Deutsche Maschinenbauer: Beständig durch die Krise
Carsten Roemheld: Herzlich willkommen zur neuen Ausgabe des monatlichen Kapitalmarkt-Podcasts. Mein Name ist Carsten Roemheld, ich bin Kapitalmarktstratege bei Fidelity und ich suche an dieser Stelle einmal im Monat Antworten auf eine entscheidende Frage: Was bedeuten die wirtschaftlichen Entwicklungen von heute für die Anlagestrategie von morgen? Seit einiger Zeit beschäftigen wir uns jetzt schon mit dem Zustand der Weltwirtschaft, da wir letztes Jahr quasi unverschuldet in die größte Krise seit dem Zweiten Weltkrieg geraten sind. Nun diskutieren und analysieren wir mit mehreren Gesprächspartnern die Folgen der Pandemie. Die Kapitalmärkte haben seit geraumer Zeit ihr Urteil gefällt und gehen weiter von einer breit angelegten starken Erholung aus, die sich insbesondere in der zweiten Jahreshälfte zeigen dürfte. Aber ist dieser Optimismus berechtigt? Die zweite Covid-Welle hat uns einen deutlichen Rückschlag gebracht, der an den Märkten aber weitgehend vorbeigelaufen ist. Daher wollen wir heute einige weitergehende Fragen stellen und haben uns dafür wie immer einen renommierten Experten quasi aus der Mitte der deutschen Wirtschaft eingeladen, der uns sicherlich ein gutes Bild über den tatsächlichen Zustand der heimischen Industrie und des heimischen Mittelstands geben kann.
Für die heutige Episode habe ich mich mit Dr. Ralph Wiechers verabredet. Dr. Wiechers ist Mitglied der Hauptgeschäftsführung beim VDMA, dem Verband Deutscher Maschinen- und Anlagenbau. Zugleich ist er auch Chef-Volkswirt des Verbands. Der VDMA vertritt eine Branche, die im Jahr 2019 rund 1,35 Millionen Erwerbstätige beschäftigte und 229 Milliarden Euro Umsatz erzielte. Damit bilden die Verbandsmitglieder zusammen den größten industriellen Arbeitgeber Deutschlands. Und noch viel mehr: Maschinen- und Anlagenbauer stehen für Mittelstand, sie stehen für German Engineering, für Exportstärke und für „hidden Champions“. Sie vereinen also all jene Eigenschaften, für die Deutschland weltweit so sehr geachtet und manchmal auch gefürchtet wird.
Sie sind, wie Dr. Wiechers im Gespräch selbstbewusst betont, die „Ausrüster der Welt“. Dieses Selbstbewusstsein hat mir im Gespräch besonders imponiert. Bei Dr. Wiechers äußert sich Selbstbewusstsein nicht in großen Worten, es stützt sich immer auf harte Fakten und die geben durchaus Anlass zu Optimismus:
1. Auch, wenn die Maschinen- und Anlagenbauer im Pandemiejahr 2020 harte Rückschläge verkraften mussten, zeigen Auftragseingänge und andere Frühindikatoren, dass sich die Lage verbessert.
2. Auch, wenn sich manche Lieferketten als brüchig erwiesen haben, weiß die Branche, wie sie die Produktion und die Versorgungswege in Zukunft sichern kann.
3. Auch, wenn sich staatliche Umweltschutzpakete zunächst oft als Kostenfaktor für die Unternehmen entpuppen, erkennen die Maschinen- und Anlagenbauer im Engagement für Nachhaltigkeit durchaus Wachstumschancen.
Ich habe Dr. Wiechers auch gefragt, ob die Maschinenbauer nicht zur „Old Economy“ gehören, also gewissermaßen zum alten Eisen zählen. Seine Antwort darauf hat mich ebenso überzeugt: Wer Old Economy gleichsetze mit veraltet, so sagte er mir, der habe ein völlig falsches Bild im Kopf. Wer dagegen „old“ mit beständig übersetze, der liege keinesfalls daneben. Denn im deutschen Maschinen- und Anlagenbau, so sagte der VDMA-Experte, arbeiten neugierige Ingenieure daran, aus Ideen handfeste Old-Economy-Produkte zu machen. Ich habe gelernt, um den Industriestandort Deutschland muss uns nicht bange sein, und als Kapitalmarktstratege kann ich dem nur beipflichten. Schließlich sind die stärken der Old Economy gerade auch an der Börse äußerst gefragt. Value-Titel erleben gerade eine Renaissance. In diesem Sinne wünsche auch Ihnen während der kommenden 45 Minuten neue Einblicke ins Herz der deutschen Industrie und viel Hörvergnügen.
Herr Dr. Wiechers, schön, dass Sie bei uns sind. Lassen Sie uns gleich einsteigen: Und zwar befinden wir uns ja seit gut einem Jahr im Ausnahmezustand. Am 13.03.2020, das weiß ich noch ziemlich genau, wurde der Lockdown auch hier in Deutschland verkündet. Unternehmen mussten viele Rückschläge verkraften seitdem; auch der Maschinenbau musste im zweiten und dritten Quartal 2020 sehr große Einbußen hinnehmen. Trotzdem blicken Sie sehr positiv auf den Jahresabschluss und nach vorne. Was macht Sie aktuell optimistisch?
Dr. Ralph Wiechers: Nun auf den Jahresabschluss schauen wir nicht ganz so positiv; weniger negativ, wie wir das vielleicht noch im zweiten Quartal getan hätten. Wir hatten ja im zweiten Quartal deutliche Rückgänge quer durch Umsatzproduktion, Export, zweistellige Rückgänge, minus 20 Prozent, minus 25 Prozent – und das hat sich dann allerdings im dritten und vierten Quartal etwas relativiert. Auch immer noch Minusraten, aber wir sind gemessen an der Produktion bei einem Minus von 12 Prozent gelandet. Das ist natürlich kein positiver Rückblick, aber es ist eben weniger schlecht als erwartet. Wir blicken nach vorne mit einem positiven Blick, wenn man so will. Ein Plus von 4 Prozent lautet aktuell unsere Prognose. Aber wenn wir natürlich 4 Prozent plus auf ein Minus von 12 Prozent setzen, sind wir natürlich noch lange weg vom Vorkrisenniveau 2019 und das Vorkrisenniveau 2019 war ja auch gekennzeichnet schon durch einen – wenn auch einstelligen – Rückgang.
