Die Energiewende: So lohnenswert wie mühevoll
Carsten Roemheld: Willkommen zur neuen Ausgabe des monatlichen Kapitalmarkt-Podcasts der Fondgesellschaft Fidelity International. Mein Name ist Carsten Roemheld, ich bin Kapitelmarktstratege bei Fidelity und ich suche an dieser Stelle einmal im Monat Antworten auf eine entscheidende Frage: Was bedeuten die wirtschaftlichen Entwicklungen von heute für die Anlagestrategie von morgen?
Unternehmen befassen sich inzwischen weltweit so intensiv wie nie mit Fragen des Umweltschutzes und der Nachhaltigkeit. Bei vielen Unternehmen steht beispielsweise die Dekarbonisierung weit oben auf der Agenda, also die CO2-neutrale Produktion. Zugleich ist der gesellschaftliche Druck in Richtung verantwortliches Unternehmertum gestiegen. Und auch uns Investoren beschäftigt das Thema, denn es zeigt sich immer deutlicher, dass Unternehmen krisenfester und erfolgreicher werden, wenn sie nachhaltiger wirtschaften. Während der Pandemie ist das in den Bilanzen und Kurs-Charts wieder einmal gut zu erkennen. Doch sind wirtschaftliche Betrachtungen allein schon ausreichend, um uns ein Bild von einer zukünftigen Gesellschaft zu machen, die irgendwann ohne fossile Energie auskommen will. Oder verändert die sogenannte Energiewende unser Leben möglicherweise noch in ganz anderer Weise? Und welche Rolle spielt dabei der technologische Fortschritt?
Über diese Fragen habe ich vor wenigen Tagen mit Prof. Dr. Armin Grunwald gesprochen. Prof. Grunwald ist Physiker und Philosoph, er ist Inhaber des Lehrstuhls für Technikphilosophie und Technikethik am Karlsruher Institut für Technologie und er leitet das Büro für Technikfolgenabschätzung beim Deutschen Bundestag. Dieses Büro berät seit 30 Jahren die Abgeordneten in Fragen des wissenschaftlich-technischen Wandels, sei es bei der Endlagersuche für Atommüll oder bei den jüngsten Entwicklungen in der kommerziellen Raumfahrt. Prof. Grunwald hat sich in den vergangenen Jahren u. a. einen Namen gemacht als Experte für die gesellschaftlichen Folgen der Energiewende.
Er sagt, wir alle sollten uns vielmehr mit den notwendigen Veränderungen vertraut machen, die uns ins Haus stehen, wenn wir unsere Energieversorgung in den kommenden Jahren so radikal umbauen. Der Wechsel von Öl und Gas auf Sonne und Wind geht nämlich mit vielen Herausforderungen einher, denen wir uns alle stellen müssen. In unserem Gespräch hat er das überaus anschaulich beschrieben. Wenn wir auf dezentrale Energieversorgung setzen, werden bald noch viel mehr Windkraftwerke unser Landschaftsbild verändern; manche sagen auch „verschandeln“. Das kostet Lebensqualität. Wenn wir mit einem Elektroauto unterwegs sind, können wir nicht mehr mit einer Tankfüllung 1000 km fahren und dann in 3 Min. wieder volltanken. Das kostet Zeit. Wenn die Stromproduktion an Wind und Sonne gebunden ist, werden Waschmaschine und Trockner womöglich nur noch zu Zeiten laufen können, an denen die Netze das auch aushalten. Das kostet Autonomie. Ein Verlust also von Lebensqualität, Zeit und Autonomie. Und natürlich kommen auch ökonomische Kosten dazu: Arbeitsplätze gehen verloren und der Strom wieder immer teurer. Mit anderen Worten: Die Energiewende ist mit vielen Härten und Unannehmlichkeiten verbunden.
Prof. Grunwald sagt deshalb, wir sollten unsere Rhetorik ändern: Statt zu behaupten, es gäbe nur Gewinner, sollten wir die Verluste ernst nehmen. Wie das geht? Indem wir eine neue Frage stellen und beantworten: Was ist uns die Energiewende wert? Ich bin nach dem Gespräch überzeugt. Auch Investoren sind gut beraten, diese Frage häufiger zu stellen, statt manchmal schon reflexhaft davon auszugehen, dass sich etwas „Bemühungen für Umweltschutz“ schon irgendwie rechnen werden. Jedenfalls wäre es, selbst wenn es sich nicht immer gleich auszahlt, dennoch jede Mühe wert. Auch dazu hat Prof. Grunwald mir einen Denkanstoß gegeben. Der Klimawandel, sagte er mir, ist nämlich keine Aufgabe für künftige Generationen, sondern für viele, die längst unter uns wohnen. All die Schüler etwa, die zuletzt demonstrierten, weil sie auch in 50 Jahren noch in einer lebenswerten Welt leben wollen – wie immer diese dann auch aussieht.
Ich habe jedenfalls in dem 45-minütigen Gespräch viele neue Blicke auf Technologie, Nachhaltigkeit und Zukunftsaussichten gewonnen. Ähnlich überraschende Einsichten wünsche ich nun Ihnen beim Zuhören. Viel Vergnügen! –
Ja, ich freue mich sehr, dass Sie heute da sind, Herr Professor Grunwald. Vielen Dank, dass Sie sich heute bereit erklärt haben, mit uns zu sprechen. Vielleicht eine Bitte zu Beginn: Können Sie unseren Zuhörern ein paar einleitende Worte geben und ihnen erklären, was genau das Büro der Technikfolgenabschätzung des Bundestages macht und mit welchen Themen es sich beschäftigt?
Armin Grunwald: Das mache ich sehr gerne: Also, diese Idee parlamentarischer Technikfolgenabschätzung ist mal in den USA erfunden worden vor ungefähr 50 Jahren, dann nach Europa gewandert und heute haben die meisten europäischen Länder ähnliche Einrichtungen, einige andere international auch. Was wir machen: Der technische Fortschritt und auch der wissenschaftliche Fortschritt, der betrifft mittlerweile praktisch jedes Politikfeld; und wir machen Analysen aus der Wissenschaft heraus, um Politiker und Politikerinnen frühzeitig zu informieren, welche neuen Chancen und Möglichkeiten es gibt, wo aber auch vielleicht nicht gewollte Nebenfolgen zu berücksichtigen sind und wo auch vielleicht reguliert werden muss. Also wir sind so eine Art Radar für den Bundestag, für viele seiner Ausschüsse in der täglichen Arbeit, denn die Abgeordneten selbst kommen üblicherweise nicht aus der Wissenschaft.
