Carsten Roemheld: In China braut sich etwas zusammen: Auf dem jüngsten Parteitag der Kommunistischen Partei wurde Xi Jinping erneut zum Präsidenten des Landes gewählt, die strikte Null-Covid-Politik mit harten Lockdowns und massiver Überwachung der Bevölkerung steht auf dem Prüfstand, der Taiwan-Konflikt wird zunehmend medial thematisiert und westliches Kapital ist auf der Flucht. Was passiert hier gerade? Beobachter sehen tatsächlich eine Zeitenwende in der internationalen Politik mit erheblichen wirtschaftlichen Folgen.
Der chinesische Präsident greift offensichtlich nach mehr Macht, und zwar nicht nur im Heimatland. Mit der sogenannten ‚Belt and Road Initiative‘, der Neuen Seidenstraße, spinnt China bereits seit einigen Jahren an einem globalen Handelsimperium. Xis erklärtes Ziel ist es auch, den Dollar als einzige Leitwährung in der Welt abzulösen, und China soll die globale Technologieführerschaft übernehmen. Es steht also nicht weniger als die Frage nach einer Neuordnung der Weltwirtschaft im Raum.
Auch für deutsche Unternehmen ist das eine große Herausforderung: Einerseits hat die Bundesrepublik China zum systemischen Rivalen erklärt, die deutsche Wirtschaft soll unabhängiger von China werden. Die Bundesrepublik reduziert daher staatliche Investitionsgarantien und hat zuletzt auch chinesische Übernahmen deutscher Unternehmen gestoppt. Gleichzeitig ist und bleibt der chinesische Markt bedeutsam: als Investitions- und Fertigungsstandort genauso wie als Absatzmarkt. Bundeskanzler Olaf Scholz hat auch zuletzt das bei seinem Amtsantrittsbesuch in China unterstrichen.
Über die Neuordnung der Weltpolitik und ihre Wirkungen auf Investoren sprechen wir mit Max Zenglein, Chefvolkswirt des renommierten ‚Mercator Institute for China Studies (MERICS)‘. Er hat sich zuletzt unter anderem intensiv damit beschäftigt, wie Unternehmen wirtschaftlichem Druck aus China begegnen können. Heute ist Donnerstag, der 1. Dezember 2022, mein Name ist Carsten Roemheld, ich bin Kapitalmarkt-Stratege bei Fidelity und ich freue mich sehr auf das Gespräch mit Max Zenglein.
Herzlich willkommen beim Kapitalmarkt-Podcast von Fidelity und ich höre, Sie sind gerade in Taiwan, Herr Zenglein.
Max Zenglein: So ist es! Und es freut mich, dass Sie mich eingeladen haben.
Carsten Roemheld: Prima! Lassen Sie uns direkt eintauchen ins Gespräch, es gibt sehr viel zu besprechen. Wie bereits gesagt: Chinas Staatschef Xi Jinping hat sich auf dem jüngsten Parteitag weitreichende Machtbefugnisse gesichert. Um seine Ziele erreichen zu können, hat er sogar die Verfassung des Landes geändert, die er eigentlich nur vorgesehen hatte, zwei Legislaturperioden zu absolvieren. Wie kann man das nennen, wohin sich China damit gerade politisch entwickelt?
Max Zenglein: Nun, ich denke, wir müssen den Optimismus letztendlich begraben, den wir mit China verbunden hatten, was auch die politische Veränderung im Lande angeht. Ich glaube, es war ja auch damit verbunden, dass mit tieferen Wirtschaftsbeziehungen auch das chinesische politische System sich in irgendeiner Form anpassen würde. Ich glaube, man hätte schon ein sehr großer Optimist sein müssen, um zu sagen, dass es zu einer Demokratie geht, aber wir sehen jetzt eine tatsächliche Kehrtwende unter Xi Jinping mit ganz starken autokratischen Tendenzen.
