Nachhaltigkeit und China? Das passt durchaus zusammen, sagt Fidelity-Fondsmanagerin Jing Ning. Zwar gibt es noch viele offene Fragen und To-Dos für chinesische Unternehmen. Für ESG-Investoren ist die Volksrepublik trotzdem interessant.
Die wöchentlichen Demonstrationen der „Fridays for Future“-Bewegung haben nicht nur bei Privatpersonen für ein Umdenken bezüglich ihres CO2-Ausstoßes und ihres Umgangs mit Ressourcen gesorgt.
Auch viele Anleger konzentrieren sich nicht mehr nur auf die finanziellen Erträge ihrer Investments, sondern befassen sich auch mit deren Auswirkungen auf die Umwelt und die Zivilgesellschaft. Die sogenannten ESG-Faktoren, mit denen sich Unternehmen hinsichtlich ihres Umgangs mit Umwelt (Environment), Gesellschaft (Social) und ihrer Unternehmensführung (Governance) bewerten lassen, sind aus der Finanzwelt nicht mehr wegzudenken.
So bezieht sich eine der Fragen, die Anleger häufig stellen, auf den Umgang von Fidelity mit ESG-Faktoren. Fidelity hat hart an der Entwicklung konkreter Anlagerichtlinien gearbeitet, um Unternehmen auf ESG-Basis zu bewerten. Darüber hinaus ist der aktive Dialog mit den Unternehmen für das Fondsmanagement von zentraler Bedeutung. Dies zahlt sich besonders in Ländern aus, die mit ihrem Bewusstsein für ESG-Kriterien noch am Anfang stehen – wie zum Beispiel China.
China und ESG – das Bewusstsein wächst
Gerade, wenn es um ESG-Investments geht, denken die meisten Anleger nicht sofort an China. Chinesische Unternehmen, so die Wahrnehmung vieler Investoren, haben mit ESG-Themen wenig am Hut. Manche meinen gar, dass der Fidelity China Focus Fund keine nachhaltigen Investitionen berücksichtigt. Die Realität unterscheidet sich jedoch sehr von dieser Wahrnehmung. Auch und gerade in China greifen die ESG-Bewertungsrichtlinien von Fidelity – allerdings unter Berücksichtigung der besonderen Umstände.
In China gibt es im ESG-Bereich viele Grauzonen; ESG ist hier ein kompliziertes Thema. Es lässt sich nicht bewältigen, indem man in einem quantitativen Bewertungssystem irgendwelche Häkchen setzt.
Individuelle Lösungen erforderlich
Es gibt kein landläufiges ESG-Problem und auch keine allgemeine Lösung für chinesische Unternehmen. Probleme entstehen lokal und sind einzigartig. Sie müssen deshalb von Fall zu Fall in Angriff genommen werden. Es gibt aber einige kritische Fragen, die grundsätzlich thematisiert werden müssen.
- Wer sollte die ESG-Regeln festlegen?
- Sollte es für verschiedene Länder unterschiedliche Kriterien geben? Ist Kraftwerkskohle für ein kohlereiches Schwellenland beispielsweise genauso schlecht wie für ein Industrieland, das große Wasser- und Windreserven besitzt und für das es viel einfacher ist, erneuerbare Energien zu nutzen?
- Ist ein Unternehmen mit schlechtem ESG-Rating, das bereit ist, sich positiv zu verändern, eine bessere oder eine schlechtere Investition als ein gut bewertetes Unternehmen, das lediglich einige Mängel in der Unternehmensführung aufweist?
Aktives Engagement: Zusammenarbeit mit Unternehmen
Wenn es um ESG-Investments in China geht, zahlt sich der von Fidelity initiierte direkte Dialog mit den Geschäftsleitungen besonders aus. Die offenen Fragen lassen sich so am einfachsten und zielgerichtetsten klären. Fidelity verfügt über eigene ESG-Ratings, die darauf basieren, wie das Research-Team die Unternehmen und ihr Verbesserungspotenzial einschätzt. Jedes Jahr identifiziert das Fondsmanagement Branchen und Unternehmen, bei denen sich etwas bewirken lässt. Wir engagieren uns aktiv für positive Veränderungen.
So haben wir uns im Jahr 2019 beispielsweise mit den Positionen in der Wertschöpfungskette der Bekleidungs- und Textilindustrie beschäftigt. Dabei konzentrierten wir uns darauf, wie Unternehmen mit Menschenrechtsfragen sowie der umweltbewussten Beschaffung in ihren Lieferketten umgehen. Unser Ziel ist es, höhere Transparenz zu fördern und letzten Endes sicherzustellen, dass alle Unternehmen, in die wir investieren, über systematische Verfahren zur Einbindung von Lieferanten, zur Durchführung von Audits und zum Umgang mit Verstößen verfügen. Wir arbeiten schon länger mit zwei chinesischen Sportbekleidungsfirmen zusammen und haben dort ermutigende Ergebnisse erzielt. Die Unternehmensleitungen haben erkannt, wie wichtig es ist, sich mit dem Audit- und Bewertungsverfahren für ihre Lieferanten zu beschäftigen und ihre Vorgehensweise offenzulegen.
