1929 – 2008 – 2020: Globale Krisen im Vergleich
Carsten Roemheld: Herzlich willkommen zu unserem Fidelity Kapitalmarkt-Podcast. Mein Name ist Carsten Roemheld. Heute wollen wir uns der Corona-Krise, die uns ja leider immer noch in Atem hält, einmal von einer etwas anderen Seite nähern. Wir stellen ein paar weiterführende Denkansätze vor und ziehen einen Vergleich mit vergangenen Krisen, um mögliche Konsequenzen für die Zukunft daraus ableiten zu können.
Vergangene Wirtschaftskrisen unterscheiden sich deutlich, da die Ursachen und die Auslöser jeweils sehr unterschiedliche Ausprägungen haben – davon abhängig sind dann die Mittel zur Bekämpfung der Krise beziehungsweise die Ergreifung entsprechender Gegenmaßnahmen. Und dies kann sich jedoch dann als besonders schwierig herausstellen, wenn z. B. die Erfahrung fehlt, weil man es mit einer völlig neuen Art von Krise zu tun hat, so wie dies aktuell der Fall ist. Bei Covid-19 war insbesondere die Tatsache einzigartig, dass die Wirtschaftskrise nicht durch das Virus selbst, sondern durch die Lockdown-Maßnahmen zur Bekämpfung der unkontrollierten Ausbreitung herbeigeführt wurde. Der daraus entstandene Wirtschaftseinbruch wurde bekanntermaßen durch Geld und fiskalpolitische Programme nie dagewesenen Ausmaßes zu bekämpfen versucht.
Wir wollen uns heute unter anderem mit der Frage beschäftigen, wie wir in der Vergangenheit mit Wirtschaftskrisen umgegangen sind, ob die 30er-Jahre oder die Finanzkrise von 2008 uns hier gute Anhaltspunkte liefern und welche Konsequenzen wir daraus für die aktuelle Krise ableiten können. Diesen und einige andere Punkte möchte ich heute mit meinem Gesprächspartner einer genaueren Analyse unterziehen und daher freue ich mich sehr, Prof. Karl Aiginger in unserem Podcast begrüßen zu dürfen: Guten Tag, Herr Professor Aiginger.
Karl Aiginger: Guten Tag.
Carsten Roemheld: Professor Aiginger lehrt an der Wirtschaftsuniversität Wien und ist Managing Editor des Journals of Industry Competition and Trade. Er hatte Gast- und Honorarprofessuren an der Stanford University, UCLA, MIT und Universität Linz und er war 2005 bis 2016 Leiter des österreichischen Instituts für Wirtschaftsforschung. Er hat sich viel mit dem Vergleich von Wirtschaftskrisen beschäftigt. Seine Publikation The Great Recession Versus the Great Depression: Stylized Facts on Siblings Which Were Given Different Foster Parents, also tatsächlich einen Vergleich der beiden Geschwisterpaare, die unterschiedliche Pflegeeltern haben, ist eine viel zitierte Publikation zum Krisenvergleich. Karl Aiginger ist außerdem Direktor der Querdenker-Plattform Wien Europa. Das ist ein großer Unterschied zu dem, was wir als Querdenker hier in Deutschland kennen. Dieser internationale und interdisziplinäre Thinktank analysiert europäische Strategien und die Rolle Europas in der veränderten Weltordnung, die durch den Rückzug der USA aus dem Multilateralismus und vielen internationalen Organisationen geprägt wird und durch den Versuch Chinas, wieder eine führende Rolle zu spielen. Europa hat hier die Chance, durch Partnerschaft mit den östlichen und südlichen Nachbarn und das Konzept des europäischen Green Deal eine Führungsrolle zu übernehmen.
Professor Aiginger, Sie haben sich also sehr intensiv mit Finanz- und Wirtschaftskrisen beschäftigt und daher lassen Sie uns jetzt auch gleich an der Stelle einsteigen und einen Vergleich wagen.
Die Weltwirtschaftskrise der 30er-Jahre bahnte sich schleichend an und hatte viele Ursachen. Die aktuelle Krise hat dagegen einen einzigen Auslöser, nämlich die Pandemie. Anders als 1930 oder auch 2008 war also nicht das Wirtschaftssystem Ursache der wirtschaftlichen Verwerfungen, sondern die Krise wurde durch äußerliche Umstände ausgelöst. Inwieweit macht das einen Unterschied für die angemessene Reaktion und den möglichen Krisenverlauf?
Karl Aiginger: Ja, also wie es aussieht, wird diese Krise kürzer sein, sie wird simultaner sein, also gleichzeitiger sein und es ist eine schnellere generelle Antwort auf diese Krise der Geld- und der Fiskalpolitik gekommen. Beginnen wir mit den Ursachen, es hatten alle Krisen mehrere Ursachen: Die Weltwirtschaftskrise war eine Folge des 1.Weltkriegs, einer kurzen Erholung, großen Reparationszahlungen, die von Deutschland verlangt wurden, in jede Erholung ist die Inflation also hinaufgeschnellt und zweistellig geworden und dann in die nächste Krise gekommen und dann sind die Banken zusammengebrochen und das hat sich dann um die ganze Welt gezogen, die Welt war noch nicht vernetzt, daher ist es nicht an einem Tag, am Lehman-Tag wie 2008, passiert, sondern ist an mehreren Tagen passiert.
Und so ist es lange gegangen. Die Krise hat zehn Jahre gedauert und die Wirtschaft hat sich dann erst durch den Green Deal in den USA, also ansatzmäßig, erholt und in dieser Zeit ist die Armut, die Arbeitslosigkeit riesig gewesen, wesentlich höher als heute. Wenn jemand sagt, es ist heute auch hoch, dann erinnere ich mich an die Worte meines Lehrers Kurt Rothschild, der gesagt hat: Bitte schwätzt nicht davon, in der Weltwirtschaftskrise sind die Kinder barfuß in die Schule gegangen. Boshafterweise sage ich, heute werden die vom zweiten Auto in die Schule gebracht und man kämpft darum, ob es dort einen Parkplatz für diese Autos gibt. Also, die Krise war sehr viel stärker, hatte eben mehrere Ursachen, es wurde dann noch - die Wirtschaftspolitik hat damals auch eher restriktiv gewirkt, damit die Inflation eingedämmt wird - der Diskont- und Zinssatz gesenkt und Programme wurden gestrichen, bis Roosevelt gesagt hat, wir machen jetzt das Gegenteil. Also: Wir machen Relieve, wir erleichtern das Leben der Armen, wir machen Recovery, also wir machen eine Erholung der Wirtschaft und wir investieren und machen Reformen. Die drei Rs waren es, das hat mich daran erinnert, wie Frau von der Leyen die zwei R‘s, Relieve und Recovery, vorgestellt hat, da hab ich gedacht: Ob das Absicht ist? Aber es ist zumindest ein guter Zug, das auf die drei R‘s zwei gekommen sind, und es würde auch in Europa nicht schaden, wenn das dritte, das Reform-R, noch stärker betont würde.
Die Finanzkrise dann war ja, man möchte sagen, eine Bankenkrise, ausgelöst von den amerikanischen Banken und von dem Versuch, den Konsumenten, die dort wenig Geld gehabt haben und ihre Häuser und Grundstücke sich nicht leisten konnten, billige Kredite zu geben, von denen eigentlich die Banken gewusst haben, dass sie diese Kredite nie mehr zurückzahlen können. Aber die Banken haben wiederum gesagt, das ist kein Problem, wir bündeln diese Kredite und wir verkaufen sie.
