Alexander Barion: Herzlich Willkommen zum Fidelity Finanztalk heute auf dem Finance Festival, eine Premiere. Wir hatten uns in der Vorbereitung gedacht, es macht Sinn, dass wir uns darüber Gedanken machen, wie wir Transformation wirklich hinbekommen, weil in diesem Land viel darüber geredet wird, was alles nicht geht. Und vielleicht können wir so ein bisschen Augenmerk auf das richten, was vielleicht möglich wäre, in den nächsten 45 Minuten. Und dazu habe ich zwei sehr interessante Gäste.
Ich fange an mit Maja Göpel: Maja Göpel hat bereits zwei Bestseller zu all diesen Fragen geschrieben rund um Transformation und Change Management und wie es gelingen kann, diesen Planeten zu retten. Das eine Buch heißt „Wir können auch anders“, das andere heißt „Unsere Welt neu denken“.
Bis vor kurzem war Maja Göpel wissenschaftliche Direktorin der Denkfabrik The New Institute und Generalsekretärin des Wissenschaftlichen Beirats der Bundesregierung „Globale Umweltveränderungen“. Zuvor hat sie das Berliner Büro des Wuppertal Instituts für Klima, Umwelt, Energie geleitet. Sechs Jahre lang hat sie in Hamburg und Brüssel das World Future Council mit aufgebaut. Sie hat Medien- und Volkswissenschaft studiert und ist Mitglied im Club of Rome, im World Future Council, in der Balaton Group, dem Bio-Ökonomierat der Bundesregierung und eine der Gründerinnen der Initiative Scientists4Future. Maja Göpel, vielen Dank, dass Sie heute da sind.
Und dann haben wir Carsten Roemheld. Er ist Kapitalmarktstratege bei Fidelity. Viele werden ihn kennen aus Podcasts, aus dem R-hoch-3-Format, das du ja zweiwöchentlich machst, und vielleicht auch aus dem einen oder anderen Fidelity Finanztalk, wo Carsten regelmäßig mit dabei ist. Schön, dass du da bist, Carsten.
So, jetzt haben wir mich sehr viel gehört. Ich stelle gleich die erste Frage, dass das mal aufhört mit mir. Wir hatten eine Europawahl. Und in der Europawahl hatten wir ein interessantes Ergebnis. Ich möchte weniger eingehen auf die politischen Kraftverhältnisse. Es geht mir mehr um die Themen, die diese Europawahl bestimmt haben. Und während 2019 Klima an erster Stelle stand und dann Frieden, dann Zuwanderung und dann Wirtschaft, also ökonomisches Umfeld, hatten wir ja jetzt die Situation, dass an allererster Stelle Frieden stand bzw. Krieg, Zuwanderung, Migration, dann Wirtschaft und dann erst Klima. Also Klima ist tatsächlich von der Agenda gerutscht, wenn man so will. Es ist ein bisschen unangenehm, weil wir alle wissen, dass, wenn wir das Thema Klima nicht in den Griff kriegen, werden wir größere Probleme haben mit Kriegen auf dieser Welt. Wir werden mehr Zuwanderung bekommen aus Bereichen dieser Welt, wo man nicht mehr leben kann und es wird wirtschaftlich große Verwerfungen geben. Also Klima ist nach wie vor wichtig - und deswegen meine erste Frage, Frau Göpel: Wie konnte das passieren? Warum ist Klima so aus dem Augenmerk verschwunden?
Maja Göpel: Also erst mal bin ich total dankbar, dass Sie schon mal differenziert haben. Klima ist immer noch eines der Top-4-Themen und das ist es seit langem. Und das ist eigentlich sozialwissenschaftlich betrachtet eher auch erstaunlich, denn die anderen Themen fluktuieren stärker, kommen manchmal sehr nach oben und dann rutschen sie aber auch wieder ganz weg. Und deshalb ist ja wichtig zu sagen, wenn die grünen Parteien weniger Punkte bekommen haben, heißt das nicht unbedingt, dass das Klimathema komplett bei den Menschen weg ist, sondern eher das Vertrauen daran, dass Klimapolitik gut funktioniert hat. Und wir müssen natürlich schauen, der Unterschied zwischen 2019 und 2024 ist, dass wir a) die Pandemie hatten, b) jetzt einen Krieg haben und c) natürlich Inflation haben, was das Gesamtgefühl von der Existenz, die ich tagtäglich vorfinde, natürlich sehr verändert. Und das wissen wir auch aus der Forschung, dass die Dinge, die heute in meinem Alltag direkte Auswirkungen haben, dann in meiner Prioritätenliste eher nach oben rutschen. Und dass die Dinge, und das ist bei dem Klimawandel ja so ungünstig, nenn ich es mal, dass wir das nicht so fassen können. Also wir können ja diese CO2 -Moleküle nicht sehen, wie die irgendwo rausemittiert werden und landen. Und dann sind die Konsequenzen immer noch Zeit und Ort verzögert. Also jetzt kommt es auch bei uns an. Ich denke, da reicht der Blick schon wieder auf die europäische Landkarte, um zu sehen, dass das nicht sehr kommode Lebensverhältnisse werden. Und natürlich genau die wirtschaftlichen Folgen auch mit sich bringen wird, die Sie erwähnt haben. Aber unsere Handlungsfähigkeit und das, wo wir denken, wo wir kurzfristig etwas stabilisieren und verbessern können, das ist bei den anderen Themen eher gegeben. Die sind uns sehr nahe. Und das ist immer wieder das Problem bei diesen großen ökologischen Fragen, bei Wirkung und Ursache, in dem Sinne, wo kann ich handeln und wie wird es sich verändern, wir da eben eine andere Verhältnismäßigkeit haben.
Alexander Barion: Also ich wundere mich schon sehr: Was muss denn noch passieren? In Süddeutschland haben die Leute ihr Hab und Gut verloren, es sind Menschen gestorben, übers Ahrtal müssen wir nicht mehr reden. Wir haben, auch wenn es sich jetzt nicht so anfühlt, drei Hitzesommer hintereinander, wo wir Hitzetote hatten und das sind ja alles nur Dinge in unseren Gefilden. Wir hatten beispielsweise vor zwei Jahren Eckart von Hirschhausen ein einem Finanztalk und der hat gesagt, wir haben eine Körpertemperatur von 37 Grad und wenn es immer wärmer wird, werden wir irgendwann nicht mehr leben können. Wir haben jetzt, heute früh im Radio wiedergehört, es sind über 400 Leute gestorben in Mekka, Medina, weil sie bei über 50 Grad Hitze draußen waren. Also wir haben ja jetzt schon die Probleme und wir haben jetzt schon Versicherungen, die nicht mehr gewillt sind, für die Kosten aufzukommen. Warum ist es so ein Riesenproblem, politisch, gesellschaftlich, für jeden Einzelnen von uns, für Unternehmen, endlich was zu tun?
