Mit der ZielrenteCHEMIE ist in der chemischen und pharmazeutischen Industrie ein neues Angebot zur Altersversorgung gestartet, das auf einer reinen Beitragszusage basiert. Fidelity setzt die Kapitalanlage um. Ein Praxisbericht.
Es ist das vierte praktisch eingeführte Sozialpartnermodell in Deutschland, das zweite aus der Chemiebranche und das erste, bei dem Fidelity die Kapitalanlage beisteuert: Die neue ZielrenteCHEMIE, die in diesen Tagen an den Start geht, verschafft rund 1.700 tariflich gebundenen Unternehmen in der chemischen und pharmazeutischen Industrie eine weitere Möglichkeit, den Beschäftigten eine betriebliche Altersversorgung (bAV) in Form einer reinen Beitragszusage anzubieten. Bei der Villa-Mumm-Konferenz gaben nun die beteiligten Tarifpartner und die Höchster Pensionskasse einen Einblick in die Genese, Motivation und Konzeption des neuen Angebots. Und Fidelity gewährte einen Blick in den Maschinenraum der Anlagestrategie.
Zunächst erläuterten Elvira Wittke von der Gewerkschaft IGBCE und Lutz Mühl vom Arbeitgeberverband BAVC, wieso sie die neue ZielrenteCHEMIE aufs Gleis gesetzt haben. Lutz Mühl betonte, dass die Einführung der modernen Beitragszusage bewirken könnte, die bAV wieder für größere Teile der Beschäftigten attraktiv zu machen, nachdem die Modelle mit festen Garantien zuletzt schlicht nicht mehr gut funktioniert hatten: „Wir haben ausrechnen lassen, dass Beschäftigte, die Ende des letzten Jahrtausends in unserer Branche angefangen haben, im bestehenden System mit doppelt so hohen Zusagen rechnen können wie die Beschäftigten, die in den letzten zehn Jahren angefangen haben“, erklärte Mühl. Deshalb seien die Arbeitgeber in der Verantwortung, für die neuen Generationen wieder attraktive bAV-Angebote mit höheren Renditen anzubieten. Mit dem zweiten reinen Beitragsmodell sei das Angebot nun gewachsen – und es gebe Auswahl und damit Wettbewerb um das attraktivste Modell.
Die Gewerkschafterin Elvira Wittke pflichtete ihm bei und ergänzte, dass gerade für die vielen Schichtarbeiter in den Betrieben die Höhe der Anfangsrenten ein entscheidender Faktor für die Güte einer Betriebsrente sei. Zugleich hofft sie, dass die reinen Beitragszusagen dazu führen, dass auch kleine und mittelständische Unternehmen, die bisher noch keine bAV angeboten haben, sich nun verstärkt darüber Gedanken machen – auch weil die Angst weg sei, durch Garantien womöglich in ein Haftungsrisiko zur rutschen.
Mehr Rente, weniger Risiko
Höhere Startrenten für die Beschäftigten und geringere Risiken für die Arbeitgeber klingen nach einem doppelten Gewinn. Und der drückt sich tatsächlich auch in den konkreten Zahlen aus, die anschließend bei einer Präsentation von Jürgen Rings von der Höchster Pensionskasse und Niklas Jörger von Fidelity International auf den Tisch beziehungsweise auf die Vortragsfolien kamen. Rings betonte gleich zu Beginn den stark paritätischen Einfluss der Tarifpartner auf das Modell. Zunächst einmal ist die Höchster Pensionskasse, zu der die Beiträge fließen, als Versorgungseinrichtung selbst sozialen Zwecken verpflichtet und keinesfalls auf Gewinne ausgerichtet. Dann kommt es über den Tarifvertrag hinaus zu einer Kontrolle der Kapitalanlage über einen Steuerungsausschuss. Der ist besetzt mit Vertretern beider Sozialpartner, trifft sich bis zu viermal im Jahr und berät und überprüft in Sachen Anlagestrategie. Schließlich ist auch noch ein Sicherungsbeitrag in Höhe von fünf Prozent der Beiträge vorgesehen, mit dem die Arbeitgeber einen Puffer aufbauen, um Schwankungen auszugleichen und so etwaige zwischenzeitlich nötige Rentenkürzungen möglichst zu vermeiden. Keine Garantie, ganz klar, aber ein Mechanismus der Risikovorsorge.