Carsten Roemheld: Das klingt sehr spannend. Wie viele Mitarbeiter hat Ihr Institut?
Armin Grunwald: Wir sind 14 in Berlin und arbeiten dort ausschließlich für den Deutschen Bundestag. Sozusagen das Mutterinstitut ITAS ist in Karlsruhe, dort sind wir etwa 130 Mitarbeiter.
Carsten Roemheld: Prima. Kommen wir zum ersten Themenblock und die Folgen der Corona-Pandemie für uns und für unser Miteinander; ich würde gerne zwei, drei Dinge mit Ihnen dazu besprechen. Sie sprachen im Juli 2020 davon, dass die Wissenschaft wieder mehr Anerkennung durch die Gesellschaft erfährt. Jetzt blicken wir auf ein Jahr Pandemie, das stark geprägt wurde von wissenschaftlichen Analysen, aber auch von interdisziplinärem Streit. Wie ist es aus Ihrer Sicht heute um das Ansehen der Wissenschaft in der Bevölkerung bestellt? Und die andere Frage vielleicht noch dazu: Hat die Existenz von sozialen Medien hier auch einen starken Einfluss?
Armin Grunwald: Also zunächst einmal würde ich heute sagen, das Verhältnis von Gesellschaft und Wissenschaft ist eigentlich ähnlich, wie es vorher war. Die Pandemie hat das Verhältnis nicht groß verschoben, die hat es nur verschärft herausgearbeitet oder eben hervortreten lassen. Natürlich hatte man anfangs die Erwartung oder viele Wissenschaftler hatten das erwartet: Jetzt, ja, jetzt braucht man uns offenkundig – stimme ja auch, – und die ersten Monate waren in der Tat von einem größeren Vertrauen in die Wissenschaft gekennzeichnet. Das hat sich in der Zwischenzeit wieder geändert; und zwar sieht man das zum Beispiel an so Querdenker-Bewegungen und Ähnlichem, die nach wie vor einfach die Wissenschaft als quasi, ja Bestandteil des Establishments denunzieren und nicht weiter zur Kenntnis nehmen, was denn da faktisch wirklich passiert.
Das gab’s wie gesagt vorher auch schon, aber jetzt spitzt sich das noch mal so richtig zu. Und dazu beigetragen haben könnte – das ist jetzt aber eine Vermutung – in der Tat der von Ihnen angesprochene interdisziplinäre Streit, aber vielleicht noch stärker der disziplinäre Streit. Ja, ich meine, die Öffentlichkeit erlebt, dass ein Virologe dem anderen widerspricht. Nicht in allen Fachdetails, da in der Regel eher gar nicht, aber in Bezug auf das, was daraus folgt. Also, was man jetzt machen sollte: Ob harter Lockdown, weicher Lockdown, diese vulnerablen Personengruppen schützen und ansonsten freilassen und so. Ja, es ist in der Virologie selbst schon kontrovers und in den anderen Disziplinen, wenn man dann Pädagogik oder Sozialwissenschaften nimmt oder auch die Ökonomie, noch mal ganz anders. Also: Wer lernen will, wer nicht selbst Wissenschaftler ist und lernen will, wie Wissenschaft funktioniert, kann das auf eine sehr schöne Weise live sozusagen tun und wenn man damit umgehen kann, dann lernt man, dass Wissenschaft Expertin für vieles ist, oft nur für sehr kleine Bereiche, wie z. B. so ein Coronavirus mit so ein paar Molekülen andocken kann. Das lernt man da sehr gut. Man lernt aber eben auch, dass Wissenschaft nicht Expertin für die Zukunft ist.
Denn das ist eine ganz andere Nummer: Es gibt keine Daten aus der Zukunft und deswegen kann es keine „Wissenschaft von der Zukunft“ geben. Man nimmt immer nur die gegenwärtigen Daten und macht sich dann mehr oder weniger kluge Gedanken. Und die Gedanken sind bei den einen Menschen anders als bei den anderen, das ist ganz normal. Aber diese Normalität an Wissenschaft zu lernen, fällt nicht allen Menschen leicht.
Carsten Roemheld: Sie haben ja gerade gesagt, von Virologen kann man wahrscheinlich auch gar nicht erwarten, dass sie jetzt die genauen Maßnahmen angeben, mit denen man dann nachher umgehen muss – dafür sind ja eigentlich die Politiker da. Aber Sie haben mehrfach gesagt, dass man andere Wissenschaftler mit hinzuziehen sollte, die sozusagen mit den Virologen in anderen Disziplinen zusammenarbeiten sollten. Ist das Ihrer Meinung nach erfolgt oder hat man vielleicht zu wenige Wissenschaftler aus anderen Fachgebieten hinzugezogen?
Armin Grundwald: Also jede Wissenschaft hat ihr eigenes, spezielles Bild von der Welt, ihre eigene Brille, mit der sie die Welt betrachtet. Und ich meine, wenn ich mal – ich persifliere ein wenig – mir eine ideale Welt aus Sicht der Virologie vorstelle, könnte es doch so etwas sein, dass jeder Mensch in einer kleinen Box wohnt, keinen sozialen Kontakt hat und quasi aus der Luft versorgt wird, jeden Tag ein Care-Paket, denn dann kann keine Mensch-zu-Mensch-Ansteckung erfolgen. Das ist natürlich Persiflage, macht aber deutlich, was passiert, wenn man einen speziellen Blick einer Disziplin nimmt und alle anderen dann irgendwie nicht berücksichtigt. Es ist zu wenig passiert, dass man andere Disziplinen berücksichtigt hat.
