Fidelity Podcast
Thema: So meistern wir die Klimakrise — Teil 2
Carsten Roemheld: Politik, Gesellschaft und Unternehmen müssen an einem Strang ziehen, um die Klimakatastrophe abzuwenden. Und welche Rolle spielen Investoren dabei? Für Frank Schätzing sind Anleger eine zentrale Kraft für den ‚Green Change‘ hin zu einer klimafreundlichen Wirtschaft. Denn wo investiert wird, gibt es Fortschritt.
Im ersten Teil dieses Podcasts hat uns der Bestsellerautor veranschaulicht, was es kostet, wenn wir die Klimakatastrophe nicht aufhalten. Im zweiten Teil sprechen wir darüber, wie Anleger ihren Beitrag leisten können und wie sie gleichzeitig in die Wachstumsmärkte von morgen investieren. Interessanterweise nennt Schätzing neben den erneuerbaren Energien die Künstliche Intelligenz als Schlüsselbranche. Denn künftig wird es darauf ankommen, den Klimawandel in all seiner Komplexität möglichst präzise vorherzusagen, um effektiv an den richtigen Stellschrauben gegensteuern zu können. Dazu braucht es enorm leistungsfähige Analyse-Tools. Außerdem reden wir über falsch verstandenen Liberalismus, Demut angesichts der großen Freiheit hierzulande und was Querdenker mit Geschwindigkeitsbegrenzungen im Stadtverkehr zu tun haben.
Ich wünsche Ihnen viel Spaß beim zweiten Teil unseres Gesprächs.
Carsten Roemheld: Kommen wir jetzt mal zur Finanzindustrie, um den Link herzustellen. Der Klimaschutz hat in der Vergangenheit nicht so eine große Rolle gespielt und heutzutage ist zum Glück das Thema jetzt sehr deutlich auf die Agenda gekommen. Viele Investoren rufen auch auf Umwelt und Klima zu schonen, und bestrafen auch teilweise Unternehmen, die eben das nicht tun. Wie bewerten Sie das Engagement der Finanzindustrie heutzutage? Was ist Ihr Eindruck? Welchen Beitrag können Investoren tatsächlich auch zum Gelingen der Energiewende und zum Klimaschutz insgesamt beitragen und leisten?
Frank Schätzing: Na viel, weil ich meine, letzten Endes ist da das Geld. Und wenn wir nach Kalifornien schauen, da sehen wir ja, wie investiert wird und da sitzen dann auch sehr nette Menschen und finanzieren unsere Gesellschaften oder eben Einzelpersonen wie Peter Thiel, die wahnsinnig große Summen frei machen und sagen, wir tun – oder Bill Gates auch, ne –, die eben einfach sehr viel Geld ausgeben und sagen, wir brauchen neue und grüne Technologien. Also ganz klar, da wo das Geld ist, da habe ich Fortschritt, und wo das Geld nicht ist, da habe ich im Allgemeinen nichts.
Auf der anderen Seite sollten wir aber auch nicht anfangen, Investoren zu romantisieren. Also der ganz freie Markt, der ist ja nun auch nicht nur vom Edlen, Wahren, Schönen und Guten getrieben. Und das ist ja auch, wenn wir uns die Indizes mal anschauen und sehen, wo ich zum Beispiel investieren kann, also wenn ich mir den DAX 50 ESG anschaue, dann ist das ganz nett, was sie da machen; aber da sind immer noch so einige der üblichen Verdächtigen drin, die man in so einem Index eigentlich nicht haben sollte. Und da ist die Prüfung also bei den Global-Compact-Prinzipien der Vereinten Nationen Standard, aber da sind auch Rüstungsgüter, Tagebau und Kernenergie mit drin.
Und ich glaube, was Anleger heute wissen müssen ist, dass natürlich wie bei allem auch ESG-Investment als neue Milchkuh erkannt worden ist von vielen und auch sehr viel Greenwashing ist. Also man muss sich wirklich sehr genau informieren: Wer macht denn wirklich nachhaltiges Investment? Der Mühe sollte man sich unterziehen, das rauszufinden. Und dann, denke ich, dass das in der Tat eine ganz wichtige Kraft im Markt ist.