Carsten Roemheld: Welche Teilbranchen haben sich als besonders krisenfest erwiesen? Wo liegen die besonderen Stärken?
Dr. Ralph Wiechers: Nun wir haben ja eine breitere Spanne. Wenn Sie die automobilnahen Bereiche nehmen, zum Beispiel Werkzeugmaschinen, die sind bereits 2019 schon deutlich rückläufig gewesen und haben auf dieses Minus noch einmal etwas aufgesattelt; also sprich, sind noch mal tiefer reingegangen. Wir haben auf der anderen Seite Bereiche, die relativ krisenresistent waren oder teilweise sogar, drehen konnten. Am Anfang des Jahres 2019 war es so, dass Teile- und Komponentenhersteller teilweise von dem Ausfall in China profitieren konnten und auch jetzt zum Ende des Jahres wieder zulegen konnten. Ähnlich positive Effekte haben dann im Jahresverlauf gesehen, zum Beispiel solche Bereiche wie die Fördertechnik, die eben von diesen ganzen Logistikthemen profitiert haben.
Oder auch recht stabil sind die Bereiche, die nah am Bauen sind. Es gibt Konjunkturfördermaßnahmen; das Bauen läuft ja auch recht ungestört. Ich sehe das hier selber: Wir haben ‘ne Baustelle nebendran. Die sind also unbeirrt kräftig am Arbeiten, da gibt’s höchstens schon mal Nachschubprobleme. Aber ansonsten Armaturen alles, das läuft, die Pharmabereiche laufen, Gott sei Dank! Diese ganzen Investitionen führen letztlich auch dann dazu, dass Maschinen, Anlagen, Apparate gekauft werden. Also es ist ein sehr heterogenes Bild und insofern kommen natürlich jetzt auch diese Teilbranchen unterschiedlich aus dieser Krise heraus.
Carsten Roemheld: Dieses heterogene Bild – wird es sich verbessern, wenn wir Hoffnung auf die Lockerungen haben, dass die Maßnahmen in den Sommermonaten sozusagen zu einer Lockerung und einer Erholung der breiten Realwirtschaft führen? Wie hoch ist Ihre Wahrscheinlichkeit für einen breiten Aufschwung in den kommenden Monaten? Wovon hängt der Ihrer Ansicht nach ab und wo liegen aktuell noch die größten Risiken?
Dr. Ralph Wiechers: Wir haben in den letzten Monaten eine recht positive Entwicklung beim Auftragseingang gesehen: Positiv heißt eben „weniger schlecht“. Wir sind sogar in den letzten Monaten in November/Dezember wieder über dem Vorjahresniveau gewesen, also über dem Niveau des Jahres November/Dezember 2019. Und die Frühindikatoren, die wir natürlich auch immer beobachten, sowohl international als auch national, zum Beispiel das ifo Konjunkturklima, zeigt ja für das verarbeitende Gewerbe und da sehen unsere Kunden ja durchaus auch positive, ja auch eine weiterhin positive Entwicklung. Also dieser zweite Lockdown schlägt sich bisher oder hat sich bisher nicht in dem Maße negativ in unserer Branche niedergeschlagen, wie das für das Gaststättengewerbe, die Dienstleistung etc. der Fall ist.
Dazu kommt, dass wir positive Effekte insbesondere aus Asien spüren und hier insbesondere aus China. China ist ja recht schnell wieder in einen Wachstumsprozess gekommen; ist ja der einzige große Wirtschaftsraum, der auch gemessen am BIP einen Zuwachs haben wird, und wir sehen das auch an den Investitionen und damit eben auch an unseren Exporten nach China. Und wenn ich mit Unternehmen spreche, so sagen sie immer, wir haben gute Aufträge aus China und wir spüren das auch und die werden sich dann natürlich auch in den Exporten niederschlagen.
Carsten Roemheld: Jetzt haben wir ja eine Aussetzung der Insolvenzpflicht gehabt im vergangenen Jahr und das hat aus Sicht mancher Beobachter dazu geführt, dass wir ein Problem irgendwo weitergetragen haben, das vielleicht schon früher aufgetreten wäre. Halten Sie es für möglich, dass wir im laufenden Jahr eine größere Pleitewelle sehen? Wäre das nicht auch gewöhnlich nach einer solch großen Krise? Und wenn ja: Wie soll diese Ihrer Meinung nach aufgefangen werden?
Dr. Ralph Wiechers: Gut, wir haben ja einige – also ich spreche jetzt mal für den Maschinenbau, ich kann natürlich nicht sprechen für Einzelhandel etc.; ich denke mir, da sieht die Situation anders aus – wir hatten in den letzten Jahren auch jetzt keine großen Insolvenzwellen, die Unternehmen sind recht gut aufgestellt. Das sagen ja auch immer die Partner aus der Bankenwelt, dass die Maschinenbauer; jenseits natürlich, dass es auch dort immer Grenzanbieter gibt, die Probleme haben, ja; da ist keine Branche … ist davon letztlich, wird davon verschont, aber wir haben eigentlich ‘ne recht solide Basis und wir haben auch seit der Krise 2009 in den meisten Bereichen recht gut wachsen können und die Unternehmen haben auch aus der 2009er Krise abermals gelernt und haben eben ihre Eigenkapitalausstattung verbessert, haben ihre Prozesse angepackt etc. Und auch jetzt dieser Rückgang bei den Kapazitäten – das ist ja immer ein guter Maßstab hier, was da eigentlich passiert ist in der Branche – ist recht gut aufgefangen worden; auch durch politische Unterstützungsmaßnahmen.