Er hat auch diese, sagen wir jetzt mal, Ära des Konsenses innerhalb der KP, mit den verschiedenen Fraktionen, mit dem 20. Parteitag letztendlich beendet oder hat sich davon verabschiedet. Insofern müssen wir uns hier auf ein neues China einstellen, das unter der Führung Xi Jinpings eben noch autokratischer geführt werden wird.
Carsten Roemheld: Das heißt also, diese Reform und Öffnungsphase, die wir ja seit Deng Xiaoping irgendwie gesehen haben, dass die im Prinzip der Vergangenheit angehört?!
Max Zenglein: So weit würde ich nicht gehen. Denn in der Rhetorik wird immer noch daran festgehalten werden. Und China wird sich auch weiterhin in irgendeiner Form öffnen und sich auch reformieren, nur es wird nicht den Erwartungen entsprechen, wie wir sie gerne hätten hier im Westen. Und wir haben es mit einem China zu tun, das kein Vertrauen in Abhängigkeiten vom Ausland hat, das kein Vertrauen in Marktmechanismen hat.
Das heißt aber nicht, dass man nicht weiterhin an dem eigenen Wirtschaftssystem arbeitet. Es geht auch aus chinesischer Sicht darum, ein Wirtschaftssystem zu etablieren, das sozusagen in Konkurrenz mit dem im Westen etablierten liberalen Marktsystemen konkurrieren kann und auch eine Alternative sein kann. Und dabei setzt er auf mehr Kontrolle, Autarkie und Zentralisierung.
Carsten Roemheld: Jetzt nimmt ja auch der Druck für westliche Unternehmen deutlich zu: Wenn man die Regierung kritisiert, etwa wegen Menschenrechtsverletzungen oder Ähnliches, kann man Sanktionen erwarten. Sollten Unternehmen dahingehend ihre Investments drosseln, um in der Hinsicht noch mehr Druck auf China ausüben zu können?
Max Zenglein: Ich denke, Unternehmen brauchen auf jeden Fall eine Risikobewertung, was Investitionen in China angeht. Für den einen oder anderen wird es durchaus ökonomisch Sinn machen, weniger in China zu investieren. Wir haben in den letzten Dekaden ja einen sehr starken Fokus der Investitionstätigkeiten in China gesehen, was eben auch dazu geführt hat, dass sich Abhängigkeiten gebildet haben, dass China gewisse Teile der Wertschöpfungskette dominiert. Das kann in diesem sich verändernden geopolitischen Umfeld nicht im Interesse der Unternehmen sein. Insofern, glaube ich, müssen Unternehmen reagieren, um in diesen komplexer gewordenen Realitäten zu navigieren.
Carsten Roemheld: Also sie müssen einfach Teile der Lieferketten, die so als sicherheitsrelevant vielleicht gelten, mehr, vielleicht weiter öffnen oder mehr Resilienz einbauen sozusagen; dass man nicht auf einen Anbieter angewiesen ist, wie das in China der Fall ist zum Teil. Ist das eine der Möglichkeiten?
Max Zenglein: Absolut! Da brauchen wir auch eine bessere Vorstellung, in welchen Bereichen das tatsächlich kritisch ist. Aber jetzt auch: Das ist eine Frage der nationalen Sicherheit. Aber selbst für ein Unternehmen, das in einem Bereich ist, der jetzt nicht strategisch relevant ist, denken wir an ganz unkomplizierte Bereiche wie Papierhersteller und dergleichen, die auch aus China dominiert werden. China hat in den in den letzten Dekaden so viele Teile der herstellenden Industrie absorbiert und dominiert und das hat eben Konsequenzen.
Und das bedarf eben jetzt auch Reaktionen und Anpassungen, die natürlich auch nicht über Nacht passieren. Es hat auch zwei oder drei Dekaden gebraucht, bis China in diese Position gekommen ist. Das heißt, dass dieses Umdenken und Umlenken hier auch einiges an Zeit nehmen wird und, sagen wir mal, je schneller dieser Prozess stattfindet, desto schmerzlicher und kostenintensiver wird der sein.