Maja Göpel: Ja, ich glaube auch da ist es wichtig, unterschiedliche Ebenen zu sehen. Das eine nennen wir „Collective Action Problem“ und da haben natürlich die Form der Berichterstattung und die Art, wie wir über andere denken, auch viel mit zu tun. Also wenn wir insgesamt sehen, was ist die Bereitschaft sich zu verändern, ist die relativ hoch, wenn wir Individuen fragen: Ja, ich würde ja einen nächsten Schritt gehen, ich würde was anders machen und dann kommen auf einmal so die anderen ins Spiel. Die anderen, denen misstrauen wir zu einem größeren Ausmaß, ob die da mitziehen würden. Dieser Diskurs und diese Einschätzung wird ja durch eine mediale Berichterstattung und insgesamt vor allem auch durch die Algorithmisierung, die ja die negativen Trends nach oben bringt, die richtig agitierten Meldungen nach oben bringt - also ich weiß nicht, wer so die letzten zwei Jahre beobachtet hat, was aus Social Media wirklich abstürzt oder seit Elon Musk Twitter übernommen hat, das ist ja eine Höllenbude geworden. Und wenn ich dann denke, dass das repräsentativ ist für das, wie Menschen auf die Welt schauen und ihre Bereitschaft äußern, überhaupt etwas zu verändern, kann ich schon verzweifeln. Und dann fange ich natürlich an meine eigene Bereitschaft wieder runterzufahren. Und das ist dieses „Collective Action Problem“.
Deshalb gibt es viele sozialwissenschaftliche Studien, damit komme ich zu dem zweiten Punkt, in denen Menschen, die verstanden haben, was die Größenordnung des Problems ist, wir brauchen mehr Regeln und auch wirklich Verbindlichkeiten, das alle mitmachen. Denn dann weiß ich, dass mein kleiner Beitrag mit den vielen anderen kleinen Beiträgen in der Summe überhaupt das Problem adressieren kann. Und dann haben wir da die Multi-Ebenen. Selbst wenn wir in Deutschland sagen, wir könnten ein Klimageld auch sozialgerecht ausstatten, in der Anziehung des CO2 -Preises, was dann wieder die Märkte brauchen, damit die Investitionen umshiften können, andere Technologien entwickelt werden. Und dann kann man das sozialgerecht gestalten. Aber wenn wir das machen und die Chinesen nicht, das ist ja ganz beliebt, dann wird es eh nicht gehen. Und deshalb hat man immer so einen „Schieberitis-Bahnhof“, wo man sagen kann: Wenn wir nicht und die nicht und die anderen nicht, dann ich auch nicht. Und dann kann man sich so ein bisschen erleichtert wieder zurücklehnen. Und da ist es natürlich auch wichtig zu zeigen, wie wir in der Summe der Veränderung dann auch diese Probleme in den Griff bekommen und warum es auch ganz viele Nebenvorteile gibt. Und das ist auch total schief gegangen. Also ich glaube, jede und jeder von uns wird da mitgehen, dass es gut ist, wenn Hitze kommt, zu sagen, wir begrünen die Innenstädte, weil dann wird es kühler. Es ist auch wieder schöner. Viele mögen auch eigentlich dieses Gefühl von Schatten oder auch Natur erleben in diesen Betongefilden. Das heißt, wir können ja viele Co-Benefits eigentlich von den Klimapolitiken auch kommunizieren. Das haben wir nie gemacht. Wir haben immer gesagt, es wird teuer, es wird doof, es wird unbequem. Diese Verlust-, Verbot-, Verzicht-Rhetorik, die wird natürlich auch sehr bewusst gepflegt, das ist mein letzter Punkt, von denen, deren Geschäftsmodelle intensiv angezählt werden. Also wenn man die Klimaveränderung wirklich angehen will, ist völlig klar: Fossile-Energien haben keine Zukunft. Punkt. Und da implizit dahinter sind natürlich ganze Staaten, die sagen, das wäre jetzt für unsere Volkswirtschaft eine größere Herausforderung als für andere. Da sehen wir geopolitisch, was sich da Bahn bricht. Wir sehen aber auch einige Sektoren, auch in Deutschland, die da einfach ziemlich renitent sind, das in einer gewissen Ernsthaftigkeit zu vollziehen. Da haben wir sehr stark gesehen, als 2019, 2020 wirklich das Gefühl war, wow, jetzt ziehen alle an einem Strang. Die For-Future-Bewegung war da, der Green Deal war da, das World Economic Forum hat klar gemacht, das ist die Richtung. Da wurde dann auch sehr aggressiv auf einmal wieder in diese Fehl-Kommunikation investiert. Inklusive natürlich jetzt auch den Krisengewinnen, die dann benutzt werden, um die Veränderung im fossilen Energiebereich ein Stück weit aufzuhalten. Also müssen schon auch mit diesem Backlash umgehen, mit Verständnis für Macht und Interessen.
Alexander Barion: Carsten, jetzt hole ich dich da mal mit rein. Vielleicht eine unangenehme Frage: Wie akzeptabel ist es eigentlich? Also ich fange jetzt mal mit meiner Wahrnehmung an: Dieses Thema, wir müssen was für diesen Planeten tun, um hier weiterleben zu können, hat nach meinem Empfinden eine sehr starke Delegation auf den Einzelnen. Also, du musst weniger fliegen, du musst weniger Fleisch essen, du musst dir Gedanken machen, mit wie viel Plastik deine Lebensmittel eingepackt sind, du musst dir bitte fünf Jute -Säcke kaufen und die 35 Jahre lang benutzen, damit es ökologisch sinnvoll ist. Werden Unternehmen eigentlich ihrer Verantwortung da gerecht? Also ist es eine faire Frage: Warum muss eigentlich das einzelne Individuum die ganze Verantwortung tragen, es gibt ja auch noch andere Teilnehmer in dieser Gesellschaft. Ich frage dich das ganz bewusst als Kapitalmarktstratege: Haben Unternehmen da irgendwie den Zug verpasst oder lehnen die sich da zu sehr zurück?