Und das ist auch gelungen, die Kredite sind gebündelt und verkauft worden, bis es dann nicht mehr möglich war, einen Käufer dafür zu finden, der diese ungesicherten Sachen nimmt. Aber in den Ursachen war es auch sehr viel Ungleichheit - amerikanische Konsumenten, die mehr vom Leben und mehr zum Leben haben wollten und daher Kredite aufgenommen haben, die ihnen billig und unproblematisch versprochen wurden.
Und den Zusammenbruch 2008/2009, den kennen wir alle. Das hat dann ein Jahr gedauert, nicht 10 Jahre wie die Weltwirtschaftskrise. Deswegen nicht, weil die Länder sich nach einer anfänglichen Schockstarre entschlossen haben, miteinander und gleichzeitig zu kooperieren, in der Geld- und Fiskalpolitik. Deswegen hat sie dann nur ein, eineinhalb Jahre gedauert; allerdings auch nachher zu einem Aufschwung geführt, der sehr schwach war. Es hat fast zehn Jahre gebraucht, bis die europäische und amerikanische Wirtschaft, vor allem die europäische, wieder das Vorkrisenniveau erreicht hat.
Und jetzt haben wir die Covid-Krise, bei der die Ursache alleinig auf einen Virus zurückzuführen ist. Deswegen hat’s uns auch gleichzeitig getroffen, aber es waren natürlich die strukturellen Probleme auch sehr unterschiedlich, mit denen diese Krise die Länder getroffen hat. Da hat‘s Amerika gegeben, das wenig getan hat, zumindest im Gesundheitssektor ein bisschen mit Geld herumgespritzt und ein Finanzsystem gehabt, mit dem Schulden auch möglich waren, wenn sie bereits über hundert Prozent der Wirtschaftsleistung waren. Europäische Staaten, bei denen jetzt auch schon mehr Verschuldung möglich war, dadurch, dass sie teilweise europäische Fonds aufnehmen und von der Europäischen Kommission gestützt wurden, wo es aber doch Limits gibt, und besonders einige Länder, die hier über hundert Prozent gehabt haben, wie Italien, nicht mehr leicht oder nicht mehr sicher waren, ob sie noch einmal Schulden aufnehmen können. Andere Länder sind gerade aus der Finanzkrise noch gerettet worden und hatten noch hohe Obligationen, keine neuen Schulden zu machen, sondern eher ein Activum im Budget zu haben. Also unterschiedliche Reaktionen und unterschiedliche Reaktionen in der Struktur. Einige Länder haben ihre alten Industriestrukturen schon modernisiert, zum Beispiel Deutschland, andere wie Großbritannien und Frankreich haben das nicht gemacht und haben ihre alten großen nationalen Champions gefördert und am Leben erhalten, auch mit Subventionen und daher gibt es hier sehr große Unterschiede. Die Reaktion war aber sehr schnell.
Insofern ist die Erholung, sowohl der Aktienmärkte als auch der realen Wirtschaftsleistung, eigentlich in ein, zwei Quartalen eingetreten. Die Gefahr besteht jetzt nur, ob ein zweiter Lockdown zu einer Doppelkrise, sozusagen zu einem W führt oder, ich möchte nicht davon sprechen, dass es ein VW sein könnte, das wären dann drei Tiefpunkte. Das nehme ich aus, da nehme ich auch an, dass es bei einem zweiten milderen Lockdown bleibt und damit die wirtschaftlichen Folgen nicht so stark sind und dass es dann etwa in der ersten Jahreshälfte 2021 zu einem Impfstoff kommt, der dazu führt, dass ein dritter Krisenhöhepunkt vermieden werden kann.
Aber das sind Annahmen. Es hat auch hier strukturelle Probleme gegeben, obwohl der Anlass, wenn man das so sagt, – sie unterscheiden oft zwischen tieferen Ursachen und dem Anlass – der Anlass eine Gesundheitskrise war, die von außen gekommen ist, für die niemand etwas kann.
Carsten Roemheld: Also ein großer Unterschied. Sie hatten gerade vorhin erwähnt, dass in den 30er-Jahren eigentlich die Krise dadurch verschlimmert wurde, dass man einen harten Sparkurs sozusagen eingeschlagen hat, zunächst mal, und dadurch die Depression ausgelöst hat. Das hat man jetzt in den neueren Krisen eben nicht mehr gemacht. Haben die politischen Akteure eben aus früheren Krisen gelernt? Haben Sie bewusst jetzt gesagt, wir dürfen auf keinen Fall diesen Sparkurs einschlagen, um die Wirtschaft abzuwürgen, sondern wir müssen das Gegenteil tun, wir müssen Geld und fiskalpolitische Mittel zur Verfügung stellen? Ist das eine Schlussfolgerung aus dieser Krisenbewältigung?
Karl Aiginger: Es haben einmal die Ökonomen gelernt, jene Ökonomen, die der Meinung sind, bei jeder Krise muss man das ausstehen. Hayek‘sche Philosophien sind nicht mehr in den Vordergrund getreten, sondern Keynesianer und Post- Keynesianer haben gesagt, es gibt dieses Konzept, und die Politiker haben dieser Gruppe zugehört.
Ich habe selbst in dieser Phase sehr viel zu den politischen Entscheidungsprozessen beigetragen. Das war auch ein Lernprozess. Es hat zuerst die deutsche Kanzlerin gesagt, also wir machen sicher nichts, keine expansive Politik, und hat, wie man festgestellt hat, daran doch rasch die richtige Entscheidung getroffen, die richtigen Worte für diese neue Entscheidung gefunden. Ähnlich war es in Österreich: Ich wurde an einem Allerseelen-Wochenende zu einer Klausur der Regierungspartei gehört, wo sie gesagt haben: Ist es wirklich so schlimm? Also wir hatten damals als Prognose so alternativ minus 0,5 oder plus drei Prozent, je nachdem, was eintritt. Und wie mich der Vertreter dann der Europäischen Zentralbank gefragt hat, ob das minus 0,5 nicht sehr pessimistisch ist, habe ich gesagt: Nein, es wird minus 5,0 sein. Das war auch eine Ansage, nur um einen Punkt zu machen.
Aber es ist dann wirklich in diese Richtung gegangen und während dieser Zeit haben sich die Amerikaner, die Engländer und die Europäer getroffen und haben gesagt, wir machen alle unseren Teil sowohl die Zentralpolitik, und die Ökonomie hat ja gewusst, was passiert, wenn man falsch reagiert, und die Politiker haben mehr jenen Ökonomen gehört, die gesagt haben, das richtige in dieser Krise ist das. Und so machen wir Schulden, so viel es notwendig ist, und Draghi hat dann also quasi das in Worte zusammengefasst noch Tage nachher. Es hat also die Ökonomie gelernt und es hat die Politik gesehen, was passiert, wenn man einer Gruppe von Ökonomen zuhört, und was nun passiert, wenn man einer anderen, moderneren, aufgeklärteren Gruppe zuhört.
Carsten Roemheld: Es scheint ja eine Taktik zu sein, dass man die Extreme der Wirtschaftszyklen irgendwie abschwächen möchte. Also dieses extreme Boom- und Bassszenario will man nicht haben, sondern man will die Wirtschaftszyklen irgendwie abschwächen, vor allen Dingen auf der unteren Seite natürlich. Ist es eine Strategie, die Wirtschaftszyklen außer Kraft zu setzen durch diese moderne Geld- und Fiskalpolitik oder zumindest abzumildern? Ist das die Strategie der Akteure momentan?