Carsten Roemheld: Ja, Rendite ist natürlich nach wie vor ein Treiber für die Finanzindustrie und es hat jetzt inzwischen natürlich mehrfach auch Untersuchungen gegeben, dass Klimaschutz und Rendite sich eben nicht sozusagen ausschließen, sondern im Gegenteil, dass es eben Rendite auch kosten kann, wenn man Umwelt-Faktoren nicht bedenkt. Inwiefern ist das Klima auch ein Anlagerisiko für Investoren aus Ihrer Sicht?
Frank Schätzing: Na, ein ganz massives. Das erkennen wir alle, sogar Blackrock, die ja nun wirklich romantisch unverdächtig sind, aber die sagen es ja eigentlich auch. Es ist klar, wenn ich in gesunde Volkswirtschaften investiere, dann habe ich gute Aussichten, damit auch Profite zu machen. Denn ich brauche ja auch Menschen, die meine Produkte kaufen, die sie nutzen; es muss ja auch Geld reinkommen. Wenn ich verarmte Gesellschaften bekomme, die nicht mehr prosperieren können, weil die Lebensumstände nicht mehr danach sind, weil sie mit Extremwetterzuständen zu kämpfen haben, weil es zu viel Zerstörung gibt, weil es zu viel Armut gibt, die nicht mehr einzudämmen ist, dann können Industrien, dann können Wirtschaften auch nicht mehr funktionieren.
Also insofern ist es doch vollkommen klar, dass Klimarisiken Anlagerisiken, Wirtschafts- und übrigens auch Politikrisiken sind. Also auch Politiker müssen sich heute die Frage stellen, wenn sie den Klimawandel nicht in den Griff kriegen, wenn sie eben zulassen, dass in ihren Ländern Wetterextreme durch menschengemachten Klimawandel bedingt zuschlagen, dann werden sie abgewählt. Und alles das führt dazu und das macht mir ja auch ein bisschen Hoffnung, dass diese Erkenntnis – und sei sie nur rein egoistischer Natur — dazu führt, dass eben auch Industrien und die Politik sich dann doch des Klimaschutzes befleißigen.
Carsten Roemheld: Und insofern ist Klimaschutz oder Klimawandel ja auch eine Chance für Investoren. Welche Bereiche, wenn Sie sich das mal anschauen, vielleicht das Feld des Klimawandels oder Klimaschutzes oder der Klimaereignisse, in welchen Bereichen sehen Sie da vielleicht das größte Potenzial auch für Unternehmen in Zukunft?
Frank Schätzing: Ich glaube, dass wir ein großes Potenzial im Bereich der Künstlichen Intelligenz haben, denn die hat, wie ich finde, einen sehr wichtigen Faktor, uns zu helfen, die Probleme in den Griff zu kriegen. Der Klimawandel ist die wahrscheinlich komplexeste Krise, der wir uns jemals ausgesetzt sahen. Also ein großes Feuer zu berechnen und die Folgen oder die Entwicklung des Feuers zu berechnen ist schon fast unmöglich. Das folgt chaotischen Parametern. Aber Sie können zumindest mal einen gewissen Rahmen machen.
Der Klimawandel ist so unfassbar komplex, da sind so viele verschiedene Faktoren mit im Spiel, dass wir eigentlich als Menschen mit unserer Fähigkeit zur Datenerfassung und Datenauswertung das schon gar nicht mehr können. Aber Künstliche Intelligenz kann das. Die ist in der Lage, eben alle Massendaten zusammenzuführen, in sehr kurzer Zeit Muster daran zu erkennen, uns zu sagen, wie die Szenarien sind und was der beste Weg ist, Risiken zu vermeiden, wo man eingreifen müsste, um an einer anderen Stelle eine Katastrophe zu verhindern und so weiter und so fort und eben natürlich auch Gewinnmodelle auszurechnen.
Ich glaube deswegen, dass im Bereich der Digitalisierung und KI enormes Wachstum auch enorme Chancen bietet und natürlich im Bereich der erneuerbaren Energien. Der Klimaschutz ist ja ‘ne Wachstumsbranche, man kann damit richtig viel Geld verdienen. Also es ist ein innovativer Markt, wenn wir über Flugwindkraftwerke oder über mikroskopisch kleine Solarzellen sprechen oder Solarfolien, wenn wir über neue Technologien zur Reinigung der Luft sprechen. Wenn wir über ein Beispiel sprechen, was auch noch ganz interessant ist: Die schwedische Reederei Wallenius wird 2025 einen Megafrachter auf Reise schicken, die Oceanbird. Und die Oceanbird wird segeln. Es ist einer der größten Cargofrachter der Welt und der hat vier Tragflächensegel und fährt mit dem Wind. Man ist versucht zu sagen, boah, superdisruptive Technologie, also die älteste Technologie, die Meere zu überqueren überhaupt, die die Menschheit jemals entwickelt hat, wird da zum Einsatz kommen. Und man will, wenn dann der Wind mal überhaupt nicht bläst und das Ding dann doch mal mit einem Motor fahren muss, dann macht man das über Solar.