Carsten Roemheld: Also das kann ich in der Gänze so nicht bestätigen. Also wir sind ja auch sehr stark und viel im Gespräch mit Unternehmen. Wir haben 20.000 Unternehmenskontakte pro Jahr und in den Gesprächen spielt Nachhaltigkeit eine große Rolle. Das Thema ist bei uns schon sehr lange auf der Agenda und tatsächlich ist es so, dass die Bereitschaft von Unternehmen, was zu bewegen, größer ist, als man gemeinhin annehmen kann. Also in den Gesprächen, bei denen wir auch bestimmte Ziele vereinbaren, in einzelnen Fragen der Nachhaltigkeit – das betrifft ja die Begriffe E, S und G im weitesten Sinne, da können wir schon seit einigen Jahren eine Veränderung auch in dem Gedankengut der Unternehmen feststellen, auch in den Bereichen, etwa geografisch, wo man das vielleicht nicht vermuten würde: in Asien, auch in China zum Teil. Insofern muss ich schon sagen, dass seit der Zeit, als dieses Thema vor einigen Jahren stärker aufgekommen ist, das Interesse auf der Unternehmensseite nicht so stark abgerissen ist, wie vielleicht auf der Konsumenten- und der Investorenseite. Da gab es diese Schwankungen viel stärker. Unternehmen sind eigentlich bereit, einen Teil des Weges zu gehen. Und da hat man natürlich als Kapital-Sammelstelle, die mit den Geldern der Investoren auch viel bewegen kann, auch eine Verantwortung in dem Bereich.
Alexander Barion: Ich lasse dich da jetzt noch nicht so ganz raus. Man fühlt es halt so anders.
Carsten Roemheld: Also vielleicht noch einen Punkt dazu. Das ist natürlich auch eine globale Frage. Frau Göpel hat es sehr gut gesagt: Viele empfinden es vielleicht so, dass man in Deutschland jetzt stärkere Regeln einhalten muss und stärker an die Kandare genommen wird, obwohl man eigentlich viel weniger Impact hat, sage ich mal global gesprochen, als jetzt eine große Nation wie China, die vielleicht in der Summe bei Weitem nicht so viel tut. Deswegen ist das einzige aus meiner Sicht sinnvolle, wenn man – und das ist leichter gesagt als getan – es in irgendeiner Art und Weise schafft einen globalen Konsens herzustellen, bei dem die Leute mit im Boot sind. Es bringt einfach nichts, wenn wir uns hier noch so anstrengen. Es ist schön und es hat auch eine Vorbildfunktion, keine Frage. Aber wir müssen alle mit ins Boot nehmen, die an diesen klimaverändernden Maßnahmen beteiligt sind und deswegen hilft es eigentlich nur, wenn es da gewisse Richtlinien gibt, an die sich auch alle im Grundsatz nachhalten. Sonst können wir uns hier relativ vergeblich noch so sehr bemühen und dann wird es nichts.
Alexander Barion: Da höre ich ja so ein bisschen den Wunsch nach Regulierung raus, wenn ich das mal so sagen darf. Das ist eine gute Vorlage für den Social Green Deal oder den Green Deal der EU. Das wäre ein Framework, an dem man sich orientieren kann. Da werden zumindest in eingeschränkten Maßen ein paar Leitplanken eingestellt. Sind wir da auf einem guten Weg, frage ich Sie, Frau Göpel? Denn auch da habe ich den Eindruck, dass wir viel reden, aber wenig ins Tun kommen.
Maja Göpel: Ich würde den Punkt gern aufgreifen, weil wir haben für bestimmte Herausforderungen immer die bestmögliche Governance-Ebene, bei dem Thema Klima – aber auch Biodiversitätsschutz und Wasser - das sind die anderen beiden Riesenthemen, wo sie im Moment nicht mit Naturwissenschaftler:innen sprechen können, ohne dass Sie danach erst mal drei Kaffee brauchen oder vielleicht einen Schnaps. Und deswegen ist es ja so wichtig auch zu sagen, warum ist ein Wiederaufbauen der Resilienz, der Fläche, der Integrität, der Ökosysteme, die allerbeste Wohlstandssicherungsstrategie und vor allem auch Lebensqualitätsstrategie und Gesundheitsstrategie für Menschen. Und da ist es eben mal wichtig zu überlegen, mit welchen Disziplinen spreche ich, um zu verstehen, wo Ressourcen eigentlich herkommen. Und dass sie sich natürlich nur in einer gewissen Form und Geschwindigkeit wieder aufbauen können. Und da können wir noch so oft sagen, ich will aber jetzt mehr haben. An dem Gras ziehen wird es nicht schneller wachsen lassen. An den Bäumen auch nicht. Und je mehr der Klimawandel reingrätscht, das sehen wir ja jetzt schon, umso mehr gibt es dann auch etwas wie Climateflation. Das heißt, es wächst einfach nichts mehr und dann wird jedes einzelne Produkt teurer. Einfach, weil der Bestand reduziert ist. Und deswegen ist es auch da so wichtig, immer zu differenzieren, auf welcher Ebene kann ich etwas machen, um zu versuchen, dieses Problem in den Griff zu bekommen. Und die Global Commons - Klima, Biodiversität und Wasser, aber auch so etwas wie Friedenssicherung und Gesundheitssicherung bei Pandemien am besten geregelt werden könnten, sind global. Das ist so. Und wir haben ja mit den Vereinten Nationen deshalb auch viel bewegt. Und da kamen auch die ganzen Konventionen her. Wie verstehen wir die Wüstenbildung? Wie verstehen wir die Biodiversität? Was sind die besten Schutzmaßnahmen? Was ist die Verständigung in den Wissenschaften, und was sind die möglichen Pfade der Anpassung?
Wenn das aber heute schwieriger wird, weil die globale Lösung sich durch die geopolitischen Verschiebungen so ein bisschen herausfordert. Und klar, es ist immer noch das Beste, einen globalen CO2-Preis in einer Größenordnung zu haben, der das für alle gleich machen würde, dann ist es trotzdem wichtig nach dem nächsten Schritt zu suchen, anstatt in der Paralyse-Prophylaxe rumzuhängen. Weil damit kommen wir nicht in die Bewegung. Und deshalb ist mir so wichtig zu betonen, dass auf der regionalen Ebene, wie in den EU-Ländern, viele Maßnahmen, die weitergegangen sind, auch einen positiven, im Sinne von zielerreichenden Spill-Out-Effekt haben. Das sehen wir bei dem „Carbon-Border-Adjustment-Mechanism“, also dem Außengrenzen-Abgleich für die CO2-Besteuerung, die jetzt intern ist. Da kommen jetzt mehr und mehr Länder in die Richtung zu sagen, okay, dann führen wir sowas auch ein. Wir fangen an, das zu sehen bei dem Lieferkettengesetz. Und das ist ja auch wichtig, dass die Industrie das in der EU vermerkt, zu sagen: Das ist super, das wir das haben, aber wenn die, die importieren, das überhaupt nicht einhalten müssen, dann haben wir natürlich einen Preisnachteil intern. Das heißt aber auch, dass es eine Chance gibt für andere Staaten, die sagen, wir möchten da weiter importieren, wir möchten eine gleiche Qualität haben. Beim CO2-Preis ist das das beste Argument. Das ist ja für jedes Land logisch: Es ist besser, ich ziehe die Steuer ein, anstatt dass die EU das an der Außengrenze macht. Und so kann man eben auch mal gegen das „Geht nicht, geht nicht“ sagen: „Geht schon!“ Also man muss halt mal wollen, man muss mal mutig vorausgehen, muss vielleicht auch mal zwei, drei Jahre warten, bis das Ding verfängt. Und das ist das Wichtige beim Green Deal. Also wenn man sich überlegt, eine europäische Einigung, da haben wir jetzt fünf Jahre dran gearbeitet, eine Vision, eine Programmatik zu übersetzen in neue Strukturen, Governance und Abstimmung, Förderprogrammen und so weiter. Die wirkliche Implementierung, das sehen wir auch bei den Berichtspflichten und anderem, fängt jetzt an.