Carsten Roemheld: Wir haben ja eben schon mal von den weltweiten Lieferketten gesprochen und der Tatsache, dass sie sehr eng verflochten sind und China natürlich da eine große Rolle gespielt hat. Einige Beobachter fordern ja schon einen Rückzug der deutschen Wirtschaft vom chinesischen Markt. Inwieweit ist das a) realistisch und b) welche Konsequenzen – Sie als Ökonom beurteilen das ja sicherlich in der Form auch – welche Konsequenzen hätte das tatsächlich?
Max Zenglein: Nun, es gibt die Theorie und dann gibt‘s die Realität. Und wir müssen wegkommen, zu denken, dass eine Neuaufstellung in unseren Wirtschaftsbeziehungen mit China eine Entweder-oder-Entscheidung ist. Es macht keinen ökonomischen Sinn – für keine der Parteien –, zu sagen, dass man überhaupt gar keine Verflechtung mehr mit China haben will. Wir befinden uns gerade in einer Extremposition, was die weltweiten Lieferketten angeht. Sie sind sehr eng verflochten, sie kommen aber eben oder sie sind entstanden in einer Ära der Globalisierung, die losgelöst von geopolitischen Risiken war.
Wir sind jetzt in einer Situation, in der die Konfliktherde mit China politisch als auch ökonomisch zunehmen, und da bedarf es gewisser Anpassungen. Das heißt aber nicht, dass man jetzt jeden Bereich und jede Wirtschaftsbeziehung mit China verteufeln sollte. Aber es geht darum, strategische Entscheidungen zu treffen, wie man sich hier neu aufstellt.
Carsten Roemheld: Jetzt hat Bundeskanzler Olaf Scholz ja im November seinen Antrittsbesuch in China gemacht. Wie ist diese Visite aus Ihrer Sicht zu bewerten? Was hat Scholz dort erreicht? Kann man da von einem Erfolg sprechen, wie auch immer man den definieren mag?
Max Zenglein: Ich denke, jede der Parteien wird hier einen Erfolg zu vermelden haben. Aus meiner Sicht war der Besuch von zwei grundlegenden Sachen geprägt: Zum einen hat Scholz sicherlich die richtigen Sachen gesagt, er hat Probleme angesprochen, er hat ja diese Missstände angesprochen. Das ist alles richtig. Jetzt ist es allerdings so, das ist der zweite Punkt, die Frage, wie das von der chinesischen Seite wahrgenommen wurde.
Und ich glaube, die chinesische Seite sieht für sich den strategischen Erfolg darin, dass Scholz erstens nicht mit Macron zusammen gekommen ist, dass er mit keinem Vertreter der EU gekommen ist, aber dass er begleitet wurde von einer kleinen, aber dennoch hochkarätigen Geschäftsdelegation. Das heißt, das setzt ein Signal, dass er ein Zeichen setzt, dass man mit Deutschland so umgehen kann wie davor. Man setzt auf bilaterale Beziehungen, man setzt auf Geschäftsbeziehungen und Xi Jinping hat ja auch zu verstehen gegeben, dass man sich von den Problemfeldern nicht so sehr ablenken lassen sollte und eher auf die Geschäftsbeziehungen und die Gemeinsamkeiten setzen sollte.
Das ist für mich keine Zeitenwende. Damit signalisiert man ja auch weiterhin, dass die chinesische Seite … oder wie die chinesische Seite den Umgang mit Deutschland erhofft. Und ich glaube, da hat man aus Deutschland die richtigen Signale bekommen, dass man weiter auf dieses Pferd setzen kann.
Carsten Roemheld: Noch eine Interessensfrage: Von wem ging die Initiative denn aus, dass die Wirtschaftsdelegation mitgereist ist? War das eher ein Anspruch von China oder war das ein Wunsch von Deutschland?