In der Anfangszeit fand ich das vollkommen verständlich. Vor einem Jahr wussten wir fast nichts über dieses Virus und dann fragt man zuerst die Virologen – klar, wen sonst? Aber in der Zwischenzeit wissen wir vieles und dann kommen eben auch viele andere Fragen in den Sinn. Die Tatsache, dass das nicht gut bisher erfolgt; also Psychologen zu befragen; Sozialwissenschaftler; diejenigen, die sich mit Kindern halt auskennen und auch zu negativen Folgen vielleicht in dem Bereich sich Gedanken machen können. Dass das zu wenig passiert ist, sieht man eigentlich sehr schön an der öffentlichen Kritik an der Expertenanhörung, die der letzten Ministerpräsidentenkonferenz bei der Kanzlerin vorausgegangen ist. Das muss irgendwie so Ende Februar gewesen sein. Da gab es am Vorabend der Konferenz eine Anhörung und da war doch die Auswahl der Experten relativ einseitig. Das ist auch öffentlich kritisiert worden.
Carsten Roemheld: Am Anfang der Pandemie gab es ja auch tatsächlich ein paar, die auf positive Konsequenzen hingewiesen haben: Weniger Reisen, weniger Verkehr, vielleicht bessere Umwelt, mehr Ruhe, vielleicht auch mehr Soziales, da es ja auch eine soziale Distanzierung gab. Aber in der Zwischenzeit hat sich ja eine Pandemiemüdigkeit zweifelsohne ergeben und eingesetzt, die in der ersten Phase der Wiedereröffnung vielleicht genau das Gegenteil auslösen könnte. Nämlich, dass sich alle auf das stürzen, was es wieder zu tun gibt. Was glauben Sie denn, welche veränderten Denkweisen diese Pandemie hervorgerufen haben könnte? Oder was sich tatsächlich nach der Pandemie nachhaltig verändert hat und was vielleicht tatsächlich doch gleichbleibt?
Armin Grunwald: Ja, das sind so schöne Fragen, zu denen man sich immer gerne äußert. Es ist ja ein bisschen belanglos, was man dann so erzählt. Aber ich versuche es mal trotzdem: In der Anfangszeit in der Tat, da haben viele, also auch gerade Zukunftsforscher, immer wieder gesagt, jetzt kommt ein Bewusstseinswandel, wir schätzen die Gemeinschaft wieder mehr und die Umwelt und so; und wir merken, wir müssen gar nicht immer konsumieren gehen, weil es lebt sich auch so. Ich habe damals schon gesagt, das ist Schönrednerei. Vielleicht erklärbar aus psychologischen Gründen, so nach dem Motto: Wenn wir schon diese blöde Pandemie haben, dann muss es doch wenigstens für irgendwas gut sein. Und so, denke ich, macht man sich schöne Gedanken und dann hat man irgendwie noch einen Sinn gefunden – aber vielleicht gibt’s aber auch keinen Sinn oder wahrscheinlich gibt’s den gar nicht. Und mittlerweile ist ja dieser rettende Strohhalm in der Haltung zur Pandemie auch wieder verschwunden, wie Sie sagen. Es ist so eine allgemeine Lethargie eingekehrt. Es ist fast so, als hätte sich Mehltau über die Gesellschaft gelegt und diese Müdigkeit, die ist mit Händen zu greifen überall. Ich kämpfe selbst gelegentlich auch dagegen.
Ja, wie wird das jetzt weitergehen? Also ich denke mir, sobald die Dinge wieder normal sind und wir vielleicht das Corona-Virus so ähnlich wie Influenza-Viren in die Menge der Dinge einbauen, mit denen wir sonst auch schon umgehen seit langer Zeit, dann werden über kurz oder lang die alten Verhaltensmuster auch wiederkommen. Das liegt einfach daran, weil die Anreizsysteme sich nicht geändert haben – weder die ökonomischen noch die kulturellen oder Reputationsgeschichten oder womit man sein Leben sinnvoll füllen will oder womit man dem Nachbarn imponieren will. Diese ganzen Mechanismen sind die gleichen wie vorher und deswegen wird das auch relativ bald wieder so werden, wie es vorher war. Das wäre meine Prognose.
Vielleicht noch, was ich mir wünsche, was sich vielleicht ändern kann: Wir sind eine Gesellschaftsform, in der fast alle immer damit rechnen, dass es so weitergeht wie bisher, vielleicht nur ein bisschen besser hier und da. Und diese Pandemie hat uns aus diesem Vertrauen, das dieses „business as usual“ hat, einfach brutal rausgerissen. Und für mich jetzt jedenfalls in der Technikfolgenabschätzung ist das ein Anlass gewesen und ist es bis heute und soll auch so bleiben, über mögliche andere Dinge auch nachzudenken: Über sozusagen das dünne Eis, auf dem wir uns oft bewegen mit der Technologie, mit der Wirtschaft, mit vielleicht noch anderen Dingen, mit Umwelt und so weiter, und wo wir gar nicht sehen oder die Augen auch mal verschließen wollen vor Dingen, die eben unangenehm sind und wo man frühzeitig aufmerksam sein müsste, um Dinge zu verhindern. Jedenfalls, dass man dann überrascht wird von etwas Schlimmem; also so etwas wie frühzeitige Analyse von Verletzlichkeiten. Und auch entsprechende Anstrengungen dazu, was wäre ein Plan B, wenn der Plan A des „business as usual“ mal nicht mehr funktioniert!? Das würde ich mir schon wünschen.
Carsten Roemheld: Das hört sich sehr vernünftig an. Eine Sache, die mir in letzter Zeit immer auffällt und die hat sicherlich nichts mit der Pandemie unbedingt zu tun, ist, dass sich die Gesellschaft immer weiter polarisiert und dass sie immer weniger Diskussions- und Kompromissbereitschaft zulässt, auch weniger Toleranz zulässt. Da gibt‘s ja die sogenannte „Cancel Culture“, dass sich Leute eben nur noch mit denen umgeben, die ihre Meinungen auch bestätigen und teilen und andere möglichst meiden. Ist das mein Eindruck, dass sich das verstärkt in letzter Zeit auch durch die sozialen Medien abspielt, oder ist Ihnen das auch aufgefallen? Können Sie so was bestätigen, dass so was stattfindet?