Und klar nervt die zu einem gewissen Anteil und man kann es verbessern, aber dann auch zu sagen: „Wir fangen jetzt mal an, machen sie erst mal 80 Prozent anstatt 100“, das verlangt auch übrigens keiner. Da wird auch so viel Mist erzählt, dass Sie übermorgen irgendwie vor den Kadi gezogen werden, wenn in der 14. Stufe der Supply Chain die Tochter ohne Führerschein Auto fährt. Was habe ich mir für ein Scheiß angehört. Und das ist halt wirklich auch wichtig zu unterscheiden: Zu sagen, es ist nicht perfekt, aber wir fangen an. Und im Anfang entdecke ich Potenziale. Und das ist mir so wichtig mit IBM Business Value Studies. Der Global Compact unterscheidet inzwischen zwischen transformativen CEOs und normalen CEOs. Weil wir sehen, das hat ganz viel mit dem menschlichen Wollen zu tun, ob in meinem Geschäftsmodell Sustainability als ein Purpose eingebaut wird oder ich völlig genervt den nächsten Wurmfortsatz des Compliance Reportings mache. Das macht mit Mitarbeiter:innen was ganz anderes.
Und es passieren super Sachen. Ich bin im Aufsichtsrat von der DEG. Das ist der in Schwellenländer investierende Arm unserer KfW Bank. Erst gestern haben wir da wirklich so tolle Beispiele gefunden, weil dieser Investor sehr intensiv begleitet in Transformationsprozessen, also langfristige Kapitalverfügbarkeit mit klarem Scoring des Wiederaufbaus, auch von Arbeitsplätzen. Also Workforce-Readiness, ist ein integraler S-Bestandteil vom ESG; aber tatsächlich auch erst mal Checks anzubieten vom BMZ, ein bisschen co-finanziert: Wie kann ich Ressourceneffizienz steigern? Wie kann ich das mit der CO2-Absorption machen? Wie kann ich mein Business-Modell diversifizieren, in der Region besser vernetzen? Und das sind dann total tolle Vorreiterunternehmen. Das ist so inspirierend. Und wenn die kommen und hier reden von dem, was sie da alles in die Welt bringen, da wünsche ich mir manchmal, dass der larmoyante deutsche Betrieb hier mal zuhört. Da liegt so viel und da ist so viel Power drin und das würde ich mir als Spill-In-Effekt – um das abzuschließen – hier wirklich auch manchmal sehr wünschen.
Alexander Barion: Es gibt nichts Gutes, außer man tut es. So einfach kann es sein. Jetzt würde ich gerne nochmal ein bisschen den Fokus darauf richten, an was messen wir eigentlich Erfolg und an was messen wir wirtschaftlichen Erfolg. Es ist ja so: Ohne den wirtschaftlichen Erfolg wird es sehr schwierig werden, diesen Planeten zu retten. Und es sind ja keine Interessen, die unbedingt gegeneinander gehen. Sie sind ja Mitglied im Club of Rome. Und der Club of Rome definiert ja Wirtschaftswachstum anders als es das Inlandsprodukt tut, weil der Club of Rome sagt, wir müssen im Prinzip die Ressourcen dieses Planeten einfach aktiv mitberücksichtigen. Wir müssen zum gewissen Grad bepreisen, was Luft, die wir verbrauchen, kostet, was CO2 ganz grundsätzlich in der Produktion kostet, was der Verbrauch von Ressourcen dieses Planeten mit sich bringt. Und im Bruttoinlandsprodukt, zumindest dieses Landes, spielt es keine Rolle. Und die Frage wäre jetzt, wenn wir so ein anderes Verständnis von Wachstum etablieren, kann man damit noch Geld verdienen? Gibt es dann Geschäftsmodelle, die eigentlich sagen müssten: Die Produktion meines Produkts geht so zu Lasten dieses Planeten, dass ich eigentlich nicht mehr sinnvoll wirtschaften kann?
Maja Göpel: Ja, das gibt's.
Alexander Barion: So Carsten, wie findest du das?
Maja Göpel: Wir nennen das in der Vergangenheit im Grunde genommen kreative Zerstörung, nach dem österreichischen Ökonom Joseph Schumpeter. Ganz wichtiger Grundsatz von Fortschritt in einer Gesellschaft, dass man die Dinge, die veraltet sind, loslässt und dafür Platz für Neues macht. Japan hat das Top-Runner-Prinzip, wo sie sagen, gerade bei großen Weißgeräten und anderen, dass man irgendwann regelmäßig den am wenigsten effizienten Stumpf aus dem Markt kegelt. Warum soll man sich mit minderwertiger Ware weiter beschäftigen, nur weil sie eben billiger angeboten werden kann? In dem Moment kann ich ja auch aufhören, billiger anzubieten, weil ich sage, gewisse Standards müssen erfüllt werden. Ich kann es bei Bepreisung machen, aber Preise sagen ja nicht die Wahrheit. Das heißt, wenn ich einen funktionierenden Markt haben möchte, und das wichtigste Informationsinstrument ist der Preis, dann muss er wenigstens in angemessener Weise annähernd sagen, was die Kosten sind, die in ihm eingebaut sind. Und das haben wir bei allen ökologischen Themen einfach nicht. Und deshalb fahren wir blind.
Wir sind mitten in der Truthahn-Illusion. Ich fand das total super. Das war der Begriff. Wir tun so, als ist da was stabil und würde stabil bleiben. Dabei erodieren wir in einer Kontinuität die Voraussetzung dafür, dass es stabil bleibt und dann auf einmal Black Swan – huch! Jetzt kommt hier aus dem Boden nichts mehr rausgewachsen. Das ist ja doof. Jetzt steht das da unter Wasser. Das ist ja doof. Das konnte ja keiner wissen. Wie wir jetzt gerade gehört haben von einem Ministerpräsidenten. Das stimmt nicht. Das ist völlig klar dokumentiert. Jetzt brauchen wir halt eine Bereitwilligkeit und Instrumente menschlicher Kooperation.