Max Zenglein: Das weiß ich nicht, aber meine Spekulation ist, dass auf jeden Fall die chinesische Seite das haben möchte, denn es führt einfach zu einem ganz anderen Umfeld und dadurch wird auch das Ansprechen von wichtigen politischen Themen eher erst mal sekundär und man kann dann selektiv auch die digitale Aufbereitung des Besuchs kontrollieren, weil man selektiv auf die Geschäftsbeziehungen zum Beispiel fokussieren kann. Und insofern, denke ich, wurde das wohlwollend gesehen, dass Deutschland das umgesetzt hat.
Carsten Roemheld: Jetzt war ja auch im zeitlichen Rahmen dieses Besuches das große Thema der Schlagzeilen die Beteiligung des Staatskonzerns COSCO am Hamburger Hafen. Wie sehen Sie denn diese chinesische Initiative, die ja in Europa schon einige andere strategische Positionen mit umfasste? Wie gefährlich sind chinesische Investitionen in eine kritische Infrastruktur in Europa und wie sollte die Bundesregierung hier in Zukunft reagieren?
Max Zenglein: Erst mal geht’s ja auch darum, jetzt nicht jede chinesische Investition in Europa grundsätzlich zu verteufeln. Weiterhin sind chinesische Unternehmen unterinvestiert in Europa. Das heißt, da kann man noch viel mehr tun, dass auch chinesische Unternehmen in Europa investieren. Es gibt ja auch gute Beispiele; etwa, wie chinesische Unternehmen etwa in Batteriefabriken investieren, also ein sogenanntes ‚Greenfield Investment‘. Das ist, glaube ich, ein richtiger Weg und ausbaufähig.
So und wenn wir jetzt hier bei dieser kritischen Infrastruktur bleiben oder wenn wir uns die kritische Infrastruktur angucken, da sehen wir eben auch, wie schwer wir uns tun, mit diesem Thema umzugehen. Es verdeutlicht, dass wir keine klaren Linien haben, dass wir auch keine klaren Kriterien haben, sondern man hat die Meinung, verschiedene Ministerien positionieren sich, das Kanzleramt sagt irgendwas und dann kommt man irgendwie zu einer Entscheidung. Das ist für mich kein Mechanismus, der den Herausforderungen entspricht.
Hinzu kommt, dass wir auch berücksichtigen müssen, dass wir nicht nur den Einzelfall angucken können. Also hier COSCO, das hier in einen Teil eines Hafen-Terminals oder in eine Beteiligung an einem Hafen-Terminal investieren will, sondern, dass sie das auch auf einer EU-Ebene machen. Das heißt, da bedarf es auch einer besseren Koordinierung auf der EU-Ebene, eben mit diesem Thema umzugehen.
Und vielleicht noch als letzten Punkt hier bei dieser Hafen-Debatte, vielleicht noch mal mit Blick auf, wer hier der Investor war oder sein soll: Wir haben es hier mit COSCO zu tun. COSCO ist kein normales Logistikunternehmen. Es ist eines der wichtigsten Staatsunternehmen in China, das ganz klar an der Umsetzung von strategischen Zielen der Kommunistischen Partei beteiligt ist. Also das macht noch mal einen Unterschied.
Und insofern zu sagen, „na ja, eine dänische MAERSK kann ja sich auch in China an ‘nem Hafen beteiligen, insofern ist das doch genau das Gleiche“, das ist aus meiner Sicht kein richtiger Vergleich und da sollte man auch vorsichtig sein und auch eine bessere Vorstellung haben, mit wem man‘s da in China zu tun hat.
Carsten Roemheld: Sehr guter Punkt, das noch mal ins Gespräch zu bringen. Jetzt sind einige der wirtschaftlichen Probleme, die China in der letzten Zeit hatte, ja relativ hausgemacht, könnte man sagen; also hatte da mit der großen Regulierungsinitiative zu tun, die China im vergangenen Jahr durchgezogen hat: eine verschärfte Gangart auf dem Immobiliensektor, auch gegenüber großen Tech-Unternehmen. Und daher ist die Wirtschaft sicherlich auch relativ deutlich gesunken und gleichzeitig hat sich das Vertrauen internationaler Investoren zurückentwickelt. Xi setzt zunehmend auf eine Autarkie, auch der Wirtschaft. Das wird ihm wahrscheinlich so schnell nicht gelingen, aber glauben Sie, dass er damit auch im Blick auf das Ausland und auf notwendige Investitionen von Ausländern in China den Bogen vielleicht etwas überspannt hat?
