungsproblem.
Carsten Roemheld: Vielen Dank, Herr Dr. Born, das war wirklich eine hervorragende Zusammenfassung. Also ich nehme mit: Der Indikator impliziert keine allzu schlechte Position von Deutschland, aber wir müssen einiges tun, um am Ball zu bleiben oder gar wieder nach weiter nach vorne zu kommen. Sie haben wirklich ein paar wertvolle Hinweise geliefert. Finde ich wunderbar klare Aussagen an Politik, an Unternehmen. Herr Dr. Born, vielen Dank für dieses überaus spannende Gespräch. Und auch ihnen, liebe Zuhörerinnen und Zuhörer, herzlichen Dank für Ihr Interesse. Ich hoffe, wir konnten wieder einiges für Sie bereitstellen, was Sie mitnehmen können, und ich würde mich freuen, wenn wir uns bei der nächsten Ausgabe oder einem der vielen anderen Fidelity Formate wiedersehen.
Viele Grüße und bis bald
Ihr Carsten Roemheld