Analystenumfrage 2024: Bereit für einen Neustart
Inflation und Konjunktursorgen verunsichern die Märkte. Doch bei Unternehmen wächst der Optimismus.
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Seit zwei Jahren sorgen sich die Märkte um die Auswirkungen der ersten nachhaltigen Konjunkturverlangsamung seit der globalen Finanzkrise. Doch unsere jährliche Umfrage zeigt: Unternehmen richten ihren Blick allmählich auf den nächsten Aufschwung.
Fidelity Analystenumfrage: Barometer für weltweite Geschäftserwartungen
Jedes Jahr im Dezember fragen wir unser globales Research-Team, wie Unternehmen die Lage für die kommenden zwölf Monate einschätzen. Anhand von rund 80 Fragen teilen unsere Analystinnen und Analysten wichtige Einblicke, die sie in den zahlreichen Meetings mit Unternehmensentscheidern verschiedener Branchen, Sektoren und Länder erhielten. Damit liefert die Fidelity Analystenumfrage jedes Jahr ein einzigartiges Stimmungsbarometer für die Geschäftserwartungen in den wichtigsten Wirtschaftsregionen und Branchen der Welt.
Stimmung hellt sich auf
Fast die Hälfte (48 Prozent) unserer Analystinnen und Analysten gibt an, dass die von ihnen beobachteten Sektoren sich aktuell zumindest in einer Konjunkturverlangsamung befinden. Einige von ihnen sind bereits in eine Rezession abgerutscht. Dennoch gibt es Anzeichen für eine Trendwende. Zum ersten Mal seit der Pandemie glaubt die Mehrheit unserer Expertinnen und Experten, dass die Kosteninflation für die Unternehmen 2024 eher nachlässt als sich zu verschärfen. „Niemand redet mehr über Inflation“, sagt Brendan Cochrane, der nordamerikanische Nicht-Basiskonsumgüterunternehmen analysiert. „Der letzte heikle Aspekt waren die Arbeitslöhne, doch auch die scheinen sich schnell zu normalisieren.“
Die Verschuldung der meisten Unternehmen scheint beherrschbar. Die meisten CEOs erwarten steigende Gewinne. Asien macht einen guten Eindruck, allen voran Japan. Chinas Erholung von Covid ist zwar immer noch fragil, wurde aber vor Kurzem durch Stimulierungsmaßnahmen gestärkt.
Das heißt nicht, dass der Ausblick ungetrübt ist. Viele Indikatoren der Umfrage, die sich aus den Antworten der vor Ort tätigen Aktien- sowie Anleiheanalystinnen und -analysten ableiten lassen, weisen die schlechtesten Werte seit Jahren auf. Ein Wahljahr rund um den Globus ist auch mit großen geopolitischen Risiken verbunden. Rund 61 Prozent der Befragten erwartet jedoch, dass sich ihre Sektoren in zwölf Monaten wieder im Expansionsmodus befinden (siehe Grafik 1).
Es droht keine Refinanzierungswelle
Im vergangenen Jahr lautete das zentrale makroökonomische Argument für ein Abgleiten in eine schmerzhafte Rezession, dass wesentlich höhere Zinsen Verbraucher und Unternehmen belasten würden, vor allem in Europa und den USA. Diese Annahme hat sich nicht bewahrheitet. Für das laufende Jahr prognostizieren unsere Analystinnen und Analysten, dass die meisten Unternehmen jede nennenswerte Refinanzierung von Verbindlichkeiten weiter verschieben können. Laut 60 Prozent der Befragten müssen weniger als ein Zehntel der von ihnen analysierten Unternehmen beträchtliche Fremdkapitalsummen refinanzieren.
Nur 8 Prozent denken, dass Unternehmen, die Finanzmittel brauchen, Schwierigkeiten haben werden, diese auch zu beschaffen. Zudem würden sich etwaige Finanzierungsschwierigkeiten auf Sektoren und Regionen konzentrieren, in denen der Markt den Finanzierungsdruck gut versteht.
Unterdessen sind die Zinsen an den Anleihemärkten bereits gesunken und die Spreads, zu denen sich Unternehmen verschulden können, liegen auf historisch niedrigem Niveau. Wie Grafik 4 zeigt, könnten börsennotierte Immobiliengesellschaften davon profitieren. „Der Rückgang der Marktzinsen weckt die Hoffnung, dass sich die Bewertungen ihrem Tiefpunkt nähern könnten“, sagt der für den angeschlagenen europäischen Immobiliensektor zuständige Fixed-Income-Analyst Othman El Iraki.
Einzelne Sektoren müssen länger durchhalten
Für die meisten Sektoren wird in diesem Jahr eine Verbesserung erwartet. Der Anteil der Analystinnen und Analysten, die ihren Sektor im Wachstumsmodus sehen, steigt von aktuell 52 Prozent auf 61 Prozent in zwölf Monaten. „Die Geschäftsleitungen, mit denen wir gesprochen haben, äußerten sich zum Ausblick auf das Jahr 2024 erstaunlich zuversichtlich“, sagt James Filsell, Analyst für europäische Industrieunternehmen.
Es gibt allerdings ein paar Sektoren, bei denen die von uns erhobenen Antworten eine mögliche Verschlechterung des Umfelds im Laufe des Jahres signalisieren.