Armin Grundwald: Also das gibt es in der Tat. Ich meine, zunächst muss man sagen, so Filterblasen und Echokammern hat’s immer gegeben. Das ist ganz normal, das sind Mechanismen, mit denen wir einfach das Chaos um uns herum irgendwie sortiert bekommen. Ja, wir teilen die Welt in Schubladen ein und bewegen uns am liebsten in der Schublade, in der manche anderen drin sind, die auch so ticken wie wir. Das ist ganz normal. Was eben das Neue ist: Die Schublade, sagen wir mal, in früheren Jahrzehnten der FAZ-Leser, ja, war eine ganz andere Schublade als die der, was weiß ich, der Zeit-Leser oder der Frankfurter Rundschau und diese Schubladen waren aber sehr groß. Da waren sehr viele … sind ja nach wie vor heute noch sehr viele Menschen drin, sodass diese Massenmedien immer auch die Notwendigkeit hatten, ein breites Spektrum von Nachrichten, aber auch von Kommentaren, Problematisierungen und so weiter rüberzubringen. Das heißt, auch jemand, der in dieser Filterblase drin war, hat immer viele Dinge von der Welt mitbekommen und auch eben viele Dinge, die vielleicht nicht so in das eigene Weltbild gepasst haben; sodass immer wieder eine Irritation durch das Andere erfolgt ist und man nicht stehengeblieben ist bei all den Vorurteilen, die man sich mal vorgenommen hat, jetzt für immer zu haben.
Und das ist jetzt aber durch die sozialen Medien, durch Interkommunikation sehr viel einfacher geworden. Man kann sich beschränken auf Kommunikation mit seinesgleichen. Die Algorithmen, die sind ja sogar so programmiert, dass mich nur das erreicht, was mich erreichen soll, und anderes wird rausgefiltert. Und wenn ich irgendwo bei einer dieser Plattformen etwas kaufe, dann wird mir angezeigt, was Leute meines Typs sonst so gerne kaufen, ja. Das ist ja auch schon diese Vorsortierung: Man bleibt in der gleichen Gruppe und je besser die Algorithmen, die künstliche Intelligenz wird, umso individuell passfähiger geht das Ganze; und so kleiner werden die Gruppen. Das ist in der Tat ein Problem. Das, was wir noch so mit Jürgen Habermas, 60er Jahre, Strukturwandel der Öffentlichkeit als eine massenmedial vorgefertigte Öffentlichkeit angesehen haben, das zerbröselt in solche kleinen Gemeinschaften und das ist durchaus ein Risiko, ach sogar eine Gefahr für eine lebendige Demokratie.
Carsten Roemheld: Dann bin ich mal gespannt, wie sich das weiter entwickeln wird. Kommen wir zum nächsten Thema und das ist eines Ihrer Hauptthemen, mit denen Sie sich ja auch beschäftigen, nämlich die Energiewende. Und dazu würde ich Ihnen gerne ein paar Fragen stellen: Sie sind ja Physiker und Philosoph. Und die Botschaft, interdisziplinär zu denken und sich zu öffnen für unterschiedliche Sichtweisen, das prägt ja Ihre Arbeit als Experte für Technikfolgenabschätzung. Was genau treibt Sie denn bei Ihrer Arbeit um und an?
Armin Grunwald: Ja, also als jemand, der Technikfolgenabschätzung macht, wird man ja nicht geboren, das hat sich entwickelt. Also ich bin über verschiedene Stadien relativ zufällig dahingekommen, aber als ich dann vor ziemlich genau 30 Jahren das Wort „Technikfolgenabschätzung“ zum ersten Mal gesehen habe – das war anlässlich der Gründung des Berliner Büros beim Bundestag übrigens – da habe ich gedacht: Das ist es, ja. Mit einer naturwissenschaftlichen Kompetenz, ich hatte damals ein paar Jahre Erfahrung in der Wirtschaft (in Software Engineering) und ich hatte ein Philosophie-Studium begleitend, so abends noch, gemacht und dachte, in dieser komischen Patchwork-Qualifikation könnte ich da vielleicht was machen. Und dabei ist es dann auch geblieben, das hat sich festgesetzt.
Das ist letztlich die Idee, dass der wissenschaftlich-technische Fortschritt einfach wunderbar ist – aber, dass er eben nur dann wunderbar für alle ist, wenn man so ein paar Sachen bedenkt. Dass man ihn z. B. nicht einfach blind laufen lässt und denkt, wenn mal irgendwo was schiefgeht, kümmern wir uns hinterher drum. Das geht in der modernen Zeit nicht mehr so. Da kommt es zu, wie wir es sagen, nicht intendierten Folgen, die dann später vielleicht ein Ausmaß annehmen, wo es doch gut gewesen wäre, wenn man sich vorher mal ein paar Gedanken gemacht hätte. Ich meine, die ganze Asbest-Geschichte ist passiert zu einer Zeit, in der es noch keine Technikfolgenabschätzung gab. Diese ganzen Altlasten – eigentlich wäre es schön, wenn man frühzeitig erkannt hätte, dass das nicht so eine gute Sache ist, und hätte es dann eben gelassen oder stärker reguliert, damit die Inhalation vermieden worden wäre. Dieser Typ ist es also: Das Beste aus dem wissenschaftlich-technischen Fortschritt rauszuholen, ohne in dieses Problem mit den nicht intendierten Folgen reinzulaufen.
Carsten Roemheld: Und genau das ist es ja auch, worum es bei der Energiewende geht: Eben auch Folgen abzuschätzen, die vielleicht nicht in der aktuellen Diskussion enthalten sind. Das wird ja aktuell nicht nur als politisches Programm betrieben, sondern von vielen Unternehmen jetzt auch geplant. Das Streben nach Klimaneutralität, Net Zero, ein möglichst ökologischer Fußabdruck – das alles ist natürlich ein sehr weit verbreiteter Anspruch inzwischen. Wo stehen wir aktuell bei unseren Bemühungen um die Energiewende?