Und wir sind ja genial: Also was wir uns schon alles ausgedacht haben – Geld ist ja die faszinierendste soziale Technologie überhaupt – so in Stellung zu bringen, dass es das leichter macht, die besten Ergebnisse und die besten Produkte und die besten Dienstleistungen so zu verallgemeinern, dass es für Konsumentinnen auch nicht so eine blöde Vorstellung ist: Oh Gott, wird das „lame“, wenn ich mich jetzt irgendwie nachhaltig im Alltag bewegen soll. Heute? Ja! Aber wir wollen ja andere Infrastrukturen, wir wollen andere Angebote, wir wollen andere Produkte in den Regalen.
Alexander Barion: Ja, aber jetzt ist es natürlich gegebenenfalls für Regierungen schwierig, wenn sie feststellen, dass ihre Schlüsselindustrien, die Arbeitsplätze und schlichtergreifend Steuereinnahmen sicherstellen, damit der ganze Laden am Laufen bleibt, wenn genau diese Schlüsselindustrien genau in den Bereichen unterwegs sind, die eben problematisch sind von längerfristigen Gedanken, wenn es um die Ressourcenschonung geht. Und ganz oft wird in dem Kontext auch von Innovationen geredet.
Jetzt möchte ich dich, Carsten, tatsächlich mal ein bisschen mit reinholen: Sind wir hier vielleicht zu fortschrittsgläubig? Brauchen Unternehmen - du hattest es ja eingangs auch gesagt – Richtlinien? Auf der einen Seite Freiheit, auf der anderen Seite mehr konkrete Vorgaben, mehr Ordnungspolitik, damit sie eben in den Bedingungen, die ihnen gestellt werden, produktiv sind und wirtschaften und nicht generell frei radikal wirtschaften? Das ist ja die eine Frage. Und wenn ich noch die andere da anschließen darf: Wir reden hier oder es gibt politische Kräfte, die reden sehr viel von Technologieoffenheit. Ist das wirklich Technologieoffenheit oder Ideenlosigkeit? Am langen Ende gibt es ja unendlich viele bereits existierende Technologien, die man vielleicht einfach nur pushen und fördern müsste, um vielleicht in einen Wettbewerbsvorteil zu kommen, um wirklich was zu verändern?
Carsten Roemheld: Da habe ich ein bisschen eine differenziertere Meinung. Ich bin nicht der Meinung, dass man den ordnungspolitischen Rahmen und die Leitplanken so vorgeben sollte, dass alle Schritte einer bestimmten Entwicklung vorgegeben werden dürfen. Das halte ich nicht für sinnvoll. Sondern ich glaube, ein ordnungspolitischer Rahmen ist dann sinnvoll, wenn man eine gewisse Zielvorgabe hat, und eine gewisse Technologiefreiheit zulässt. Sonst wäre Innovation und Fortschritt nicht möglich. Es gibt ja Möglichkeiten, vielleicht auf anderen Wegen zum Ziel zu kommen, auch Wegen, die man heute vielleicht noch nicht kennen mag. Also beispielsweise CO2-Vermeidung kann man natürlich erreichen, indem man einfach weniger produziert und weniger fossile Brennstoffe verbraucht.
Man kann sie aber auch erreichen, indem man vielleicht CO2 schafft abzuspalten, es in irgendeiner Art und Weise sozusagen vom Produktionsprozess wegzunehmen und dadurch eine Reduzierung zu bekommen. Es gibt also verschiedene Wege, wie man ein bestimmtes Ziel erreichen kann. Deswegen glaube ich, ist es schon sinnvoller die Politik, die sich auch, glaube ich, nicht mit allem am besten auskennt, ihre Zielvorgaben hat und den Unternehmen eine gewisse Freiheit lässt, auch ihre Innovationsfähigkeit und ihre Kreativität auszuleben. In bestimmten Rahmen, wohlgemerkt.
Du hast am Anfang gefragt: Sind wir zu fortschrittsgläubig? Fortschritt ist eine der wichtigsten Zugfedern überhaupt für die Wirtschaft und ein gewisses Wachstum ist heutzutage notwendig, um den Kuchen, von dem ja alle irgendwie auch leben, einigermaßen groß sein zu lassen. Wenn der Kuchen stark verkleinert wird, dann reden wir nicht von unserem Wohlstandsstaat, der dann Schwierigkeiten hat, sondern vor allem die Ärmsten dieser Welt, die haben dann eher Schwierigkeiten. Denn es geht ja darum, dass man insgesamt das Wohlstandsniveau, gerade vom niedrigsten Niveau, anhebt. Und ich glaube, das erreichen wir nur, indem wir einen gewissen Fortschritt, eine gewisse Innovation und ein gewisses Grundwachstum herstellen. Und dafür müssen die Rahmenbedingungen gegeben sein.
Alexander Barion: Ich nehme Sie da gleich mit rein, mich interessiert da Ihre Antwort, Frau Göpel. Aber wenn ich da mal kurz darauf reagieren darf: Du hast ja recht. Aber wenn ich etwas produziere, von dem ich möchte, dass Menschen das kaufen – und ich kann das erzielen, indem ich einfach maximal auf Gewinn gehe und, weil ich eben ein Mensch ohne Gewissen bin, das zu Lasten von bestimmten Ressourcen mache, von denen ich gegebenenfalls sogar weiß, dass es nicht gut ist für zukünftige Generationen. Also ich bin da schamlos. Warum sollte ich dann mein Verhalten ändern, wenn es keinen Rahmen gibt, der mich dazu zwingt? Ist es nicht ein bisschen romantisch zu denken, dass Entscheider in der Politik und in Unternehmen da anders unterwegs sein sollten als Privatpersonen? Wir fliegen ja auch. Und wissen, es ist nicht gut zu fliegen. Warum sollten Unternehmen jetzt plötzlich Produktionsketten umbauen und dazu vielleicht auf Gewinn verzichten, wenn sie das müssen?
Carsten Roemheld: Ich habe ja gesagt, Rahmenbedingungen müssen da sein und müssen gegeben sein, in dieser Art und Weise stimme ich dem zu. Aber wenn jemand wirklich einen mittel- bis längerfristigen Strategieplan für ein Unternehmen hat, dann impliziert es auch eine Risiko-Absicherung, in gewisser Weise. Und die Umweltthemen, die Klimathemen sind Risiken, gegen die sich Unternehmen heute absichern müssen. Und deswegen muss man es auch mal aus der Perspektive sehen, nicht nur aus diesem „ich stülpe dem Unternehmen was über, was es jetzt einhalten muss“. Das Unternehmen selbst hat ja durchaus auch ein Interesse daran, dass die Strategie längerfristig funktioniert, wenn man diese Risiken, die aus diesen eben genannten Problemen entstehen, in gewisser Weise absichert. Deswegen glaube ich, das funktioniert vielleicht kurzfristig, was Du gerade beschrieben hast. Aber jemand, der wirklich Interesse daran hat, nachhaltig ein Unternehmen zu gründen und erfolgreich zu sein, für den geht es nicht ohne eine längerfristige Strategie, die auch die Risiken stark mit einbezieht.