Karl Aiginger: Ja, es ist Strategie, die Zyklen abzumildern. Man weiß, dass mehr investiert wird und mehr in langfristige Programme investiert wird, wenn man Gewissheit hat, dass das die richtige Richtung ist. Während, wenn man zwei gute und zwei schlechte Jahre hat, dann macht man das, was kurzfristig gut scheint und was sich ausgeht in dieser kurzen Zeit aber nicht das langfristig Richtige ist. In dem Sinne ist es eine Strategie, aber es ist auch gewiss, dass das wohlfahrtssteigernd ist. Genauso möchte ich ein vielleicht weithergeholtes Beispiel am Thema Auto fahren erläutern: Bei einer Strecke von 500 Kilometer ist es nicht sinnvoll, einmal 50 Stundenkilometer und einmal 250 Stundenkilometer zu fahren.
Also es ist der bessere Weg und wir haben gelernt, mit welchen Maßnahmen man es macht. Und wir müssen natürlich noch dazulernen, dass wir, wenn wir mit dem Geld herumspritzen, dass wir in die richtige Richtung spritzen, dass wir also nicht zugunsten von Zombie-Firmen arbeiten, sondern das ist noch, was man lernt und was wir auch in dieser Krise noch lernen müssen, in die Zukunft zu investieren, Klima-Erwärmung zu verhindern und soziale Probleme zu lösen. Denn nach der Krise haben wir kein Geld dafür. Dann haben wir das Geld in der Krise ausgegeben und müssen irgendwann wieder mal bedienen, die Staatsschulden zurückzuführen, und dann ist das Geld für soziale Anliegen nicht da und dann ist das Geld für das Klima nicht da. Also wir müssen in der Krise nicht nur das machen, was die Krise verhindert oder abmildert, sondern noch das für die Zukunft, das sind die ganz großen Aufgaben, die wir haben.
Carsten Roemheld: Noch eine Frage zu Krisen-Koordination, weil es auffiel im Gegensatz zur Finanzkrise, wo man das Gefühl hatte, dass man relativ stark an einem Strang gezogen hat global, war hier eher eine nationale Krisenbewältigung oder eine nationale Strategie zur Krisenbewältigung dominant. Warum war das so am Anfang? Warum gab es nicht bessere internationale Koordination zur Bewältigung?
Karl Aiginger: Ja, der Multilateralismus ist in einer Krise und da kommen wir wahrscheinlich auch zum Thema Amerika: Amerika steigt aus, aus dem Multilateralismus und aus verschiedenen internationalen Organisationen. Aber es hat trotzdem eine implizite Koordination gegeben, es haben alle Länder im Wissen, was vor zehn Jahren geschehen ist, in die richtige Richtung gelenkt. Es hat eigentlich niemand gesagt, also wir machen jetzt nichts, sondern es haben halt alle nur gesagt, wir machen das. Also die österreichische Regierung macht das oder die deutsche Regierung macht jenes. Auf der anderen Seite müssen wir natürlich sagen, dass auch die europäische politische Landschaft sich verändert hat in doppelter Hinsicht. Auf der einen Seite haben wir jetzt eine Europäische Kommission, die sehr positiv agiert und mit dem Green Deal auch ein sehr großes Programm hat. Aber wir haben auch Phasen gehabt, wo manche Länder aus der liberalen Demokratie ausgestiegen sind. Ungarn sagt, wir wollen nicht die liberale Demokratie, das war ein Fehler. Polen denkt hier ähnlich.
Wir haben also einen Populismus, der von Land zu Land in verschiedenen Prägungen tätig ist. Matteo Salvini hat in Italien vom selben Balkon wie Mussolini seine Thesen herunter mit der Bibel in der Hand gesagt, was in Italien richtig ist. Also der Populismus hat hier einen Höhepunkt erreicht und das zu einer Krise geführt. Das ist Gott sei Dank vorbei, auch hier ist der Höhepunkt vorbei. Bei den Europawahlen sind eher die Parteien in der Mitte, selbst die Liberalen oder die Grünen, gestärkt worden und haben damit neue Wege gezeigt. Im Hintergrund gibt es noch diese Populisten und auch in der Covid-Krise zeigt es sich sehr deutlich. Die Populisten haben am Anfang der Krise geleugnet, dass es diese Krise gibt. Haben gesagt, der Virus ist weniger gefährlich als eine Grippe und wurde von den Chinesen erfunden. Im ersten Höhepunkt waren sie dann sehr ruhig und haben die Regierungen agieren lassen. Als dann scheinbar die Gesundheitskrise bewältigt war, haben Sie gesagt, stoppt den Corona-Wahnsinn, und gesagt, wir brauchen nichts mehr tun. Dieser Zyklus der Populisten war in Österreich sichtbar, aber er war auch in den USA sichtbar und jetzt am Beginn der zweiten Welle, ist es wiederum eine Frage. Jetzt spaltet es die Populisten, indem ein Teil weiter sagt, es gibt ja gar nichts zu machen, wir stellen alles frei, wir können alle miteinander wieder feiern und uns umarmen, und die anderen sind wiederum still und sagen, also jetzt müssen wir wieder ein bisschen still sein, weil sonst ist das Skifahren in den Alpen zu Weihnachten nicht möglich ist. Das hat dazu geführt, dass es nicht eine koordinierte Politik gegeben hat, wo sich alle an einen Tisch gesetzt haben und gesagt, das machen wir, aber implizit haben sie es dann schon etwas koordinierter gemacht und die Europäische Kommission nur dazu ihre Programme entworfen.
Also wir helfen jetzt den Ländern, die nicht das Geld haben. Wir verlangen aber Programme, die zukunftsgerichtet sind, die Strukturprobleme lösen. Italien soll nicht weiter Autobahnen dorthin bauen, wo es keinen Bedarf gibt, und die Mafia soll dort nicht weiter ihre Pfründe machen können, sondern wir haben auch hier gelernt.
Carsten Roemheld: Lassen Sie uns zum nächsten Block kommen, zum Thema soziale Fragen und staatlicher Einfluss. Der Ruf nach dem Staat war in dieser Krise auch laut, durchaus, und der Staat hat auch mit vielen Fiskal-Programmen unter anderem reagiert. Wie weit geht der Einfluss, die Macht der Staaten, in Bezug auf den Konjunkturverlauf aktuell überhaupt? Was ist da Ihre Einschätzung?
Karl Aiginger: Der Staat ist machtvoll, weil er bereits fast 50 Prozent der Wirtschaftsleistung durch Steuern und durch Transfers umpolt. Er ist dort weniger mächtig, wo die Ausgaben vorweg bestimmt sind, wo sie für Sachen ausgegeben sind, die in der Krise nicht wichtig sind. Besser sind die Staaten dran, die mit einer geringeren Staatsverschuldung in diese Krise gegangen sind, die können aus eigenen Mitteln und ohne europäische Programme und ohne Hilfe des Währungsfonds in der Krise gegensteuern. Auf die Art und Weise, die sie wollen, und in der Krise ist die Ungleichheit wiederum größer geworden.