Armin Grunwald: Ja, die Energiewende, jetzt ziemlich genau 10 Jahre, ja, fast auf den Tag genau, kann man sagen. Und es hat sich viel getan, das ist gar keine Frage, also, wenn man die Zahlen ansieht, die jetzt die Erneuerbaren einspeisen. Man sieht‘s ja, wenn man durch die Landschaft fährt, etwa durch Brandenburg, dann sieht man die entsprechenden Technologien daher in der Landschaft stehen. Da hat sich viel getan, es hat sich auch auf der Entscheidungsebene viel getan – Stichwort: mal Stromtransport, Nord-Süd-Trassenführung, gab’s mal ziemlichen Wirbel vor ein paar Jahren, aber da läuft auch die Sache. Also das ist sozusagen, könnte man sagen, auf einem guten Weg.
Ich bin selber kein Energie-System-Experte, der jetzt sagen könnte: Okay, da gibt es Sorgen. Ich weiß, dass es sie gibt. Ich kann sie nicht aus einer Kompetenz beurteilen. Stabilitätsfragen sind ein ganz großes Thema. Die alte Energiewelt hatte so schön stabile Energieträger wie Kohlekraftwerke und Kernkraftwerke und die neue Energiewelt hat Strom und Sonnenenergie und ich meine, ich habe oft daran gedacht, was wir jedenfalls in Deutschlands Westen für ein Wetter hatten zwischen jetzt etwa Mitte Dezember und Anfang Februar, da war sechs Wochen lang praktisch keine Sonne und kein Wind und ein Zukunftssystem, was auf diese beiden abstellt, muss ja auch für solche Zeiten irgendwie vorsorgen. Und das Problem ist meiner Kenntnis nach noch nicht gut gelöst.
Speichertechnologien, Norwegen und so weiter, ja, wurde viel drüber geredet, aber die Norweger wussten auch gar nichts davon, dass wir das … [lacht] … also es gab schon da interessante Ausweichdebatten. Ich halte das Problem für noch nicht gelöst.
Carsten Roemheld: Wir machen immer bei uns ‘ne große Analystenumfragen unserer eigenen Analysten, die dann beurteilen, was die Unternehmen sozusagen ihnen so erzählen, und die sagen, dass bis 2050 zwei Drittel der Unternehmen, die sie befragen, CO2-neutral arbeiten wollen bis 2050. Für wie glaubwürdig oder für wie realistisch halten Sie dieses Vorhaben?
Armin Grunwald: Das sind jetzt zwei sehr schön unterschiedliche Fragen. Wie glaubwürdig? Ich meine, ich habe ja keinen Anlass, die Glaubwürdigkeit von Zielsetzungen für das Jahr 2050 infrage zu stellen. Und auch, dass halt global gesehen die Klimaabweichung auf 1,5 Grad begrenzt werden soll, ist ja als Ziel vermutlich komplett glaubwürdig. Die Frage ist aber nach dem „realistisch“. Und ich vermute, dass Sie darauf hauptsächlich abzielen.
Ich halte es für machbar, weil bis 2050, es sind noch 30 Jahre Zeit, und das ist viel. Wenn die entsprechenden Anreizsysteme und Rahmenbedingungen stimmen und die Kreativität des Marktes und der Ingenieure entsprechend auch Lösungen bringt, dann halte ich das für erreichbar. Wenn ich mir die Welt vor 30 Jahren vorstelle, also mal ungefähr 1990, wie anders sah die aus als heute. Also, wir Menschen neigen ein bisschen dazu, so die Gegenwart als quasi auch … also uns die Zukunft so ähnlich vorzustellen wie die Gegenwart. Wenn man mal so ein paar Jahrzehnte in die Vergangenheit schaut, dann sieht man, dass sich manches doch sehr stark ändert. Und da ist eben hier doch sehr viel möglich. Von daher würde ich nicht von vornherein sagen, das ist unrealistisch, das ist Greenwashing oder so etwas.
Nein, ich denke, das ist glaubwürdig und auch umsetzbar, aber es bedarf natürlich einer Reihe von Voraussetzungen, ja. Also so etwas wird sicher nicht gehen, wenn das ein Weg ist, den nur Deutschland geht, aber als exportorientiertes Land in einer Volkswirtschaft dann damit in eine Sackgasse laufen könnte. Das heißt, es hängen Voraussetzungen dran, damit es umgesetzt werden kann.
Carsten Roemheld: Und genau darauf möchte ich jetzt hinaus: Sie sprechen ja immer davon, dass sie nicht nur von Unternehmen eben Verhaltensweisen und Verhaltensänderungen erfordert, sondern auch von uns, von den Bürgern. Wie genau müssen wir unser Leben denn mit dieser Prognose ändern?
Armin Grunwald: Ich sag mal so ein bisschen gewagt: Wir schaffen das – hat man bestimmte Teile des Problems oder der Herausforderung einfach nicht ernst genug genommen. Es gab damals so eine Euphorie zu sagen: Okay, wir schalten Kernkraftwerke ab und dann ja auch Kohlekraftwerke und so weiter; bauen Windkraftwerke und Solarzellen aufs Dach und ansonsten ändert sich nicht groß etwas. Ich spreche gelegentlich davon, dass man sich das Energiesystem vorgestellt hat als all das, was hinter der Steckdose ist, ja. Sagen wir so: Der Strom kommt ja aus der Steckdose. Irgendwo stimmt das auch, nur wir machen uns in der Regel keine Gedanken darum, so als Bevölkerung, sag ich mal, wie denn der Strom da reinkommt. Irgendwie muss er ja auch reinkommen. Und da ist einfach die neue Energiewelt eine ganz andere als die alte. Die alte hatte relativ wenige Großkraftwerke als Hintergrund der Versorgung, die neue hat eine dezentrale Versorgung, die praktisch überall die Landschaften verändert, die das menschliche Leben dann auch verändert und die auch Menschen stört.
So ein Kohlekraftwerk irgendwo in ‘ner einsamen Gegend, ich sag mal, Niederaußem zwischen Köln und Krefeld irgendwo, das steht dann da, okay. Man sieht es auch von Weitem, man gewöhnt sich dran, das ist es dann. Aber die Windkraftwerke stehen überall rum. Also das meint, wir müssen auch unseren Eindruck von Landschaften verändern. Aber es geht ja weiter: Wenn wir z. B. auf Elektromobilität flächendeckend umsteigen; ich meine, der Fortschritt bei den Batterien ist erstaunlich. Ja, das hätte ich vor fünf Jahren noch gar nicht so gedacht, vor zehn schon überhaupt nicht. Dennoch: Die Idee, mit einer Tankfüllung, sagen wir mal, 800 oder 1000 km weit zu kommen und dann die Batterie innerhalb von 3 Min. wieder aufzuladen, also nach dem Vorbild ‚Otto- oder Dieselmotor‘, das geht einfach nicht. Da muss man dann auch anders ticken.