Maja Göpel: Ich wollte so gerne nochmal auf diesen Wachstumsbegriff eingehen, weil ich glaube, das tut uns so gut, den ein bisschen zu entpacken. Es gibt ja in jedem Ökonomiebuch die ganz klare Ansage, BIP-Wachstum sollte nicht das Ziel von Politik sein, weil es in jeder ökonomischen Rechnung ein mögliches Mittel zum Zweck ist. Und der Zweck einer Volkswirtschaft ist ja erstmal Wohlfahrtssicherung für die Personen dort vor Ort. Und da ist die gute Nachricht: Das können wir auch mit einem wesentlich geringeren Materialdurchsatz pro Kopf erreichen. Also da ist eine komplette Entkopplung, das „Easterlin-Paradox“ hat das schon 1978 dokumentiert, dass immer mehr Zeug zu haben nicht mit besserer Lebensqualität korreliert ist ab einem bestimmten materiellen Niveau. Das haben übrigens alle großen Ökonomen, die liberalen Denker, so von John Stuart Mill, John Maynard Keynes aber auch bis zurück zu Jeremy Bentham, auch vorausgesehen. Die haben gesagt, wenn wir es schaffen, technologisch und durch Effizienzsteigerung eine materiell gute Versorgung hergestellt zu haben, werden wir uns natürlicherweise mehr Freizeit gönnen, uns mehr um unsere Gesundheit kümmern, uns mehr um Kultur, unsere sozialen Beziehungen kümmern. All das, was die Glücksforschung dann wieder als Lebensqualitätssicherung zeigt. Das heißt, die Frage ist ja, warum machen wir das nicht? Und das ist dann die Frage, wo haben wir vielleicht die Strukturen so ausgerichtet, dass das sehr schwer ist.
Und die nächste Thematik, wo kommt die Kreativität, die Dynamik her? Das ist ja zum Teil dieses, was wir unter Entbürokratisierung verstehen. Ganz wichtig, nur ich hätte sie gerne richtungssicher. Es ist ja ganz viel „Grandfathering“ und so ein Zeug drin, wo man sich fragt: Wie hat es denn die Styroporindustrie jetzt schon wieder hingekriegt, dass der DIN-Standard von dem, was ich verbauen muss, immer noch auf dem bleibt, was wir in den 1950er-Jahren gemacht haben, obwohl wir immer besser wissen, dass das alles Sondermüll wird. Und zwar spätestens in 30 Jahren. Das heißt, ich kann da richtungssicher Sachen rausschmeißen und ein paar neue reinziehen, um zu sagen: Wir erhöhen die Freiheit und das Wachstum der besseren Lösungen. Und auch das Wachstum aus der ganz individuellen Frage: Motivation. Das ist ja was ganz anderes als nur Geldwerte. Es tut mir so leid, ich habe so fantastische Exzellenz-Cluster-Kolleginnen und -Kollegen in der Management-Organisationstheorie. Die müssen ein Paper nach dem anderen schreiben, um zu sagen: Menschen haben tatsächlich andere Motivationsfaktoren, als mehr Geld zu scheffeln. Das ist eine totale intellektuelle Bankrotterklärung, dass wir das immer noch in den besten Journals 2024 veröffentlichen müssen. Da muss ich doch nur mal nachdenken.
Und deshalb ist ja die Frage: Unter welchen Bedingungen fühlen sich Ingenieurinnen und Ingenieure, die in der Praxis wissen, was die beste Lösung für eine Challenge wäre, befreit und können wachsen, indem sie verbreiten können, was die ressourcenärmste Antwort auf die beste Performance wäre. Und da sind wir ganz häufig in dem Konflikt zwischen der Finanzabteilung und denen, die eigentlich wissen, wie es anders gehen könnte. Da kriege ich E-Mails von den Autoingenieuren. Ich mache mir das inzwischen zu einem Habit, bei jedem Mal, wenn ein Endgerät kaputt geht, ein Geschirrspüler oder so nach drei, vier, fünf Jahren, da anzurufen und dann die Leute zu fragen im Reparaturservice: „Finden Sie das eigentlich auch nervig, dass die Leute jetzt viel öfter anrufen als das unter einer Miele noch nötig war?“ Die finden das zum Kotzen. Die finden es doof, dass die Qualität des Produktes zurückgeht, weil die Absatzfrequenz hochgehen muss.
Und das sind dann Wachstumszwänge im Sinne von „Ich muss immer mehr produzieren“. Und da müssen wir rein: Wo sind da die Stellungen, dass ich ein Abwerten verhindern kann? Das sind spannende Diskussionen. Da lande ich nämlich ganz oft bei dem Thema, wenn ich im Mittelstand von den beiden Enden komme, sind wir überein, dass wir hier ein Problem haben und wir sind überein, dass wir eine unternehmerische Lösung brauchen. Und was würden Sie am liebsten beitragen? Was nervt Sie am meisten, was heute nicht geht? Da kommt fast immer die Antwort, dass wir wegen billigeren Importen, die schneller kaputt gehen, schlechter anbieten müssen. Und das ist ja genau die Thematik: Was ist eigentlich in den Bilanzen drin? Und wie schaffen wir es, dass die Finanzbilanz, und da sind die wichtigen Initiativen ja da, selbst wenn die gerade anstrengend sind, die Geldwerte mit geschöpften Realwerten wieder so integrieren, dass wir nicht vorbeifahren und dann auch noch sagen: Die erfolgreichsten sind die, die „Double-Digit-Finance-Returns“ machen.
Weder Menschen noch Natur geben „Double-Digit-Finance-Returns“ auf Dauer her, es ist einfach so. Das heißt, ich werde zu Lasten der Integrität und Qualität der beiden Grundzutaten menschlicher Existenz, unseres Wohlergehens, unsere Kapazität, wir haben das von Herrn Gigerenzer gehört, alles aufzunehmen und Arbeit zu intensivieren. Was wir inzwischen in einer Stunde machen sollen, ist ja was ganz anderes als vorher. Deshalb auch die Kategorie Arbeitsstunde. Ist die noch die Relevante, die uns unser Erleben gut abbildet im Tag? Und deshalb brauchen wir eine viel differenziertere Betrachtung dessen. Wie drehen wir die Instrumente so, dass wir alle wachsen können? Was bedeutet, ich gehe dauernd aus meiner Komfortzone raus, ohne in die Panikzone reinzukommen. Und das heißt, ich brauche noch eine große Idee über Regeln, über Umgangsformen. Nämlich nicht, dass ich die naive Dumme bin, wenn ich mich anständig verhalte.