Gott sei Dank sind einige der Programme dafür gedacht, diese Ungleichheit zu reduzieren, zum Beispiel Kurzarbeitsmodelle und Fixkostenzuschüsse und Ähnliches, aber auf der anderen Seite steht hier auch ein ganz großer Strukturwandel bevor. Im Sozialsystem, der 40 Prozent der Staatsausgaben ausmacht und vielleicht 20 Prozent der Wirtschaftsleistung, je nach Land ein bisschen verschieden, muss es eine Umorientierung geben von der produktiven Ex-post-Sozialpolitik, dass man jemanden bezahlt, der keinen Job hat und große Probleme, zu einer Ex-ante-Politik, wo wir sagen, wir müssen in das Bildungswesen investieren: Vom Kindergarten über die Schulen, dass die Menschen befähigt sind, mit Krisen umzugehen. Es darf niemand mehr erwarten, dass er den Job, den er bei Schulabschluss oder bei Schulabbruch im negativsten Fall, erlernt hat, auch sein Leben lang dann ausüben kann. Und wenn es einmal nicht so ist, dass er vom Staat 80 Prozent Arbeitslosenunterstützung bekommt. Es müssen die Schulen vorbereiten auf den Wechsel – auch das Bild verbreiten, dass der Wechsel etwas Positives ist:
Nicht den Tacitus auswendig zu können, ist das Ziel der schulischen Ausbildung, sondern Probleme zu lösen und sich darüber zu freuen, wenn es Veränderungen gibt. Natürlich über positive mehr sich zu freuen als über negative, über Digitalisierung sich mehr zu freuen als über den Zusammenbruch einer Kohlengrube oder eines Stahlwerkes, aber darauf vorbereitet zu sein. Das ist auch eine sehr schöne Aufgabe, auf die muss man sich aber auch vorbereiten: Änderungen vom Kindergarten über die Erziehung. Wir haben das jetzt auch im Lockdown gesehen, die Kinder, die aus Haushalten gekommen sind, in denen sich die Eltern mit dem Computer ausgekannt haben und vielleicht auch die Großeltern und die auch eine größere Wohnung gehabt haben, die drei Computer gehabt haben, die haben das also ganz lustig gefunden, dass man jetzt nicht immer in die Schule gehen muss. Wenn man aber in einer Einzimmerwohnung war, wenn man zusammen mit den Eltern einen Computer gehabt hat, die Eltern arbeiten wollten und das Kind spielen wollte und die Eltern keine Zeit gehabt haben, dem Kind zu erklären, wie die Schulaufgaben, zu lösen sind, dann war das ein Mega-Problem.
Wir sehen das hier, und es muss jetzt einen Schub in der Digitalisierung stattfinden. In allen Altersgruppen, in den Schulen, jeder muss einen Computer haben, W-LAN muss erhältlich sein, auch in Gegenden, die sonst schlechte Internet-Verbindungen haben, und die Großeltern sollten auch ein bisschen helfen können, indem sie sich auch mit einfacheren Programmen auskennen. Das kann und wird und soll einen Digitalisierungsschub bringen. Aber es ist natürlich eine Frage der Gleichheit, ob das jetzt schon möglich war und wie man das macht. Also wie gesagt, im Sozialsystem umstellen von der Ex-post-Bezahlung von jemanden, wenn er ein Problem hat, zu einer Ex-ante-Verhinderung-Problemlösung – das geht auch in die Richtung Diversität und Migration. Also auch die Freude an der Vielfältigkeit. Wir wissen gerade aus der Finanzszene und aus Firmen, ein Vorstand, der divers zusammengesetzt ist, aus verschiedenen Kulturen, ist erfolgreicher als jemand, der nur aus Männern besteht, die aus derselben Region kommen. Das müssen wir lernen. Diese Freude an der Diversität, da gibt es die Angst, dass das nicht so ist. Und die müssen wir auch bekämpfen, auch das müssen wir in dieser Krise lernen.
Carsten Roemheld: Sie haben ein paar sehr, sehr wichtige Punkte angesprochen, einen wollte ich etwas vertiefen: noch mal zum Thema soziale Ungerechtigkeit und Gefälle aus Einkommens- und Vermögensverhältnissen. Sie haben jetzt, wie soll ich es sagen, fast ein Wunschdenken formuliert, wie es in Zukunft sein soll, aber glauben Sie, dass die Maßnahmen, die wir bisher getroffen haben, dabei helfen, diese sozialen Ungerechtigkeiten zu bekämpfen, oder werden wir in Zukunft eher noch eine weitere Auseinanderentwicklung dieser Einkommens- und Vermögensverhältnisse weltweit sehen?
Karl Aiginger: Also die Auseinanderentwicklung ist so stark, dass ich hoffe, dass sie nicht noch stärker werden kann. Es gibt hier verschiedenste Maßzahlen: Ich möchte einmal Optimist sein, das optimistisch voraussehen. Die Armut ist weltweit gesunken, von zwei Milliarden Menschen auf eine halbe Milliarde, sie ist sehr stark gesunken und jetzt wird‘s gewiss einen Rückfall geben, er wird wahrscheinlich in dieser Krise sein. Die Ungleichheit allerdings ist gestiegen, das Top-ein-Prozent oder Top-ein-Promille hat überall große Vermögen angehäuft und die Einkommenssituation ist vererbt: Wenn die Eltern reich waren, gehen auch die Kinder in die beste Schule und haben auch ein höheres Lebenseinkommen zu erwarten. Es ist in der Krise noch nicht genug beachtet worden, ich kämpfe darum, dass es aber teilweise beachtet wird. Wir haben schon Fälle, wo die Arbeitslosen- oder Kurzarbeit-Zahlungen mit dem Besuch einer Umschulung verbunden sind, und Firmen werden angehalten, wenn sie eine Subvention bekommen, das auch zu einem Training innerhalb der Firma zu benutzen. Das Arbeitsmarktservice bemüht sich, diese Veränderungen zu machen. Also es gibt Ansätze, diese müssen gestärkt werden, sonst bleibt es bei der großen Ungleichheit, die es gibt, bleibt es bei der Vererbung von Vermögen und von Lebenschancen – und das führt dann auch zu Populismus und Feindlichkeit, dann ist immer der Ausländer schuld oder der große Firmenboss, der das mit verursacht hat, und nicht, dass es das Erziehungssystem war, das Ausbildungssystem, das an dieser Ungleichheit eigentlich zentral beteiligt ist.
Carsten Roemheld: Das wollte ich gerade noch fragen, denn auch diese Ungleichheit ist ein Grund dafür, warum wir auch immer mehr eine Polarisierung in der Gesellschaft sehen, die weniger von Konsens geprägt wird, sondern immer mehr auch von Konfrontation geprägt wird. Man hat fast den Eindruck, es finden auch überhaupt keine sachlichen Auseinandersetzungen mehr statt, sondern eher so etwas wie Glaubenskriege von verschiedenen Lagern. Ist das auch eine Ausprägung dieser Auseinanderentwicklung der Gesellschaft und sehen Sie da auch eine Fortsetzung dieser Verhältnisse? Sie haben das Stichwort Popularismus schon öfter angesprochen, dessen sich ja einige Politiker auch bedienen.
Karl Aiginger: Es ist hier die Gefahr, dass sich das fortsetzt, aber es gibt doch Chancen, dass es hier zu einer Besserung kommt über das Ausbildungssystem und zum Beispiel über das Erasmus-Programm. Meine Studentinnen und Studenten, die vom Erasmus-Programm zurückkommen, sind andere Menschen. In dem Sinne, dass sie also gelernt haben, mit anderen Kulturen umzugehen, zu sehen, dass man auch in anderen Kulturen etwas lernen kann. – also je mehr diese Reisefreiheit oder auch die Studenten und Studentinnen hier andere Hochschulen besuchen müssen.
Das müsste aber dann in die zweite, in die Sekundarstufe hineingehen. Am Lehrlingssektor gibt es das noch nicht, auch die Ausbildung muss also internationaler werden. Hier geht es auch darum, Ausbildungen in anderen Ländern, die anders sind, mit anzuerkennen. Wir sehen das oft bei unseren Migranten und Migrantinnen, dass sie in ihrer Heimat, aus der sie kommen, eine sehr gute handwerkliche Ausbildung mitbekommen haben, teilweise auch medizinische Ausbildung, sie aber, wenn sie hier ankommen, nicht anerkannt wird. Sie werden gebeten, noch einmal, oder aufgefordert – von beten ist also keine Spur – wenn aufgefordert, das noch einmal zu machen. Und damit wird das noch schwerer, wenn Sie neben der Sprache auch noch einmal die Ausbildung wiederholen müssen. Wir müssen auch hier lernen, mit anderen Ländern das zu teilen. Ich bin ein sehr großer Anhänger, dass Europa mehr in seiner Nachbarschaft als im Süden und im Osten, aber nehmen wir einmal den Süden in Afrika, investiert. Weil, was in Afrika geschieht, ist entscheidend für das, was in Europa in zehn oder 20 Jahren passiert. Wenn ich da ein bisschen ausholen kann. Die europäische Bevölkerung ohne Zuwanderung ist sinkend, wir verlieren an Arbeitskräften. Weil der endogene Europäer, der Europäer, dessen Eltern und Großeltern auch in Europa geboren sind, vielleicht 1,2 Kinder pro Paar hat. 2,1 oder 2,2 ist die Gleichgewichtszahl.