Grüne Technologien spielen Schlüsselrolle
Betrachtet man die drei wichtigsten Säulen des nachhaltigen Investierens, nämlich E, S und G, so haben diese in Bezug auf Chinas Wachstumsmodell (E), die sich verändernde soziale Dynamik (S) und die chinesische Finanzmarktreform (G) eine enorme Bedeutung.
- Das chinesische Wirtschaftswachstum hat dazu beigetragen, große Teile der Bevölkerung aus der Armut zu befreien. Zudem liegt der Stromverbrauch chinesischer Haushalte pro Kopf bei gerade einmal 16,3 Prozent dessen, was US-Haushalte pro Kopf an Energie verbrauchen – trotz des Wirtschaftswachstums im Lande. Kann und muss sich China also überhaupt einen umweltfreundlicheren Wachstumspfad leisten? Die Antwort könnte im technologischen Fortschritt liegen. Grüne Technologien müssen bald preislich gleichziehen, damit China einen Schritt weitergehen und das traditionelle Wachstumsmodell überspringen kann. Mit „grünen Technologien“ sind nicht nur erneuerbare Energie gemeint, sondern auch alles, was mit Kosteneffizienz zu tun hat und traditionelle Produktionsmodelle ersetzt.
- Es besteht die allgemeine Auffassung, dass das Verhalten chinesischer Unternehmen aus ihrem Streben nach Gewinnmaximierung resultiert – wobei sie sich in einem Korsett staatlicher Regulierung bewegen müssen. Die sozialen Auswirkungen und Folgen dieser Unternehmenspolitik sind selten greifbar, machen manchmal lediglich einen kurzen Absatz in einem Jahresbericht aus. Die Aufgabe, sozial verantwortliche Unternehmen zu fördern, bleibt dem Staat, den Verbrauchern und den Investoren überlassen. Dies sollte Hand in Hand gehen mit klaren, umsetzbaren Regeln, die vom Staat aufgestellt werden, mit einem Bewusstsein der Verbraucher für sozialverträgliche Produkte und mit der Präferenz der Anleger für sozial verantwortliche Unternehmen. Im Rahmen der Reform der chinesischen Staatsbetriebe (SOE) müssen die Geschäftsleitungen zweifellos ganzheitlichere Ziele erreichen, von denen eine größere Gruppe von Stakeholdern profitiert.
Bewusstsein und Regulierung sind gleichermaßen gefragt
Zu guter Letzt ist das Verhalten der Unternehmen in China auch auf eine mangelnde Aktionärskultur zurückzuführen. Das Verhalten ist vielschichtig und ortsabhängig. So kritisieren Investoren häufig, dass Transaktionen zwischen einander nahestehenden Unternehmen stattfinden. Manchmal erfolgen diese Transaktionen aus historischen Gründen wie Börsennotierungsvorschriften und Familienerbschaften. Manchmal werden sie auch gezielt genutzt, um Kosten zu verbergen und Gewinne zu steigern. Auf Nachfragen dazu antworten Unternehmen oft sinngemäß: „Das ist keine große Sache. So laufen einfach die Geschäfte in China.“
Die Öffnung der Kapitalmärkte, die Einführung von Leerverkäufen und Ausstiegsmechanismen sowie eine größere institutionalisierte Investorenbasis müssen Hand in Hand gehen, um eine nachhaltige Wirkung zu erzielen. Anleger brauchen ein Mikroskop, um die zugrunde liegende Wahrheit hinter diesen undurchsichtigen Transaktionen zu beurteilen. Und sie brauchen ein Teleskop, um Unternehmen zu identifizieren, mit denen sie gemeinsam an einer besseren Zukunft arbeiten können.
Probleme? Gibt es. Lösungen? Gibt es auch.
Mit Blick auf diese Faktoren und die aktuellen Entwicklungen lässt sich sagen: Nachhaltiges Investieren ist in China ein wichtiges und spannendes Thema – nicht nur wegen des steigenden Bewusstseins von Kunden und Unternehmen, sondern auch wegen der damit einhergehenden Alpha-Chancen. Bei der Suche nach ebendiesen Chancen tun sich in China immer wieder Probleme auf – noch. Aber dafür lassen sich Lösungen erarbeiten. Eine zunehmende aktive Zusammenarbeit zwischen Investoren und Unternehmen wird dazu beitragen, dass das nachhaltige Anlageuniversum in China künftig noch größer wird. Wir freuen uns darauf.
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