Unseren für nordamerikanische und europäische Öl- und Gasgesellschaften zuständigen Expertinnen und Experten zufolge sind niedrigere Rohstoffpreise negativ für den Energiesektor.
Auch der Finanzsektor wird die Kehrseite des Zinsrückgangs erleben. „Zwei Faktoren drücken etwas auf die Stimmung“, sagt Sukhy Kaur, Fixed-Income-Analystin für Banken aus Nordeuropa und den Beneluxstaaten. „Die Nettozinserträge der meisten von mir analysierten Banken scheinen im letzten Quartal (Q3/2023) ihren Höhepunkt erreicht zu haben. Bei einigen Banken setzt sich der Inflationsdruck, insbesondere bei den Löhnen, im Jahr 2024 fort.“
Regionale Unterschiede in Asien
Viele Ergebnisse der Umfrage spiegeln auch einen regionalen Unterschied wider. Weniger als ein Drittel der Befragten sagt, die Kapitalrendite ihrer Unternehmen werde steigen. Doch mehr als die Hälfte der für Japan und Asien ohne China zuständigen Analysten erwartet eine Verbesserung.
„Die Unternehmen haben die Kosten und Margen viel besser im Griff“, sagt Rahul Gupta, Analyst für Internetunternehmen aus der Region Asien-Pazifik, demzufolge sorgen der geringere Wettbewerb und die gestiegenen Konsumausgaben für zusätzlichen Auftrieb. Für China prognostizieren jedoch nur 11 Prozent unserer Analystinnen und Analysten höhere Renditen.
Geopolitik als zentraler Faktor
Die Befragten haben auch Ereignisse identifiziert, die ihr Narrativ einer weichen Landung entkräften könnten. Dazu zählen in erster Linie die zahlreichen Wahlen in diesem Jahr: Im Jahr 2024 werden mehr Menschen zu den Urnen gerufen als je zuvor in einem Jahr. Das könnte zu Verwerfungen führen.
Die Wahlrisiken sind nicht für alle Unternehmen gleich. Sie hängen in hohem Maße von bestimmten Szenarien in verschiedenen Sektoren ab. Nur 28 Prozent der Befragten sagen, das aktuelle geopolitische Umfeld beeinträchtige die Investitionspläne – so gering war dieser Anteil noch nie, seit wir diese Frage 2017 in unserer Umfrage aufgenommen haben.
Doch für Tristan Purcell, Analyst für europäische Industrieunternehmen, ist die Präsidentschaftswahl in den USA ein wichtiger Einflussfaktor für die Fundamentaldaten der von ihm untersuchten Unternehmen: „Ein Sieg der Republikaner erhöht die Wahrscheinlichkeit, dass Stimulierungsmaßnahmen wie der Inflation Reduction Act (IRA) und der Chips Act rückgängig gemacht werden.“
Eines der bemerkenswertesten Umfrageergebnisse ist jedoch, dass die meisten Analystinnen und Analysten (65 Prozent) angeben, ihre Unternehmen würden gar nicht über Wahlen sprechen.
„Meiner Meinung nach sprechen die von mir analysierten Unternehmen nicht genügend über diese Risiken – sie werden ausgeklammert“, sagt Andras Karman, Analyst für europäische und nordamerikanische Autohersteller, die stark von China und einem reibungslosen Welthandel abhängen. „Ich schreibe das zum Teil dem sehr heiklen Charakter der Geschäftstätigkeit in China zu.“
Laut Jonathan Tseng, Analyst für nordamerikanische und europäische Halbleiterhersteller, bemühen sich die Unternehmen hinter den Kulissen intensiv darum, politische Entscheidungen zu beeinflussen. Doch angesichts der Unberechenbarkeit der Wahlausgänge in diesem Jahr versprächen sich nur wenige etwas davon, dies öffentlich zu tun. „Selbst wenn sie von Ihrer Einschätzung fest überzeugt sind, wären sie verrückt, diese kundzutun. Denn die Geschichte hat gezeigt, dass die Aussichten bis zum Wahltag und darüber hinaus im Fluss sind“, meint er.
Alan Zhou, der asiatische Mischkonzerne analysiert, erklärt die Komplexität, mit der die Unternehmen konfrontiert sind: „In der Autoindustrie werden geopolitische Risiken meines Erachtens die Unternehmenskosten in die Höhe treiben, hauptsächlich weil die Unternehmen vielfältige Marktinteressen nicht mehr mit nur einer Lieferkette bedienen können.“ Er fügt aber hinzu, dass die geopolitischen Spannungen im Rohstoffbereich aktiven Mischkonzernen sogar zugutekamen, weil sie von Preissteigerungen profitierten.
Fazit
Dass das Ende der Nullzinsära Spannungen mit sich bringen würde, war immer klar. Wir befinden uns bereits in einer Phase, in der die Unternehmen den Gürtel enger schnallen, die Nachfrage stärker unter Druck gerät und die Preismacht abnimmt. Doch die diesjährige Umfrage liefert klare Anzeichen dafür, dass das System unabhängig von der Konjunkturverlangsamung für die meisten Unternehmen neu starten wird und die nächste Phase sie eher beflügeln als belasten wird.
Inflation und Konjunktursorgen verunsichern die Märkte. Doch bei Unternehmen wächst der Optimismus.
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Stand, soweit nicht anders angegeben: Januar 2024. MK16174