Wir sehen das nicht so dramatisch, weil wir relativ viel Migration haben, die wir dann beklagen, aber sie hat dazu geführt, dass mehrere Länder, darunter auch Österreich, eine steigende Bevölkerung haben, weil sie so viele Migranten in verschiedenen Stufen aufgenommen haben, die dann alle überdurchschnittlich Kinder haben. Und auch Ungarn lebt davon. Orbán schimpft auf Ausländer, darüber, dass die Ausländer, die in Ungarn sind, weit mehr als zwei Kinder pro Paar haben, und er verspricht jetzt den „echten“ Ungarn mehr Entgelt, wenn sie mehr Kinder bekommen – das ist ja jetzt auch pervers, wenn wir das mit einem finanziellen Anreiz dieser Art ausstatten müssten. Also Europa hat eine sinkende und alternde Bevölkerung, sodass wir eigentlich im Wachstum behindert sind dadurch. In Afrika ist die Bevölkerung heute schon mehr als doppelt so groß wie in Europa und sie wird sich verdoppeln und verdreifachen. Und jetzt gibt es zwei Möglichkeiten: Entweder ist es dort Friede, es werden die ökologischen Probleme geringer und es entstehen Arbeitsplätze oder es gibt eine Völkerwanderung in Richtung Europa, die man dann nicht verhindern kann. Wenn es in einem Land leer wird und im anderen Land voll wird, dann setzen sie sich gleich in Bewegung. Das können mäßige Bewegung sein. Und hier ist dann die Aufgabe, die Möglichkeit Europas, dass es in Afrika investiert und wenn es in Afrika investiert, dann werden es nicht Autobahnen sein und Rohstoffkonzerne, wie es die Chinesen machen, sondern es wird Ausbildung sein. Unsere USP als Europäer ist es, in Afrika in die Ausbildung zu investieren, zum Beispiel in Lehrwerkstätten, zum Beispiel in Fach-Universitäten, und auch zu schauen, dass unsere Studenten, Professoren, Fachschullehrer, -lehrerinnen in Afrika vielleicht das halbe Jahr – halbe, halbe – jetzt mal in einer anderen Dimension unterrichten und genauso afrikanische Professoren das in Österreich machen. Sie sollen nicht ganz nach Österreich kommen, denn dann gibt‘s einen „Braindrain“, aber drei Monate im Jahr nach Österreich zu kommen, ist ein gegenseitiger Lernprozess. Und genauso sollten Österreicher und Deutsche bereit sein, diese drei Monate in Arbeit zu investieren, und damit gibt es ein Ausbildungssystem, das für die Zukunft positiv ein Kennenlernen ermöglicht. Dann sehen wir auch, dass das vielleicht eine andere Diversität ist, das sind andere Leute, aber sie haben auch ihre Vorteile, und man lernt dort genauso viel, wie wenn man sich so in der eigenen Stadt dreimal umdreht.
Carsten Roemheld: Das hört sich sehr gut an. Ich möchte mal auf Dein Thema Arbeitsmarkt zurückkommen. Wir hatten ja vorhin, da hatten Sie ja schon gesagt, dass damals die Arbeitslosigkeit in den 30er-Jahren massiv war und in den USA gab es, gibt's jetzt wieder einen sehr, sehr großen Anstieg der Arbeitslosigkeit. Wir haben etwas andere Prinzipien, in den USA wird man sofort in die Arbeitslosigkeit entlassen, hier wurde mit dem Kurzarbeitergeld ja ein Mechanismus geschaffen, wie man die Beschäftigten im Job halten kann, trotz aller Umstände. Glauben Sie, dass auch nach der Auszahlung dieser Kurzarbeitergelder, dass die Arbeitslosenzahlen in Deutschland und in Europa einigermaßen konstant bleiben oder erwarten Sie tatsächlich als Auswirkungen der Krise auch deutlich steigende Arbeitslosenzahlen hierzulande?
Karl Aiginger: Nein, ich glaube nicht, dass die Arbeitslosenrate auf Dauer steigen wird. Es kommt natürlich darauf an, wann die Krise zu Ende ist, ob es eine Doppelkrise oder eine Dreifachkrise ist. Wenn die Prognosen, die jetzt sagen, dass es also heuer vielleicht einen Einbruch von fünf bis sieben Prozent der Wirtschaftsleistung ist und im nächsten Jahr nicht ganz so viel, aber auf der Plusseite ist drei Prozent oder so, dann wird im nächsten Jahr die Arbeitslosenrate stabil sein und im übernächsten Jahr wiederum zurückgehen. Aber es kommt natürlich darauf an, wie wir hier reagieren, wenn wir auf dem Arbeitsmarkt mehr Mobilität haben, mehr Lernbereitschaft, mehr Wechsel in Jobs.
Wir haben eine große Nachfrage nach qualifizierten Arbeitnehmern, zum Beispiel im technischen oder im digitalisierten Bereich, den wir nicht erfüllen können. Und er ist auch regional sehr unterschiedlich. In Österreich ist im Westen eine große Arbeitsplätzeknappheit und in Wien eher das Gegenteil. Und es ist auch nicht das Ausmaß vergleichbar mit der Weltwirtschaftskrise damals, mit 20, 30, 40 Prozent. In Amerika ist sie jetzt von einem historischen Minimum von drei, vier Prozent auf zwölf Prozent kurzfristig hinaufgegangen, die Arbeitslosenrate allerdings im dritten Quartal, als der Virus besiegt schien, sofort wieder zurückgegangen. Es geht hier auch um eine andere Dimension. Was geblieben ist in den USA, ist etwas anderes am Arbeitsmarkt: Ein Teil der Bevölkerung zieht sich vom Arbeitsmarkt zurück. Es sagt, wir müssen nicht mehr arbeiten, vielleicht, weil wir genug Geld haben, vielleicht, weil wir zu wenig Chancen sehen, vielleicht, weil wir zu wenig gezahlt bekommen.
Die Löhne, die Medianlöhne in den USA, sind 40 Jahre lang nicht gestiegen. Da kann man sich vorstellen, dass jemand, der in einem Haushalt lebt, wo entweder der Partner sehr reich ist oder wo die Eltern sehr reich waren, wo also ein, zwei Häuser sind, da sagt man dann, da muss ich ja nicht mehr arbeiten gehen zu diesem Hungerlohn. Also wir haben in Amerika den Rückzug der Beschäftigungsquote aus dem Arbeitsleben und das ist natürlich ein anderes Problem, mit dem wir uns beschäftigen müssen und die auch Basis für Populismus und für Trump-Wähler sind. Die jetzt sagen, wir sind die Vergessenen, wir sind zwar sehr gut, weil wir selber uns alles erwirtschaftet haben, und die Tea-Party um sie ist sehr gut organisiert, da kommen Prominente aus allen Bereichen, aber im Großen und Ganzen doch dann etwas enttäuscht sind, dass es das in ihrer Region wie im Rest der Welt nicht gibt und dann suchen sie wiederum jemanden, der ihnen verspricht, dass das alles anders wird, und das ist dann der große Fehler der amerikanische Politik zu sagen: Ja, die Chinesen stehlen uns ja die Arbeitsplätze und Erdöl wurde uns immer viel zu teuer geliefert. Wir schauen, dass wir selbst durch Horizontal-Bohrungen oder durch Pipelines aus Alaska wiederum zu Öl, zu billigem Öl, kommen und wenn wir billige Energie haben, dann wird die amerikanische Wirtschaft wiederum zu blühen beginnen – das ist ein absoluter Fehler.