Das sind alles interessante Technologien, glaube ich. Dann haben wir Stadtentwicklung: Wir müssen uns klar werden, das sind auch große Wachstumsmärkte. Wir haben einen fortschreitenden Trend der Urbanisierung und man geht davon aus, dass um 2040/2050 herum, annähernd 2 % der Erdoberfläche von Städten bedeckt sein werden und 75 % der Menschheit in Städten leben. Also die Städte sind letzten Endes die Hotspots und auch hier ist die große Aufgabe, wie schaffe ich es, aus diesen Brutkästen, diesen klimaschädlichen Brutkästen, klimafreundliche Plätze zu machen, die mehr Energie erzeugen, als sie verbrauchen?
Und auch da gibt es etliche Technologien, die ich da in Städten zur Anwendung bringen könnte. Unsere Städte müssen wieder stärker zu Zentren auch des sozialen Lebens werden. Was auch damit zu tun hat, glaube ich, dass wir wieder mehr analoge Wertschöpfungs- und Handelsketten brauchen. Also alles ins Netz zu verlagern, immer alles nur über den Computer zu bestellen, vernichtet letzten Endes auch den Handel, den Einzelhandel. Und ich glaube, dass in attraktiven Städten, wenn man den da zurückbringt, das auch gut wird.
Carsten Roemheld: Sehr, sehr wichtige und interessante Punkte. Kommen wir kurz zum letzten Themenkomplex: Grenzen des Wachstums. Wir hatten es am Anfang schon mal angedeutet, wenn die ökonomischen Wachstumsperspektiven auf Dauer begrenzt sind, was können aus Ihrer Sicht taugliche Kriterien für den wirtschaftlichen Erfolg der Zukunft sein?
Frank Schätzing: Ich glaube nicht, dass man sagt, man implementiert jetzt eine neue Wachstumskette, eine neue Technologie, eine Wertschöpfungskette und jetzt ist die für alle Zeiten mit im Spiel und jetzt versuchen wir, die ständig zu steigern. Sondern, dass wir Wachstum eher als qualitatives Wachstum verstehen, innerhalb dessen eben Wertschöpfungsketten, die nicht mehr so effizient sind, auch verschwinden. Das heißt, wir gehen erst mal von innovativem, von geistigem Wachstum aus, das darin besteht, dass wir eine Wertschöpfungskette, die noch Makel hat, ersetzen durch eine neue. So und dann sortieren wir die alte aus. Also wir versuchen gar nicht, alles immer noch mehr zu steigern und zu steigern, sondern, wenn wir sehen, das funktioniert so nicht zufriedenstellend, das kann man verbessern, dann machen wir da die Klappe zu und implementieren eben eine neue Wachstumskette. Denn nur auf diese Weise können wir wachsen.
Es gibt ein schönes Beispiel aus der Natur: Wir sehen ja, dass die Natur zum Beispiel sich viel schneller regeneriert, als man das gedacht hat. Und das ist bei Fischbeständen der Fall. Also wir haben ja auf der Erde das Problem der Überfischung, weil eben immer mehr Fisch rausgezogen wird aus den Meeren und man dann eben auch an die Jungtiere rangeht und damit natürlich, sagen wir mal, die Grundlage zum Erhalt einer Population vernichtet; bis hin zum Aussterben einer Spezies. Und Biologen und Ökonomen haben ausgerechnet, dass, wenn sie die großen Plätze, an denen Populationen heimisch sind, wenn sie die zu Naturschutzgebieten erklären und die da in Ruhe lassen, diese sich dann in einer Weise vermehren, dass sie irgendwann natürlich über die Grenzen dieses Naturschutzgebietes hinausschwappen. Und wenn sie das, was über diese Ränder dringt, wenn sie das abfischen, dann reicht das, um die Weltbevölkerung zu ernähren. Sie müssen also nicht da rein.