Also uns hat sehr geholfen, wie schon 2009, das Thema Kurzarbeit, weil wir ja personalintensiv sind; es sind ja viele mittelständische Unternehmen, auch große Mittelständler, und das Know-how der Mitarbeiter ist natürlich ein wichtiges Asset und die Kurzarbeit hilft uns eben, diese Mitarbeiter zu halten. Und die Mitarbeiter sind auch bereit, dieses anzunehmen, weil sie wissen, dass wir dann eben am folgenden Aufschwung wieder an Bord sind und dann auch die Aufträge, wenn sie reinkommen, abarbeiten können.
Stichwort: Aufträge. In der Branche zeigt sich halt regelmäßig, dass die größten Insolvenzrisiken eigentlich im Aufschwung da sind. Nämlich dann, wenn Unternehmen Aufträge reinbekommen und diese vorfinanzieren müssen, denn die Zeit der großen Anzahlungen ist auch vorbei. Sicherlich gibt‘s hier und da Anzahlungen, aber sie müssen letztlich in Vorleistung treten und das hat auch in den letzten Monaten natürlich hier und da zu Verzögerungen geführt, wenn sie zwar die Maschine ausgeliefert haben, der Kunde sie aber nicht abnehmen konnte, sie nicht in Betrieb nehmen konnte, weil sie keinen Servicetechniker vor Ort entsenden konnten aufgrund von Reisebeschränkungen. Das hat hier und da sicherlich auch zu Liquiditätsengpässen geführt, aber generell, also rückblickend, sind das jetzt keine ungewöhnlichen Situationen. Wir fragen das immer wieder ab und vorausschauend hoffen wir, dass wir diese Phase dann auch gut überstehen und dann auch wieder in einen Wachstumsprozess einmünden.
Carsten Roemheld: Das spricht ja sehr dafür, dass es wirklich gut ist, in Deutschland so eine breite Industriebasis auch zu haben, bei allem Fortschritt und Technologie usw., über die man natürlich zu sprechen hat insgesamt, aber die Basis ist auf jeden Fall sehr stabil. Und Ihre Beschreibung der Situation spricht ja sehr dafür, dass wir froh sein können, dass wir eine solche Industrie auch bei uns haben.
Dr. Ralph Wiechers: Wichtig ist immer noch an der Stelle, dass die Kunden natürlich auch pünktlich zahlen, also die Zahlungsmoral muss natürlich auch stimmen. Und das merkt man natürlich auch in solchen Situationen, dass das dann schon mal hier und da hakt.
Carsten Roemheld: Okay … ja, das wäre natürlich wichtig. Ich möchte mal kurz auf das Thema „Politik“ zu sprechen kommen und Sie fragen, ob Sie grundsätzlich mit der Pandemiebekämpfung der Bundesregierung zufrieden sind. Wenn das nicht der Fall ist oder: Gibt es Aspekte, die Sie vielleicht anders gemacht hätten? Gab es eine ausreichende Repräsentanz, auch der Wirtschaft, bei den Krisengesprächen? Da würde mich Ihre Meinung zu dem Thema interessieren.
Dr. Ralph Wiechers: Ja, es sind ja sehr viele Einzelpunkte verabschiedet worden in diesen diversen Hilfspaketen und man hat durchaus ja den Weg gewählt, dass man nicht nur die aktuellen Probleme der Unternehmen durch Liquiditätsunterstützung etc. angegangen ist, sondern dass man auch Maßnahmen ergriffen hat, die auch in die Zukunft weisen; sprich also: Das Wachstum letztlich dann auch fördern, das wir brauchen, um aus Sicht des Staates dann auch die Schulden vielleicht wieder abzubauen bzw. aus Sicht natürlich auch der Unternehmen den Strukturwandel, in dem wir ja auch alle massiv stecken – nicht erst seit Corona, auch schon vorher, Stichwort „Digitalisierung“, die ganzen Fragen, „Protektionismus“, wie geht es mit dem Aussenhandel weiter, dann der Strukturwandel in den Antriebstechnologien, Klimawandel, Nachhaltigkeit usw. – dass wir das auch packen und das … also, muss man wirklich sagen, das ist recht gut gelungen.
Wir haben sehr viele Maßnahmen, wo wir auch als Maschinenbau von profitieren konnten, und wir haben die Programme durchgeschaut und abgeglichen mit unseren Forderungen, damit sind viele Dinge passiert, die … nehmen Sie Wasserstoffstrategien, aber auch solche grundsätzlichen Sachen jetzt im Steuersystem, dass man eben unmittelbar dann auch Steuervorauszahlungen angepasst hat, den Verlustrücktrag erweitert hat; da wünschen wir uns sicherlich noch mehr, was die Zeit angeht, aber es ist, denke ich mir, wir können der Politik ein gutes Zeugnis ausstellen: Sie haben schnell reagiert und sie haben auch vorausschauend und weitschauend reagiert.
Carsten Roemheld: Und auch das Thema „Kurzarbeit“, Sie haben es ja schon mal angesprochen, ist eines, was mehr oder weniger auch sehr erfolgreich hier war und quasi auch exportiert wurde – also andere Länder haben tatsächlich dieses Modell adaptiert als sehr positive Reaktion in dem Krisenmodus.
Dr. Ralph Wiechers: Ja, da profitieren wir sicherlich auch noch aus den Erfahrungen von 2009, wo das ja auch der Fall war, und man hat also nicht nur die Kurzarbeitskarte gezogen, sondern auch sehr schnell erweitert. Klar, es gibt natürlich Diskussionen, wieweit hier und da vielleicht, ja, lahme Industrien vielleicht auch über Gebühr gerettet werden und es gibt natürlich auch rechtswidrige Inanspruchnahme von solchen Hilfspaketen, das wird man nicht ausschließen können, das wird immer der Fall sein. Deswegen sollte man aber diese Maßnahmen nicht unbedingt dann noch kürzen.
