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Das große Zinsrätsel: Was tun die Notenbanken?

Andrew McCaffery

Andrew McCaffery - Global CIO, Asset Management

Um die Inflation in den Griff zu bekommen, werden die Notenbanken auch im Jahr 2023 nicht von ihrer restriktiven Geldpolitik ablassen. Das verlangt Fingerspitzengefühl. Eine verfehlte Notenbankpolitik hätte gravierende Folgen.

Wer auf ein schnelles Ende der restriktiven Geldpolitik der US-Notenbank, der Europäischen Zentralbank und der Bank of England hofft, muss sich für das Jahr 2023 auf eine Enttäuschung einstellen. Im August erklärte Fed-Chef Jerome Powell die Bändigung der Inflation zum langfristigen Ziel und stellte damit auch weiter steigende Leitzinsen in Aussicht. 

Nur eine erhebliche Verschlechterung wirtschaftlicher Kennzahlen könnte die Notenbanker zu einem Kurswechsel oder „Pivot“ bewegen, also zur Abkehr vom raschen Straffungskurs. Anzeichen für unliebsame Nebeneffekte beobachten wir bereits am US-Immobilienmarkt: Dort belasten hohe Hypothekenzinsen und steigende Kosten die Nachfrage. Doch solange die Inflation hartnäckig hoch und der Arbeitsmarkt weitgehend stabil bleiben, sind keine kurzfristigen Lockerungen zu erwarten.

 

Finanzielle Rahmenbedingungen verengen sich global

Achtung vor „Überstraffung“

Damit allerdings steigt die Gefahr, dass die Fed ihre Rosskur überstrapaziert, ohne es zu merken. Die Notenbank steht vor komplexen Entscheidungen: So können Zinserhöhungen die Inflation möglicherweise weiter bremsen. Zugleich hemmen steigende Zinsen aber auch die Konjunktur, denn teureres Geld verteuert Investitionen. Der Preis, der für den Kampf gegen Inflation gezahlt werden muss, lautet also Wirtschaftsschwäche. Hier das richtige Maß zu finden, ist auch deshalb so schwer, weil sich die Wirkungen einer Zinsänderung erst verzögert entfalten. Das Fenster, um rechtzeitig gegenzusteuern, ist also klein – und die Datenlage schlecht. 

In Bezug auf den Arbeitsmarkt etwa müssen sich die Währungshüter größtenteils an rückblickenden Daten orientieren. Offenbart der Arbeitsmarkt erst einmal sichtbare Anzeichen von Schwäche, könnte es für die US-Wirtschaft aber schon zu spät sein. Die realen Zinssätze sind bereits seit einiger Zeit positiv, in Teilen liegen sie schon wieder auf dem Niveau vor der großen Finanzkrise im Jahr 2007. 

Zugleich sind viele Marktteilnehmer inzwischen auch deutlich höher verschuldet, schließlich war Geld zehn Jahre lang extrem billig. Höhere Kreditzinsen können sie vermutlich nur über einen begrenzten Zeitraum bedienen – das gilt für Unternehmen, private Schuldner und auch Staaten. Hält die US-Notenbank also an ihrem Kurs fest, bis die Inflation wieder bei zwei Prozent liegt, besteht die Gefahr, dass die harte Landung gar zur Bruchlandung wird.

 

Inflation drückt Rendite: Prognosen zehnjähriger Durchschnittsrendite nach Inflationsrate

Gefährliche Fiskalpolitik

Im Jahr 2023 entscheidet nicht nur das Handeln der Zentralbanken, sondern auch die Fiskalpolitik über die makroökonomischen Aussichten. Im Umfeld hoher Inflationsraten und steigender Zinssätze werden die Regierungen vieler Volkswirtschaften versuchen, Konjunktureinbrüche durch fiskalpolitische Förderung abzufedern. Geldpolitische Straffung und fiskalische Fehleinschätzungen können dabei einen gefährlichen Cocktail ergeben, wie die britische Regierung erst kürzlich bewies. Dort schickte das Steuerentlastungspaket der kurzzeitigen Premierministerin Liz Truss das Pfund auf Talfahrt und verschreckte Marktteilnehmer, bis die Bank of England intervenierte. Dieser Vorgang könnte sich 2023 als Kanarienvogel in der Kohlemine erweisen, wie ein britisches Sprichwort sagt – also als ein abschreckendes und mahnendes Beispiel dafür, wie man besser keine Politik macht.

Inflationsdruck bleibt hoch

Anleger sollten weiterhin beobachten, ob die Fed und andere Zentralbanken sich solcher Risiken bewusst sind und entsprechend umsichtig handeln – zum Beispiel, indem sie die Straffung zeitweise aussetzen, bis sich die tatsächlichen Auswirkungen der bisherigen Zinsanhebungen zeigen. Denn erst wenn Basiseffekte einsetzen, wissen wir, ob die Fed über das Ziel hinausgeschossen ist und die Binnennachfrage mehr als nötig einbrechen ließ. 

Wir rechnen damit, dass die Inflation in den kommenden Monaten auf ein moderates Niveau zurückgeht. Das geschieht allerdings nicht über Nacht, sondern schrittweise. Perspektivisch dürfte sie noch über Jahre ein teurer Begleiter bleiben. Das liegt nicht zuletzt an langfristigen strukturellen Trends wie der Dekarbonisierung und der Deglobalisierung, die sich im Zuge geopolitischer Krisen zuspitzen. Auch der notwendige Abbau der weltweiten Staatsverschuldung dürfte den Inflationsdruck weiter aufrechterhalten.

 

Weitere Zinsanhebungen zu erwarten

Fazit

Konjunkturabschwächungen und nachlassende Inflationsraten werden die Währungshüter früher oder später zu einer Anpassung ihres Straffungskurses bewegen. Die Schwierigkeit wird dabei sein, den richtigen Zeitpunkt zu treffen. Selbst wenn es zum sogenannten Pivot kommt, zu einem Ende der Phase weiterer Zinserhöhungen, werden sich die Zinssätze danach auf einem signifikant höheren Niveau einpendeln als in den vergangenen zehn Jahren. Die makroökonomischen Aussichten für das Jahr 2023 sind also trübe. 
Für Anleger ist es in dieser Lage wichtig, sich auch daran zu erinnern, dass Finanzmärkte selten geradlinig der Wirtschaft folgen. Um nachhaltig Renditen zu erzielen, sollten Anleger daher nach individuellen Chancen Ausschau halten, statt sich nur an Bewegungen des Gesamtmarkts zu orientieren.

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