Oder, wenn man anfängt, über ein Demand-Zeitmanagement vielleicht die dicken Stromverbraucher in Haushalten an eine zentrale Steuerung zu übergeben, dass die halt mehr nachts gefahren werden und nicht tagsüber, dann müssen Menschen ihre Autonomie, z. B. über die Waschmaschine oder so etwas, abgeben. Autonomie ist ein ganz hohes Gutes. Und dann geschweige von den vielen Geschäftsmodellen, die an der Energieversorgung dranhängen; jetzt eben nicht nur Strom, eben auch Mobilität und Heizung. Da verändern sich auch Wirtschaftsprozesse, Wertschöpfungsketten und da fallen Arbeitsplätze weg und entstehen neue. Also an ganz vielen Stellen greift diese Energiewende in unser Leben ein und es nicht einfach so, dass hinter der Steckdose da irgendjemand mal was Neues macht – nein, das passiert mitten in der Gesellschaft.
Carsten Roemheld: Und wer sind denn aus Ihrer Sicht die Verlierer dieser Entwicklung? Also außer den offensichtlichen vielleicht: Kohle und Atomenergie. Aber wer sind denn sonst die Verlierer dieser Entwicklung?
Armin Grunwald: Ja, es wird also zunächst einmal ja in der offiziellen Rhetorik – heute nicht mehr so laut, aber vor zehn Jahren sehr laut – nur von Win-win-Situationen gesprochen. Und da wird jetzt so der Eindruck erweckt: Okay, das ist irgendwie für alle gut, fürs Kima ist es gut und so weiter.
Also ich bin sofort misstrauisch, wenn jemand von Win-win-Situationen spricht. Nicht, weil es das nicht gibt, das gibt‘s durchaus, aber man muss genau hingucken. Und hier die Energiewende ist ja schon mal nicht umsonst, die kostet etwas. Durch die Umlage etwa für das EEG, ja, da werden Milliarden an Summen innerhalb der Gesellschaft verschoben: Bei manchen Leuten ist das Geld dann nicht auf dem Konto, zu anderen fließt es hin. Das sind schon mal Gewinner-Verlierer-Konstellationen.
Und nun ist es zwar so, dass bei uns in Deutschland Energiebedarf, also jedenfalls Strom, an so einem durchschnittlichen Monatsverbrauch gar nicht so einen großen Anteil annimmt, aber für bestimmte Bevölkerungsgruppen ist die Stromrechnung eben auch eine Rechnung, die halt zählt. Und die müssen dann gucken, wie sie das kompensieren können. Da würde ich schon mal sagen, in gewissem Maße sind das Verlierer.
Andere Menschen sind Verlierer, vor deren Nase halt neue Infrastrukturen gebaut werden wie Windparks. Solange sie nicht zu der Windgenossenschaft gehören, ja, wenn sie nur sozusagen passiv Betroffene sind, und die schöne Landschaft, wo man immer sonntags seine Spaziergänge gemacht hat, die wird dann auf einmal von diesen Riesenanlagen bevölkert, die ja auch Schatten und Geräusche machen und so weiter – da mag man sagen, angesichts des Klimawandels ist das kleinkariert, aber es ist zunächst ein Verlust. Und ich würde da auch sagen, die Menschen haben auch das Recht, das als Verlust anzusehen. Verlust an Lebensqualität vor der Haustür.
Oder dann: Arbeitsplatz hatte ich gerade genannt. Es fallen Arbeitsplätze weg, Menschen müssen umsatteln; Braunkohle als Beispiel. Ich meine, der Zeitrahmen bis 2038 ist relativ großzügig, da kann man planen und teilweise geht’s mit Rente, teilweise mit einer lang geplanten Umschulung. Aber auch das, ja, führt zu bestimmten Verlusten bis hin ja dazu … ich meine, die Braunkohle ist klimamäßig ja wirklich übel, aber mit Braunkohle ist ja auch in manchen Landschaften Kultur verbunden. Das kennen wir üblicherweise nicht. Im Ruhrgebiet bei der Steinkohle war das klar. Die ganze Kumpel-Kultur, ja, bis hin zu einer Vereinskultur, eigenen Liedern und Festen usw. – da geht auch so eine Kultur, die verschwindet praktisch im Dunkel der Geschichte. Nun auch hier gilt wieder: Mensch, Klimawandel, existenziell usw., meine ich ja auch, das ist alles Kleinkram. Aber ich würde das nicht so leichtnehmen. Ich neige dazu, Verluste auch ernst zu nehmen und lieber die Frage zu stellen: Ja, was ist uns die Energiewende denn wert? Ist sie uns nicht wert, dass wir bestimmte Einbußen in Kauf nehmen, was schöne Landschaften betrifft? Ist es sie uns nicht einen höheren Preis pro Kilowattstunde wert? Ist es sie uns nicht wert, dass wir manche Kulturen auch beenden? In der Erwartung, dass neue entstehen werden.
Das wäre eine Rhetorik, die nicht mehr nach Win-win-Situationen schaut, sondern die Verluste, die Verlierer ernst nimmt und sagt: Ja, ihr verliert, das erkennen wir an, aber das ist ja im Dienste einer größeren Sache notwendig und gut – schaut mit uns nach vorne. Das ist eine ganz andere Haltung.
Carsten Roemheld: Sie sprechen einen sehr wichtigen Punkt an, der auch Investoren immer wieder wichtig ist, weil in letzter Zeit ja oft betont wird, dass dieses Wohlverhalten und der Klimaschutz sich ja auch auszahlen, dass sie zu langfristig höheren Renditen führen usw. Aber gleichzeitig sind natürlich höhere Kosten dabei und man muss eben auch diese Dimension insgesamt berücksichtigen für das ganze Thema, um eben langfristig positive Effekte im Auge zu haben.