Die amerikanische Wirtschaft mit ihren hohen Einkommen, mit den guten technischen Universitäten wird nicht wiederbelebt, wenn es billiges Öl gibt, sondern wird wiederbelebt, wenn es Techniker gibt. Wenn es Menschen gibt, die investieren und in diese Richtung gehen. Und wenn es dann gelingt, dann ist die Frage, warum hat Amerika eigentlich so ein hohes Handelsbilanz-, Zahlungsbilanzdefizit. Das ist ganz überraschend, weil sie zu wenig technologieintensive Produkte exportieren. Für ihr Einkommensniveau haben sie zu wenig technologieintensive Produkte. Das ist nicht, weil Stanford, es ist wirklich eine gute Universität, nachdem ich dort war, schlechter geworden ist, sondern das ist deswegen, weil die Firmen zwar in der ersten Phase in Amerika die Innovationen machen, dann aber sofort bei der ersten Phase danach in ein noch billigeres Land gehen und sei es glücklicherweise einmal in Osteuropa oder sei es China gewesen oder sei es sonst wo. Also sie bleiben nicht daheim, der Erfinder ist alone at home, hat eine MIT-Ökonomin gesagt, sie erfinden etwas, aber dann verschwinden sie sofort in der ganzen Welt, statt die erste Phase mitzunehmen. Das führt dazu, dass man sagt, wir haben ein Leistungsbilanzdefizit und das ist auch auf den Protektionismus von China und dem Betrug der Chinesen zurückzuführen.
Und was machen wir gegen den Betrug? Wir drohen damit, dass wir etwas von ihnen nicht kaufen. Der bessere Weg wäre zu sagen, also wir vernetzen nicht nur die Universitäten, sondern auch die Firmen, wir stellen Ihnen die besten Facharbeiter zur Verfügung, wir schauen auch, dass die Personen, die sich aus dem Geschäftsleben, aus dem Erwerbsleben zurückgezogen haben, vielleicht wieder ihren Beitrag dazu leisten, was sie implizit ja wollen. Dass die „Rust Belt Leute“ einen Job bekommen, der nicht im selben Unternehmen ist und in derselben Branche, wie ihre Großeltern waren, sondern etwas Neues machen. Und dann kann die amerikanische Wirtschaft wieder aufblühen und dazu sollten jetzt die Programme, die jetzt gemacht werden, führen, aber das sehe ich überhaupt nicht in den amerikanischen Programmen, nicht denen, die Trump gemacht hat. Ich sehe es auch nicht in denen, die Biden gemacht hat oder vorgeschlagen hat. Dass diese wiederum in der Krise in die richtige Richtung investieren, ist wichtiger, als darüber zu klagen, dass die eine oder andere Zahl nicht so ist, wie man sie sich wünscht.
Carsten Roemheld: Sie haben schon ein paar schöne Stichworte geliefert zu unserem letzten Themenblock: Thema Globalisierung und Nachhaltigkeit, Zukunft. Wir haben während des Lockdowns gesehen, dass es teilweise zu Lieferengpässen überall kam und dass es zu großen Schwierigkeiten kam. Die Globalisierung ist durch gewisse nationale Interessen schon ein wenig ins Stocken geraten. Es ist gar die Rede davon, dass Corona jetzt sogar das Ende der Globalisierung einläuten würde. Das klingt ein bisschen dramatisch, aber zumindest halten Sie es für möglich, dass die Globalisierung ihren Höhepunkt erreicht hat und jetzt eher wieder auf dem Rückmarsch ist?
Karl Aiginger: Ich glaube nicht, dass sie den Höhepunkt erreicht hat, vielleicht wird sie nicht mehr so rasch fortgesetzt werden wie bisher. Bisher hat es ja besonders in den letzten 30 Jahren eine Turbo-Globalisierung gegeben, dass alles noch schneller ins Ausland oder in den anderen Kontinent verlagert wurde. Es wird jetzt – das Konzept ist also von Danny Roderick und von mir auch sehr stark, von der Harvard-Universität – die verantwortungsvolle Globalisierung geben. Man überlegt sich, dass auch die Globalisierung an Regeln gebunden werden soll, und zwar nicht die, die wir amerikanischen Großunternehmen in die Investitionsverträge hineinschreiben, sondern die, die wir in der Welt gemeinsam erarbeiten, wie: dass es keine Kinderarbeit gibt, dass mit einer Investition auch Ausbildung mit verbunden sein soll, dass eine Investition nicht zur Zerstörung der Umwelt führen kann. Wenn es sich dann noch immer auszahlt, in einem anderen Land zu produzieren, dann ist das ein Vorteil für alle, für das Land, in dem es geschieht. Wenn nicht – wenn es die unverantwortliche Globalisierung ist, dann zerstört man dort die Lebensgrundlage, Wasser und Ähnliches. Und wir haben nichts davon, dass wir dann wieder Produkte bekommen, die qualitativ wenig bieten.
Es werden die Lieferketten überdacht werden, aber das heißt nicht, dass man weniger geliefert bekommt, sondern zuerst „Table Sourcing“ macht, das heißt, dass man jeweils zwei Quellen hat, also am besten eine in einem asiatischen Land und eine in einem afrikanischen Land oder vielleicht eine in Südamerika, so dass man nicht abhängig ist, wenn es irgendwo eine Krise gibt, und dass es bei essenziellen Sachen Reserven gibt. Wir haben uns in der Finanzkrise und in der Erdölkrise in den 70er- und 80er-Jahren angewöhnt, dass wir Erdölreserven haben, wir haben Vorschriften und Erdölreserven. Wir haben keine Vorschriften über medizinische Supplies, also Grundlagen, die man haben muss. Wir werden das jetzt auch entwickeln, wir haben in der Pandemie gesagt, es gibt Probleme mit Schutzausrüstung und Ähnlichem. Wir lernen – und eigentlich bin ich da recht optimistisch.
Es hat hier kein „America first“ oder übertriebenen Protektionismus gegeben. Wir haben uns auch in dieser Krise geholfen. Französische Notfallpatienten wurden in Deutschland akzeptiert. Also hier geht es ein bisschen in die richtige Richtung und ich hoffe auch bei der Impfung, wenn sie kommt, dass sie dann nicht von einem Land aufgekauft wird und dann gelagert wird und zu einem Monopolpreis verkauft wird, sondern, dass es eine gemeinsame Summe gibt. Ich glaube, dass das so sein wird, weil auch die Forschung international ist, die Forscherteams, es gibt hier praktisch kein Team von Forschern, die an einer Impfung arbeiten, die in demselben Land geboren sind, im selben Land forschen, im selben Land das zur Genehmigung vorlegen. Also insofern ist die Globalisierung so weit, dass dieser totale negative Rückschritt nicht mehr möglich und nicht mehr sinnvoll ist. Wir können auch diese Krise dazu nützen, um zu sagen, okay, wir in Europa stehen besser da, wenn wir uns gegenseitig helfen. Wir kommen sogar weltweit besser aus, wenn wir uns auch über die Kontinente darüber unterhalten, Was die beste Lösung ist. Also: Eine verantwortungsbewusste Globalisierung wird weitergehen, Turbos brauchen wir nicht.