Sie müssen nur dann da rein, wenn sie hingehen und sagen, ich mache jetzt immer alles billiger, das darf alles nichts mehr kosten. Dann können Sie nämlich kein Geld mehr verdienen mit dem, was Sie verkaufen. Und dann sind Sie gezwungen, immer mehr in den Markt zu bringen; zu immer billigeren Preisen und immer noch mehr und noch mehr, damit sie irgendwie noch einen Schnitt machen. Und dann vernichten sie Ressourcen.
Carsten Roemheld: Sie appellieren ja daran, dass wir in unserem Lebensstil maßhalten sollen, und das sagen auch viele Postwachstumsökonomen, die sagen, dass wir im Überfluss auf Kosten anderer leben, der Ärmeren, der Natur, unserer Kinder. Und es klingt natürlich auch plausibel und sympathisch, aber ist freiwilliger Verzicht – jetzt nennen wir es doch mal so – und Selbstbeschränkung, ist das die weltweite Lösung für die Klimakrise? Ist es ein wichtiger Baustein dafür?
Frank Schätzing: Das ist ein Baustein. Man darf ja auch die Debatte nicht entpolitisieren. Das wird gerne gemacht, dass man sagt, na ja, wir als Politik oder auch als Wirtschaft und die Politik noch mehr, wir sind ja bereit, zu handeln, wenn die Bevölkerung das will. Dieses Schielen auf das, was die Bevölkerung will ist natürlich falsch, man muss der Bevölkerung Anreize geben. Man muss ihr sagen, guck mal, es funktioniert. Also wenn du das machst, dann heißt das ja nicht, dass du jetzt ein schlechteres Leben hast, sondern wir haben dafür Vorsorge getroffen, dass du diesen Lebenswandel auch für dich persönlich einleiten kannst, dann kannst du so gut leben. Also liegt es wieder bei der Politik. Und insofern ist es ein Zusammenspiel aller Kräfte. Das geht nur im Dreiklang der Gesellschaft, der Politik und der Wirtschaft. Und darin sehe ich natürlich auch die Politik in der Verantwortung, die entsprechenden Modelle zu finanzieren.
Carsten Roemheld: Jetzt könnte man sagen, es könnte illiberal, als zu illiberal ausgelegt werden, wenn man anderen Menschen vorschreiben möchte, was ihnen zu genügen hat oder was unnötig ist, weil man jetzt bisher eigentlich im Überfluss gelebt hat. Die Frage ist: Ist das eine Möglichkeit eben, das so zu machen, oder bloß, weil es einem selbst an nichts mangelt? Könnte man das als illiberal bezeichnen in dieser Art und Weise?
Frank Schätzing: Ne, ich finde das eigentlich nicht illiberal. Das wird ja sehr gerne von den Liberalen im ganzen Land bemüht, dass jede Form der Regulierung oder der Einschränkung ein direkter Eingriff in die Freiheitsrechte sind. Also, man muss sich erst mal vor Augen halten, wenn wir uns ein Land wie Belarus oder Afghanistan anschauen, vielleicht sollten wir heute mit ein bisschen mehr Demut über Freiheit reden. Wir haben ja wirklich unfassbar viel Freiheit, wir haben einen unglaublichen Konsum.
Natürlich sagen Leute, ich will mir nicht vorschreiben lassen, mit 130 zu fahren. Ich will auf der Autobahn richtig Gas geben und man kann auch darüber diskutieren, ob eine Einführung eines Tempolimits, ob das nicht ein Eingriff in die Freiheitsrechte wäre und ob das so viel bringt. Also eine Einschränkung des Tempos auf 130 km/h in Deutschland würde zwei Millionen Tonnen CO2 einsparen. Also das wäre immerhin was, ne. Aber ich verstehe das Lamento nicht, wenn man das sagt. Wir sind in einer Situation, in der wir es uns nicht mehr leisten können, durch das Ausleben unseres Freiheitsbedürfnisses uns und andere zu gefährden. In dem Moment, wo das eintritt, da finde ich, muss man selbst freiwillig auf sich draufschauen und sage, okay, dann kann ich das und das nicht mehr so machen wie vorher.