Carsten Roemheld: Ich möchte im zweiten Themenblock etwas mehr auf den Welthandel und auf Exporte und ähnliches eingehen. Die Unternehmen im VDMA sind ja stark vom Export abhängig: Wie sehr beeinträchtigt die Schwäche des Welthandels die Branche? Sie hatten vorhin China erwähnt als sehr wichtigen Handelspartner, die ja schon sehr stark und sehr früh wieder in das Wirtschaftswachstum zurückgekehrt sind. Wie sind die anderen Exportregionen zu betrachten?
Dr. Ralph Wiechers: Sie sagen es ja schon: Wir haben eine recht hohe Exportquote – an der Produktion 80 %, am Umsatz etwas weniger – und wir sind weltweit unterwegs als Maschinenbaubranche. Es ist vielleicht etwas erstaunlich, weil wir ja eine mittelständische Branche sind oder sehr stark mittelständisch geprägt sind. Aber wir sind Spezialisten und da ist der nationale Markt eben für diese Speziallösungen oft zu klein, sodass wir also schon seit vielen, vielen Jahren in die Exportmärkte reingehen. Der Export ist eigentlich das A und O, der Taktgeber unserer Industrie und der Welthandel und wir haben natürlich hier Jahre auch erlebt, wo wir einen massiven Zuwachs des Welthandels hatten, weil sich Länder, neue Länder industrialisiert haben und damit auch eben nach Infrastruktur und auch nach Investitionsgütern gefragt haben. Diese Zuwächse kann man sicherlich nicht beliebig in die Zukunft fortschreiben, das haben wir ja auch schon in den letzten Jahren gesehen, und in Folge der 2009er Krise ist es natürlich auch dazu gekommen, dass einige Länder stärker dem Protektionismus verfallen sind. Das haben wir auch gespürt in unserer Branche; also ein früherer Präsident von uns hat gesagt, hier wird auch politisch nach und nach werden Märkte zugemauert, wir haben also politische Märkte, mit denen wir zurechtkommen können, und unsere Unternehmer wollen ja lieber verkaufen und sich nicht mit irgendwelchen politischen Beschränkungen, Embargos und protektionistischen Problemen rumbalgen.
Also das Ganze ist sicherlich ein wichtiger Punkt und in dem Maße aber, wie die weltwirtschaftliche Aktivität wieder zunehmend wird, wird natürlich auch unser Export wieder zulegen können, weil wir eben der Ausrüster der Welt sind. Natürlich haben wir starken Wettbewerb weltweit; in China, aber auch in anderen Märkten, aber wir haben uns bisher recht gut schlagen können. Und dazu kommt natürlich, und das ist vielleicht noch ein Thema, dass wir eben nicht nur mehr über Exporte in den Märkten präsent sind, sondern eben zunehmend auch über Direktinvestitionen, was natürlich für einen Mittelständler eine große Herausforderung ist.
Carsten Roemheld: Was die Kapitalmärkte sehr stark interessiert, ist die Frage, ob wir wieder größere Inflationsrisiken in den Märkten sehen, und zuletzt haben wir beobachtet, dass die Frachtraten stark gestiegen sind; also sowohl für Flug- als auch Schiffsverkehr, Bahntransporte werden teurer. Besorgt Sie dieser Zustand der weltweiten Transportlogistik? Sehen Sie über diese Frachtraten ein größeres Inflationsrisiko auf die globalen Märkte hinzukommen?
Dr. Ralph Wiechers: Nun, auch für uns gilt natürlich, dass ein Frachtratenanstieg das Ganze teurer macht. Also es ist nicht nur ärgerlich, es macht eben auch den Transport teurer und wieweit sich das dann auf die Inflationsraten niederschlägt, ja … gut, das gilt natürlich wahrscheinlich eher noch für Konsumgüter und solche Dinge, wo es dann unmittelbarer ist. Bei uns ist eher ärgerlich, wenn Termine nicht gehalten werden können, der administrative Aufwand steigt, man lange auf Container warten muss, teilweise vielleicht auch warten muss, teilweise auch parallel dann aktiv ist, und das führt dann auch zu Kostensteigerungen.
Also es ist ein Ärgernis, sicherlich, und es ist auch eine Begleiterscheinung eben auch von Ungleichgewichten auf den Weltmärkten, wenn halt mehr Container aus einer Destination rausgehen als reingehen, dann haben Sie Ungleichgewichte und die Reeder fahren natürlich ungern leere Container über die Weltmeere.
Carsten Roemheld: Jetzt gab es ja auch vielfach Probleme bei den Lieferketten in der Pandemie, das wurde sehr stark offengelegt und seitdem gibt’s auch eine Diskussion, dass wieder stärker regionalisiert wird, vielleicht weniger der Welthandel gefördert wird und eigene Produktion wieder stärker gefördert werden soll. Glauben Sie, dass wir diesen Prozess weiter nach vorne tragen, dass diese globalen Lieferketten mehr und mehr vielleicht auch aufgebrochen werden, oder glauben Sie, dass die Situation in einigen Jahren wieder so sein wird wie zuvor beim Welthandel?
Dr. Ralph Wiechers: Nun, wie Sie schon sagen, die Coronapandemie und die damit verbundenen Einschränkungen haben natürlich die Verwundbarkeit internationaler Lieferketten schonungslos offengelegt. Auch wir haben das gesehen, angefangen mit ausbleibenden Lieferungen in der ersten Phase aus China, ja – bis dann auch, dass wir selber nicht unbedingt immer lieferfähig waren; ja selbst innerhalb von Europa natürlich auch nicht lieferfähig waren, weil die Grenzen wieder hochgezogen wurden, wie wir es ja aktuell auch wieder in Ansätzen sehen in Richtung Österreich und Italien. Wir haben eine globalisierte Welt, auch im Maschinenbau gibt es eine globalisierte Welt und wir sind selber Teil dieser Globalisierung, weil wir als Spezialisten, ich sagte es vorhin, natürlich auch darauf angewiesen sind, dass wir offene Märkte haben, in die wir dann unsere Investitionsgüter hineinliefern.