Alexander Barion: Danke. Die letzten zehn Minuten möchte ich gerne nochmal auf Kommunikation in das große gesellschaftliche Narrativ kommen. Also nochmal ein bisschen metaphysischer an das ganze Thema ran. Wir haben uns unterhalten über Innovationsdruck und Zwang. Wir haben uns unterhalten über Regulierung. Wir haben uns unterhalten über: Wer steht in welcher Verantwortung? Wenn wir uns über diese Erzählung, das Narrativs, unterhalten: Wie gestalten wir Zukunft? Müssten wir da nicht einfach als Gesellschaft – und zwar alle Beteiligten, die Politik, die Unternehmen, die Privatpersonen, Vereine – einfach auch klar artikulieren: Es wird auch Transformationsverlierer geben, weil schlicht und ergreifend in einer veränderten Welt bestimmte Dinge so nicht mehr funktionieren. Und wenn das so ist, dann ist es ja nicht verwunderlich, dass das Angst macht. Und wenn es Angst macht, ist auch nicht verwunderlich, dass diese politischen Kräfte Konjunktur haben, die einem versprechen, es bleibt alles, wie es ist. Und die, die eher programmatisch versuchen, Veränderungen zu gestalten – ob sie das clever machen oder nicht, sei dahingestellt – aber jene Strömungen werden knallhart abgestraft. Und jetzt kommt die Frage: Was machen wir jetzt damit? Wie kriegen wir denn alle ins gleiche Boot? Und wie können wir die Angst davor nehmen, dass auch wenn es Verlierer gibt, nicht wir alle unter die Räder kommen?
Maja Göpel: Also rausgezoomt frage ich mich als Transformationsforscherin ja immer: Wie haben wir in einer Demokratie auch Aufgaben verteilt? Das ist ja auch eine Arbeitsteilung zwischen denjenigen, die die Gesetze machen, denjenigen, die aufpassen, dass sie eingehalten werden, dann denjenigen, die privatwirtschaftlich die Lösungen entwickeln, die auf kommunaler Ebene Zusammenleben organisieren und so weiter. Und was wir, das spricht so ein bisschen zu dem Punkt, den sie auch erwähnt haben, was wir jetzt sehr stark gesehen haben, ist: Die Individuen sollen es richten. Und aus der Forschung wissen wir, dass Infrastruktur-Projekte besser akzeptiert werden als individuelle Maßnahmen, vor allem, wenn die Infrastruktur, in die meine individuelle Maßnahme einzahlen kann, noch nicht da ist. Wenn ich mich als Puzzleteil wieder wahrnehme, mache ich da besser mit. Und deshalb ist das eine große Stoßrichtung zu fragen: Was ist denn eigentlich die öffentliche Daseinsvorsorge der Zukunft und wie können wir diese Infrastrukturen klimaneutral und ressourcenarm aufbauenDa sollten wir nicht unbedingt auf Elon Musk hören, der öffentlichen Nahverkehr doof findet. Denn dann haben wir ein riesiges Ressourcenproblem. Dann kriegen wir vielleicht Elektromobilität hin, aber verbauen ganz viel Rohstoffe, die wir woanders bräuchten, in Zeug, das 95 Prozent des Tages rumsteht, das sind bei uns ja die Autos.
Deshalb ist es so wichtig, eine gemeinsame Perspektive hinzubekommen, und deshalb finde ich auch den Green Deal so zentral. Also die Infrastruktur und die Investitionsorientierung im Sinne der Kapitalmarktunion mit einer Richtungsklarheit zu verbinden. Dann haben wir auch viele Effizienzgewinne. Also wenn wir zum Beispiel auch Verteidigung gemeinsam machten, anstatt das alle parallel das aufbauen, dann könnte man auch da die Kosten drücken und hätte deutlich mehr für die soziale Seite. Denn wir müssen die Übergangsprozesse abpuffern. Wir brauchen da auch eine gewisse Klarheit darüber. Jetzt haben wir zum ersten Mal aber die Situation, dass wir ja sowieso Arbeitskräftemangel haben. Das heißt, das ganze Ding mit den Arbeitsplätzen, die dann wegfallen, ist eigentlich so ein bisschen in sich selbst implodiert, das Argument. Es geht darum, zu sagen, wie kriegen wir sie an die Orte, wo die Menschen jetzt an den Zukunftslösungen arbeiten können, und unter welchen Bedingungen fällt es ihnen leicht. Und da müssen wir mit dieser Null -Summen -Rhetorik aufhören und diesem Abwehrkampf -Pamphlet, das sind die Verlierer und Gewinner und ... Es hat eine wahnsinnige Größe, wenn ich ein bestimmtes Geschäftsmodell oder einen bestimmten Job loslasse, an dem Zeitpunkt, wo er seine Zeit gehabt hat und sage, jetzt mache ich was Neues. Und Thema Wachstum im Kopf, super gegen Demenz, sich mal ein paar neue Aufgaben zu stellen. Und da muss ich mich fragen, warum ist das schwer? Warum sind Industriearbeitsplätze so schwer zu verlassen, auch in der Kohle? Weil da andere Lohnstrukturen sind und weil eine Reputation aufgebaut wird, die in vielen systemrelevanten Jobs einfach nicht gegeben ist. Und da können wir nachsteuern und zwar kulturell und medial. Die Wertschätzung für die Personen, von denen wir wissen, die arbeiten in der Pflege, in der Logistik, an all den Orten, die eigentlich den Laden am Laufen halten, nach oben zu ziehen und dann ist der Wechsel in so einen Job auch nicht mehr so schwierig. Aber da kann ich kulturell daran arbeiten. Das hat dann gar nicht so wahnsinnig viel damit zu tun, dass man bestimmte Jobs unbedingt halten muss. Sondern ich muss mich ja wieder fragen, was ist das Wohlfahrtsmodell, wo wir hinwollen. Und wenn wir sowieso sagen, wir gehen in Richtung Dienstleistungsgesellschaft, dann muss ich mich auch fragen, was ist dann tatsächlich eine Produktivitätsdefinition, mit der ich das gut greifen kann und eine Wertschöpfungsdefinition. Das heißt, wir brauchen ein Update von den ganz zentralen Begriffen, mit denen wir agieren und ein wirkliches Anerkennen der Wertschöpfung, die unbetrachtet stattfindet. Jetzt hatte Prognos gerade wieder berechnet 114 Milliarden Stunden in der Sorgearbeit, in der Fürsorgearbeit, und davon 72 Milliarden bei den Frauen. Dann zu sagen, da ist eine stille Reserve, die mobilisiere ich mal eben, damit jetzt alle als Eltern von jungen Kindern auch noch 40 Stunden arbeiten dürfen: Das ist doch kein Vorteilsversprechen. Und da müssen wir ein bisschen ehrlich rein. Und dann, glaube ich, kriegt man das auch hin mit dem sozialen Anteil zu sagen, es geht um gutes Leben innerhalb der planetaren Grenzen. Dafür müssen wir beides anfassen und in der Kommunikation der Europäischen Union wünschen sich die Menschen mehr Fokussierung darauf, was es tatsächlich für die Bürger und Bürgerinnen tut. Sie finden, dass das zu viel auf die Wirtschaft im Moment appliziert und die Wirtschaft wiederum findet, dass sie zu wenig gesehen wird in ihrer Wettbewerbsfähigkeit. Und da brauchen wir, glaube ich, eine gute Balance.