Insofern ist es ganz interessant, wir machen ja … es gibt ja unterschiedliche Investoren: Die einen, die weigern sich inzwischen, in fossile, überhaupt in Brennstoffproduzten zu investieren; andere, wie wir z. B., die nutzen Kapitalbeteiligungen, um auf Veränderungen zu drängen – also mit den Unternehmen jeweils Strategien zu entwickeln, wie man zu einem nachhaltigeren und vielleicht umweltfreundlicheren Prozedere kommen kann. Und zugleich achten auch die Verbraucher auch stark auf grüne Etiketten. Was aus Ihrer Sicht, welche Chancen bietet all das für diese Energiewende, dass es wirklich auch einen breiten Konsens auch gibt, in diese Richtung zu arbeiten?
Armin Grunwald: Also das ist nicht nur eine Chance, das ist eine Notwendigkeit. Ohne so etwas könnte, sagen wir mal der Staat, machen, was er will, ja. Also ohne die Menschen und ohne die Wirtschafft lässt sich eine solche Transformation gar nicht machen. Da haben, sagen wir mal so, so Bewegungen wie „Fridays for Future“, glaube ich schon, eine gewisse Wirkung auch gehabt oder haben sie vielleicht auch demnächst mal wieder. Da ist ein Bewusstseinswandel passiert, auch ein bisschen bei mir selbst, muss ich sagen. Ich wusste es zwar akademisch vorher, aber es ist mir angesichts der Schüler und Schülerinnen noch einmal deutlicher bewusst geworden: Der Klimawandel ist ja nichts für zukünftige Generationen – also offizielle Redewendungen, wir müssten den Planeten für zukünftige Generationen erhalten. Sondern die Menschen, für die wir die Ökosysteme funktionsfähig halten müssen, die wohnen ja schon unter uns, ja. Das sind unsere Kinder und Enkelkinder.
Ich – Sie sind selbst alt genug –, aber eben die Schüler, die haben ja eine Chance, das Jahr 2100 lebend und wach zu erleben, und wollen dann natürlich auch noch eine vernünftige Welt vor sich vorfinden. Und das ist ein ganz, ganz wichtiger Effekt, finde ich.
Carsten Roemheld: Sie sprechen ein gutes Thema an: unsere Zukunft. Das ist jetzt der abschließende Themenblock, bei dem ich noch zwei, drei Fragen hätte, und mich würde vor allem interessieren: Was unterscheidet denn eine Welt ohne große CO2-Emmissionen von der Welt, in der wir heute leben? Was sind die wesentlichen Unterschiede für Unternehmen in dieser neuen Welt?
Armin Grunwald: Ja, es sind letztlich die Technologien und die Stoffströme, die ganz andere Wege nehmen. Also nehmen wir mal an, es ist dann eine Welt, in der – das könnte auch anders kommen – aber nehmen wir mal die Elektrowelt: Dass halt der Strom durch Erneuerbare produziert wird und dann eben nicht nur für Strombedarf, sondern eben auch für Mobilität und letztlich Heizungszwecke mal verwendet werden wird, dann wäre man ja vielleicht relativ nah dran an der Klimaneutralität, ganz kommt man nie hin. Dann müsste man zusätzlich noch CO2 aus der Atmosphäre irgendwie entziehen. Also eine ganz andere Welt, was die Stoffströme betrifft.
Nun, das ist eine Riesenherausforderung und ich denke mal, man hat Energiewende, Atomausstieg usw. immer so nach vorne geschoben, aber der eigentliche Knackpunkt an der Energiewende ist nicht der Atomausstieg – Kernkraft hat noch ein paar Prozent an der deutschen Stromversorgung. Sondern der eigentliche Knackpunkt ist der Ausstieg aus den Fossilen. Und die Fossilen, allein, wenn ich einmal an die Erdölwirtschaft denke, ja, die ja eben in die Autos geht zum großen Teil, die aber auch in Materialien reingeht. Also auch, wenn man auch industrielle Produktionsprozesse nicht nur von der Energieseite, sondern auch von der Materialseite her kohlenstofffrei machen will, dann muss man die ganzen Ketten neu denken. Also da braucht man viel Kreativität und auch sicher Mut, Dinge auszuprobieren, und das ist dann schon eine relativ andere Welt, denke ich.
Carsten Roemheld: Sie sprechen in Ihren Vorträgen auch öfter über die sogenannte ‚Energiearmut‘. Was genau ist das und wie wahrscheinlich ist dieses Szenario? Wen wird es dann dabei treffen?
Armin Grunwald: Also Energiearmut in dem Sinne meint nicht, dass wir eine Armut an Energie haben, sondern, dass manche Gruppen in der Gesellschaft zu arm sind, um sich bestimmte Energieformen leisten zu können. Das ist ein Stichwort, was ungefähr 2012/13/14 aufkam, nachdem man in der ersten Euphorie nach der Energiewende gemerkt hat: Oh, da ändern sich ja Dinge, die vielleicht nicht alle nur positiv sind. Und ich glaube, eine bekannte deutsche Tageszeitung hat mal getitelt: „Wann werden wir die ersten Energietoten haben?“ Das war natürlich polemisch zugespitzt; man hat an Menschen gedacht, die ihre Stromrechnung nicht bezahlen, wo dann die Stadtwerke oder wer auch immer die Versorgung abstellt, die im Winter erfrieren.
Das ist sicher total zugespitzt und da gibt‘s ja auch Vorkehrungen, dass bei uns so etwas nicht passiert. Wenn aber Energie sich verteuert – und letztlich zweifle ich nicht daran, dass Qualität der Energieversorgung, also wirklich auch eine ökologische Qualität der Energieversorgung, auch einen Preis hat, einen ökonomischen Preis hat, wie das bei Lebensmitteln ja auch der Fall ist, das ist ja mittlerweile von vielen, von großen Bevölkerungsgruppen auch anerkannt; das hat einen Preis und das heißt, für nicht so einkommensstarke Bevölkerungsgruppen verschieben sich die Gewichte. Da wird der Anteil des Budgets, was für die Energie ausgegeben werden muss, wird größer und das geht auf Kosten anderer Bereiche. Das muss nicht gleich in Formen von Armut führen, aber die Armut steht am Ende einer solchen Entwicklung. Und auch das gehört für mich zu Folgenüberlegungen, die man mit der Energiewende verbinden muss.