Carsten Roemheld: Lassen Sie uns zum Thema Strukturwandel kommen. In der Vergangenheit haben Krisen ja öfter mal einen Strukturwandel eingeleitet, in den 30er-Jahren gab es Fortschritte in Sachen Sozialstaat, Schutz von Arbeitnehmerinteressen, Renten- und Sozialsysteme, Arbeitslosenversicherung, Mindestlöhne wurden damals geschaffen, nach dem Zweiten Weltkrieg gab es mehr Massenproduktion als kleine handwerkliche Betriebe, bei der Finanzkrise kam es zu einem Regulierungsschub im Finanzsektor. Mit welchen strukturellen Veränderungen rechnen Sie in dieser Krise? Es gibt ja einen Trend zur Digitalisierung, der schon länger anhält, kann auch das Thema Nachhaltigkeit vielleicht zu diesen Themen gehören? Was ist hier Ihre Meinung?
Karl Aiginger: Ja, ich glaube, wir brauchen den Strukturwandel und eine Krise ist eine Chance. Schumpeter hat das gesagt: In jeder Krise entstehen die ganz großen Radikalen. Für mich ist ein Kandidat der Ausstieg aus der fossilen Energie. Die meisten Produktionen in der Welt beruhen auf fossiler Energie. Amerika versucht mit ihrem Überschuss einen besonderen Vorteil zu erzielen, Auf der anderen Seite versprechen die Regierungen im Paris-Vertrag bis 2050, in Europa und auch in China, klimaneutral zu sein. Das heißt also, für jede Emission auch einen Rezeptor zu haben, der im Wald oder Ähnliches, der diese Emissionen wieder aufnimmt, sodass netto keine Emissionen mehr in das All gehen. Und das ist ein sehr großer Schritt, das ist für den Verkehr ein großer Schritt. Das heißt, es wird 2030 kein Benzin- oder kein Dieselauto mehr geben.
In einigen Staaten ist das schon angedacht: in Frankreich und in Teilen Deutschlands. In anderen sieht man es also in Ansätzen, dass man in der Nacht nicht mehr fahren darf und in der Region nicht mehr fahren darf, im Fall, dass die gemessene Verschmutzung zu hoch wird. Ich glaube, Klima-Neutralität ist nur möglich, wenn der Verkehr total klimaneutral ist, und das heißt, es gibt kein Benzin- und kein Diesel-Auto und auch keinen oder wenig Busse, die so fahren, und auch für Flugzeuge wird statt Kerosin ein Bio-Kerosin oder irgendetwas anderes notwendig sein, damit das nicht der Fall ist.
Denn: Wir müssen die Emissionen um 80 Prozent reduzieren, und wenn die Wirtschaft hoffentlich sich noch einmal verdoppelt, dann sind das 90 Prozent pro Einheit Wirtschaft, die produziert wird, und diese 90 Prozent minus schaffen wir nur, wenn jene Sektoren, in denen es möglich ist, ganz entkarbonisiert werden. Und dazu zählt der Verkehr. Dazu zählt auch der Haushalt. Es darf kein Haus mehr gebaut werden, kein Bürogebäude, in dem nicht Fotovoltaik oder Erdwärme eine Null oder sogar ein Plus erzeugt, denn den Rest von zehn Prozent oder 20 Prozent, die wir noch an Emissionen brauchen, brauchen wir für die Industrie, brauchen wir für Notfälle. Es geht ja nicht alles mit einem Fingerschnalzen, sondern es braucht Investitionen, Verhaltensänderungen und das kann in dieser Krise beginnen.
Um zu den Tatsachen zu kommen: Die Subventionen für fossile Energie in Europa sind weit höher als die Subventionen für erneuerbare Energien, das muss man sich vorstellen! Der dumme große Bruder, der eigentlich den Klimawandel verhindern will, subventioniert die Methoden, mit denen der Klimawandel verschärft wird. Dann brennt komischerweise der Wald in Kalifornien oder in Australien, ein paar Regierungen sagen, das kommt von irgendwo, von den Blitzen. Aber wir sehen, dass das die menschengemachte Klimaerwärmung ist.
Das zweite Thema, was ähnlich kontrovers und, möchte ich sagen, fast dumm im Management ist, ist die Landwirtschaft. Wir verwenden in der Landwirtschaft Pestizide. Wir verwenden in der Landwirtschaft Düngemittel, damit sie so funktioniert, wie es in Europa funktioniert, und dies ist in den USA wahrscheinlich ähnlich. Wir wissen, dass das genau das Falsche ist – und wir subventionieren, dass der größte Teil des europäischen Budgets bisher in die Agrarwirtschaft geht und hier in die Subventionen für die großen Betriebe. Leichte Verbesserungen sind hier zu sehen, also der Anteil sinkt, er ist nicht mehr der größte, sondern nur noch der zweitgrößte, Kohäsions-Förderung ist mittlerweile der größte im europäischen Budget, aber die Subventionen für die großen landwirtschaftlichen Betriebe sind da. Und mit diesen Subventionen zerstören wir auch den Aufbau einer Agrarproduktion in Afrika.
Die, wenn sie dann die Alternative bekommen, ein rasch verderbliches Nahrungsmittel aus der heimischen Produktion, das man nur drei Tage lagern kann, gegenüber einem europäischen, das man also neun Monate lagern kann, dann nimmt jeder das billigere europäische und damit kann man in Afrika nichts aufbauen, dann brauchen wir wieder Transport. Und das ist auch ein Strukturwandel, der eintreten muss, neben dem industriellen, dem digitalisierten. Das sehen wir alle ein. Es müssen in dieser Krise jetzt die hohen Investitionen, die wir machen, genützt werden für den Strukturwandel und das in Europa, in Afrika, in China und in den USA.
Carsten Roemheld: Wie sehen Sie denn erstens mal Europa aufgestellt beim Stichwort Strukturwandel gegenüber zum Beispiel USA und China? Und zweitens die Frage: Kann der Strukturwandel überhaupt so konsequent durchgesetzt werden, wenn wir gleichzeitig rekordniedrige Zinsen haben und sehr viele Zombie-Unternehmen, die vielleicht länger als üblich am Leben gehalten werden, kann dieser Strukturwandel auf diese Weise überhaupt stattfinden?
Karl Aiginger: Er wird behindert, wenn man die Zombie-Unternehmungen nicht weglasst, aber noch mehr behindert, wenn der Staat und die Europäische Union die Mittel in die falsche Richtung ausgeben. Das ist, glaube ich, eine noch größere Behinderung des Strukturwandels. Und wenn wir jetzt Europa vergleichen, ist der Strukturwandel in Europa relativ am weitesten. Unsere Landwirtschaft ist nicht ganz so großflächig und unökologisch wie die in Amerika oder in Südamerika und im Energiebereich haben wir die höhere Energieeffizienz, einen höheren Anteil an erneuerbarer Energie als alle anderen Kontinente.
China bemüht sich sehr auf diesem Gebiet, siehe Elektroauto und so, aber kommt natürlich aus einer Situation, die viel schlimmer ist. Und, man muss auch dazusagen, China plant in seinem langfristigen Programm mehr neue Kohlekraftwerke, als Europa schließen kann. Also es ist hier ein weiter Weg. Europa hat hier die Chance und das ist, glaube ich, auch eine wichtige Botschaft, hier zum Führer in der Klimapolitik zu werden. In der Klimatologie und im Strukturwandel – und damit bin ich dann in meinem Lieblingsthema: Wir haben in den internationalen Medien, auch in den Finanzthemen oft Berichte, wie Amerika die „outgoing superpower“ ist und wie China die neue Supermacht ist – und über Europa spricht hier niemand.