Max Zenglein: Der chinesische Markt verändert sich grundlegend und ein großer positiver Punkt für Investitionen in China war ja, dass die Entwicklung relativ linear war. In China war die Entwicklung voraussehbar, extrem stabil und jetzt seit Corona und gekoppelt auch mit den geopolitischen Rivalitäten ist das Wirtschaftswachstum volatiler geworden und es ist weniger vorhersehbar. Und insofern verändert sich damit auch das Investitionsumfeld der Unternehmen. Auch, wenn es gerade neue Möglichkeiten gibt, in China zu investieren, etwa in den chinesischen Kapitalmarkt, findet das eben in einem ganz unterschiedlichen Umfeld statt. Und eben: Es findet in einer Zeit statt, wo man sich fragt: Wie sieht denn eigentlich die Wirtschaftspolitik von Xi Jinping aus?
Und wie Sie es in Ihrer Frage schon angedeutet haben: Er war recht rücksichtslos in der Umsetzung von Wirtschaftspolitik und hat die wirtschaftlichen Kosten, insbesondere für die Mittelschicht, in Kauf genommen. Und da muss man sich eben fragen: Wird es da zu Anpassungen kommen oder wird man weiterhin diese relativ robuste autoritäre Gangart einsetzen? Und insofern: Ja, ändert sich da einiges, denke ich.
Carsten Roemheld: Der Wettbewerb mit den USA ist ja eines der wichtigsten Themen, der Wettbewerb der beiden Supermächte der kommenden Jahre. Auch hier hat natürlich Präsident Xi klare Vorstellungen. Was glauben Sie, auf welchen Gebieten er Washington am meisten Konkurrenz machen will bzw. den Amerikanern vielleicht im besten Falle sogar die Show stehlen will in den nächsten Jahren?
Max Zenglein: Die Ambition ist ganz klar: Da geht es um ziemlich jedes Gebiet und, ich hab‘s vorhin schon erwähnt, es geht auch darum, ein Wirtschaftssystem zu entwickeln, das in Konkurrenz zu den Amerikanern oder dem amerikanisch geprägten Wirtschaftssystem steht. Insofern ist es sehr ambitioniert. Es geht darum, China wieder als eine führende Weltmacht zu etablieren. Und im Wesentlichen sehen sie ja auch, wie die Amerikaner das schaffen. Da geht es um Technologie, da geht es um Wohlstand, da geht es um die Währung, Kapital; und es geht auch um das Militär.
Carsten Roemheld: Es ist ja ein Wettbewerb auch der Systeme, wenn man so will, ein bisschen der politischen Systeme auch. Und ich glaube, das ist ja auch ein großer Teil, der dabei eine Rolle spielt, ob sich das chinesische System eben da weiter durchsetzen wird. Jetzt geht es ja auch darum, dass China auf eine stärkere Liberalisierung setzt, auf eine Internationalisierung der Landeswährung Yuan.
Jetzt ist es vielleicht ein bisschen zu optimistisch, zu sagen, dass sie den Dollar als Weltwährung ablösen können, aber sind das Ambitionen? Sie haben ja auch, glaube ich, im Bereich der digitalen Währungen jetzt einen starken Vorstoß geliefert, der weit über die Landesgrenzen hinaus gelten soll. Also will man hier ganz klar auch eine Konkurrenz im Währungssystem aufbauen über Zeit?