Carsten Roemheld: Wenn Sie sich mal international umschauen: Gibt es im Bereich der Nachhaltigkeit und Energiewende, gibt es da vorbildliche Staaten? Und wenn ja: Was machen die besser und welche sind es?
Armin Grunwald: Ja, das ist eine ganz schwere Frage, also die kann ich auch nicht gut beantworten, mir sind im Moment auch keine Überblicksanalysen bekannt. Es fällt auf, dass das ganz große Problem, nämlich der Ausstieg aus den fossilen Energieträgern: Das Thema ist eigentlich überall genauso groß außer bei bestimmten Ländern, die aufgrund ihrer geographischen Situation eh schon weitgehend erneuerbar sind, wie halt Norwegen oder Österreich. Die haben halt diese Wasserkraft im hohen Maße zur Verfügung. Autoverkehr ist überall weitgehend fossilbasiert, das ist weltweit so. Und es ist auch kein Geheimnis, dass in China trotz einiger Neubaupläne – Neubau für Kernkraftwerke – die Zahl der Kohlekraftwerke viel stärker steigt. Also das Problem wird noch größer im Moment. Trotz aller Bemühungen wird es weltweit nicht kleiner, wenn ich mal Corona abziehe. Im Moment haben wir die Delle in den CO2-Emissionen, aber nur wegen Corona, und sobald sich die Wirtschaft wieder erholt, geht das wieder weiter.
Wir haben nach wie vor mehrere Prozent jährlichen Zuwachs an CO2 und das liegt daran, dass wir im Moment immer noch das Problem vergrößern, statt es zu verkleinern – weltweit gesehen. Und da gibt es keine wirklichen, sagen wir mal, ja, Vorbilder. Es ist eigentlich für alle so etwas wie … ich meine, ich hätte gerne eine andere Botschaft: ‚Schaut dort hin, die machen es toll – lasst es uns genauso machen, dann wird alles gut‘. – Nein, es sind die Mühen der Ebene. Also mit dem alten Spruch von Bert Brecht mal gesagt: Es sind die Mühen der Ebene, die vielen kleinen Schritten, die vielen Produktionsprozesse, die vielen kleinen Verhaltensänderungen. Und das ist es, was mir manchmal auch durchaus ein bisschen Sorge macht: Wir Menschen sind gut darin, schnell, mit Schwung Dinge umzusetzen, aber der lange Atem, die Mühen der Ebene, das ist die eigentliche Herausforderung.
Carsten Roemheld: Sie sagten ja auch vorhin, es nützt nichts, wenn man selbst als Europa z. B. gewisse Ziele verfolgt, die aber anderswo dann nicht entsprechend mitgetragen werden. Deswegen noch einmal am Schluss vielleicht die Frage – auf die EU blickend: Was kann die EU mit ihrem Green Deal ausrichten? Ist das aus Ihrer Sicht gut durchdacht? Und wenn ja: Ist das wirklich die Initialzündung, die auch anderen mit Blick auf Europa dazu verhilft zu sagen, ja das ist der richtige Weg, den müssen wir jetzt alle gemeinsam irgendwie gehen?
Armin Grunwald: Also die EU hat doch Macht, ja, das ist gar keine Frage. Und das ist natürlich keine Macht, die sie sich selbst erworben hat, sondern die ist ihr ja von den Mitgliedsstaaten übertragen worden. Das ist ja auch eine interessante Arbeitsteilung: Man schiebt bestimmte Dinge auf die übergeordnete Ebene, die beschließt dann was und wenn es einem nicht passt, kann man immer sagen, die übergeordnete Ebene ist schuld, obwohl man es selber auch hätte gemacht, ja; man kann aber den Schwarzen Peter woanders hinschieben. Das ist ein Effekt, der manchmal von populistischen Parteien fälschlicherweise ausgenutzt wird. Eigentlich ist es ein kluger Effekt.
Ich denke auch hier, dass in dem Green Deal gute Dinge weiter passieren werden. Ich bin erst einmal froh, dass es so diese Geschichte gibt. Das ist auch ein Beitrag zum Thema ‚langer Atem und Mühen der Ebene‘: Dieses Dranbleiben, immer wieder dranbleiben, und sei es, wenn man Dinge halt dann wieder neu belebt. Ja, jetzt reden wir ja alle über „Circular Economy“, das nannte man vor 30 Jahren „Kreislaufwirtschaft“, gab’s in den Grundzügen schon mal, heute mit neuen Technologien auch durchaus wieder neu oder anders, aber trotzdem: Die Grundideen gab es schon mal. Und das ist aber auch wichtig. Das ist jetzt nicht einfach die Wiederholung, sondern es ist ein Weitermachen in dieser Richtung. Und da werden wir noch viele Wellen dieser Art erleben und noch viele Green Deals brauchen, das wird nicht der letzte gewesen sein.
Carsten Roemheld: Das sehen wir von überall, auch die USA ist ja inzwischen bemüht, in diese Richtung zu denken, aus China hört man, dass die Klimaneutralität auch angestrebt werden soll. Also vielleicht doch ein positiver Ausblick am Schluss noch mal.
Herr Professor Grunwald, wir sind leider schon am Ende unseres Gesprächs angekommen. Ich danke Ihnen sehr, sehr herzlich für dieses wirklich hochinteressante Gespräch mit vielen neuen Einsichten, die mir so auch noch in keiner Weise klar waren. Mit diesem Blickwinkel von Ihnen, der Technikfolgenabschätzung – ganz, ganz hochinteressantes Gebiet. Also vielen Dank, dass Sie heute bereit waren, mit uns das Gespräch zu führen.
Ich danke auch allen unseren Zuhörern für ihre Aufmerksamkeit. Ich hoffe, dass Ihnen heute wieder einiges an neuen Erkenntnissen mitgegeben wurde und wünsche Ihnen alles Gute. Bleiben Sie gesund und ich hoffe, dass Sie beim nächsten Mal wieder dabei sind. Auf Wiederhören.
Armin Grunwald: Danke, auf Wiederhören!