Schon heute, denke ich mir, ist es ja so, dass man über ausländische Direktinvestitionen in sogenannte „Regional Hubs“, so sagt man ja, dann auch investiert und so eine bessere globale Verteilung auch der Produktion hinbekommt und damit eben auch der Zulieferung, und letztlich damit auch Redundanzen in der Herstellung wichtiger Industriegüter schafft. Also auch größere Mittelständler, wir haben ja auch große Mittelständler, sind heute oft eben auch mit Produktion in den Triademärkten – der Begriff ist wieder etwas aus der Mode gekommen, aber scheint jetzt wieder zu kommen – also in Asien, in Amerika, in Europa vor Ort tätig sind und sich dann auch – so denn die Qualifikation da ist, die Zulieferung eben auch die Qualitätsstandard erfüllt – eben dann auch regional stärker versorgt. Und das hilft natürlich dann auch in solchen Situationen wie jetzt oder, wenn es eben lokale Engpässe gibt, dass man dann in dieser Logistikkette stehen kann. Ich sehe hier schon einmal vielleicht ‘ne gewisse Tendenz, nicht unbedingt, dass man alles wieder selber macht, das hilft ja auch nicht – was hilft es Ihnen, wenn Sie alles in Deutschland machen und in Deutschland haben Sie dann eine Grippewelle?! … ja, oder Schlimmeres. Dann sind Sie auch nicht lieferfähig, also man muss eher auf mehreren Beinen stehen und also … das ist die eine Geschichte.
Das andere ist natürlich Nearshoring, auch das gibt es durchaus. Viele Unternehmen im Maschinenbau haben ihre Lieferanten, vor allen Dingen der Kernkomponenten, im unmittelbaren Umfeld, mit denen sie sehr eng kooperieren und damit eben auch sehr flexibel sind; oder eben, das gibt’s natürlich auch, dass man die Lager aufbaut. Also es ist viel Bewegung da, aber ich sehe jetzt nicht, dass jetzt grundsätzlich die Globalisierung infrage gestellt werden sollte. Wir profitieren von der Globalisierung und wir sollten eher darauf achten, dass wir die Märkte offen halten und eben den gegenseitigen Austausch auch ganz im Interesse der jeweiligen Vorteile, das Ricardianische Prinzip, wenn man so will, aufrechterhalten können.
Carsten Roemheld: Lassen Sie uns noch einmal kurz über China sprechen, denn China hat ja immer noch Einreisebeschränkungen aktuell. Und der VDMA-Geschäftsführer Thilo Brodtmann hatte die Situation bereits im Dezember kritisiert und gesagt, komplizierte Maschinen kann man nicht einfach so am Telefon verkaufen. Wie abhängig ist die deutsche Industrie denn von China? Wie stark belasten diese Einschränkungen die hiesigen Unternehmen aktuell?
Dr. Ralph Wiechers: Nun China ist der größte Industriestandort weltweit, also mit weitem Abstand, und er ist auch der größte Maschinenbauhersteller weltweit. Ja, das hat sich in den letzten 10, 15 Jahren rasant entwickelt. China ist da eindeutig an der Spitze; ist natürlich ein Riesenmarkt und er ist dominant, nicht nur in Asien selbst, sondern auch in anderen Märkten und rückt uns ordentlich auf die Pelle; also sowohl, was die Volumina angeht, als auch, was die Technologien angeht. Er war mal 2019, nachdem er einige Jahre die Nummer eins war, und auch 2020 das zweitwichtigste Abnehmerland, klar, knapp hinter den USA. Das zeigt also, die USA sind immer schon sehr stark unterwegs gewesen, China hat eben dort aufgenommen und es ist aber – das passt ja auch in das Bild, was ich vorhin sagte – der zweitwichtigste Investitionsstandort für die Maschinenbaubranche nach den USA; und schließlich, auch das ist natürlich ein Zeichen von Abhängigkeit, wir kriegen viele Vorprodukte eben heute aus China. Es gibt nicht so einseitige Abhängigkeiten, wir haben uns das mal angeschaut, die Wertschöpfungsstrukturen: Aber selbst, wenn nur ein, zwei Prozent aus China kommen und es sind dann kritische Güter, meinetwegen Steuerungen, wir erleben das ja aktuell in der Automobilindustrie, Sie kriegen die Steuerung nicht dabei und hier und da wird sich das auch in unserer Branche da niederschlagen, dann haben Sie eben da ein Klumpenrisiko, ja, in dem Deal bei.
Also ich persönlich sage immer wieder, wir müssen schon aufpassen, dass wir nicht zu abhängig werden von China und hier breit aufgestellt bleiben, und insofern freut mich natürlich, wenn wir in den USA vielleicht auch jetzt bedingt durch den Präsidentenwechsel jetzt vielleicht auch wieder noch weitere Geschäftschancen bekommen.
Carsten Roemheld: Sie haben quasi die Frage schon vorweggenommen, ich wollte gerade auf die USA eingehen und fragen, was mit dem Wahlsieg jetzt von Joe Biden und dem Wahlsieg der Demokraten insgesamt verbunden ist; also welche neuen Möglichkeiten sich daraus entwickeln. Jetzt hat man schon wieder gelesen, dass Joe Biden sich enttäuscht gezeigt hat über die deutsche Ablehnung, sozusagen eine Allianz der globalen Demokraten gegen China zu schmieden, die er ja sozusagen vorhatte, und Deutschland sich ein bisschen zurückhaltend geäußert hat in der Beziehung, weil eben China auch ein wichtiger Markt ist. Was glauben Sie, welche Rolle Europa in Zukunft in dieser Gemengelage, in diesem Spannungsfeld spielen kann? … und vielleicht noch einmal auf die USA auch näher eingegangen in dem Punkt.
Dr. Ralph Wiechers: Ja, also Europa, EU – ja, ich würde mich freuen, wenn sie dort eine Stimme haben und das ist im Augenblick nicht so der Fall. Auch, wenn sich hier und da vielleicht Verbesserungen zeigen, dass wir wirklich mit einer Stimme dort sprechen, weil wir sonst in dieser Triade eben dann uns werden nicht mit unseren Themen durchsetzen können oder überhaupt artikulieren können. Es geht hier nicht ums Durchsetzen, sondern es geht ja hier darum, dass man auch gemessen an der Wirtschaftskraft, die Europa hat, natürlich dann auch eine gewichtige Stimme hat in diesem Konzert.