Carsten Roemheld: Den Begriff wollte ich aufnehmen. Ich glaube, in der Zusammenfassung ist das Wort Kommunikation das Wichtigste von allen, denn es wird zu wenig erklärt, glaube ich. Es wird zu wenig Hintergrund erläutert, es wird zu wenig einfach wirklich dargestellt, was Sache ist. Viele empfinden das als eine gewisse, wie soll ich sagen, Obrigkeits-Hörigkeit oder wie auch immer. Es muss, glaube ich, mehr erklärt werden, was Sache ist, was wir tun können und nur dann kriegt man den gemeinsamen Nenner hin, glaube ich, in den Konsens, der, wie du es richtig sagst, bei allen hergestellt werden muss. Ich glaube, da muss man auch eine Menge mehr tun, um den Beitrag jedes Einzelnen zu bekommen.
Alexander Barion: Ich bin da sehr bei dir. Ich denke nur, wenn ich ihnen zuhöre, Frau Göpel, da drehen wir hier wirklich das ganz, ganz große Rad. Und wahrscheinlich kann man es auch nicht mehr kleiner machen, denn es ist nun mal so wie es ist. Aber dass das erstmal wie ein Riesenklotz, der unbewältigbar scheint, einem vorkommt, ist ja sehr nachvollziehbar. Und weil wir ja auch auf dem Finance-Festival sind: Wir sehen ja auch, dass Mittelzuflüsse in Produkte, die versuchen, dieses ganz, ganz große Rad irgendwie anzuschubsen, extrem nachgelassen haben. Also Konjunktur haben jetzt Industrien, die Waffen produzieren und sich auf andere Bereiche konzentrieren, um das mal vorsichtig zu formulieren. Es geht weniger um ökologisch nachhaltige Produktionsprozesse und so weiter. Bin ich zu pessimistisch hier, wenn ich einfach mir Gedanken und Sorgen mache? Wie kriegen wir es gebacken, dass Rendite nicht – das ist jetzt echt strange, wenn ich das sage –, aber das Rendite nicht das Maß aller Dinge ist, darf man das auf dem Finance Festival sagen? Ich denke, wir sind angekommen, an einem Punkt, wo wir uns Gedanken machen müssen: Wie viel Rendite kostet es den Planeten, wenn wir Rendite im Geldbeutel haben? Und die Frage ist, wie kriegen wir dann eine wirklich gute Balance?
Maja Göpel: Das Wichtigste ist ja erstmal, dass mal ganz ehrlich und nüchtern und sachlich zu thematisieren. Das ist ja Mathe, wenn man so will. Was ist True-Cost-Accounting? Was ist die Schad -Schöpfung, die da eingebaut ist? Obwohl ich double-digits habe, weiß ich, es geht zu Lasten von sozialem Kapital, Humankapital und ökologischem Kapital. Und dann kann ich mich fragen, warum ist das trotzdem noch der Drang, wo das Geld hingeht? Weil wir erlauben, dass es so ist.
Ich glaube nicht, dass wir ohne eine Finanzmarktregulierung in die Richtung kommen, wie wir das besser involvieren auch über Risiko hinaus. Das ist ja der andere wichtige Anteil: Impact. Also wie kann ich das positive Wertschöpfende als eine Investition und einen Beitrag im Grunde genommen bilanzieren? Denn das setzt ja auch nochmal eine andere Energie frei, dann komme ich aus dem Vermeiden in ein Gestalten. Und das werden wir mit individuellen Anbieter*innen auf Dauer nicht bekommen. Wir haben dann ganz tolle Nischenprodukte, aber damit aus einer Nische eine Normalität wird, braucht es eine Veränderung der Spielregeln. Und deshalb wünsche ich mir so total, und ich finde den Begriff sehr wichtig, kommt aus den USA im Moment stark: Corporate Political Responsibility. Wenn ich weiß, und das ist bei CEOs, die sich mit Nachhaltigkeit auseinandergesetzt haben, völlig etabliert, der Satz ist: „Sustainability is not bankable“. Dann ist das eine Kapitulationserklärung. Wenn ich nicht anfange zu fragen, warum ist es nicht bankable und welche Veränderungen an den Rahmenbedingungen brauche ich damit es bankable wird? Und dann setze ich mich dafür ein und verstecke mich nicht dahinter, dass es nicht bankable ist, sondern thematisiere aus einer Insiderperspektive, die mich meiner Freiheit beraubt, einen Beitrag zur Lösung und trete für eine Regelveränderung ein, anstatt Teil des Problems zu sein. Und das tue ich möglichst mit Haltung, denn dann ist das Vertrauen in der Gesellschaft auch wieder erhöht, dass die Elite nicht einfach auscheckt und sich in dem Moment, wo es eng wird, irgendwo die Inseln kauft und in ihren Migrationsmustern ganz frei ist, während die Leute hier zu Hause, die „Somewheres“, die sich nicht bewegen können, dann eine Aggression gegen Ausländer *innen entwickeln, weil die wissen, sie werden mit den Kohabitation betreiben, während die, die es können, einfach woanders hingehen, wenn sie wollen. Und das ist der soziale Kontrakt, der uns im Moment erodiert. Und wenn Sie deshalb fragen, was ist die allerwichtigste Gruppe: Dann sind das all die, die das Vermögen haben, entweder einen wirklichen Beitrag für das Gemeinwohl zu leisten oder auszuchecken. Und im Moment ist die Tendenz zum Auschecken. Und das ist aus meiner Sicht ein viel stärkerer Treiber des Rechtspopulismus als irgendeine Klimapolitik.
Alexander Barion: Gut, dann würde ich an dieser Stelle sagen, vielen Dank. Wir sind sowieso schon sehr knapp in der Zeit geworden. Ich glaube, es war sehr erkenntnisreich. Ich sage es mal so, es gibt viel zu tun, aber es gibt auch Hoffnung. Wenn das vielleicht so der Schlussstrich ist, dann haben wir gleich viel zu tun.
Maja Göpel: Es gibt super tolle Leute, die in den Bereichen unterwegs sind, vernetzen Sie sich. Ich glaube, das ist ja heute auch die Intention. Es ist nicht einfach, aber da ist richtig Bewegung drin und je mehr mitmachen, umso schneller geht es vorwärts.
Alexander Barion: So machen wir es. Alles klar. Danke schön.