So entsteht in der Kapitalanlage ein „atmendes Modell“, wie Niklas Jörger schließlich erläuterte. Im Detail funktioniert das so: Während jede und jeder Beschäftigte eine persönliche Startrente erhält, abhängig vom individuell angesparten Vermögen, bildet sich in der Rentenphase über alle Rentenvermögen hinweg ein Kollektivvermögen – und darauf wiederum ein Kapitaldeckungsgrad in Relation zum Barwert aller künftigen Rentenzahlungen im System.
Schwankungskorridor und Sicherungspuffer
Das Ziel ist es nun, dieses Kollektiv in einem Schwankungskorridor von 100 bis 125 Prozent Kapitaldeckungsgrad zu halten. Steigt der Grad darüber, können die Renten so weit erhöht werden, bis der Deckungsgrad auf 115 Prozent absinkt. Fällt er einmal unter 100 Prozent, dann müssen die Renten dagegen abgesenkt werden. Hier liegt der Zielwert dann bei 105 Prozent. Und sollte eine einzelne Rente dadurch einmal auf unter 70 Prozent der individuellen Startrente absinken, dann würde tatsächlich auf den Sicherungspuffer zurückgegriffen. Das ist indes höchst unwahrscheinlich.
Tatsächlich liegt die erwartete Rendite des Anlageportfolios, das über Spezialfonds mit einer nachhaltigen und systematischen ETF-Strategie abgebildet wird, über zehn Jahre bei 4,4 Prozent pro Jahr. Auch wenn die Rendite über einen typischen Marktzyklus hinweg davon abweichen kann, ist dieser Zielwert langfristig realistisch, wie Simulationsanalysen zeigen. Im Ergebnis dieser Simulation wird ein Beschäftigter, der mit 25 Jahren ins Unternehmen eintritt und mit 65 Jahren in Rente geht, mit einer Wahrscheinlichkeit von über 97 Prozent bei Renteneintritt ein Vermögen aufgebaut haben, das über dem der eigezahlten Beiträge liegt. Im Mittel lässt sich mit knapp 75.000 Euro eingezahlten Beitragen ein Startvermögen von 125.000 Euro zum Renteneintritt erzielen. Daraus lässt sich eine Startrente von jährlich rund 9.000 Euro auszahlen. Zum Vergleich: Aus dem Kapitalstock der eingezahlten Beiträge allein ohne eine Rendite wären es nur etwa 5.000 Euro.
Reales Rentenplus im Alter
Noch entscheidender: Innerhalb von 25 Jahren Rentenbezugszeit steigt die Rente dann über entsprechende Rentenanpassungen um rund 75 Prozent – das entspricht einem Plus von etwa 2,25 Prozent pro Jahr, womit sich die mittlere Inflation mehr als ausgleichen lässt, so dass die Rente auch real im Wert wächst. Die Wahrscheinlichkeit, dass eine Rentenkürzung notwendig wird, liegt in den 25 Jahren nur bei 7,7 Prozent.
Auch wenn dies lediglich Simulationsrechnungen sind, die zudem auf Daten der Vergangenheit beruhen, zeigt sich darin doch ein signifikantes Renditeplus gegenüber Garantie-Rentenmodellen mit Leistungszusagen: Erst im Alter von 82 Jahren erreicht beispielsweise eine Rente, die auf dem aktuellen Garantietarif von 0,25 Prozent basiert und eine Überschussbeteiligung von 2,25 Prozent jährlich ausweist, überhaut den Startrentenwert von ZielrenteCHEMIE. Der Verzicht auf Leistungsgarantien geht beim neuen Sozialpartnermodell also mit deutlich höheren Renditechancen einher und leistet damit einen fundamentalen Beitrag zur sozialen Absicherung im Alter.
Die Gesprächsrunde war sich denn auch einig, dass der Gesetzgeber gut daran tut, das Modell nun auch in der Breite der Wirtschaft stärker zu verankern. Ein Anfang ist mit der ZielrenteCHEMIE gemacht.