Was die USA angeht, schöpft man natürlich Hoffnung: Der Ton, aber auch die Form des Miteinanders sollten sich hoffentlich ändern und das sollte dann auch, hoffe ich doch, der Weg in eine berechenbarere, stabilere Politik dann ebnen. Ob sich alle Erwartungen, die man jetzt in Biden setzt, ja, mehr oder weniger ihm auf die Schultern legt, ob die sich alle erfüllen werden, gilt es abzuwarten. Sein Fokus liegt aktuell eher noch auf der Innenpolitik: Er muss erst einmal das Land wieder versuchen zu einen und … neben der Bekämpfung der Coronapandemie. Auf der anderen Seite wird er natürlich auch wirtschaftliche Impulse setzen; setzen wollen. Es gibt diesen „American Rescue Plan“, ein Riesenvolumen, ob er das dann in den Kammern durchbekommt, ist natürlich noch ‘ne andere Frage, aber 1,9 Billionen US-Dollar, das ist schon ein Wort, das sind 10 Prozent der Wirtschaftsleistung der Vereinigten Staaten. Und viele Dinge, die sie dafür brauchen, auch jetzt, was die ganzen Umwelt- und Klimaschutzpläne angeht, haben sie im eigenen Land nicht – brauchen sie also auch unter anderem eben auch aus Europa und aus dem deutschen Maschinen- und Anlagenbau; entweder direkt von uns oder durch unsere Tochtergesellschaften, die wir dort vor Ort haben. Ich sagte es vorhin, wir haben da einen großen Investitionsstandort hier.
Also: Da sind Chancen. Ich bin gespannt, ob Biden selbst – er hat ja auch schon gesagt „Made in All of America“ – also, sprich: „America first“ auch dort stärker spielen wird. Das muss man abwarten, aber insgesamt sehe ich hier schon die Chance, die in diesen Paketen und auch in diesen Klimapakten drinstehen. Mein Wunsch wäre natürlich, dass man auch mal wieder in den Handels… ja, praktisch in die Handelspolitik einsteigt, sprich: TTIP aufnimmt. Aber TTIP hat uns gezeigt, es ist kein leichtes Unterfangen; selbst, wenn vielleicht die Gegenseite hier willig ist. Es gab eben massive Widerstände und nicht nur in den USA, auch in Europa.
Carsten Roemheld: Ja, da haben Sie vollkommen recht und wir dürfen gespannt sein: Die Asiaten haben ein neues großes Handelsbündnis gegründet und da müssen die Europäer sicherlich noch ein bisschen nachlegen. Die Frage auch noch mal nach der Politik, nach der deutschen Politik: Was kann die Politik noch mehr tun, um die Zusammenarbeit mit anderen Industrienationen zu fördern? Wurden da bestimmte Versäumnisse in der Vergangenheit auch gemacht oder glauben Sie, dass die Politik noch stärker Einfluss nehmen sollte?
Dr. Ralph Wiechers: Nun, auch bezogen auf die Handelspolitik war man dort ja eher in den letzten Jahren in den Abwehrschlachten und ich würde mir wünschen, dass eben die Handelspolitik eben auch wieder offensiver genutzt wird eben im Sinne der Öffnung von Märkten. Also einen freien Handel zu ermöglichen, so wie es ja jetzt auch von der EU-Handelsstrategie ja auch zumindest anvisiert wird … und, um weitere EU-Freihandelsabkommen zu bekommen, damit wir verlässliche Rahmenbedingungen haben für unsere Exporte. Ich sagte es ja, wir brauchen offene Märkte, wir wollen uns nicht an den Grenzen rumschlagen, sondern wir wollen Maschinen und Anlagen liefern, mit denen wir unsere Kunden dann wiederum in die Lage versetzen, industrielle Güter zu produzieren, die sie wettbewerbsfähig machen und die ihnen helfen, dann eben auch auf eigenen Füßen zu stehen.
Also, kurzum: Die Handelsstrategie ist ein wesentlicher Punkt und neben Freihandelsabkommen geht’s sicherlich auch darum, dass man solche unangenehmen Sachen, die sich so ein bisschen hier und da eingeschlichen haben, wie wirtschaftliche Zwangsmaßnahmen von Drittstaaten, also letztlich diese indirekten Handelsbeschränkungen mit politischen Gegnern, dann eben auch lässt. Also da auch wirkungsvoll dagegen vorgeht und die WTO vielleicht auch mal wieder stärkt.
Carsten Roemheld: Kommen wir vielleicht zum letzten Themenblock insgesamt, und zwar das Thema „Innovation“; und das ist natürlich ein wichtiges Thema. Sie hatten vorhin den Strukturwandel auch angesprochen und wir hatten auch festgestellt, der Maschinenbau ist ja so was wie das Rückgrat der deutschen Wirtschaft, aber es klingt sehr nach „Old Economy“. Wie stark ist das Thema „Zukunftstechnologien“ in Ihrer Branche sozusagen vorhanden? Ist das ein falsches Image, das immer transportiert wird, dieses „Old Economy“? Oder wie weit sind wir hier im Bereich Maschinenbau?