Max Zenglein: Ganz klar. Die Chinesen haben sehr gut verstanden, dass für die Amerikaner die US-Dollar-Dominanz ein zentraler Baustein ihrer wirtschaftlichen Macht ist, und daran orientiert man sich. Allerdings hat man noch nicht so richtig den Weg gefunden, wie man da hinkommen will. Wir hören jetzt viel über die Digitalisierung und den digitalen Yuan. Das ändert aber nichts an den grundlegenden Faktoren, wie das chinesische Währungssystem aufgestellt ist.
China hat weiterhin strikte Kapitalverkehrskontrollen und das macht es extrem schwierig, dass man da die internationale Nutzung stärkt. Und ich meine, wir hören jetzt seit 15 Jahren, glaube ich, dass der Yuan international mehr genutzt werden wird und wieder, weiß ich nicht, auf Position fünf hochgeklettert ist an den meistgenutzten Währungen. Fakt ist: Die chinesische Währung hat international nahezu überhaupt gar keinen Fortschritt gemacht und da muss China noch eine ganz neue Lösung finden, um auch die Märkte davon zu überzeugen. Aber derzeit sehe ich die Grundvoraussetzung dafür nicht gegeben, dass der US-Dollar in naher Zukunft durch den Yuan abgelöst wird.
Carsten Roemheld: Jetzt gibt‘s ja gerade bei den Halbleitern noch erhebliche Unterschiede zwischen den Regionen und die USA haben zuletzt ja das Embargo oder die starken Exportbeschränkungen für die Halbleiterindustrie gegenüber China veröffentlicht und ausgerufen. Im Moment ist China natürlich noch nicht in der Lage, das entsprechend zu kompensieren. Hier scheint die USA sehr stark am längeren Hebel zu sein und da geht‘s ja vor allen Dingen um die Superchips, die für Anwendungen wie künstliche Intelligenz und vielleicht auch für militärische Zwecke interessant sein können. Sitzen die USA hier am längeren Hebel und wie schnell könnte China diesen Rückstand aufholen oder kompensieren?
Max Zenglein: Die Vorgehensweise der USA macht die chinesischen Pläne oder die Umsetzung der chinesischen Pläne sicher schwieriger und vor allem teurer. Also insofern ist das schon sehr schmerzhaft. Wir müssen jetzt allerdings auch sehen, wie das tatsächlich umgesetzt wird. Also wir sehen es ja auch schon in Form von einigen Unternehmen, die darauf reagieren und, sagen wir mal, chinesische Alternativmodelle bei einigen Chips anbieten. Wir sehen auch in Europa, dass es da in den Maschinen von ASML zum Beispiel darum geht, dass man da jetzt nicht unbedingt mitmachen will. Also da gibt‘s auch, glaube ich, ein vielfältiges Pushback, auch in Europa.
Und darüber hinaus würde ich auch die Fähigkeiten Chinas jetzt nicht hier komplett abschreiben. Und vielleicht behindert es China in der nahen Zukunft, da in die erste Liga aufzusteigen, das mag sein. Aber es geht ja auch darum, einfach zu gewährleisten, mithilfe von chinesischer Technologie und chinesischen Herstellern, dass die technologische Lücke nicht allzu groß ist. Und insofern: Wenn man dann vielleicht eine oder selbst zwei Generationen zurück ist, kann man immer noch fähige, konkurrenzfähige Produkte herstellen, die ja insofern dann die Auswirkungen ein bisschen relativieren.
Carsten Roemheld: Es zwingt China natürlich jetzt zu noch stärkerer Innovation und könnte dann sozusagen die Beschleunigung in diesem Bereich natürlich noch mal weiter verstärken insgesamt. Vielleicht kommen wir am Schluss von diesem geopolitischen Block noch mal auf die Frage mit Russland zu sprechen, wie das Verhältnis zwischen China und Russland sich im Moment entwickelt.