Fakt ist, dass Europa, das geografische Europa, die größte Wirtschaftsregion der Welt ist, der größte Exportmarkt der Welt ist. Das ist die EU plus Schweiz plus Norwegen plus Westbalkan – wenn man das alles zusammenzählt, haben wir knapp die höchste Wirtschaftsleistung und sind im Exportmarkt überhaupt sehr stark führend; und natürlich auch in den Technologien, in ökologischen Technologien. Das erscheint in den internationalen Meldungen nie, da steht USA, China, Deutschland. Komischerweise ist Deutschland kleiner als China und Amerika, da findet man dann ein paar positive Worte für die tüchtigen Deutschen und damit ist es das. Aber wenn sie die Europäische Union zusammenzählen, ist die eigentliche Chance, wenn es eine neue Weltordnung gibt, dass Europa eine dieser drei großen Zentren wird, es muss keine „hard power“ sein im Sinne, dass wir Militär herumschicken können, das wird‘s auch nie sein, aber eine „soft power“, eine ökologische wahrscheinlich. Nur muss Europa dann zusammenhalten, sagen, das können wir gemeinsam machen. Den Green Deal, den machen wir gemeinsam, die neue Sozialpolitik stellen wir gemeinsam auf und das machen wir, das bitt ich dann auch immer die Medien, das zu sagen, also, wenn ich die Financial Times spreche, sag ich, bitte schreibt‘s nicht alles immer über Deutschland, sondern schreibt‘s über Europa. Ihr könnt’s ja dazusagen, dass dieses Europa ein zerstrittenes Europa ist und ähnliches, macht auch nichts. Wir sehen, dass die USA auch ein polarisiertes Land ist, auch zerstritten ist und auch nicht alle der gleichen Meinung sind, und wir sind auch auf dem Prozess dahin, aber das ist es.
Und Europa muss das selber auch machen. Ich sage immer, Europa verzwergt sich selbst, indem es auch sagt, wir Deutschen, wir Franzosen, wir Italiener machen das und das am besten, sondern wir sagen, manches machen wir gemeinsam am besten. Und dann können wir ein gewisses Vorbild sein in der neuen ökologischen Weltordnung und in einer neuen humanen Weltordnung. Wir werden die multilateralen Verträge einhalten. Wir werden mit den Internationalisierungsverträgen schauen, die Globalisierung so zu beeinflussen, dass sie verantwortungsbewusst ist. Wir arbeiten daran, wir sind nicht perfekt, wir brauchen Partner und dann sind wir der dritte Pol zwischen wartenden „middle powers“, die warten ja darauf, dass sie die Pole der Welt werden, vom Iran bis Putin träumen, gibt‘s ja auch alles Mögliche. Und auch da glaube ich, dass also Europa die Chance hat, das beste Modell im Sinne von sozialökologisch und international anzubieten.
Carsten Roemheld: Das klingt ja sehr positiv und es ist auch schön, dass wir auf ein positives Wort enden. Ich möchte die letzte Frage stellen zum Thema Klimapolitik. Sie hatten es schon angesprochen: Das kann eine sehr große Dimension haben und die EU-Kommission hat ja diese Größe der Frage auch betont, indem sie quasi den European Green Deal in die Tradition des New Deal in den USA gestellt hat, der ja damals von 1933 bis 1938 unter Präsident Roosevelt als Antwort auf die Weltwirtschaftskrise durchgesetzt wurde. Inwieweit, finden Sie, trägt dieser Vergleich und welche Rolle spielt die aktuelle Covid-Krise für das geplante europäische Jahrhundertwerk?
Karl Aiginger: Es ist wahrscheinlich … es ist ein sehr sinnvolles Projekt. Es ist ein sehr teures Projekt. Es ist ein Projekt, das uns sehr viel Zukunft bringt, sehr viel Arbeitsplätze und sehr viel Gesundheit. Und es ist nicht das Einzige: Wenn wir nur einen Deal machen, werden wir wahrscheinlich nicht zu dieser neuen wirtschaftlichen sanften Superpower werden, aber er ist ein wichtiges Bestandteil dessen. Ein anderer Bestandteil ist, die internationale Kooperation der Länder kennenzulernen, wie können wir als einzelne Nationen miteinander etwas gemeinsam machen und gemeinsame Projekte machen. Also es ist eines der Projekte, andere müssen soziale Projekte oder Digitalisierungsprojekte sein und wir müssen vor allem auch Partnerschaften suchen. Und wir müssen unsere Demokratie entwickeln und da sind wir vielleicht noch ein bisschen mit dem Blick auf die Demokratie Amerikas.
Ich gehe noch ein paar Jahrzehnte zurück. Woodrow Wilson hat gesagt, Amerika ist dazu da, um die Demokratie weltweit zu verbreiten. Da muss ich jetzt sagen, welche Demokratie ist das, ist das die Demokratie, bei der die Bürger und Bürgerinnen über die Ziele des Landes bestimmen, wo ein Präsident, wenn er abgewählt wird, auch sagt, ich trete zurück, wo das, was die Bevölkerung will, auch durchgeht? Wir haben aus Amerika Umfragen – und das hat jetzt mit Trump und Biden nichts zu tun – die sagen, die amerikanische Bevölkerung will, dass die amerikanische Politik mehr gegen den Klimawandel macht. Wir wollen, dass es weniger Ungleichheit in Amerika gibt. Aber das spielt sich in den politischen Persönlichkeiten, in politischen Programmen absolut nicht wider.
Also der Wille der Leute, in welche Richtung sich die amerikanische Gesellschaft entwickeln soll, spielt in den Programmen keine Rolle, auch da müssen wir schauen: Ist das das richtige Demokratie-Modell, können wir das noch verbessern? Es gibt in allen Ländern Probleme mit der Demokratie, also Mehrheitswahlrecht führt immer dazu, dass jemand, der etwas weniger als 50 Prozent der Stimmen hat, zu einer Mehrheit kommt, aber es hat seine Grenzen und wir haben eine Gewaltenteilung. Es ist immer schwierig, wie die Gewaltenteilung ist, ganz unabhängig dürfen die Richter nicht sein, dann schweben sie im elfenbeinernen Turm von einer Wolke und niemand nimmt zur Kenntnis, was sie sagen. Aber sie auf Lebenszeit zu ernennen, wenn man im Senat eine Mehrheit von einer Stimme hat, ist wahrscheinlich auch nicht das richtige Modell. Also wir müssen uns überlegen, wie schaut ein zukünftiges Demokratie-Modell aus, in dem es mehr Partizipation gibt, in der es mehr Mitbestimmung der Bevölkerung gibt, in der die Ziele der Bevölkerung sich auch in den politischen Programmen widerspiegeln, in denen Wechsel möglich ist, also nicht eine hybride Demokratie, nicht eine illiberale Demokratie, sondern eine weiterentwickelte. Es ist ein schwieriges System, aber es ist das Beste, was wir haben, wir müssen aber daran arbeiten, dass es besser wird, besser wird und besser wird.
Carsten Roemheld: Sie haben es gerade erwähnt, es bleiben einige Fragen offen. Ich hoffe, wir konnten heute einige andere Fragen wiederum klären und eine Antwort dafür finden. Vielen Dank, Herr Professor Aiginger, für Ihre wertvollen Einsichten. Das soll‘s heute gewesen sein. Wir danken auch Ihnen, liebe Zuhörer, dafür, dass Sie so aufmerksam bis zum Schluss dabei waren, hoffen, dass wir Ihnen einige Anhaltspunkte mitgeben konnten. Und wir würden uns sehr freuen, wenn sie auch das nächste Mal wieder beim Fidelity Kapitalmarkt-Podcast dabei sind. Bleiben Sie gesund in dieser schwierigen Zeit.
Alles Gute
Ihr Carsten Roemheld.