Und in Städten, in den Ballungszentren unserer Zivilisation, beschwert sich einer, dass, wenn die Ampel rot zeigt, er dann stehenbleiben muss, bevor er über die Straße geht?! Warum sagt denn da keiner, das ist eine Einschränkung meiner Freiheitsrechte? Na, wenn ich auf der Straße fahre und da steht ein Zeichen, dass ich hier nur 50 fahren darf, und ich knatter da mit 90 durch, dann sagt mir jeder zu Recht, dies ist ein Gesetzesverstoß. Da kommt ja kein Mensch auf die Idee, zu sagen, das sei eine Einschränkung meiner Freiheitsrechte, ich möchte aber in der verkehrsberuhigten Zone 120 fahren. Also wir leben doch schon mit jeder Menge Regeln, die einfach vernünftig sind und die unsere Freiheitsrechte nicht einschränken, sondern die einfach daran appellieren, dass du nur Freiheit haben kannst, wenn du auch bereit bist, Verantwortung zu tragen.
Carsten Roemheld: Genau, da sehe ich eben das Problem, dass wir tatsächlich in der Gesellschaft immer mehr polarisiert werden und dass soziale Medien dazu führen, dass diese Spaltung sozusagen immer größer wird. Und die einen sehen es ein und verhalten sich richtig und andere wiederum wollen sich da nicht einschränken lassen oder sehen es eben anders. Und diese Spaltung zu überbrücken, wird auch eine wesentliche Aufgabe sein in Zukunft, um auch diese Bestrebungen beim Klimawandel, glaube ich, voranzutreiben.
Frank Schätzing: Ja und ich finde, wir reden auch zu viel über Spaltung. Wenn Sie in arme Länder gehen; Länder, die von Bürgerkriegen geschüttelt werden, von Hungersnöten, dann reden die Leute vom Aufbau, vom Zusammenhalten. Und wir in den reichen Nationen, wir reden von Spaltung und Weltende. Und man muss auch mal ganz klar sehen: Wer spaltet denn hier?!
Ich war vergangene Woche in Köln auf einer Veranstaltung. Ich habe diesmal, ja ein einziges Mal in meinem Leben, ein bisschen Wahlkampf gemacht für Annalena Baerbock und war auf einer Veranstaltung. Und ich wurde da mit offenen Armen empfangen. Das war eigentlich auch alles toll. Wir hatten 2000 Leute da in Köln auf dem Wilhelmplatz, aber auch 30 Querdenker. Die waren angereist, die hatten sich organisiert und die schrien die ganze Zeit alles nieder und so, mit Trillerpfeifen. Und man stellte fest, das sind gar nicht so viele, das ist eigentlich ein kleiner Prozentsatz, die wirklich absolut nicht und nirgendwo mitmachen wollen, die sich nie was vorschreiben lassen wollen, die nie bereit sind, irgendwo mal einen Abstrich zu machen. Die, die einfach immer nur machen wollen, wonach ihnen gerade der Sinn steht, ohne dass es in irgendeiner Weise für die Allgemeinheit gut wäre.
Die sind aber unfassbar laut. Das sind wenige, aber die sind so laut, dass sich die Medien und auch unser öffentliches Denken immer mehr von denen den Diskurs bestimmen lassen. Das heißt, dadurch, dass das so hochgeschwemmt wird, dass man denen so einen Platz einräumt, die so ernst nimmt, hat man natürlich auch das Gefühl, die Gesellschaft würde in der Mitte auseinanderbrechen. Das tut sie aber de facto nicht. Wir haben, aus meiner Erfahrung zumindest, immer noch eine stabile Mitte. Wir haben immer noch einen größten Teil der Bevölkerung, die bereit sind, Opfer zu bringen, mitzumachen, die sich auch Diskussionen nicht verschließt, die auch erkennt, dass man, wenn man das Leben verändert, es kein Verzicht ist, sondern sogar eine Bereicherung sein kann. Und das müssen wir uns klarmachen. Wir müssen sehen, dass wir einen Prozentsatz von ich sage mal 10/20 % der Bevölkerung argumentativ auf unsere Seite bringen müssen und müssen denen auch dann wirklich gute, gute Antworten liefern. Da macht die Politik noch zu wenig. Aber diese paar wenigen Prozent, dieser kleine Prozentsatz, da muss man auch zum Teil einfach sagen: „Wisst ihr was? Mit euch reden wir gar nicht mehr, auf euch wird der Mantel der Geschichte gebreitet werden, ihr werdet irgendwann einfach rausrevidiert. So, also schreit doch rum und leckt uns am Arsch“.