Dr. Ralph Wiechers: Wenn Sie „Old Economy“ gleichsetzen mit veraltet, dann ist es sicherlich ein falsches Image, was die Branche hier hat. Wogegen wir auch schon seit vielen, vielen Jahr kämpfen. Wenn Sie „old“ im Sinne von beständig meinen, denke ich mir, passt es. Die neuen Technologien werden schlicht und einfach schon deshalb von unseren Industrien, also vom Maschinen- und Anlagenbau, aufgegriffen, weil der Kunde mit Problemen auf uns zukommt. Egal, was Sie nehmen, also von den neuen Themen, ob beim Thema „Nachhaltigkeit“ … „nachwachsende Rohstoffe“ sind Sie mit der Landtechnik dabei; wenn Lebensmittel hygienisch verpackt werden sollen, die Folien aber trotzdem verrotten sollen, sind Sie bei den Folienherstellern und damit bei den Kunststoffmaschinen und, wenn Sie Effizienzen im Prozess reinholen wollen, dann brauchen Sie einen digitalisierten Prozessschritt, der letztlich auch nur über die – Stichwort Industrie 4.0 – also letztlich im Rahmen auch der Wertschöpfungskette dann auch umgesetzt werden können, in dem Sie Hardware, Software, Digitales dann verbinden.
Also, alle diese Themen spielen bei uns eine große Rolle: Konnektivität, dann Digitalisierung, Interoperabilität – das sind Stichworte, die bei uns regelmäßig dann auch in den technischen Gremien fallen und die sicherlich auch große Chancen mit sich bringen und die jetzt noch durch die Pandemie und die Störungen hier entlang der Lieferketten noch mal einen zusätzlichen Schub bekommen. Ich bin da recht optimistisch: Die Unternehmen in unserer Branche sind neugierig. Das sind Ingenieure, die wollen immer gerne was Neues machen und greifen das gerne auf. Und machen dann aus Ideen dann eben dann aber handfeste Old-Economy-Produkte, die dann wiederum dann auch dann die Probleme unserer Kunden dann helfen zu lösen.
Carsten Roemheld: Neben aller Technologie müssen nach wie vor Güter produziert werden und das macht nun mal die Industrie, das ist ganz klar. Das wird oft vergessen, glaube ich, im Rahmen der Diskussion. Aber sehen Sie denn beim Thema „Technologiefortschritt/Digitalisierung“ einen Nachteil in Deutschland bzw. in Europa gegenüber den großen anderen Welthandelsmächten oder glauben Sie, dass wir hier in dieser Beziehung auch gut aufgestellt sind?
Dr. Ralph Wiechers: Sicherlich gibt es hier noch Ansatzpunkte. Also in Asien ist man schlicht und einfach agiler, mutiger auch schon mal, schneller bei der Hand – ob das dann immer alles schon so durchdacht ist, ist eine andere Sache. Es ist bei uns eher behäbiger, ja, und die USA sind besser in der Umsetzung von Geschäftsmodellen. Also insofern können wir uns da sicherlich hier und da auch Anleihen noch nehmen bei unseren Partnern; das Ganze noch mit der Solidität und letztlich auch ja der Verfügbarkeitsgarantie dann zu verbinden, das wäre natürlich das Ideal.
Carsten Roemheld: Also wir sehen gerade an den Kapitalmärkten, zumindest seit den großen Ankündigungen für Impfstoffe im November, dass die Märkte sich etwas … eine Sektorrotation vornehmen: dass eher die zyklischen Branchen und die klassischen auch Value-Titel an den Kapitalmärkten seitdem insgesamt besser laufen und die Technologietitel dann vielleicht etwas stagnieren aktuell. Glauben Sie, dass von dieser Entwicklung auch dieser Aufschwung, den wir in der zweiten Jahreshälfte relativ deutlich erwarten – auch sowohl in Europa als auch in anderen Teilen der Welt, in der USA vielleicht noch mehr durch dieses große Paket von Joe Biden – dass davon die deutsche Industrie auch gerade profitieren kann? Dass die Branche attraktiver auch für Investoren aus dem Ausland werden kann im Rahmen dieses zyklischen Aufschwungs?
Dr. Ralph Wiechers: Ja, wir haben ja immer wieder auch Investitionen in Deutschland auch im Maschinenbau, auch aus dem Ausland; manchmal mehr, als der Politik lieb ist. Ich erinnere da nur an die Übernahme von KUKA durch einen chinesischen Investor. Also die Attraktivität ist sicherlich da und sie ist auch, denke ich mir, notwendig. Wir müssen offen sein für Investitionen aus dem Ausland. Ich will damit der Politik und ihren strategischen Ansätzen jetzt gar nicht widersprechen, das muss man sich natürlich genau anschauen; in dem Augenblick, wo halt interne Sicherheit und wie auch immer dann gefährdet ist. Aber generell sind wir hier schon für offene Märkte. Es muss natürlich auch eine gewisse Waffengleichheit dann da sein: So, wie Ausländer dann hier bei uns investieren und damit natürlich auch einen Zugang haben zu Know-how, sollten wir natürlich auch im Ausland investieren können und hier eben nicht aus strategischen Gründen außen vor gehalten werden.
Carsten Roemheld: Da fällt mir noch eine Frage ein zum Thema „Beibehaltung des Fortschritts“ auch und der Industriepolitik: Ist denn die Ausbildung in Deutschland, die wir durchlaufen … kommt genug Nachwuchs sozusagen in die Branche, um diesen Wettbewerbsvorteil, den wir ja noch haben, dauerhaft auch nach vorne hin zu haben, oder holen die anderen im Moment sehr stark auf, auch durch das Bildungssystem?
Dr. Ralph Wiechers: Gut, unser Bildungssystem ist, denke ich mir, nach wie vor sehr vorbildlich. Einfach durch das duale System, es ist weltweit führend und sichert ja nicht nur dann Fachkräfte, sondern eben auch oft Nachwuchs dann für die Studiengänge. Und selbst in den Studiengängen hat man ja heute auch sehr große Bestandteile der Praxis in den Unternehmen, ja: Praktika etc. Aber Sie sprechen natürlich hier einen Punkt an: Das Thema „Nachwuchs“ ist immer ein Problem bei uns. Es gibt eigentlich nie genug; in Summe vielleicht, aber dann nicht mit der spezifischen Ausprägung. Und insofern sollten wir als Unternehmen, als Branche, aber eben auch als Bildungspolitiker darauf achten, dass wir eben unsere Ausbildung, die sehr stark eben auch auf industrielle Berufe auch ausgerichtet ist, weil wir eben einen relativ hohen Industrieanteil haben, natürlich auch weiterhin attraktiv halten.