China und Russland sind ja keine freundschaftlich verbunden Nationen, kann man sagen, sondern vielleicht sozusagen in anderen Beziehungen in gewisser Weise zur Eintracht verdammt sozusagen. Die wirtschaftlichen und politischen Beziehungen scheinen aber jetzt stärker aufgekommen zu sein und vieles, was vielleicht vorher zwischen Russland und Europa abgelaufen ist an Handel – auch, was Energie betrifft –, könnte jetzt den Weg eher nach China gehen. Inwieweit ist China denn in der Lage im Moment, Russland zu unterstützen oder den Rücken freizuhalten für den Krieg in der Ukraine? Was glauben Sie?
Max Zenglein: Im Wesentlichen unterstützt China Russland ja erst mal verbal. Und wenn wir uns jetzt die wirtschaftlichen Sanktionen angucken, navigiert man das schon sehr, sehr vorsichtig, denn man will da auch nicht in die Schusslinie kommen. Denn dann macht es die Situation für China im Wesentlichen noch mal komplizierter. Also ich glaube, da gibt‘s gewisse Limits, was auch die Unterstützung Russlands angeht, vor allem die wirtschaftliche.
Das Gleiche ist‘s, wenn es darum geht, dass jetzt China der neue große Abnehmer von russischer Energie sein wird. Also wenn ich mich bei einer Sache festlegen möchte: China wird in keinerlei Form sich in eine Energieabhängigkeit von Russland begeben, also da agiert man schon vorsichtig. Hinzu kommt, dass je länger der Krieg sich in die Länge zieht, macht es die Situation für China auch zunehmend unangenehm und macht die ohnehin schon komplizierte Situation mit dem Westen noch komplexer.
Also das sind, glaube ich, alles Themen, die wir berücksichtigen müssen. Und die Frage ist, ab welchem Punkt China auch hier entweder eine andere Position einnimmt oder versuchen wird, Russland dazu zu bringen, den Krieg in irgendeiner Form zu beenden.
Carsten Roemheld: Das wäre natürlich ein wünschenswerter Ausgang, aber das bleibt erst noch mal offen. Herzlichen Dank, Max Zenglein, bis hierher im ersten Teil unseres Gesprächs.
Wir müssen also davon ausgehen, dass wir uns nach der Wiederwahl von Xi Jinping auf ein autokratisch regiertes China einzustellen haben. Die Parteiführung wird wohl an ihrem Ziel festhalten, ein wirtschaftliches Gegenmodell zum liberalen Westen zu entwerfen. Zugleich kommt für uns im Westen ein kompletter Rückzug vom chinesischen Markt kaum infrage, schließlich sind die weltweiten Verflechtungen immer noch enorm und beide Seiten profitieren von Wirtschaftsbeziehungen. Umso wichtiger dürfte es in den kommenden Jahren werden, eine klare Linie im Umgang mit kritischer Infrastruktur zu entwickeln – für Deutschland und für Europa.
Im zweiten Teil unseres Podcasts sprechen wir weiter darüber und über die besonderen Herausforderungen der chinesischen Wirtschaft. Wir reden auch über die Auswirkungen der gescheiterten Null-Covid-Politik. Wir erfahren, wie realistisch es für China ist, die Technologievorherrschaft zu erlangen, und wir reden über die drohende Kriegsgefahr in Taiwan, von wo aus Max Zenglein uns übrigens für dieses Gespräch zugeschaltet ist. An dieser Stelle möchte ich mich auch noch einmal für die stellenweise schlechte Tonqualität entschuldigen, die vermutlich auch mit der langen Leitung nach Fernost zusammenhängt.
Wenn Sie Anregungen oder Hinweise zu unserem Gespräch haben, mailen Sie mir gerne. Den Kontakt finden Sie in den Show-Notes. Und wenn Ihnen unser Podcast gefällt, abonnieren Sie ihn und empfehlen Sie uns weiter. Das geht auch über Likes und positive Bewertungen in Ihrem Podcast-Programm. Ich danke Ihnen jetzt schon für Ihre Rückmeldungen und empfehle den zweiten Teil des Gesprächs mit Max Zenglein. Wir hören uns.
Ihr Carsten Roemheld