Carsten Roemheld: Das ist eine sehr positive Nachricht, dass die Vernunft sozusagen noch in breiterer Form vorhanden ist auf jeden Fall. Sehr gut. Noch mal ganz kurz am Ende zum Thema ‚Wachstum‘: Viele Ökonomen warnen ja vor einem Ende des Wachstums, weil nur die Aussicht auf mehr Erträge Anreize zur Innovation schafft und damit eben dem Fortschritt dient. Ist dieser Gedanke grundsätzlich falsch?
Frank Schätzing: So wie er verbreitet wird, halte ich ihn für falsch, weil missverständlich. Wenn ich mich jetzt mal als Einzelnen betrachte und die Menschheit besteht ja nur aus Einzelnen –; Wachstum heißt ja nicht mehr, als dass ich in der Lage bin, mich vernünftig zu kleiden, immer genug zu essen zu haben für mich und meine Familie, dass ich einen Job habe und dass ich ein Leben in Würde führen kann. Da kann man sagen, okay, ich habe aber auch gerne noch ein bisschen Luxus, dann reden wir noch von Luxus. Aber selbst mit dem allergrößten Luxus, wenn wir zwei, Sie und ich, uns den allergrößten Luxus leisten, können wir trotzdem nicht mehr essen, als in den Bauch reingeht, wir können nicht mehr reisen, als wir nun mal physisch reisen können. Das heißt, irgendwo ist ja ein Ende.
Das heißt, Wachstum bedeutet ja nicht, dass ich von allem immer mehr und immer mehr und immer mehr habe, sondern Wachstum bedeutet ja, dass alle Menschen von Generation zu Generation tunlichst ein Auskommen haben, dass sie auskömmlich und in Würde leben können und sich auch noch ein bisschen was leisten können. Und das sagt eigentlich nicht, dass alles, was wir haben, permanent mehr werden muss, sondern das sagt eben, dass wir dafür sorgen müssen mit den Mechanismen des Wachstums, dass immer genug für alle da ist. Das ist ein anderer Ansatz.
Carsten Roemheld: Ganz zum Schluss noch mal zu der Rolle von Unternehmen in dem Wirtschaftssystem, wenn das Wachstum eben nicht mehr die ultimative Kraft ist, die sie antreibt. Was sehen Sie dann als die Motivation an, die Unternehmen in Zukunft antreiben sollte? Eher als, sagen wir mal, das pure Streben nach Wachstum.
Frank Schätzing: Erneuerung. Also Unternehmenswachstum trägt ja im Prinzip den eigenen Untergang schon mit sich, weil — wie gesagt — wenn man immer nur auf Maximierung setzt, dann ist irgendwann alle. Und wenn man das nicht rechtzeitig gesehen hat, dann kracht man fulminant in sich zusammen. So. Aber wenn man überleben möchte, dann heißt das für die Unternehmen im Grunde genommen, weniger auf Konsum und Gewinnmaximierung zu setzen als auf Gewinnstabilisierung – eben durch Erneuerungszyklen. Und das bedingt, dass man Märkte sehr genau beobachtet und dass man eben aus der Selbstgefälligkeit der Prognose, des Kaffeesatzlesens, herauskommt und stattdessen Szenarien entwickelt, die auf evaluierter Basis sagen, so könnte es kommen, wenn wir uns so und so verhalten und darauf dann eben frühzeitig reagiert. Ich glaube, dann ist es zu schaffen.
Carsten Roemheld: Das ist ein sehr gutes Schlusswort. Herr Schätzing, vielen, vielen Dank dafür, dass Sie uns heute so lange Rede und Antwort gestanden haben. Vielen Dank für die tollen Erkenntnisse, die Sie uns überbracht haben, und bitte machen Sie weiter so. Das ist wirklich sehr erfrischend, immer von Ihnen zu lesen und zu hören und Sie auch zu sehen. Vielen, vielen Dank, dass Sie uns zur Verfügung gestanden haben.
Wir hoffen auch Sie, liebe Hörer, dass Sie heute einiges mitnehmen konnten. Hoffen, dass es Ihnen wieder gefallen hat. Kommen Sie gerne bei Wünschen und Anregungen auf uns zu. Das war‘s für heute. Vielen herzlichen Dank! Machen Sie es gut und bleiben Sie gesund.
Frank Schätzing: Danke Ihnen!