Carsten Roemheld: Sie haben in der Vergangenheit auch immer wieder die Politik aufgefordert, Investitionen in Innovation zu fördern. Welche Felder sind es genau, an die Sie dabei denken?
Dr. Ralph Wiechers: Wir sind eigentlich Anhänger von einem technologieoffenen Ansatz. Es gibt dort ja verschiedenste Instrumente: Die industrielle Gemeinschaftsforschung ist eines, da wo sich also Unternehmen zusammentun und gemeinsam an einem Forschungsprojekt schaffen. Das ist ideal gerade für die mittelständische Industrie, die eben das alleine sonst nicht schaffen würden und sich dann mit Großen, Größeren und eben auch anderen Kleinen zusammentun. Und gerade jetzt in diesem Jahr … ne, im letzten Jahr ja eingeführt und in diesem Jahr dann sollte es zur Wirkung kommen: die Forschungsprämie, die eben dann auch es ermöglicht, Unternehmen zu unterstützen, die zu klein sind für große Forschungsprogramme, aber eben doch so groß sind, dass sie eben schon Innovationen bewerkstelligen können; da also eine Unterstützung lohnt sich zu geben.
Carsten Roemheld: Welche Rolle spielen aus Ihrer Sicht dabei Innovationen in den Umweltschutz? Wir haben jetzt den großen Weg eingeschlagen, auch von der EU sowohl als auch von den USA, mehr zu einer „Green Economy“ zu kommen. Halten Sie diese Innovationen und diese Vorschläge für die richtigen? Und wenn nein: Wie sollte aus Ihrer Sicht diese Zukunftsperspektive aussehen?
Dr. Ralph Wiechers: Das Thema Nachhaltigkeit, „Green Deal“ ist natürlich sowohl eine Chance wie natürlich auch regelmäßig natürlich auch eine Belastung, ja. Unternehmen müssen sich selber umstellen, es wird dann zum Kostenfaktor. Auf der anderen Seite bietet es eben dann auch über die Innovation die Chance für neue Produkte und damit eben dann auch für Wachstum in diesen Bereichen. Und man muss sicherlich hier abwägen, wie schnell man hier letztlich einen Umschwung herbeiführt. Nehmen Sie das ganze Thema der Verbrenner: Wir haben natürlich viele Bereiche, die am Verbrenner hängen, und wenn man also jetzt aus politischer Überzeugung jetzt hingeht und sagt, der Verbrenner muss weg innerhalb kürzester Frist, muss man eben dann auch damit rechnen, dass damit viele, viele Arbeitsplätze verloren gehen – schneller, als dann für alternative Technologien neue heranwachsen können.
Also das ist ein Austarieren letztlich des Bremsens auf der einen Seite und des Aufwuchses auf der anderen Seite. Da gehört viel Fingerspitzengefühl dazu und letztlich auch ist es wichtig, dass die Unternehmen selber dann die Chance haben, dann auch nach der besten Lösung zu suchen. Die Politik sich also zurückhalten muss, um ihnen zu sagen, wie man letztlich diese Fragen dann auch technologisch löst. Technologieoffenheit ist das A und O an dieser Stelle.
Carsten Roemheld: Sind wir da auf dem richtigen Weg oder glauben Sie, dass gerade in dieser Frage das Thema „Regulierung“ einen zu starken Stellenwert aktuell bekommt, wie wir es gerade erleben?
Dr. Ralph Wiechers: Gut, der Weg wird ja vorgegeben einmal natürlich durch die Knappheit von Ressourcen, durch Ressourcenverbrauch etc., sicherlich auch durch die gesellschaftspolitische Stimmung hier, das kann man ja auch nicht ausschließen, das ist ja auch ein wichtiger Fakt. Und auf der anderen Seite: Das Tempo ist natürlich sehr stark abhängig davon, ob Politik vielleicht auch überreagiert, eben mit solchen Regularien, und die Unternehmen überfordert und damit eben dann auch Wertschöpfung und damit Arbeitsplätze gefährdet.
Grundsätzlich wird man diesen Weg nicht umdrehen können. Er bietet viele, viele Chancen – nicht nur in Europa, sondern auch weltweit. Und letztlich führt er ja auch zur besseren, ja, effizienteren Verwendung eben von Rohstoffen und weniger Umweltverschmutzung etc. pp. – das sollte man nicht infrage stellen. Aber man muss halt auch die Grenzen kennen, wie schnell so etwas gehen kann. Es braucht schlicht und einfach Ressourcen, Zeit und Ideen.
Carsten Roemheld: Das sehen wir auch genauso und wir sind ja auch in der Acid-Management-Industrie sehr stark auf einen Nachhaltigkeitsansatz übergegangen und das ist wirklich das Hauptgesprächsthema insgesamt.
Herr Wiechers, unsere Zeit ist leider schon wieder rum, aber ich möchte Ihnen ganz, ganz herzlich danken für einen tollen Einblick, einen sehr ausführlichen, detaillierten Einblick in das Herz der deutschen Industrie. Sie haben uns heute wirklich sehr viel mitgegeben an Detailwissen, an Detailinformationen und das stimmt uns doch recht positiv für die aktuelle Situation und auch für die Tatsache, dass wir in Deutschland nach wie vor hier Weltspitze sind, was diesen Bereich angeht, und hoffentlich auch noch eine lange Weile bleiben können.
Also vielen Dank erst noch mal für Ihre tollen Beiträge. Vielen Dank den Zuhörern, die an diesem Pod-cast teilgenommen haben. Ich hoffe, dass wir Ihnen heute wieder einiges Wertvolles mitgeben konnten, dass Sie das nächste Mal auch wieder dabei sind. Ich wünsche allen Zuhörern alles Gute, bleiben Sie vor allen Dingen gesund und ich hoffe, dass wir Sie das nächste Mal wieder hier begrüßen dürfen.
Dr. Ralph Wiechers: Dankeschön.