Eine schnell wachsende Mittelschicht eröffnet Unternehmen neue Konsumchancen in Indien. Hersteller von Haushaltsgeräten profitieren beispielsweise vom Boom der Klimaanlagen, einem neuen Statussymbol.
Hochzeiten erzählen viel über den wachsenden Wohlstand in Indien, denn die Feste sind für viele Inderinnen und Inder ein Höhepunkt im Leben – und eine Konsumschlacht. Waren es früher Roller und Motorräder, die das Brautpaar geschenkt bekam, so finden heute Klimaanlagen und Kühlschränke ihren Weg in die Haushalte der Eheleute. Die Sehnsucht nach Komfort erreicht nicht nur die städtischen Zentren, sondern selbst entlegene Dörfer. Kühle Räume seien das neue Statussymbol, berichten Händlerinnen und Händler von Haushaltsgeräten aus Nordindien.
Eines der führenden Unternehmen für Kühl- und Klimatechnik konnte den Umsatz mit Klimaanlagen zwischen 2013 und 2023 jährlich um durchschnittlich 14 Prozent steigern. Trotz eines allgemeinen Konsumrückgangs in Indien bleibt die Nachfrage nach Klimaanlagen robust. Mehr noch: Für 2025 erwarten Branchenexpertinnen und -experten ein weiteres Umsatzwachstum von 20 Prozent im Klimaanlagensegment.
Wachstum aus der Mitte
Hinter dem Erfolg steht die klassische Wachstumsstory eines Schwellenlandes mit einer wachsenden Mittelschicht. Sie umfasst inzwischen mehr als 400 Millionen Menschen und könnte sich bis 2050 auf eine Milliarde mehr als verdoppeln. So können sich immer mehr Inderinnen und Inder Klimaanlagen und andere begehrte Luxusgüter leisten. Ein neuer Multimilliardenmarkt entsteht: Über alle Branchen hinweg kaufen die Konsumentinnen und Konsumenten auf dem Subkontinent schon heute Waren im Wert von einer Billion US-Dollar pro Jahr. Und da erst etwas mehr als zehn Prozent der Haushalte Klimaanlagen besitzen, hat Indien im Vergleich zu anderen asiatischen Schwellenländern wie China (80 Prozent) oder Indonesien (36 Prozent) noch enorm viel kühle Luft nach oben.
Indiens Pro-Kopf-BIP¹ lag 2024 bei rund 2.700 US-Dollar, weit unter dem Schwellenwert von 10.000 US-Dollar, ab dem die Verbreitung von Klimaanlagen statistisch gesehen besonders stark zunimmt. Zugleich gibt es bereits 60 Millionen Inderinnen und Inder mit einem Jahreseinkommen von mehr als 10.000 US-Dollar, und bis 2027 könnte diese Zahl auf rund 100 Millionen² steigen. Dies stellt eine entscheidende Zielgruppe auch für die Klimaanlagenhersteller dar.
Positive Aussichten trotz kurzfristiger Rücksetzer
Der Klimawandel dürfte die Nachfrage zusätzlich ankurbeln. Im Sommer 2024 stiegen die Temperaturen in Indien stellenweise auf über 50 Grad Celsius. In dem riesigen Land, das knapp über dem Äquator beginnt, werden Klimaanlagen immer notwendiger. So schätzt³ die Internationale Energieagentur (IEA), dass in Indien bis zum Jahr 2050 eine Milliarde Klimageräte laufen könnten – das sind rund 50 Prozent mehr als heute weltweit⁴ existieren. Dort, wo das Haushaltseinkommen nicht ausreicht, bieten die Hersteller bereits Finanzierungen an, die sich, ähnlich wie Autokredite in entwickelten Volkswirtschaften, großer Beliebtheit erfreuen. All diese Faktoren treiben die Wachstumserwartungen weiter in die Höhe.
Das makroökonomische Umfeld in Indien war zuletzt schwierig. Nach einem kurzen Aufschwung nach der Pandemie wurden die Haushaltsbudgets durch hohe Inflation, steigende Zinssätze und fehlendes reales Lohnwachstum stark belastet. Schwere Unwetter haben die wirtschaftliche Lage im vergangenen Jahr zusätzlich verschärft. Inzwischen mehren sich jedoch die Anzeichen für einen Wendepunkt, da sich die Inflation zu entspannen scheint. Externe Faktoren könnten zu einer Stabilisierung beitragen. So könnte der IT-Dienstleistungssektor, einer der größten Arbeitgeber Indiens, von verstärkten Investitionen großer US-Konzerne profitieren. Zudem sind neue monetäre und fiskalische Anreize in Sicht, die Indiens Unternehmen zusätzlich unterstützen würden.
Fazit: Chancenreich trotz Bewertungshochs
Die Entwicklung des Klimaanlagenmarktes in Indien zeigt exemplarisch, dass starke Unternehmen auch unter schwierigen wirtschaftlichen Bedingungen wachsen können. Diese Resilienz macht den Sektor attraktiv, auch wenn hohe Kurs-Gewinn-Verhältnisse von bis zu 50 zunächst abschreckend wirken. Die steigende Nachfrage nach Klimaanlagen als Statussymbole einer wachsenden Mittelschicht bietet Investorinnen und Investoren die Möglichkeit, am Aufstieg neuer Anbieter in einer besonders dynamischen Branche zu partizipieren.